Das neue Onlineportal Archivum Medii Aevi Digitale (AMAD) soll der zentrale Ort für Publikation, Recherche und Diskussion zur Mittelalterforschung werden – nicht nur für Forschende. Karoline Döring und Aglaia Bianchi stellen ihr Projekt vor und erklären, warum Open Access und Austausch für sie essenziell sind.
„Der Diskurs über Wissenschaft findet eben nicht nur an Wissenschaftsinstitutionen statt“
Frau Döring, Frau Bianchi, was steckt genau hinter Archivum Medii Aevi Digitale, kurz AMAD?
Karoline Döring: AMAD ist sowohl der Name des ganzen Projektes, als auch des neuen Webportals, das wir im Januar 2021 gestartet haben. Die Grundlage bildet ein Fachrepositorium der Mittelalterforschung, also ein Archiv, in dem wissenschaftliche Publikationen rund um das Mittelalter aus verschiedenen Forschungsdisziplinen zum einen qualitätsgesichert veröffentlicht, zum anderen an einem zentralen Ort recherchiert werden können. Bisher musste man bei einer Recherche häufig verschiedenste Datenbanken ansteuern. Über das Portal kann man nun mehrere einschlägige Angebote auf einmal durchsuchen und gelangt darüber immer zu open access verfügbaren Volltexten. Außerdem ist ein Wissenschaftsblog Teil von AMAD, das eben genau diesen Disziplinen der Mittelalterforschung eine Austauschplattform bietet und die fachliche Diskussion sichtbar macht. Das Portal ist also ein digitaler Ort, um mediävistische Forschung zu recherchieren, zu diskutieren und auch zu publizieren.1
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Döring: Gemeinsam mit Björn Gebert gebe ich schon seit einigen Jahren das Wissenschaftsblog „Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte“ heraus, das auch rege für den Austausch der Fachcommunity genutzt wird. Hier können vor allem Aufsätze und Debattenbeiträge veröffentlicht werden. Für längere Stücke oder gar Monographien reicht die WordPress-Infrastruktur aber nicht aus. Mit dem neuen Portal möchten wir mehr Möglichkeiten zur Publikation schaffen und die aktuelle Fachdiskussion mit den Ressourcen aus dem Repositorium verbinden. Alles open access. Daran arbeiten wir nun schon eine Weile und sind Anfang 2021 damit online gegangen.
Warum braucht es ein Projekt wie AMAD?
Döring: Unser Ziel ist es, eine zentrale Anlaufstelle für Themen zum Mittelalter zu sein, vor allem für die Forschung, aber auch darüber hinaus. Das Repositorium braucht es, weil es gerade in den Geisteswissenschaften bisher noch wenige breit akzeptierte Open-Access-Publikationsmöglichkeiten gibt. Es gibt zwar institutionelle Repositorien an den Hochschulen oder auf Bibliotheksservern, aber die Hemmungen bei Forschenden, dort zu veröffentlichen, sind sehr groß. Diese Datenbanken sind unheimlich groß und thematisch universal aufgestellt. Vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer sind auf diesen Servern viel präsenter. Das mag zum einen an der Kultur der Fächer liegen – wenn es etwa um Medizin geht, sehen wir aktuell, wie wichtig es ist, dass Ergebnisse schnell verfügbar gemacht werden. Zum anderen haben Preprintserver wie Arxiv.org für Fächer wie Mathematik oder Physik eine ganz andere Tradition. Arxiv existiert zum Beispiel schon seit den 1990er-Jahren. Dahingegen sind die Geisteswissenschaften mit schnell und frei verfügbaren Texten noch am Anfang. AMAD will hier neue Möglichkeiten anbieten.
Aglaia Bianchi: Gerade im Vergleich zu den bisher existierenden, fachlich gemischten Hochschulrepositorien bieten wir mit AMAD eine Möglichkeit, in der eigenen Community sichtbar zu werden, sich zu vernetzen und dazu eine entsprechende Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Dank der Verbindung zu führenden Literaturdatenbanken wie dem RI OPAC werden die Publikationen auch über die Institution der Autor*innen hinaus von den Nutzer*innen wahrgenommen, denn niemand möchte auf der Suche nach Forschung zu einem Thema alle allgemeinen Repositorien der Universitäten abklappern. Und Autor*innen und Nutzer*innen können dann auf AMAD direkt in Dialog miteinander treten. Wir bieten also nicht nur der Fachcommunity, sondern auch anderen Interessierten einen zentralen Anlaufpunkt zur Mediävistik und eine Plattform, auf dem man sich auch austauschen kann.
Was sind Ihre Ziele für die Projektkommunikation?
Bianchi: Wir wollen AMAD nun erst einmal in der Fachcommunity bekannt machen und uns als Publikations- und Debattenort etablieren. Dafür nutzen wir verschiedene Kommunikationsmaßnahmen, die die Community da abholen sollen, wo sie sich befindet – zum Beispiel auf Twitter. Da gibt es beispielsweise den Hashtag #MedievalMonday, der viel genutzt wird und zu dem wir ein Kommunikationskonzept für AMAD entwickelt haben. Wir haben aber auch konventionelle Maßnahmen wie einen Newsletter oder halten Vorträge auf Fachtagungen. Wir wollen möglichst vielen Mediävist*innen erklären, wie AMAD funktioniert und welche Vorteile die Publikation bei uns hat im Gegensatz zu klassischen Verlagen.
Wie wollen Sie es schaffen, dass AMAD ein lebendiger Ort für Debatten zur Mediävistik wird?
Wer steckt denn alles hinter AMAD?
Döring: Die Institutionen, die dahinter stehen, sind der Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Regesta Imperii bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz und das Hessische BibliotheksInformationsSystem (hebis). In der Projektgruppe sind wir insgesamt dreizehn Personen aus diesen verschiedenen Institutionen und auch von anderen Einrichtungen. Davon werden wir beide und Paul Warner, der in der hebis-Verbundzentrale an der Universitätsbibliothek in Frankfurt a. Main die technische Entwicklung leistet, aus der Projektförderung bezahlt. Die Institutionen bringen darüber hinaus durch die Mitarbeit auch eigene Ressourcen mit ein. Gerade sind wir dabei, eine weitere Projektlaufzeit bei der DFG zu beantragen und damit auch eine vierte Projektstelle an der TU in Darmstadt zu ermöglichen, weil wir weitere Expertise für ein technisches Problem brauchen.
Welches ist das?
Döring: Wir machen neben neuen Publikationen, die direkt über AMAD veröffentlicht werden können, auch andere offen verfügbare Volltext-Publikationen über AMAD durchsuchbar. Dafür suchen wir nicht nur die weltweit größte Literaturdatenbank zum Mittelalter ab, das RI-OPAC der Regesta Imperii, sondern auch die universale Suchmaschine BASE (Bielefeld Academic Search Engine) mit mehreren hundert Millionen Einträgen aus verschiedenen Repositorien. Diese Datenquellen müssen aber nach unseren spezifischen inhaltlichen und formalen Kriterien gefiltert werden, zum Beispiel ob eine Publikation überhaupt zur Mittelalterforschung ist, ob ein Volltext vorhanden ist usw. Ein Filter-Verfahren für ein so umfangreiches Vorhaben haben wir entwickelt, allerdings bedarf es der Verfeinerung, denn aktuell ist die händische Nachkontrolle und -bearbeitung der importierten Daten noch sehr groß. Die Infrastruktur wollen wir außerdem in der nächsten Projektphase weiterentwickeln und internationale Datenquellen absuchen, wofür auch das Verfahren angepasst werden muss.
Gibt es noch weitere neue Punkte für die zweite Projektphase?
Was wünschen Sie sich denn konkret von der Community?
Döring: Wir wünschen uns eine möglichst breite Partizipation. Das heißt zum einen natürlich Beteiligung durch Publikationen direkt bei uns, aber auch in der Debatte und in der Unterstützung bei der redaktionellen Arbeit drumherum. Diese soll interdisziplinär und an verschiedenen Standorten und Fachbereichen aufgestellt werden, wofür wir ein Administrationsverfahren entwickeln. Auch die Beteiligung der Community an unseren Review-Prozessen für die Qualitätssicherung der Publikationen ist wünschenswert. Das wird vor allem ein Thema, wenn die Inhalte mehrsprachig werden sollen. Da sind wir auf die Sprachkompetenz von Muttersprachler*innen angewiesen, die uns unterstützen die redaktionelle Betreuung fremdsprachiger Publikationen sicherzustellen. Nur so erreichen wir echte Diversität.