Jahrestagungen, Preisverleihungen, Messen – Corona hat auch die täglichen Abläufe in der Wissenschaftskommunikation auf den Kopf gestellt. Insbesondere im Veranstaltungsbereich. Im Interview erzählen Christin Liedtke, Astrid Kraft und Claudia Zerrer, wie sie die Pandemie als Chance zum Austausch zwischen Helmholtz, Fraunhofer und Max Planck genutzt haben.
„Das Digitale wird dauerhaft ein Element bleiben“
Frau Liedtke, Sie sind Referentin für Wissenschaftskommunikation und verantworten den Veranstaltungsbereich in der Geschäftsstelle der Helmholtz-Gemeinschaft. Wie haben Sie den Ausbruch der Pandemie aus beruflicher Sicht erlebt?
Liedtke: Wir steckten damals mitten in unserer Jahresplanung für 2020 und damit auch in der Planung für unsere Jahrestagung, die bei uns immer im Herbst stattfindet. Insofern haben wir erst mal auf eine Pausetaste gedrückt und geschaut, was eigentlich passiert. Dabei haben wir natürlich auch beobachtet, wie sich andere Organisationen verhalten und planen. Deshalb fand ich den Austausch mit den Kolleginnen aus den anderen außeruniversitären Forschungseinrichtungen besonders spannend. Wir kannten uns vorher nicht, aber standen alle vor ähnlichen Herausforderungen und dachten daher, es kann nur gewinnbringend sein, sich in dieser Phase regelmäßig miteinander auszutauschen.
Frau Zerrer, Frau Kraft, Sie verantworten diesen Bereich bei der Max-Planck-Gesellschaft bzw. der Fraunhofer-Gesellschaft. Wie war die Lage bei Ihnen?
Zerrer: Für uns war dieser Austausch sehr gewinnbringend, gerade auch, weil Fraunhofer und wir etwa zur gleichen Zeit und relativ kurz nach dem Lockdown unsere Jahrestagungen geplant hatten. Bei uns war dann eine der großen Fragen, ob wir unsere Gremiensitzungen überhaupt online durchführen dürfen. In dieser Hinsicht fand ich den Austausch sehr spannend und gewinnbringend. Außerdem hat es natürlich bei der Schockbewältigung geholfen.
Kraft: Bei uns war es ähnlich. Wir hatten unsere Jahrestagung mit Gremiensitzungen und festlicher Verleihung der Fraunhofer-Forschungspreise ursprünglich für Mai als Präsenzveranstaltung geplant und diese dann zunächst hoffnungsvoll in den Oktober verschoben. Uns war aber relativ schnell klar, dass wir auch dafür einen Plan B brauchen würden. Da ich wusste, dass die anderen außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit ähnlichen Fragen konfrontiert sind, habe ich im April Claudia Zerrer und Christin Liedtke kontaktiert. Für uns war der offene Austausch mit den Kolleginnen über mögliche Lösungen sehr hilfreich.
Frau Zerrer, Frau Kraft, Sie sprechen die Gremiensitzungen an. Welche Lösungen haben Sie dafür gefunden?
Zerrer: Unsere Leitung hat relativ schnell entschieden, dass wir auf die Festveranstaltung verzichten und uns auf die Mitgliederversammlung und die Gremiensitzungen beschränken. Die Mitgliederversammlung wurde als Präsenzveranstaltung nicht abgesagt, es gab jedoch ein schriftliches Umlaufverfahren und die Empfehlung, eher nicht anzureisen. Es ist dann aber doch ein Mitglied zum Termin gekommen und folgerichtig musste die Versammlung formal abgehalten werden, allerdings in aller Kürze.
