Mit einem Kommunikationshandbuch will das Portal klimafakten.de zu einem konstruktiven Klimadiskurs beitragen. Im Interview spricht Redakteur Toralf Staud darüber, warum es jetzt auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen ankommt und wie man mit Desinformation und Leugner*innen umgeht.
„Das Klima ist ein ziemlich unangenehmes Thema“
Sie haben bei klimafakten.de ein Handbuch zur Klimakommunikation herausgebracht. Was gab den Anstoß dazu, sich darin mit den sozialen und psychologischen Erkenntnissen zum Klimawandel zu beschäftigen?
Ein Ziel bei klimafakten.de seit unserer Gründung 2011 ist es, Fakten zu liefern. Einer unserer meistgenutzten Inhalte auf der Webseite sind Faktenchecks. Darin widerlegen wir Mythen zum Klimawandel und liefern verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse, die wir allgemeinverständlich erklären. Dabei haben wir über die Jahre immer wieder gemerkt, dass Fakten zwar wichtig, aber eben nicht alles sind. Sie sind eine notwendige Voraussetzung für eine konstruktive Klimadebatte – aber keine hinreichende. Je mehr Feedback wir erhalten haben – auch von Wissenschaftsleugner*innen – desto klarer wurde, dass das, was wir senden, bei manchen Menschen nicht ankommt.
Woran liegt das?
Das haben wir uns auch gefragt. Woran liegt diese Kluft zwischen Wissen und Tun? Dies ist aber kein Thema der Naturwissenschaften mehr – naturwissenschaftlich ist der Klimawandel im Prinzip seit mindestens 20 Jahren geklärt. Jetzt geht es um sozialwissenschaftliche Fragen: Warum kommen bestimmte Botschaften nicht an? Warum lassen wir als Menschen bestimmte Informationen nicht an uns heran, und welche psychologischen Mechanismen stecken dahinter? Warum handelt die Gesellschaft nicht so, wie es in Kenntnis der Fakten rational wäre? Um exakt diese Fragen geht es in unserem Handbuch.
Eines der letzten Kapitel beschäftigt sich damit, wie man richtig mit Zweifeln und Falschinformationen umgeht. Welche Tipps für die Wissenschaftskommunikation geben Sie darin?
Ein wichtiger Rat in dem Kapitel ist, mit Desinformation zwar umzugehen, aber sich nicht darauf zu konzentrieren. Daher greifen wir das Thema Desinformation auch erst in Kapitel 19 auf. In der Gesellschaft sind die Leugner*innen des Klimawandels mittlerweile eine verschwindende Minderheit – auch wenn es in den Medien manchmal anders aussieht, weil diese wenigen Leute sehr laut sind. Wir würden unsere Energie falsch investieren, wenn wir uns an denen die Zähne ausbeißen. Es ist ein Teil ihrer Strategie, vom Wesentlichen abzulenken.
Wie geht man in der Kommunikation dennoch damit um, wenn man mit falschen und irreführenden Aussagen konfrontiert ist?
Wie kann das gelingen? Eine der größten Herausforderung in der Wissenschaftskommunikation ist es, unsicheres, vorläufiges Wissen und eventuelle Wissenslücken zu kommunizieren.
In der Tat, das ist ein struktureller Vorteil von Wissenschaftsleugnung: Bullshit braucht oft nur einen einzigen Satz, eine inhaltlich korrekte Widerlegung braucht oft zehn Sätze – und so lang ist die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums oft gar nicht mehr. Aber genau das ist ja die hohe Kunst der Wissenschaftskommunikation, komplizierte Zusammenhänge in einfache Worte zu fassen. Das muss man üben, da muss man seine Sätze und Formulierungen genau prüfen und lange schleifen. Und genauso wichtig, wie Wissen zu kommunizieren, ist natürlich, Nichtwissen klar zu benennen. Im Bereich Klimawandel gehört dann eben dazu, ebenso klar dazuzusagen, dass die bestehenden Wissenslücken nur Details betreffen und nichts an der schreienden Notwendigkeit schneller und drastischer Emissionsminderungen ändern.
Jedenfalls muss man den widerlegten Mythos durch eine ebenso einprägsame, aber eben zutreffende Erklärung ersetzen. Tut man das nicht, bleibt die alte, falsche Information in Erinnerung.
Bei diesem Debunking, das Sie beschreiben, muss also die wissenschaftlich korrekte Information genauso einfach vermittelt werden wie zuvor die Falschinformation?
Genau, wichtig ist eine verständliche und für die Allgemeinheit zugängliche Kommunikation. Dazu geben wir in diesem und anderen Kapiteln Hinweise, wie Wissenschaftler*innen aus ihrer Fachsprache herauskommen. Es gibt viele Begriffe, die in der Umgangssprache andere Bedeutungen haben als in der Wissenschaftssprache. Beim Thema Klimawandel ist mein Lieblingsbeispiel immer „positives Feedback“. Wenn Wissenschaftler*innen über positives Feedback im Klimasystem sprechen, dann ist das eine schlechte Nachricht, weil es ein sich verstärkender Mechanismus ist, der die Erhitzung noch verschlimmert. Lai*innen sehen „positives Feedback“ jedoch eher als etwas Gutes an, man freut sich ja, wenn man das zum Beispiel von seinem*r Chef*in bekommt. Im betreffenden Kapitel des Handbuchs haben wir unter anderem eine Checkliste mit typischen Begriffen, die man als Wissenschaftler*in meiden sollte und Informationen dazu, wie man sie ersetzen kann.
