Wie kann Wissenschaftskommunikation auf Instagram, TikTok und über weitere Medien funktionieren? Darüber haben wir mit der Neurobiologin Stina Börchers gesprochen, die im Interview erklärt, warum ihr die Wissenschaftskommunikation wichtig ist und welche Medien sie am liebsten nutzt.
„Den Dialog, den ich auf Instagram mit der Community führen kann, finde ich sehr wichtig“
Frau Börchers, warum kommunizieren Sie neben Ihrer Forschungsarbeit?
Mir ist wichtig, auch außerhalb meiner Fachcommunity über meine Forschung und die Neurobiologie im Allgemeinen zu sprechen. Zusätzlich möchte ich mitteilen, wie Wissenschaft funktioniert.
Daher geht es bei meiner Kommunikation nicht nur um Ergebnisse und Fakten, sondern auch darum, wie lange beispielsweise ein Experiment dauern kann, dass auch mal etwas schief geht und dass Experimente wiederholt werden müssen. Außerdem finde ich, dass Wissen für alle zugänglich sein sollte. Meiner Ansicht nach versteckt sich Wissenschaft oft hinter Fachterminologie und Bezahlschranken. Diese Barrieren versuche ich abzubauen und auch als Person nahbar zu sein.
Warum sollten Menschen erfahren, wie Wissenschaft funktioniert?
Beispielsweise damit sie verstehen, dass Forschung seine Zeit braucht und es ganz normal ist, dass Ergebnisse widerlegt werden. Gerade im letzten Jahr haben wir gesehen, wie unterschiedlich die Erwartungen an die Wissenschaft sind. Erst wundern sich alle, warum es so lange dauert, einen Impfstoff zu entwickeln. Inzwischen wundert man sich, dass es so schnell gegangen ist. Auch die unterschiedlichen Forschungsergebnisse, die erst die eine und dann eine andere Sache sagen, führen gerne zu Verwirrung. Die Bürger*innen wissen dann nicht mehr, ob sie den Wissenschaftler*innen vertrauen können, wenn sich Ergebnisse ständig ändern. Wenn Menschen jedoch wüssten, dass es in der Forschung ganz normal ist, dass neue Ergebnisse ältere widerlegen können, dann wäre es auch einfacher neue Erkenntnisse zu kommunizieren.
Über welche Themen sprechen Sie gerne?
Ich finde eigentlich alles spannend, was mit dem Gehirn zu tun hat. Besonders am Herzen liegen mir affektive Störungen, wie zum Beispiel Depressionen oder Essstörungen. Das Thema ist heikel und schwer anzusprechen, weil man beispielsweise Leute nicht triggern will. Ich will hier aufklären und zeigen, dass bestimmte Prozesse im Körper einzelner Menschen anders ablaufen. Niemand entscheidet sich freiwillig, depressiv zu sein. Gegen diese Stigmatisierung möchte ich gerne ankämpfen.
Blog, Instagram, TikTok, Twitter – was war zuerst da und wieso nutzen Sie diese unterschiedlichen Kanäle?
Ich habe 2016 mit meinem Instagramkanal @stina.biologista begonnen – in erster Linie, um meiner Familie und Freunden zu zeigen, was ich im Studium und in der Forschung mache. Damals hielt ich Instagram für einen Kanal, in dem es um Mode und Lifestyle geht, merkte dann aber, dass hier auch wissenschaftliche Inhalte vermittelt werden können. Ich habe zu anderen Instagram-Nutzer*innen, wie der kanadischen Forscherin Samantha Yammine Kontakt aufgenommen. In vielen Punkten war sie damals ein Vorbild für mich und sie motivierte mich dazu, mehr zu erklären.
2017 habe ich dann meinen Blog gestartet, weil ich etwas mehr Platz zum Schreiben haben wollte. Im gleichen Jahr kam Twitter hinzu. Anfangs bin ich nicht so gut damit zurechtgekommen, weil ich es als ganz anders als Instagram empfunden habe. Twitter ist für mich eher die Plattform, über die ich mich mit Kommunikator*innen oder Wissenschaftler*innen in meinem Bereich vernetze. Man kann hier aber auch sehr gut Inhalte vermitteln.
