Drittmittel, Studierende, Forschungsergebnisse: Hochschulen konkurrieren auf verschiedenen Ebenen miteinander. Darüber, wie sich der Wettbewerbsdruck historisch entwickelt hat und welche Auswirkungen er auf Entscheidungsstrukturen und Kommunikation hat, spricht der Soziologe Frank Meier im Interview.
„Dass Wettbewerb auch Schattenseiten hat, ist klar“
Herr Meier, heutzutage scheint es selbstverständlich, dass Hochschulen miteinander konkurrieren. Wann, würden Sie sagen, hat das wettbewerbliche Denken begonnen?
Einen Boom – zunächst einmal des Sprechens über Wettbewerb – gab es in den 1980er-Jahren. Vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren ging es eher darum, Hochschulen planen zu wollen. Irgendwann ging der Glaube an die rationale Planbarkeit von Hochschulsystemen jedoch verloren und an den Hochschulen – wie auch in vielen anderen Bereichen – kam die Vorstellung auf: Organisationen funktionieren besser, wenn man sie Wettbewerb aussetzt. Dabei war klar, dass Wettbewerb im Hochschulbereich nichts völlig Neues ist. Wissenschaftler*innen haben schon immer um Stellen konkurriert. Es gab auch schon immer inhaltliche Konkurrenz darum, welcher Ansatz sich durchsetzt oder wer etwas zuerst entdeckt. Neu war die Vorstellung, man müsse Wettbewerb gezielt zur Steuerung einsetzen und dass die Universitäten selbst als Organisationen miteinander in den Wettbewerb treten sollten. Darüber ist in den 1980er-Jahren sehr viel geredet worden. Richtig Ernst gemacht hat man in Deutschland aber erst in den späten 1990er. Und in den Nullerjahren Jahren war dann natürlich die Exzellenzinitiative – jetzt Exzellenzstrategie – das Event, das den Organisationswettbewerb richtig sichtbar gemacht hat. Nun sollte es nicht nur exzellente Wissenschaftler*innen geben, sondern auch exzellente Universitäten.
Sie schreiben in einem Beitrag zu Trends in der Hochschulentwicklung, dass der Wettbewerbsgedanke dem traditionellen Selbstverständnis von Universitäten widerspricht. Zu welchen Konflikten kommt es dadurch?
Universitäten im modernen Verständnis sollten eine bestimmte Idee verwirklichen, die man mit Humboldt verbindet – wobei da auch viel Mythos im Spiel ist. Es geht um die Idee von Forschung und Lehre als Einheit – auch sozial als Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden. Gemeinsam macht man sich auf die Suche nach der Wahrheit. Bei dieser Suche kann man natürlich auch auf Wettbewerb stoßen. Aber das hat erst einmal nichts mit Ressourcenwettbewerb zu tun. Es geht eher um Fragen wie: Wer hat Recht? Wo liegt die Wahrheit? Darauf, dass die Kooperation und der Austausch von Wissenschaftler*innen untereinander und mit Student*innen durch eine Konkurrenzlage beeinträchtigt werden könnte, ist man relativ schnell gekommen. Die komplexe Beziehung zwischen Kooperation und Wettbewerb ist sicherlich eine der grundlegenden Spannungen, die man heute im Hochschulsystem findet.
Dabei stellt sich die Frage, auf welchen Ebenen konkurriert wird. Können Sie skizzieren, welche Arten von Wettbewerb es gibt?
Dabei stelle sich die Frage, wie das alles genau zusammenhängt. Genau darum geht es in einer DFG-geförderten Forschungsgruppe, an der ich gemeinsam mit Uwe Schimank in Bremen mit einem Projekt beteiligt bin.
Was macht die Besonderheit von Universitäten als Akteur*innen aus?
Die gemeinschaftliche Vorstellung von Universitäten wird mit der Idee von relativ freien Wissenschaftler*innen kombiniert. Es herrscht die Vorstellung einer dezentralen Einheit, in der einzelne Forscher*innen oder bestimmte Institute ihr Ding machen. In der Lehre hat man mehr Abstimmung, aber auch da herrscht viel Individualismus und Entscheidungsfreiheit – aus guten Gründen. Denn die Vorstellung lautet: einzelne Wissenschaftler*innen, die tief in der Materie stecken, haben die notwendige Expertise. Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie sich Universitäten in einem Wettbewerb bewegen können, wenn sie so dezentrale, lose gekoppelte Einrichtungen sind.
Sie betrachten die Trends der Hochschulentwicklung aus der Perspektive der Governance-Forschung. Was bedeutet das?
