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„Das Netz gehört tendenziell den Skeptiker*innen“ 

Die Kommunikationswissenschaftlerin Silke Adam beschäftigt sich mit der Kommunikation von Klimawandelskeptiker*innen. In einem Forschungsprojekt hat sie herausgefunden, dass der Skeptizismus in den klassischen deutschen Medien wenig Resonanz findet – im Netz dafür umso mehr.

Frau Adam, Sie haben untersucht, inwieweit sich Positionen von Klimawandelskeptiker*innen in klassischen deutschen Medien wiederfinden. Was hat Sie daran interessiert?

Silke Adam ist Professorin am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern. Sie forscht unter anderem zu politischer Kommunikation im internationalen Vergleich und dem Verhältnis von Online- und Offline-Kommunikation. In mehreren Studien hat sie die Kommunikationsweisen von Klimwandelwandelskeptiker*innen untersucht. Aktuell arbeitet sie an einem Projekt zur Beziehung zwischen rechtspopulistischen Einstellungen und politischer Informationsnutzung. Foto: Tom Haeussler
Silke Adam ist Professorin am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern. Sie forscht unter anderem zu politischer Kommunikation im internationalen Vergleich und dem Verhältnis von Online- und Offline-Kommunikation. In mehreren Studien hat sie die Kommunikationsweisen von Klimwandelwandelskeptiker*innen untersucht. Aktuell arbeitet sie an einem Projekt zur Beziehung zwischen rechtspopulistischen Einstellungen und politischer Informationsnutzung. Foto: Tom Haeussler

Wir gehen immer noch davon aus, dass die klassischen Medien – wie beispielsweise Tageszeitungen – eine große Relevanz haben, wenn es darum geht, Öffentlichkeit zu gestalten. Ich sage nicht, dass sie das alleine können. Das Monopol ist längst gebrochen. Aber ich denke, es ist für Gruppen, die nicht oder weniger stark dem Mainstream angehören, trotzdem ein Ziel, diese klassische Öffentlichkeit zu beeinflussen. Das war für uns der Grund, uns dem zuzuwenden.

Dafür haben Sie zuerst einmal analysiert, wie die Skeptiker*innen online agieren. Wie sind Sie vorgegangen?

Wir haben ein relativ aufwendiges Verfahren gewählt. Vereinfacht kann man sagen: Wir haben ein Schneeballverfahren genutzt. Wir kannten die klimawandelskeptische Szene im Online-Bereich ja gar nicht komplett. Deswegen haben wir die bekanntesten deutschen Skeptiker*innen genommen und uns deren Online-Auftritt angeguckt. Dann haben wir einen Crawler eingesetzt, ein Computerprogramm, das automatisiert Dokumente im Web durchsucht. So haben wir geguckt, auf wohin diese Klimawandelskeptiker*innen mithilfe von Links verweisen – auf andere Skeptiker*innen, auf Klimwawandelwarner*innen, auf die Politik oder die klassischen Medien. So haben wir versucht, uns die Skeptiker*innen-Community zu erschließen. 

Wie haben Sie dann Beziehungen zwischen der Online-Kommunikation und Berichten in klassischen Medien hergestellt?

„Es braucht also bestimmte Ereignisse, damit die Skeptiker*innen punktuell in den klassischen Medien ihre Stimme erheben können.“ Silke Adam
Wir haben zwei Textkorpora erstellt. Der eine beinhaltet das Universum der Skeptiker*innen. Ausgehend von der Online-Kommunikation der bekanntesten haben wir weitere Vertreter*innen gesucht und analysiert, was diese Gruppe im Netz sagt. Für den anderen Textkorpus haben wir in den fünfzehn größten, überregional bekannten Zeitungen in Deutschland alle Artikel gesucht, die sich mit Klimawandel beschäftigen. 

Diese zwei Textsammlungen haben wir mit Hilfe automatisierter Verfahren der Inhaltsanalyse untersucht. Wir haben geguckt: Wie stark sind bestimmte Positionen vertreten? Welche thematischen Schwerpunkte werden gesetzt? Welche Akteur*innen treten auf? Das haben wir für beide Sammlungen getan. Dann haben wir uns gefragt: Wenn auf der Skeptiker*innenseite Veränderungen festgestellt werden, also zum Beispiel andere Themenschwerpunkte gewählt werden: Können wir zugleich feststellen, dass die Massenmedien darauf reagieren? Wir haben versucht, beide Korpora zu verknüpfen. Das ist aber keine Kausalverknüpfung, wir sagen nicht: Das eine löst das andere aus. Es ist letztendlich eine Korrelation, mit der wir uns der Frage annähern: Gibt es eine Resonanz dieser skeptischen Online-Kommunikation in klassischen Medien? 

Was haben Sie herausgefunden? 

Wir konnten im Verlauf von zwei Jahren keine kontinuierliche Resonanz feststellen – bei keinem der untersuchten Indikatoren, weder bei den Frames, noch den Positionen noch bei den Akteur*innen. Wenn wir uns die Daten genauer angucken, können wir aber eine ereignisbezogene Resonanz sehen. Es gibt Phasen, in denen besondere Ereignisse stattfinden. In einem Fall wurden eine wissenschaftliche Studie im Journal Nature und ein Bericht des IPCC, also des Intergovernmental Panel on Climate Change, veröffentlicht, die beide konservativere Vorhersagen zum Klimawandel gemacht haben als bisher. Die Unsicherheit von wissenschaftlichen Ergebnissen ist eine wichtige Rahmung der Skeptiker*innen. Das wurde zu dem Zeitpunkt auch in den Medien diskutiert und hat den Klimawandelskeptiker*innen plötzlich eine Plattform gegeben. Es braucht also bestimmte Ereignisse, damit die Skeptiker*innen punktuell in den klassischen Medien ihre Stimme erheben können. Allerdings haben die Journalist*innen die Debatte nicht unreflektiert aufgenommen, sondern geschrieben: Es wird zwar behauptet, es gäbe keine Evidenz für den Klimawandel, das ist aber nicht so.

In anderen Ländern wurde festgestellt, dass Klimwandelskeptiker*innen in konservativeren Medien mehr Raum bekommen als in liberalen. Das haben Sie auch für Deutschland untersucht. Was haben Sie herausgefunden?

Unsere Studie wurde getrieben von Befunden in den USA, wo sich gezeigt hat, dass Klimawandelskeptizismus eindeutig mit einer konservativen Strömung verbunden ist und konservative Medien ihnen mehr Raum geben. Darum haben wir gesagt: Das wollen wir auch für Deutschland untersuchen. Wir haben prinzipiell nicht gefunden, dass die konservativen Zeitungen insgesamt offener gegenüber der Skeptiker*innen-Kommunikation sind. Die Resonanz war nicht höher. Was das jedoch relativiert, ist, dass wir auch gesehen haben, dass dem Thema Klimawandel in den konservativen Medien weit weniger Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Das heißt: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen konservativen und liberalen Medien. Aber nicht darauf bezogen, wie stark die Skeptiker*innen aufgenommen werden, sondern wie wichtig das Thema Klimawandel auf der medialen Agenda ist.

Sie hatten einen breiten Datensatz, allein bei den klassischen Medien waren es 4.000 Artikel. Welche Aussagekraft haben die Ergebnisse Ihrer Analyse?

„Wir haben prinzipiell nicht gefunden, dass die konservativen Zeitungen insgesamt offener gegenüber der Skeptiker*innen-Kommunikation sind.“ Silke Adam
Zu dem Datensatz habe ich zwei wichtige Anmerkungen. Erstens: Wir sind gestartet bei einigen bekannten deutschen Klimawandelskeptiker*innen und Warner*innen und haben geguckt: Auf wen verlinken die? Diese Datengrundlage ist nur eine Annäherung an das, was Klimwandelskeptiker*innen und Warner*innen tatsächlich tun. Hätten wir andere Startpunkte gesetzt, wären eventuell auch andere Akteur*innen mit hineingekommen. Durch das Schneeballverfahren haben wir mit Sicherheit eine relevante Gruppe identifiziert. Aber wir haben nie den Anspruch gehabt zu sagen: Wir haben alle gefunden. 

Der zweite Punkt ist, dass wir zwar von nationalstaatlichen Akteur*innen ausgegangen sind, aber alle Links angeguckt haben. Die können auch nach Großbritannien, in die USA oder nach Frankreich führen. Genau das zeichnet diese Skeptiker*innennetzwerke aus. Wir starten auf nationalen Seiten, aber mit einem Link sind wir bei den großen transnationalen Skeptiker*innenbewegungen angekommen. Das ist wichtig, um zu verstehen, warum es keine kontinuierliche Resonanz gibt. Denn für klassische Medien sind immer noch die Nachrichtenwerte wichtig. Zwei von ihnen sind die Nähe und der Status. Wenn ich einen prominenten US-amerikanischen Skeptiker habe, dann hat der weder die Nähe zu Deutschland noch einen Status in der deutschen Politik. Diese Netzwerke tun sich aufgrund ihrer Transnationalität schwerer, die Debatten in den nationalen Medien zu beeinflussen. Im Netz kann man diesen nationalen Raum nicht mehr so abgrenzen wie bei Zeitungen. 

Stellt sich dann die Frage, was passiert, wenn sich auch klassische nationale Medien stärker transnational ausrichten?

Ich würde für die Zukunft eher fragen: Was passiert, wenn plötzlich prominente nationale Akteur*innen skeptische Positionen vertreten? Unsere Daten sind 2012 bis 2014 erhoben worden. Die Auswertung war so aufwendig, dass es lange gedauert hat, bis wir eine vollständige Analyse hatten. Aber inzwischen hat sich die politische Landschaft in Deutschland kräftig verändert. Die AfD ist in den Bundestag eingezogen – mit klimawandelskeptischen Positionen, die jetzt prominent im Parlament sind. Die Situation, dass wir lange kaum prominente statusreiche Akteur*innen hatten, die diese Positionen vertreten, hat sich geändert. Die Frage, die mich umtreibt, ist: Wie reagieren die Medien heute darauf, wenn der Klimawandelskeptizismus im Kern der deutschen Demokratie angekommen ist?

Welche Befunde sind noch wichtig für die Forschung und Praxis der Wissenschaftskommunikation? 

“Die Frage, die mich umtreibt, ist: Wie reagieren die Medien heute darauf, wenn der Klimawandelskeptizismus im Kern der deutschen Demokratie angekommen ist?“ Silke Adam
Spannend ist auch ein weiterer Befund, den wir in einem anderen Paper veröffentlicht haben. Wir haben uns angeguckt, wie die Auseinandersetzung im Internet aussieht – sowohl die der Klimawandelskeptiker*innen als auch der Warner*innen. Wir konnten dann gucken, ob die einzelnen Seiten über eine Hyperlink-Struktur miteinander verbunden sind. Stark aufgefallen ist, dass die Skeptiker*innen die wahren Gewinner*innen der Online-Kommunikation sind. Das heißt nicht, dass sie zahlreicher sind. In Deutschland und in der Schweiz haben sie immer noch eine Minderheitenposition. Aber im Schnitt sind sie in der Online-Kommunikation viel sichtbarer als die Klimwandel-Warner*innen, weil sie viel mehr Links auf sich ziehen können. Diese Verlinkungen entscheiden in der Logik des Internets, was man in Suchmaschinen findet und wie unser Weg des Surfens im Internet aussieht. Die vielen Links kommen vor allem von anderen Klimwandelskeptiker*innen. Warner*innen hingegen setzen Links sehr sparsam. Uns schien: Die Strategie, Skeptiker*innen zu ignorieren und selbst nicht aktiv zu werden, führt dazu, dass das Netz tendenziell den Skeptiker*innen gehört. Ich denke, dieser Befund kann Implikationen für die Online-Strategie derer haben, die sagen: Klimawandel ist wirklich ein Problem. 

Ist es angesichts dieser Ergebnisse eine sinnvolle Strategie, dass klimwandelskeptische Diskurse in den klassischen Medien so wenig Resonanz finden? 

Wir haben darüber intensiv im Projekt diskutiert und keine finale Antwort gefunden. Denn eigentlich erwartet man von den Medien, dass sie dem wissenschaftlichen Konsens folgen. Dieser besagt in diesem Fall sehr eindeutig, dass es den Klimawandel gibt, dass er zumindest teilweise menschengemacht ist und dass wir schnell handeln müssen. Daraus würde ich ableiten: Die Medien haben ihre Aufgabe erfüllt und bilden den wissenschaftlichen Konsens mehr oder weniger ab. Das heißt nicht, dass es dadurch keine Probleme gibt, weil sie damit einen Teil der Bevölkerung, der dem nicht zustimmt, verlieren. Aber ob sich das dadurch lösen lässt, dass man den skeptischen Stimmen das gleiche Gewicht gibt, wage ich zu bezweifeln. Da landet man bei dem Problem der „false balance“, das Boykoff und Boykoff in ihrem Artikel „Balance as bias“ beschrieben haben. Darin geht es darum, dass US-amerikanische Medien durch den Versuch, ausgeglichen zu berichten, für eine verzerrte Berichterstattung sorgen. Neue Studien zeigen, dass dieser Bias in den USA in den Medien in dieser Form nicht mehr vorhanden ist. Aber ich glaube, es ist immer noch ein Dilemma für die Medien. 

Adam, S.; Reber, U.; Häussler, T.; Schmid-Petri, H. (2020). How climate change skeptics (try to) spread their ideas: Using computational methods to assess the resonance among skeptics’ and legacy media. PLoS ONE, 15(10), e0240089. Public Library of Science 10.1371/journal.pone.0240089, https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0240089

Adam, S., Häussler, T., Schmid-Petri, H., Reber, U. (2019). Coalitions and counter-coalitions in online contestation: An analysis of the German and British climate change debate. New Media & Society. https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/1461444819855966