Inzwischen habe ich mit TikTok als weiteren Kanal angefangen, auf dem ich experimentiere. Instagram ist und bleibt aber mein Hauptkanal.
Was macht Instagram für Sie besonders?
Instagram ist für mich eine Plattform, bei der ich Inhalte vermittle, aber auch viel zurückbekomme: Feedback, Wünsche oder auch Antworten auf Fragen, die ich stelle. Den Dialog, den ich auf Instagram mit der Community führen kann, finde ich sehr wichtig. Ich konsumiere auch selbst viele Inhalte auf Instagram und freue mich, mehr über die Forschung anderer zu erfahren.
Außerdem bin ich schon lange bei Instagram und mag die vielen Möglichkeiten, die sich hier bieten. Es gibt das neue Reel Format, das ähnlich dem Kurzvideoformat bei TikTok ist. Zudem gibt es die neuen und längeren IGTV -Videos, Stories mit kurzen Videos oder Bildern und die ganz normalen Feedposts. Inzwischen kann ein Post auch aus mehreren Bildern bestehen, was ich gerne nutze, um mehrere Infografiken zusammen zu publizieren.
Die Reichweite ist hier nicht so hoch wie bei TikTok, weil der Algorithmus anders funktioniert. Wenn man regelmäßig gute Inhalte postet, kann man aber auch hier viele Menschen erreichen. Ein Beispiel für einen erfolgreichen Kanal ist die australische Wissenschaftlerin Morgan Freney, die mit ihrem Instagram-Kanal @virus.vs.labcoat über ihre Forschung im Bereich der Virologie und damit auch zum aktuellen Thema Corona und Impfungen kommuniziert.
Ich schaffe es nicht immer regelmäßig zu posten, weil die Forschung mein Hauptberuf und die Kommunikation „nur“ mein Hobby ist, an dem ich die Freude nicht verlieren möchte.
Sie haben das Format „Career Fika“ gestartet, um unterschiedliche Karrierewege aufzuzeigen. Was ist eine Fika und was wollen Sie mit diesem Format erreichen?
Fika ist schwedisch für Kaffeepause und die Idee war, zehnminütige Videos zu erstellen, die man sich in dieser Kaffeepause ansehen kann. Inhaltlich will ich verschiedene Karrierewege aufzeigen. Ich habe mich nämlich schon als Studentin oft gefragt, wie Menschen an ihre jeweiligen Stellen gekommen sind. Meist habe ich sie einfach angesprochen und dann wurde klar, dass es nicht diesen einen Weg gibt, der von Anfang an vorgegeben ist oder exakt geplant werden kann. So muss einem Studium nicht unbedingt eine Promotion und eine Karriere in der Wissenschaft folgen, sondern es kann auch ein Wechsel in die Industrie oder in die Wissenschaftskommunikation stattfinden.
Dieses Format ist natürlich nicht für meine gesamte Zielgruppe ausgelegt, sondern eher für den Teil der Community, der noch im Studium steckt. Das sind mittlerweile auch recht viele.
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Wie entstehen diese Videos?
Ich schicke meinen Interviewpartern*innen Fragen, die sie in einem Video beantworten. Sobald sie mir die Datei schicken, schneide ich die Beiträge zusammen, setze Zeitstempel an die jeweilige Frage und publiziere sie im Instagram-Videoformat (IGTV). Zusätzlich setze ich einen kurzen Teaser bei TikTok, über den die Zuschauer*innen dann den gesamten Beitrag bei Instagram finden können.
Wie ist die Resonanz der Community auf Career Fika?
Von vielen Studierenden bekomme ich Nachrichten, dass sie sich über das Format freuen. Sie sind dann genau wie ich damals als Studentin überrascht, welche unterschiedlichen Wege es gibt und wie nett und offen Menschen über ihre Karrierewege sprechen. Das baut Hemmungen ab und motiviert viele, sich zu trauen, den eigenen Weg zu gehen.
