Schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft wirklich? Der Kommunikationswissenschaftler Matthias Kohring sieht keine Anzeichen für Wissenschaftsfeindlichkeit in der Gesellschaft. Eine Replik auf die gestrigen Thesen zur Wissenschaftskommunikation.
Das eigentliche Problem geht nicht von der Bevölkerung aus
Gestern waren an dieser Stelle fünf Thesen zum Verhältnis von Wissenschaft, Kommunikation, Öffentlichkeit und Politik von Jens Rehländer zu lesen (ursprünglich entwickelt – wie auch diese Gegenrede – für die traditionelle Disputation der Universität Halle-Wittenberg am Reformationstag). Darin heißt es sinngemäß: Die Rolle der Wissenschafts-PR ist hierarchisch unterbewertet, selbst dann, wenn sie tut, was sie in der Regel zurzeit tun muss, nämlich ihre Hochschule im von der Politik aufgezwungenen Wettbewerb um knappe Mittel gegen die anderen möglichst vorteilhaft dastehen zu lassen. Ich teile diese Meinung durchaus. Zudem will die Wissenschafts-PR ja erklärtermaßen mehr sein, nämlich ein Lobbyist für die ganze Wissenschaft. So steht es in den schon erwähnten „Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR“, zu deren Autoren auch Herr Rehländer zählt.
Damit ein solch anspruchsvolles Vorhaben gelingt, müssen allerdings außer dem guten Willen auch andere Bedingungen gegeben sein: Erstens eine möglichst präzise Diagnose des Problems und zweitens eine darauf abgestimmte Therapie. Die Frage ist also: Ist die Problemdiagnose zutreffend, die Herr Rehländer liefert? Und daran anschließend: Ist sein Therapievorschlag erfolgversprechend? Ich bin nicht dieser Ansicht.
Die Diagnose lautet, im heute üblichen Krisenmodus: Es besteht das Risiko einer Wissenschaftsfeindlichkeit in der Bevölkerung. Anders ausgedrückt, es ist zu befürchten, dass das Vertrauen in die Wissenschaft schwindet. Zwar geben das, wie Herr Rehländer zugibt, die aktuellen Vertrauenswerte gar nicht her, aber dennoch müsse gewarnt werden. Denn im Wissenschaftsbarometer 2017 bejahen gut 60 Prozent der Befragten eine „viel zu große“ oder „zu große“ Abhängigkeit von der Wirtschaft, 2018 sind es sogar 69 Prozent. Eine „viel zu große“ oder „zu große“ Abhängigkeit von der Politik sehen 2017 fast 60 Prozent – 2018 fehlt diese Frage merkwürdigerweise.
Das stimmt. Das Problem ist dann aber nicht, dass das Vertrauen sinken würde – das täte es nämlich zu Recht. Das Problem liegt doch vielmehr in der wahrgenommenen Abhängigkeit der Wissenschaft von Wirtschaft und Politik. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, damit umzugehen.
Möglichkeit 1: Man versucht, der Bevölkerung diese Wahrnehmung auszureden. Das wäre das klassische Vorgehen eines Verständnisses von „public understanding of science“, das die Laienbevölkerung trotz aller hehren Bekenntnisse immer nur im Hinblick auf deren ausreichende Akzeptanz der Wissenschaft betrachtet hat.