Kraft: Wir haben uns für unsere ordentliche Mitgliederversammlung gegen ein Umlaufverfahren entschieden und für eine rein digitale Abstimmung. Der Vorstand hat die Versammlung aus einem im Fraunhofer-Forum in Berlin eingerichteten Studio geleitet, in dem anschließend auch die Preisverleihung und ein Pressegespräch stattfanden. Die Abstimm- und Wahlvorgänge bei der Mitgliederversammlung waren vor allem technisch eine nicht ganz einfache Herausforderung Die Plattform, für die wir uns entschieden haben, hat aber wirklich gut funktioniert und stellte sich auch als sehr nutzerfreundlich heraus, so dass die Versammlung letztlich doch erfolgreich und entspannt abgelaufen ist.Es nahmen sogar mehr Mitglieder teil als bei Präsenzversammlungen.
Gremiensitzungen und Mitgliederversammlungen sind ja nun aber nicht die einzigen Veranstaltungen, die in Ihren Aufgabenbereich fallen. Was gab es sonst noch?
Kraft: Ein Format bei Fraunhofer, dass die anderen beiden nicht in dem Maße bedienen, sind Messen als Akquise-Plattformen für unsere Institute. Um die ausgefallenen Messen zu kompensieren, haben wir vom 26. bis 29. Oktober mit den Fraunhofer Solution Days eine rein digitale Plattform geschaffen, auf der die Institute ihre Technologie-Lösungen präsentieren. Es ist keine klassische Messe, sondern es werden Vorträge, Themen-Sessions und Live-Chats angeboten, neben der Präsentation von rund 200 Lösungen an über 50 digitalen Messeständen. Mit den bisher vorliegenden über 1.700 (Stand 23. Oktober) Anmeldungen allein aus unseren Zielgruppen Wirtschaft und Verbände, sind wir dabei sehr zufrieden.
Inwiefern?
Liedtke: Wir haben deutlich weniger Überblick darüber, wer sich die Veranstaltungen wirklich anschaut, zumindest dann, wenn man sie digital ausstrahlt und auf eine Voranmeldung verzichtet. Wir haben beispielsweise unsere Jahrestagung im Livestream angeboten und da ist es einfach schwierig zu sagen, wer es tatsächlich angeschaut hat und welche Zielgruppen wir wirklich erreicht haben. Das ist schon ein Unterschied zu Präsenzveranstaltungen, wo wir genau wissen, wer vor Ort ist.
Wenn wir von einer Jahrestagung sprechen, dann gehen die meisten Besucherinnen und Besucher dort vermutlich nicht nur wegen des offiziellen Programms hin, sondern auch, um zu netzwerken. Darauf haben Sie dieses Jahr alle verzichten müssen beziehungsweise bewusst verzichtet. Weshalb?
Zerrer: Wir haben dieses Jahr ganz bewusst und natürlich schweren Herzens auf die Festveranstaltung verzichtet. Das Zielpublikum unserer Jahresversammlung ist auch nicht unbedingt eines, das auf einer digitalen Plattform besonders stark interagieren würde. Eine Kollegin von mir hat aber beispielsweise eine Alumniveranstaltung organisiert, für die die Plattform „Let’s get digital“ genutzt wurde. Da ist ein guter Austausch gelungen. Aus meiner Sicht muss man hier immer von der Zielgruppe her denken.
Einige Dinge gehen also verloren. Gibt es denn auch positive Seiten der Umstellungen?
Liedtke: Ja, ich denke, wir haben viele positive Dinge mitgenommen. So konnten wir erstmals unsere Jahrestagung auch für die breite Öffentlichkeit zugänglich machen. Auch sonst ist die Barriere teilzunehmen sicherlich geringer, weil man sich einfach von zu Hause zuschalten kann und nicht anreisen muss. Und natürlich ganz persönlich haben wir viele neue Tools und Arbeitsweisen kennengelernt, die sicher in irgendeiner Form bleiben werden. Ich denke, das Digitale wird dauerhaft ein Element bleiben bzw. als Standard etabliert.
