Fünf kontroverse Thesen zum Verhältnis von Wissenschaft, Kommunikation, Öffentlichkeit und Politik lieferte Jens Rehländer, Kommunikationsleiter bei der Volkswagenstiftung, im Rahmen der traditionellen Disputation der Universität Halle-Wittenberg am Reformationstag. Seine Standpunkte zum Nachlesen.
Der „Dialog mit der Gesellschaft“ war doch niemals ernst gemeint
Am Zustand der Wissenschaftskommunikation lässt sich vieles bemängeln. Was soll man in den Mittelpunkt stellen? Ich habe mich dafür entschieden, auf eine bestimmte Haltung in der Wissenschaft näher einzugehen. Ihr zufolge sei es keine Aufgabe der Wissenschaft, ein fachfremdes Laienpublikum an wissenschaftliche Erkenntnisprozesse heranzuführen oder gar zu beteiligen. Die verfemten Chiffren hierfür lauten: „Dialog auf Augenhöhe“ und „Partizipation“.
Wissenschaftskommunikation wird von mehreren Akteuren betrieben, mit jeweils unterschiedlichen Absichten. Wissenschafts-PR hat die Rolle des Lobbyismus. Der Wissenschaftsjournalismus ist der kritische, unabhängige Begleiter von Forschung. Forschende wiederum stellen sich selbst dar. Sie kommunizieren direkt oder mit Hilfe der Wissenschafts-PR, das sind in der Regel die Kommunikationsabteilungen in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Es liegt der Schluss nahe, dass Wissenschaft und Wissenschafts-PR natürliche Verbündete sind, weil beide gleichsam an einem Strick ziehen. Doch dem ist nicht so. Ihre Zusammenarbeit ist von permanenten Zielkonflikten geprägt: Wie schmal (Frage an die Wissenschaft) oder wie weit (Ziel der Wissenschafts-PR) soll man die Tür für die Gesellschaft öffnen? Wieviel Dialog, Partizipation, Einmischung will man zulassen?
These 1: Wer Wissenschaft vermittelt, wird vom Wissenschaftssystem bestraft
Vor 20 Jahren unterzeichneten alle großen Forschungs- und Hochschulorganisationen das sogenannte PUSH-Memorandum, mit dem die Professionalisierung der Wissenschaftskommunikation in Deutschland überhaupt erst begann. Im Memorandum forderte sich die Wissenschaft gleichsam selbst auf, aktiv offenzulegen, wie sie ihre Fördermilliarden aus öffentlichen und privaten Quellen in wegweisende Forschung, in Innovationen, Ausgründungen, Patente ummünzt, stets zum Wohle der Allgemeinheit, versteht sich.
Im PUSH-Memorandum hieß es: „Je mehr die Wissenschaften individuell spürbar die Bedingungen des Lebens verändern, umso mehr sind (…) sie aufgefordert, solche Veränderungen öffentlich zu rechtfertigen, ja sogar vorausschauend öffentlich zu diskutieren.“ Dass die von oben befohlene PR-Offensive auf Widerstand stoßen würde, war den Initiatoren klar und so verhieß das Memorandum ein Anreizsystem: Wissenschafts-PR sollte als eigenes Reputationsmerkmal für wissenschaftliche Exzellenz etabliert und bei der Vergabe von Fördermitteln positiv berücksichtigt werden.
20 Jahre später gibt es bis auf wenige Ausnahmen kein strukturiertes Belohnungssystem für Forschende, die sich in der Wissenschaftsvermittlung engagieren. Entsprechende Leistungsnachweise spielen keine Rolle bei der Vergabe von Fördermitteln und sind auch sonst nicht als Qualitätsmerkmal relevant. Das liegt auch daran, dass die Unterzeichner des PUSH-Memorandums rasch das Interesse verloren. Sie stahlen sich aus der Verantwortung und überließen es den PR-Abteilungen, Konzepte zu entwickeln und die Wissenschaft zum Mitmachen zu überreden. Das bremste die Durchsetzung von PUSH im streng hierarchisch orientierten Wissenschaftssystem außerordentlich.