Welche evidenzbasierten Kommunikationsmaßnahmen sollte man ergreifen, wenn man über das Klima spricht?
Um beim Beispiel Desinformationen zu bleiben: Neben dem Debunking gibt es auch eine Strategie namens Inokulation, die durch sozialwissenschaftliche Forschung belegt ist. Dabei erklärt man Menschen die Wirkungsweise von Desinformation, bevor sie mit dieser in Berührung kommen.
Wenn man Leuten diese Mechanismen einmal gezeigt hat, sind sie gewissermaßen immun gegen Desinformationsversuche. Das funktioniert wie eine Wissensimpfung – daher auch die Anlehnung an den medizinischen Begriff.
Was sind neben dieser Rosinenpickerei weitere bekannte Desinformationsstrategien, auf die man sich in der Kommunikation vorbereiten sollte?
Wir haben dazu gemeinsam mit unseren Kolleg*innen von Skeptical Science, der führenden englischsprachigen Fact-Checking-Webseite zum Klimawandel, ein Poster herausgebracht. Wir nennen es PLURV-Poster. PLURV ist dabei ein Akronym der fünf wichtigsten Methoden von Desinformation: Pseudoexpert*innen, Logikfehler, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungsmythen.
Können Sie Beispiele für diese Desinformationsmethoden nennen?
Man lässt beispielsweise unqualifizierte, vermeintliche Expert*innen auftreten, die die Meinung von vielleicht einem Prozent der Publikationen vertreten, und setzt sie in einer Talkshow Wissenschaftler*innen gegenüber, die den Konsens von 99 Prozent der Klimaforschung repräsentieren. Das erzeugt ein völlig falsches Bild, eine falsche Balance, im Auge der Betrachter*innen: Auf dem öffentlichen Marktplatz sieht es so aus, als stehen die Positionen einander 50:50 gegenüber.
Logikfehler meint zum Beispiel geschicktes Argumentieren mit falschen Analogien, die Leute dazu verführen, logische Fehlschlüsse zu ziehen. Mit unerfüllbaren Erwartungen sind Forderungen an die Wissenschaft gemeint, die sie gar nicht erfüllen kann. Am Beispiel Corona wäre das die Erwartung, dass eine Impfung hundertprozentig wirksam sein müsse. Verschwörungsmythen gibt es in vielen Spielweisen. Sie werden zum Beispiel eingesetzt, wenn jemandem die Ergebnisse der Forschung nicht passen – die sind dann eben das Ergebnis einer sinistren Verschwörung.
An wen richtet sich das Handbuch?
Es richtet sich an alle Leute, die über das Klima sprechen – ob ehrenamtlich oder professionell. Dazu gehören Wissenschaftler*innen, Menschen in Nichtregierungsorganisationen oder in kommunalen Verwaltungen oder Politiker*innen. Alle möchten bei ihren Zuhörer*innen etwas erreichen. Aber das Klima ist ein ziemlich unangenehmes Thema. Es betrifft uns alle existenziell, es kann Angst machen und greift in die Lebensgewohnheiten von so vielen Leuten ein. Es gibt viele psychologische oder kognitive Barrieren und Abwehrhaltungen, wenn man über das Thema spricht. Man lässt sich ja nicht gerne sagen, dass man das Klima durch seine Lebensweise zerstört. Manche Menschen nehmen das Klimathema als grünes Gutmenschen-Thema wahr, was auch für Abwehr sorgt, wenn man sich diesem Milieu nicht zugehörig fühlt.
All diese Mechanismen, wie Kommunikation beim Publikum wirkt, haben wir in den einzelnen Kapiteln im Handbuch behandelt. Beispielsweise lohnt es sich bei gewissen Themen Botschafter*innen einzusetzen. Will man konservative Menschen erreichen, ist es hilfreich, wenn man jemanden findet, der die Sprache der Zielgruppe spricht. In den Rotary-Club sollte man vielleicht lieber jemand Konservatives schicken als jemanden, der*die aussieht, als käme er*sie geradewegs aus einem Camp von Baumbesetzer*innen.
Sie sagten zu Beginn, dass ein Ziel des Handbuchs sei, zu einer konstruktiven Klimadebatte beizutragen. Wie sieht Ihrer Meinung nach ein guter Klimadiskurs aus?
Menschen haben unterschiedliche Werte, verschiedene Selbstbilder und andere politische Präferenzen. Wie man die Klimakrise politisch und gesellschaftlich angeht, darüber ist jeder Streit gut und sinnvoll und in einer pluralen Demokratie wichtig. Ist eine CO2-Steuer besser als ein Emissionshandel? Dazu gibt es in der Ökonomie, in der Psychologie und in der Politikwissenschaft viele spannende Argumente. Darüber sollte kontrovers gestritten werden.