Aber gute Wissenschafts-PR, so die „Leitlinien“, will ja mehr sein als bloße Vertreterin ihrer Organisation. Sie will die Interessen der Gesellschaft mit im Blick haben. Möglichkeit 2 lautet also: Man nimmt den Befund ernst und schaut, wo dieser Vorwurf der zu großen Abhängigkeit berechtigt ist. Was Herr Rehländer als „Peinlichkeiten“ bezeichnet, erscheint mir nämlich vielmehr systemisch zu sein: Es gibt einen von der Politik angeheizten Wettbewerb um dringend notwendige Finanzen bei offenkundig mangelnder Grundfinanzierung (das Land Baden-Württemberg zahlt pro Student 33 Prozent weniger im Jahr als noch vor 20 Jahren, bei einem gleichzeitigen Zuwachs der Steuereinnahmen um 49 Prozent). Man erlebt eine Rhetorik des unablässigen Innovations- und Aktualitätsdrucks, so, als sei Wissenschaft eine Art Vertragswerkstatt für die schnelle und passgenaue Lieferung gesellschaftlicher Problemlösungen. Und nicht zuletzt ist damit der Druck verknüpft, sich über mediale Sichtbarkeit zu legitimieren, wodurch diese mediale Aufmerksamkeit zu einem vorrangigen Ziel wird. Nur diesem fatalen Mechanismus gilt übrigens die Aussage von Frank Marcinkowski und mir, die Herr Rehländer in seinem Beitrag zitiert hat („Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess dadurch gefördert wird, dass möglichst viele zugucken oder im Begründungsverfahren mitreden“).
In der Tat ist all das dazu geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft zu beschädigen. Um dies zu verhindern, sollte man aber nicht beim Symptom ansetzen, sondern die Ursachen angehen. Ich will die Wissenschaft selbst keineswegs von einer Verantwortung freisprechen. Die Bevölkerung aber hat mit all dem nun wirklich nichts zu tun.
Wenn diese Diagnose stimmig ist, dann ist aber auch die Therapie nicht richtig, die Herr Rehländer für seine Diagnose verschreiben möchte. Abgesehen von den ganz normalen Kontakten außerhalb der Hochschule – Besuche in Schulen zum Thema „Neue Medien“, öffentliche Diskussionen über Fake News, Veranstaltungen von Bildungseinrichtungen wie zum Beispiel der Akademie für politische Bildung Tutzing zu Vertrauen in Journalismus (um ein paar Beispiele aus der letzten Zeit zu geben) – warum sollte man ungefragt und mit großem Aufwand (zusätzliche Mittel gibt es dafür natürlich nicht) in die Bevölkerung hinein kommunizieren, wenn das wirkliche Problem gar nicht von dieser ausgeht? Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was Dialog auf Augenhöhe, Partizipation und Einmischung in der Praxis tatsächlich bedeuten sollen – falls sie wirklich ernst gemeint sind und nicht nur symbolisch. Diese Formeln klingen jedenfalls ehrlich besorgt; tatsächlich lenken sie aber von der wirklichen Problemursache ab und schieben den schwarzen Peter des Akzeptanzproblems rüber zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Wissenschafts-PR, die sich die eben geschilderte Problemdiagnose zu eigen macht, müsste die Wissenschaft gegen diese Zumutungen seitens der Politik in Schutz nehmen. Sie müsste diese problematischen Entwicklungen thematisieren und dafür um die Unterstützung ihrer Organisationsspitze werben, denn natürlich kann sie nicht autonom agieren.
Das klingt sehr ungewohnt, aber ich habe vergangene Woche ein Beispiel gesehen, wie das aussehen könnte. In Baden-Württemberg haben die Rektoren mit den Studierenden zusammen zu landesweiten Demonstrationen aufgerufen und mehr Geld vom Land verlangt. In Mannheim marschierte der Rektor vorneweg durch die lahmgelegte Innenstadt, neben ihm wurde ein großer schwarzer Sarg mitgezogen. Ich weiß nicht, ob das vielleicht sogar die Idee der Pressechefin war – jedenfalls musste dem Rektor klar sein, welche politische Symbolkraft ein solches Bild haben würde. Er wollte das so. Diese Haltung benötigen wir. Für mich ist das ein Beispiel von Wissenschafts-PR, die mit politischer Münze zurückzahlt. Das ist etwas, was PR natürlich viel besser kann als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Vorausgesetzt, sie konzentriert sich auf die wirklichen Probleme.
Der Beitrag basiert auf dem Manuskript einer Rede, die Herr Kohring am 31. Oktober an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gehalten hat. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.