Wie sieht das im Vergleich zu anderen Ländern aus? Sie schreiben, Deutschland sei hinsichtlich der Wettbewerbisierung eher ein Spätzünder?
Genau. Ich habe die Governance-Forschung genutzt, um Wandlungsprozesse in Deutschland zu beschreiben. Aber ursprünglich wurde sie in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren verwendet, um verschiedene Hochschulsysteme zu vergleichen. Da hat man nicht von Wettbewerb, sondern eher von Markt gesprochen. Es gab die Vorstellung, die USA seien eher ein marktzentriertes System. In Deutschland hingegen herrsche die akademische Oligarchie in Kombination mit dem Staat. Vor allem in Ländern, die nicht so sehr durch staatliche Einrichtungen dominiert waren, spielte der Wettbewerb schön länger eine größere Rolle, vor allem auch der um Studierende.
Man hat nun vermutet, dass sich die Hochschulsysteme unterschiedlicher Länder unter den Vorzeichen von Management und Wettbewerb angleichen könnten. Dafür hat man durchaus Belege gefunden, aber eben auch für fortbestehende Unterschiede. Dabei darf man nicht nur schauen, ob Systeme eher mehr oder weniger wettbewerbsorientiert sind. Man muss auch schauen: Wie funktioniert der Wettbewerb in einzelnen Ländern konkret? Die Antwort ist: Es funktioniert fürchterlich unterschiedlich. Und er funktioniert selbst innerhalb einzelner Hochschulen unterschiedlich. Wenn ich für meine empirische Forschung durch Universitäten laufe und mit Leuten spreche, finde ich eigentlich am eindrücklichsten, in wie unterschiedlichen Welten Leute leben, die an derselben Universität arbeiten.
Was meinen Sie: Wird der Wettbewerbsdruck immer weiter steigen?
Aber das ist natürlich nur ein Aspekt. Beispielsweise hängt auch die aktuelle Diskussion um „Ich bin Hanna“, also um die prekäre Lage von befristet beschäftigten Wissenschaftler*innen, unmittelbar mit der Wettbewerbsfrage zusammen. Für die Hochschulen ist es ganz selbstverständlich, dass Drittmittelbeschäftigte, die einen immer größeren Anteil ausmachen, befristet Beschäftigte sind. Außerdem bemühen sich die Universitäten, ihre strategische Flexibilität im Wettbewerb zu erhalten. Auch das lässt sie vor Entfristungen zurückschrecken.
Im Drittmittelwettbewerb muss auch nicht jede Entscheidung zwangsläufig schlau sein. Denn wenn man im Exzellenzfieber ist, gibt es die Gefahr, dass man nur auf die unmittelbaren Erfordernisse des Wettbewerbs schaut und andere Gesichtspunkte – etwa langfristige Folgen für die Lehre – außen vor lässt.
Dass Wettbewerb auch Schattenseiten hat, ist klar. Und ich habe diese Schattenseiten stark hevorgehoben. Dass er auch nützliche Seiten hat, man zum Beispiel zielgerichteter knappes Geld verteilen kann, soll damit nicht bestritten werden. Wettbewerb wird also in seiner Ambivalenz diskutiert. Schon deshalb ist es schwer zu sagen, wie sich das weiterentwickelt. Letztendlich sollte man Abstand von der Frage „viel Wettbewerb/wenig Wettbewerb“ nehmen und schauen, wie die einzelnen Wettbewerbe konkret funktionieren und wie sie miteinander interagieren.
Wie wirkt sich der Wettbewerbsdruck denn auf die Hochschulkommunikation aus?
Die Frage ist: Welche Rolle spielt die Hochschulkommunikation, wenn sich eine Hochschule vor allem als wettbewerbliche Institution versteht? Ist sie vor allem ein Instrument des Wettbewerbs? Steht sie selbst im Wettbewerb mit der Kommunikation anderer Hochschulen? Oder entzieht sie sich der Funktionalisierung für den Wettbewerb? Wenn die Hochschulkommunikation für die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschule funktionalisiert ist, kann man sich fragen: Um welchen Wettbewerb geht es? Welche Publika adressiere ich und welche nicht, weil sie für den Hochschulwettbewerb strategisch nicht relevant sind? Das könnte ein mögliches Problem sein. Aber vielleicht ist besonders gute Hochschulkommunikation auch dann gegeben, wenn man nicht so zielgerichtet auf den Wettbewerb um bestimmte Programme hin operiert? Das würde mich interessieren, das kann ich aber selbst nicht beurteilen.