Alle Welt spricht über das Coronavirus – doch was sollte man in der Kommunikation darüber beachten? Der Wissenschaftsjournalist Lars Fischer hat sich intensiv mit der Erkrankung beschäftigt und gibt im Interview eine aktuelle Einschätzung ab.
„Das Bedürfnis nach nüchtern präsentierten Informationen ist enorm“
Herr Fischer, als Wissenschaftsjournalist beschäftigen Sie sich häufig mit Seuchen – und schreiben unter anderem für Spektrum.de über die Ausbreitung des neuen Coronavirus. Wie erleben Sie die Berichterstattung über die neue Erkrankung: Haben wir es mit Panikmache zu tun?
Das lässt sich so einfach nicht beantworten. Es gibt ja kein objektives Maß für „richtige“ Berichterstattung. Sicher haben einige Menschen derzeit übertriebene Furcht vor dem Virus, aber das ist immer auch ein Wechselspiel zwischen Sender und Empfänger. Das heißt, selbst wenn wir Medien ganz sachlich berichten, kann das beim Publikum Panik auslösen. Eine große Rolle spielt aber sicher die schiere Menge der Berichterstattung: Allein die Tatsache, dass es jeden Tag sehr viele neue Artikel gibt, verstärkt das Gefühl der Bedrohung.
Ist die Nachfrage nach dem Thema bei den Leserinnen und Lesern denn so groß?
Für Spektrum.de kann ich sagen: Auf jeden Fall! Unser Publikum saugt alles auf, was wir dazu machen, auch speziellere Artikel etwa über die Genetik des Coronavirus. Das ist einfach das Thema der Stunde. Bei anderen Medien wird das ähnlich sein – und aus journalistischer Sicht ist es natürlich folgerichtig, diese Nachfrage zu bedienen. Die Frage ist eben nur, wie man das macht. Ein Problem sind aus meiner Sicht Eilmeldungen, die nur kurz berichten: In dieser oder jener Region gibt es neue Infizierte! Nachrichtenportale, denen es vor allem auf Aktualität ankommt, bringen solche Nachrichten häufig erst einmal ohne weitere Einordnung.
Warum ist die aus Ihrer Sicht wichtig?
Ohne Einordnung werden Leserinnen und Leser mit Erkenntnissen wie „Es gibt einen neuen Fall in Region XY“ oder „Ein Kreuzfahrtschiff steht unter Quarantäne“ allein gelassen. Doch was bedeutet das wirklich für die Ausbreitung der Epidemie oder für die eigene Gefährdung? Man geht ja immer davon aus, dass das Publikum dann die längeren und besser recherchierten Stücke anklickt, die häufig unter einer kurzen Meldung verlinkt sind. Mein Eindruck ist aber, dass viele Leserinnen und Leser das nicht machen. Sie lesen eine Eilmeldung nach der anderen, und zurück bleibt das Gefühl der Hilflosigkeit: Da rollt was Großes auf uns zu.
Was schreibt man in so eine Einordnung, wenn noch gar nicht klar ist, wie gefährlich das neue Virus wirklich ist?
Das kann man ja ehrlich schreiben: Wir wissen relativ wenig darüber, möglicherweise ist es sehr gefährlich, vielleicht aber auch harmloser als gedacht. Allein das nimmt bei so einer Meldung ja schon etwas den Druck, die Dringlichkeit raus. Also besser einen Schritt zurückgehen und auch eine gewisse Distanzierung vom einzelnen Ereignis vornehmen.
Moment, das ist ja auch nicht die Aufgabe des Journalismus, die Leute zu beruhigen. Unsere Funktion ist es, die reale Situation darzustellen. Es ist ganz normal, dass die Menschen vor einer Bedrohung Angst empfinden, nachdem sie sich in den Medien darüber informiert haben. Dagegen können wir nichts tun. Ihre Angst sollte nur nicht durch eine falsche Art der Berichterstattung übermäßig geschürt werden. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Welche Art der Berichterstattung gilt es zu vermeiden?
Man sollte natürlich auf alle Arten von Übertreibungen und Katastrophisierungen verzichten – auch wenn mir klar ist, dass Aufmerksamkeit zum Geschäft des Journalismus dazugehört. Und besser nicht mit Extrem-Szenarien Schlagzeilen machen, etwa der Prognose eines Harvard-Forschers, „bis zu 70 Prozent“ der Weltbevölkerung könnten sich mit dem Corona-Virus anstecken. Das war das obere Ende seiner Schätzung, aber nur diese Zahl steht in den meisten Überschriften. So etwas schürt natürlich Ängste. Was dagegen sinnvoll ist und auch vom Publikum geschätzt wird, ist eine betonte Nüchternheit in Artikeln über die Epidemie. Wir sollten bewusst darauf verzichten, mit Sprache und Gestus das Gefühl der Bedrohung zu verstärken, und stattdessen Sachlichkeit ausstrahlen: Was ist die Situation, welchen Umgang damit empfehlen Experten und so weiter. Das Bedürfnis nach solchen nüchtern präsentierten Informationen ist nach meiner Wahrnehmung aktuell enorm!
In der Berichterstattung wird die Corona-Epidemie oft mit einer Grippewelle verglichen. Ist das ein angemessener Vergleich?
Da muss man differenzieren. Sinnvoll ist es vor allem, wenn man Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der Grippe und COVID-19 herausarbeitet und die beiden Erkrankungen so vergleicht. Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir nicht nur die saisonale Grippe haben, sondern alle paar Jahre oder Jahrzehnte eine sogenannte pandemische Grippe. Sie entsteht, wenn ein neuer Subtyp des Influenza-Virus auftaucht, auf den die Menschen nicht vorbereitet sind, wie es etwa 1918 und 1957 der Fall war. Das geht dann einmal komplett durch die Menschheit durch und weil noch niemand Immunität oder Teilimmunität dagegen hat, ist dieses Virus in den ersten Jahren meistens gefährlicher und tödlicher als bereits bekannte Grippe-Varianten. Die aktuelle Corona-Erkrankung sollte man eher mit so einer pandemischen Grippe vergleichen, nicht mit der saisonalen Influenza oder gar einer einfachen Erkältung.