Kraft: Dem kann ich nur zustimmen. Viele der Dinge, die aus den Einschränkungen der aktuellen Situation geboren sind, werden sicherlich zukünftig Teil unserer Arbeit bleiben. Wir haben bei unserer Jahrestagung beispielsweise die Preisträgerteams digital in Preisträger-Lounges dazugeschaltet und in ihrem Institut besucht. Das ist sehr gut angekommen und ähnliche Elemente werden sicherlich auch künftig in Präsenz- oder Hybridformaten bestehen bleiben und weiter entwickelt. Sie ersetzen aber natürlich nicht Atmosphäre, Applaus und persönliche Begegnungen in einem Festsaal.
Was ist die größte Herausforderung bei hybriden oder digitalen Veranstaltungen außer dem bereits angesprochenen Netzwerken?
Liedtke: Die Stimmung und Atmosphäre bei Präsenzveranstaltungen ist natürlich eine andere. Genau diese mit in den digitalen Raum zu nehmen und, obwohl man sich nicht tatsächlich begegnet, Begeisterung zu schaffen und aufeinander zu übertragen, ist für mich die größte Herausforderung. Für mich ist es essenziell, sich bei Veranstaltungen, die als Präsenzevent geplant waren und jetzt nicht stattfinden können, zu fragen, ob man mit dem umgewandelten Format auch noch das Ziel und die Zielgruppe erreicht. Manchmal ist dies schlicht und einfach nicht möglich.
Zerrer: Das sehe ich ähnlich. Wir haben ein gemeinsames Format mit der Bayerischen Staatsoper und ein solches Format könnte man digital nicht eins zu eins abbilden. Deshalb versuchen wir, dieses Format nun in kleinerer Besetzung vor Ort umzusetzen.
Was fehlt Ihnen denn am meisten?
Alle drei antworten gleichzeitig: Die Menschen, ganz klar.
Kraft: Und mir fehlt es auch noch etwas an Spontanität. Die digitalen Veranstaltungen sind stärker gescriptet. Dadurch gehen Nähe und Emotionalität etwas verloren.
Worauf freuen Sie sich entsprechend dann im nächsten Jahr?
Liedtke: In erster Linie bin ich noch in einer Art Lauerstellung. Es gibt immer noch extrem viele Unsicherheiten und Dinge, die man nicht absehen und hundertprozentig planen kann.
Kraft: Bisher sind wir mit unseren Events in diesem Jahr und auch mit der Erreichung unserer Zielpersonen insgesamt recht zufrieden. Für kommendes Jahr planen wir bereits Konzepte, die – je nach aktuellem Infektionsgeschehen – neben einem digital teilnehmenden Publikum auch wieder eine begrenzte Zahl vor Ort anwesender Gäste ermöglichen können. Ich bin ganz optimistisch, dass wir so mittelfristig einen zusätzlichen Weg zu unseren Zielgruppen erschließen können.
Was ist Ihr Tipp für Kolleginnen und Kollegen, die auch Veranstaltungen organisieren?
Zerrer: Zusätzlich dazu ist es aus meiner Sicht auch noch wichtig, nicht den Spaß zu verlieren und offen für Neuerungen zu sein.
Mal eine ganz praktische Frage. Sind Veranstaltungen digital eher teurer oder günstiger als Präsenzveranstaltungen?
Liedtke: Veranstaltungen, wie in unserem Fall die Jahrestagung sind digital teurer als vor Ort. Zwar fallen die Kosten für das Teilnehmendenmanagement und Catering weg. Auf der anderen Seite braucht es aber deutlich mehr Budget für die Technik. Diese Kosten unterschätzt man. Es reicht für eine solche Veranstaltung eben nicht, wenn man mit der Handykamera filmt. Insofern sind die Kosten schon deutlich höher. Außerdem ist der Betreuungsbedarf bei solchen Formaten sehr viel größer. Einige andere Formate finden via Videokonferenzen statt und hier sparen wir tatsächlich Kosten – Raummieten, Catering und Reise oder Übernachtungskosten.