TikTok nutzen Sie nun auch als Kommunikationskanal. Warum?
Ich bin sehr neugierig, wollte TikTok ausprobieren und verstehen, wie es funktioniert. Zudem hatte ich das Gefühl, dass hier ziemlich viele Falschinformationen unterwegs sind und fand, dass hier auch Menschen präsent sein sollten, die evidenz-basierte Information verbreiten.
Im Gegensatz zu Youtubebeiträgen werden bei TikTok nur kurze Videos gepostet, die 15 bis 60 Sekunden lang sind. Man kann in einer Minute schon relativ viel sagen, aber natürlich nicht sehr ins Detail gehen.
Den Nutzer*innen werden beim durchswipen eine Fülle von verschiedenen Inhalten angezeigt. Auch wenn ein Großteil der Zuschauer*innen wahrscheinlich gar nicht an jedem Beitrag hängen bleibt, steigt mit einer größeren Reichweite auch der Anteil der Menschen, die sich für das Thema interessieren könnten. Kanäle wie „die Wissenschaftlerin“ (@die Wissenschaftlerin), die Menschen in ihren Forschungsalltag mitnimmt oder der englischsprachige Kanal „Sciencebae“ (@science.bae), in dem hauptsächlich Experimente abgebildet werden, zeigen, dass man potenziell Hunderttausende Menschen mit wissenschaftlichen Inhalten erreichen kann.
@stina.biologistaI almost never speak German here in Sweden, I kind of miss it sometimes ##wissenschaft ##labor ##science ##sverige♬ Levitating – Dua Lipa
Muss man viele Follower*innen bei TikTok haben, um gesehen zu werden?
TikTok funktioniert einerseits über Followerschaft, zusätzlich aber auch über die Inhalte, die in der „for you“-Spalte angezeigt werden. Darüber kann man meiner Meinung nach auch mehr Menschen erreichen als über die Follower – ganz anders als bei Instagram. Der Algorithmus hebt hier Beiträge hervor, die zu denen passen, die man sich angeschaut hat oder die den gleichen Hashtag beinhalten. Bleibt jemand an einem meiner Beiträge hängen, werden dieser Person zukünftig potenziell auch weitere Beiträge von mir angezeigt.
Bleibt man dadurch nicht sehr in der eigenen Filterblase?
Die Gefahr besteht natürlich und ich merke das an meiner „for you“-Seite, die voll ist mit Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation. Ich glaube aber durchaus, dass man auch ausbrechen kann. Vor allem wenn man es schafft, dass ein Video viral geht.
Und für welche Inhalte nutzen Sie Ihren Blog?
Hier gibt es die Vollversion der eher kurzen Instagram Posts. Es ist auch mein Archiv für Themen, die immer erreichbar sein sollten. Ich weiß ja nicht, was die Zukunft von Instagram bringt und ob all mein Content dann irgendwann plötzlich weg ist. Auf meinem Blog habe ich wenigstens die Kontrolle über die Texte. Hier schreibe ich ausführlicher und etwas seriöser als auf Instagram, wo ich ja auch mal Emojis nutze. Die Artikel mit Tipps zum Studium oder dazu, wie man eine Masterarbeit oder Soziale Medien nutzen kann, werden hier rege angeklickt. Ich denke daher, dass ich über meinen Blog vor allem junge Menschen erreiche.
Die Frage zum Abschluss: Wie sollte Wissenschaftskommunikation aus Ihrer Sicht idealerweise sein?
Mir ist es wichtig, dass Menschen authentisch sind. Sie sollten sich an den unausgesprochenen Ehrenkodex halten und so gut wie möglich auf Quellen verweisen. Es sollte auch immer klar sein, wann man über die eigene Meinung und wann man über wissenschaftliche Fakten spricht.
Ich würde außerdem Menschen, die kommunizieren wollen raten, Freude daran zu haben und sich beim Posten nicht vom Algorithmus unter Druck setzen zu lassen. Besser als viele mittelmäßige Posts finde ich wenige Beiträge mit einer hohen Qualität. Und in kleinen Communities ist der Dialog meist besser als in sehr großen.