Hinzu kam der politisch gewollte Wettlauf um Reputation, Rankings und finanzielle Ressourcen aus öffentlicher Hand, die als Belohnung für das Schaulaufen wie jüngst die Exzellenzinitiative winkten. So ging das ursprüngliche Ziel der Teilhabe der Bevölkerung am wissenschaftlichen Erkenntnisprozess auch zugunsten des Marketings verloren.
These 2: Wissenschaft braucht mehr Einmischung
Es ist nach wie vor umstritten, ob es den von den PUSH-Initiatoren behaupteten Rechtfertigungszwang für die Wissenschaft überhaupt gibt. Die Kommunikationswissenschaftler Frank Marcinkowski und Matthias Kohring stellten dazu in einem Vortrag fest: „Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess dadurch gefördert wird, dass möglichst viele zugucken oder im Begründungsverfahren mitreden.“ Und weiter: „Die Möglichkeit der Mitwirkung ist grundsätzlich gegeben, aber an die Inklusion von Wissenschaft gebunden.“ Ich interpretiere diese Aussage folgendermaßen: Wer nicht Meister oder Meisterin in einem Fach ist, soll besser schweigen – und den Fachleuten vertrauen.
Blöd nur, dass das paternalistische Selbstverständnis, der Glaube an Unfehlbarkeit, der hier mitschwingt, immer öfter mit peinlichen Missgeschicken kollidiert: Mit Rückrufen von Fachartikeln selbst aus Top-Journals. Mit plagiierten Dissertationen; mit geheim gehaltener, aber offenbar blendend dotierter Forschung an Universitäten für in- und ausländische Rüstungsproduzenten; mit Studien, die sich aufgrund intransparenter Daten von Forscherinnen und Forschern in anderen Laboren nicht reproduzieren lassen.
Wissenschaft ist heute so komplex, zumal in der Grundlagenforschung, dass sie einem breiten Publikum kaum vermittelbar ist. Doch darf dies kein Argument sein, hinter dem man sich verschanzt, um sich das fachfremde Publikum möglichst weit vom Hals zu halten. Denn dann macht sich Wissenschaft elitär und verdächtig. Populistinnen und Populisten wissen nicht erst seit gestern, propagandistisches Kapital aus dieser Haltung zu schlagen. Sollte sich eine wissenschaftskritische Haltung in wachsenden Teilen der Bevölkerung ausbreiten, wird die Politik darauf auch reagieren, schließlich geht es um die Stimmen von Wählerinnen und Wählern. Und das Ergebnis wird die Wissenschaft sicher nicht erfreuen.
These 3: Das Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft schwindet
Noch ist das Sozialprestige der Wissenschaft in Deutschland hoch. Und der schon seit geraumer Zeit behauptete Vertrauenseinbruch ist empirisch bislang nicht nachgewiesen worden. Trotzdem: Die Kategorie Vertrauen erodiert!
Angesichts solcher Befunde mutet es geradezu wirklichkeitsfremd an, wenn man die Beteiligung der Öffentlichkeit an wissenschaftlichen Prozessen mit dem Hinweis auf die „Freiheit der Wissenschaft“ zurückweist. Partizipation, so die Mär, würde wissenschaftsfremden Einflüssen Tür und Tor öffnen, wodurch die Unabhängigkeit der Wissenschaft bedroht wäre. Aber welche Unabhängigkeit? Wissenschaft ist abhängig, und zwar von ihrer finanziellen Förderung und den Agendavorgaben aus Politik, Wirtschaft, den Wissenschaftsorganisationen und der Zivilgesellschaft. Das hat die Bevölkerung erkannt und das findet sich im Wissenschaftsbarometer ausgedrückt.
These 4: Wissenschafts-PR wird von der Wissenschaft missbraucht
Es wäre nun die Sache der professionellen, institutionellen Wissenschafts-PR, antiwissenschaftlichen Tendenzen entgegenzuwirken, indem sie für informiertes Wissen sorgt. Doch was heißt informiertes Wissen?
