Das Wissenschaftsbarometer 2019 bestärkt für Wiebke Rössig die gemachten Erfahrungen bei den partizipativen Formaten im Museum für Naturkunde Berlin. Sie zeigen auch: Der Einbezug der Bevölkerung muss verstärkt werden. Von einem direkten Dialog und Austausch profitiert nicht zuletzt auch die Wissenschaft selbst.
Das Authentische ist besonders reizvoll
Die seit 2014 jährlich erhobenen repräsentativen Daten des „Wissenschaftsbarometer“ sind ein spannender und wichtiger Einblick in die Außenperspektive auf Wissenschaft. Sie ermöglichen es all jenen, die sich mit Wissenschaftskommunikation in der Theorie und Praxis beschäftigen, eine gute Datenbasis als Bezugspunkt zu nehmen. Und sie ermuntert jedes Jahr auf Neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, denn die allgemeine Sicht auf Wissenschaft und Forschung ist seit Jahren positiv: Das Interesse an Wissenschaft wächst und das Vertrauen ist stabil hoch!
Darüber können sich die Akteurinnen und Akteure der Wissenschaft freuen, sollten aber zugleich auch ihre Verantwortung in einer als unsicher empfundenen Zeit reflektieren. Oft entsteht der Eindruck, dass „alternative Fakten“ und wissenschaftskritische Kommentare den Diskurs bestimmen. Dem ist nur scheinbar so. Die Stimmen sind laut, aber keineswegs in der Mehrheit. Das zeigt das diesjährige Wissenschaftsbarometer erneut anschaulich. Interessant ist hierbei auch ein Blick in den Tabellenband. Hier wird deutlich, dass das Interesse bei allen Befragten mit unterschiedlichen formellen Bildungsabschlüssen über 50 Prozent liegt.
Hohes Vertrauen, aber zu wenig Informationen
Das große Vertrauen, das die Gesellschaft in die Wissenschaft hat, birgt Verantwortung, denn zugleich fühlen sich die Menschen nicht besonders gut informiert über die neuen Entwicklungen in Wissenschaft und Forschung. Und hier wird auch ein deutlicher Unterschied nach formalen Bildungsabschlüssen deutlich. Je niedriger der schulische Abschluss, desto weniger informiert fühlen sich die Menschen. (Nebenbei erwähnt fühlen sich interessanterweise AfD-Wählerinnen und -Wähler deutlich besser informiert als die Wählerinnen und Wähler aller anderen Parteien des Deutschen Bundestags und als die Nichtwählerinnen und -wähler). Ganz offensichtlich muss also noch viel mehr Wert darauf gelegt werden, Menschen auch außerhalb der Schule und unabhängig von ihrem schulischen Werdegang einen besseren Zugang zu Wissenschaft und Forschung zu ermöglichen. Wissen und ein Grundverständnis von wissenschaftlicher Wissensproduktion ermöglicht die Teilhabe an unserer Wissensgesellschaft und stärkt die Demokratie.
Eben diese Gesellschaft, deren Probleme es zu lösen gilt, ist zugleich auch die größte Expertin, wenn es um die genaue Definition der Fragestellungen, der Abwägung von unterschiedlichen Perspektiven und die Bewertung der Risiken und Auswirkungen geht. Ein Dialog und Austausch birgt für alle Seiten neue Einblicke und ein Mehrwert. Und das Interesse auf Seiten der Gesellschaft ist ganz offenbar vorhanden. Es liegt meines Erachtens daher eine Bringschuld bei Wissenschaft und Forschung, sich der Gesellschaft auf unterschiedliche Weise anzunähern und verschiedene Zugänge immer weiter und für immer mehr Menschen zu öffnen.
Viel mehr als nur Bildung- und Informationsangebote
Dabei ist das Informieren (sowohl über Ergebnisse, aber vor allem auch über Prozesse und auch Kontroversen in der Forschung) der erste Schritt, der durch Dialog und Beteiligungsmöglichkeiten erweitert werden sollte. Nur in bestimmten Fällen ist es möglich, direkt an den Prozessen der Forschung teilhaben zu lassen, über die Fragen, Methoden, Begriffe und Implikationen der Forschung kann aber in jedem Fall ein breiter und offener Austausch geführt werden.
Im Museum für Naturkunde Berlin erleben wir, dass direkter Dialog und Austausch sehr fruchtbar ist – für beide Seiten. Die Forschenden geben oft das Feedback, dass es entgegen ihrer Befürchtungen vollkommen unproblematisch war, ins Gespräch zu kommen und dass oft sehr spannende neue Perspektiven auf ihre Arbeit das Resultat der Gespräche waren. Auch fällt es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Regel leicht, sich auf unterschiedliche Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner im direkten Austausch einzustellen. Eine Kompetenz, die ja im täglichen Leben alle erleben. Die Fragen und Rückmeldungen des Gegenübers leiten zuverlässig hin zu Punkten, an denen besonderes Interesse oder eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten liegen.
Schon Forschungsalltag ist spannend
Für mehr Beteiligung und Öffnung muss man insbesondere Kompetenzen, Interessen und Stärken unterschiedlicher Zielgruppen in den Fokus nehmen und dabei darauf schauen, wie auch die Wissenschaft und Forschung durch diese Perspektiven bereichert werden kann. Die defizitorientierte Vermittlung von Faktenwissen ist zwar schon lange in der Kritik, wirkt aber im Design von Wissenschaftskommunikation häufig fort. Dabei gibt es so viele Kompetenzen in der Gesellschaft, die die Wissenschaft bereichern können. Sei es durch neue Perspektiven, Ideen zur Anwendung, breitere Begriffsbildung, direkte Unterstützung der wissenschaftlichen Arbeit oder in der Umsetzung von Forschung in Handeln in Alltag, Politik, Wirtschaft etc.
Eine andere Frage, die sich beim Lesen des Wissenschaftsbarometers stellt, ist die nach der Brücke zu den politischen Entscheidungen. Ein größerer Einfluss der Wissenschaft auf die Politik wird von einer Mehrheit der Befragten gewünscht und dies ist nur logisch, da der Wissenschaft ja großes Vertrauen entgegengebracht wird. Die Vertrauensfrage fällt für Politik deutlich negativer aus und man kann mutmaßen, dass die politischen Kräfte eher noch Einbußen an Vertrauen hinnehmen müssen, wenn sie wissenschaftliche Erkenntnisse in der Entscheidungsfindung ignorieren. Wie aber lässt sich die wissenschaftliche Forschung in politische Entscheidungen übersetzen, wie kommt Wissenschaft zum Handeln? Wie lassen sich diese grundsätzlich verschiedenen Funktionslogiken überbrücken, ohne dass die Wissenschaft an Vertrauen verliert?
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Alle Ergebnisse und Daten des Wissenschaftsbarometers 2019 finden Sie hier.
Weitere Beiträge zum Thema: