Mathematik ist mehr als nur Zahlen, Rechnen und Formeln. Das soll das Schülerlabor Mathematik am Karlsruher Institut für Technologie beweisen. Verena Möhler und Peter Kaiser leiten die interaktiven Workshops für Schulklassen und teilen ihre Erfahrungen. Außerdem berichtet Mitbegründer Klaus Spitzmüller über die Anfänge des Labors.
Das „mathematische Bonbon“ auf dem Campus
Herr Spitzmüller, woher stammt die Idee, ein Mitmachlabor hier auf dem Campus des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zu eröffnen?
Spitzmüller: Die Idee geht ungefähr auf das Jahr 2004 zurück. Einer der Gründer der Softwareschmiede SAP, Hans-Werner Hector, hatte es sich zum Ziel gesetzt, einen Teil seines Vermögens in die Begabtenförderung – unter anderem in der Mathematik – zu investieren. Mit diesem Wunsch trat er an die Abteilung für Didaktik heran. Wir bekamen eine finanzielle Förderung zugesagt, um ein entsprechendes Konzept zu entwerfen und umzusetzen.
Erstens brauchten wir Inhalte, mit denen man eine junge Zielgruppe in die Mathematik locken kann. Zweitens brauchten wir eine geeignete Infrastruktur. Und drittens eine Fachkraft aus der Schule, die den Schülerinnen und Schülern nahesteht und weiß, wie man solch ein Vorhaben umsetzt. So kam ein Baustein zum anderen und wir haben schließlich das Konzept des Schülerlabors entwickelt, um eine Breitenwirkung zu erreichen. Bereits zu Beginn gab es die Idee, irgendwann Begabtengruppen für die besonders interessierten Schulkinder zu leiten, damit sie eine spezielle Förderung erhalten. Daraufhin ging es an die Umsetzung und die Eröffnung war im Jahr 2007. Die Förderung durch Herrn Hector und seine Stiftung lief nach 10 Jahren aus und heute finanziert sich das Schülerlabor durch Projekte und Ersparnisse der Abteilung für Didaktik der Mathematik sowie der Fakultät. Mittlerweile sind wir ein richtiges Aushängeschild der Fakultät geworden und haben tolle Möglichkeiten, um die Mathematik in der Öffentlichkeit zu repräsentieren.
Frau Möhler, wen möchten Sie mit dem Labor und den Workshops erreichen?
Möhler: Unsere wesentliche Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler, denen wir Mathematik jenseits des Schulunterrichts zeigen wollen. Das Hauptangebot richtet sich dabei an Schulklassen, von der dritten Klasse an bis zur Oberstufe. Da ist auch keine größere Hemmschwelle vorhanden, die Lehrkräfte müssen nur den Besuch ihrer Klasse organisieren. Außerdem gibt es noch einen Freitag im Monat, an dem das Labor für alle geöffnet ist, die mal vorbeischauen möchten. Ansonsten richtet sich das Labor an andere Gruppen im Schulalter, wie beispielsweise Ferienbetreuungen.
Wie kommt das Labor bei den Schulklassen an?
Möhler: Die Rückmeldungen sind durch die Bank weg positiv. Es gibt auch viele Wiederholungstäter unter den Lehrerinnen und Lehrern. Mittlerweile müssen wir Interessierten tatsächlich manchmal absagen. Natürlich kommen hier immer mal wieder einzelne Schulkinder nicht klar, aber das ist sehr selten. Die allermeisten finden hier etwas, womit sie sich anderthalb Stunden beschäftigen können. Das ist auch für die Lehrer schön zu sehen, wenn sich diese Schülerinnen und Schüler im Unterricht gar nicht so verhalten.
Spitzmüller: Ein Indikator ist auch, dass wir sie hier nach eineinhalb Stunden mit Gewalt rauswerfen müssen, weil sie nicht gehen wollen (lacht), während sie in der Schule normalerweise alle froh sind, wenn sie nach zwei Stunden Matheunterricht gehen können. Die Kinder spielen sehr gerne und die mathematischen Probleme sind hier in die Spiele eingebunden.
Wie kann man sicherstellen, dass nicht nur die ohnehin schon mathebegeisterten Schülerinnen und Schüler etwas vom Besuch mitnehmen?
Möhler: Und dadurch, dass wir hier komplette Schulklassen als Kundschaft haben, kommen auch alle. Es passiert auch öfter, dass Schülerinnen und Schüler am Anfang mit der Einstellung „Mathe ist doof“ ankommen. Dann haben sie hier aber trotzdem großen Spaß!
Warum sollten Schülerinnen und Schüler sich auch nach dem Unterricht noch mit komplexen mathematischen Problemen befassen?
Möhler: Wenn ich die Kinder am Anfang frage, was sie unter Mathematik verstehen, dann kommen im Grunde Antworten wie Rechnen, Zahlen, Geometrie. Wer sich aber etwas mehr mit dem Fach beschäftigt, weiß, wie breit das Feld eigentlich ist. Wir wollen zeigen, dass Mathematik Spaß machen kann und eben nicht nur aus Rechenaufgaben und bestimmten Schemata besteht. Das Labor ist der eine Teil, aber wir bieten zusätzlich noch vertiefende Workshops an. Damit können wir andere mathematische Themen einführen, die leicht zugänglich sind, so aber gar nicht in der Schule behandelt werden.
Spitzmüller: Ich denke, aus Sicht von den Lehrerinnen und Lehrern ist es eigentlich eine Art mathematisches Bonbon. Es ist eine Belohnung für die Schulklasse, wenn man mit den Kindern zufrieden war, oder eine Beschäftigung vor den Ferien. An die Uni zu gehen, ist gerade für die Kleinen nichts Alltägliches. Dadurch ist das Schülerlabor erstens ein lohnendes Ziel – und zweitens macht es einfach Spaß! Viele kommen am Tag der offenen Tür nochmal, weil sie etwas nicht zu Ende knobeln konnten.
Wenn die spielerischen Experimente besser ankommen als die Schulmathematik, was unterscheidet dann beides?
Spitzmüller: Ich denke, Schulmathematik ist vor allem die Ausführung irgendwelcher Vorgaben, aber niemand fragt nach dem Warum. Hier bei uns lernen die Kinder andere Dinge. Es geht zum Beispiel darum, eine Strategie oder einen Algorithmus für ein mathematisches Spiel zu entwickeln, um es lösen. Diese Freiheit und diesen Spaßfaktor hat ein Lehrplan normalerweise nicht zu bieten. Die Schülerinnen und Schüler sehen vielleicht auch an der ein oder anderen Stelle, wofür sie die Mathematik brauchen können. Diese Frage wird in der Schule zu kurz oder nur in Form von künstlichen Anwendungsaufgaben behandelt. Außerdem gilt in der Schule: Wenn die Lehrerin oder der Lehrer etwas sagt, dann stimmt’s. Punkt. Die wenigsten Kinder zweifeln eine Aussage im Matheunterricht an. Bei uns darf man ruhig selbst denken.
Verläuft der Besuch des Labors nach einem bestimmten Schema oder entdecken die Kinder die Experimente auf eigene Faust?
Kaiser: Üblicherweise läuft es so ab, dass es zu Beginn eine Einführung gibt und wir einige Exponate kurz vorstellen. Außerdem sprechen wir die Schulkinder auf ihre Erfahrungen mit dem Fach Mathematik an, um einen Startpunkt zu setzen. Danach beginnt die freie Erkundungsphase.
Möhler: Manchmal gibt es von den Lehrkräften Vorgaben, aber von uns nicht. Wir möchten, dass die Schülerinnen und Schüler sich so lange mit den einzelnen Exponaten beschäftigen, wie sie eben brauchen. Ganz wichtig ist auch, dass wir nur dann Tipps geben, wenn sie es möchten. Jeder, der Rätsel mag, wird verstehen: Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn jemand die halbe Lösung verrät. Für mich ist es auch völlig in Ordnung, wenn die Kinder die ganze Zeit nur an einem Exponat sitzen und versuchen, die Aufgabe zu lösen. Dieses Durchhaltevermögen ist sehr wichtig und auch eine Sache, die wir ihnen hier beibringen möchten. Dranbleiben lohnt sich in der Mathematik! Aber wir kommen natürlich gerne vorbei und helfen, wenn die Kinder das möchten.
Gibt es in dem Fall trotzdem einen Lerneffekt oder sind die Kinder dann frustriert?
Spitzmüller: Es ist natürlich ein Lerneffekt für die Schülerinnen und Schüler, wenn sie feststellen, dass sie etwas unbedingt alleine herausfinden wollen. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: entweder sie bleiben so lange dran, bis sie sich durchgebissen haben, oder sie möchten irgendwann einen Hinweis. Diese Entscheidung müssen sie selbst treffen und das hat natürlich auch mit Selbständigkeit zu tun. Bevor sie frustriert sind, geben wir gerne Tipps.
Möhler: Andererseits schadet es meiner Meinung nach auch nicht, mal ein wenig Frust bei so einer Aufgabe zu erleben und das dann auch durchzustehen. Dass man eben nicht nach der Lösung fragt, sobald es mal knifflig wird, und nicht erwartet, dass ich bei jeder kleinen Schwierigkeit einen Tipp gebe. So lernen die Schülerinnen und Schüler, dass man auf dem Weg zu einer Lösung auch Fehler machen darf.