Dabei geht es vor allem darum, klarzumachen, wie wissenschaftliche Erkenntnis entsteht. Dass Wahrheit auf einem Konsens beruht, der sich nach festgelegten Regeln bildet, wissenschaftlich begründet ist und jederzeit überprüfbar. Dieses Einmaleins wissenschaftlicher Wahrheitsfindung fehlt in den meisten öffentlichen Diskursen völlig und wird auch von der Aufmerksamkeitsindustrie ignoriert, die einzig an wissenschaftlichen Sensationen interessiert ist.
Für die Aufklärungsarbeit im Sinne von PUSH, sogenannte Scientific Literacy, bleibt da wenig Zeit. Doch das ist auch seitens der Führungsebenen nicht prioritär gewünscht. Hand aufs Herz: Der in den Festtagsreden von Wissenschaftsfunktionären geforderte „Dialog mit der Gesellschaft“, womöglich auf Augenhöhe, war doch niemals ernst gemeint und wurde durch Lange Nächte der Wissenschaft, Kinder-Unis und ähnliche Nebelkerzen effektvoll ersetzt. Das hat mit nachhaltigem Wissenstransfer nichts zu tun, bringt aber schöne Bilder in der Lokalpresse – und hinterlässt einen positiven Eindruck bei potenziellen Geldgebern.
Dass die Verwechslung von Aufmerksamkeit mit Relevanz das Risiko von Vertrauensverlust und Reputationsschäden birgt, hat bezeichnenderweise die Wissenschafts-PR selbst schon 2016 in den „Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR“ konstruktiv aufgearbeitet. Doch der damalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Horst Hippler lehnte es ab, das Papier den Hochschulen ans Herz zu legen, denn die Leitlinien würden „weit über das Thema Kommunikation hinausreichende Aussagen treffen, etwa zur guten wissenschaftlichen Praxis und zur Transparenz von Forschungskooperationen“. Mit anderen Worten: Die Wissenschafts-PR hatte sich allzu fundamentale Gedanken gemacht, für die sie gar nicht zuständig ist. Hierarchie sticht Kompetenz und Expertise.
These 5: Wissenschafts-PR braucht mehr Macht!
Trotz ihres Know-hows und ihrer Erfahrung werden die Kommunikationsfachleute in ihren Institutionen nicht als Expertinnen und Experten respektiert. Und während wohl keine Pressestelle einem Forschenden sagen würde, wie richtig geforscht wird, erhalten Pressestellen dauernd Ratschläge von Forschenden, wie sie besser kommunizieren könnten. So lässt man es an Respekt und Wertschätzung denen gegenüber mangeln, die aus ihrem alltäglichem Umgang mit den Zielgruppen und Kommunikationskanälen ganz genau wissen, welche Information gewünscht wird und wie man sie übermittelt.
Es ist höchste Zeit, den PR-Abteilungen mehr Macht, mehr Entscheidungskompetenz zu geben. Denn der Kampf um Aufmerksamkeit wird härter und die Zahl der Gegnerinnen und Gegner wächst. Das Wissenschaftssystem ist, auch wenn ihre Glaubwürdigkeit massiv herausgefordert wird, nicht in der Lage, überzeugend zu agieren, erst recht nicht als nationales Bündnis sichtbar zu werden. Dies zeigte sich zuletzt in der Grenzwertedebatte im Kontext der Lungenärzte-Affäre im Frühjahr dieses Jahres: Bis der behäbige Betrieb erst einmal seine Argumente gesammelt, geprüft, verfasst, abgestimmt, überarbeitet, wieder abgestimmt und dann irgendwann versandt hat, haben besser organisierte, wissenschaftskritische Agitatorinnen und Agitatoren die öffentliche Meinung längst gekapert. Dies auch dank der sozialen Medien, die für viele Führungskräfte bis heute Terra incognita ist, die ihren PR-Abteilungen aber dennoch nur selten freie Hand bei der digitalen Kommunikation lassen.
Wenn die Wissenschaft ihre Schlüsselrolle in der Gesellschaft nicht verlieren will, wird es höchste Zeit, sich Verbündete zu suchen – und ihn endlich ernst zu nehmen, weil er unausweichlich wird: der vielstrapazierte „Dialog auf Augenhöhe“.
Der Beitrag basiert auf dem Manuskript einer Rede, die Herr Rehländer am 31. Oktober an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hielt. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.