Foto: Martin Sanchez (edit)

Corona-Pandemie: Weshalb sich Forschende öffentlich äußern (2)

Die aktuelle Krise wirft viele Fragen auf. Disziplinen wie etwa die Virologie, Epidemiologie, Psychologie und Soziologie stehen dabei im Fokus und sollen Antworten liefern. Wir wollten von Forschenden wissen, wie sie ihre Rolle wahrnehmen und was in dieser Zeit gute Kommunikation für sie bedeutet.

Wir wollten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wissen, wieso es aus ihrer Sicht wichtig ist, sich in Zeiten von Covid-19 selbst öffentlich zu äußern. Auch haben wir gefragt, was ihrer Meinung nach gute Wissenschaftskommunikation in Krisen wie dieser ausmacht.

Im zweiten Teil dieser Statementreihe äußern sich die Virologin Melanie Brinkmann, der Neurologe und Psychologe Borwin Bandelow sowie der Psychologe und Psychotherapeut Jürgen Hoyer.


Melanie Brinkmann, Professorin für Virologie am Institut für Genetik an der Technischen Universität Braunschweig

Melanie Brinkmann studierte Biologie an der Georg-August Universität Göttingen und der Humboldt Universität zu Berlin. 2010 übernahm sie die Leitung der Nachwuchsgruppe „Virale Immunmodulation“ am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung. Von 2012 bis 2018 war Melanie Brinkmann Junior Professorin am Institut für Virologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Seit Juli 2018 ist sie Professorin am Institut für Genetik an der Technischen Universität Braunschweig. Melanie Brinkmann wurde mit dem Promotionspreis der Medizinischen Hochschule Hannover (2004), dem Robert-Koch-Postdoktoranden-Preis der Robert-Koch-Stiftung (2007), sowie 2016 dem Science Award der Gesellschaft für Signaltransduktion ausgezeichnet. Foto: Melanie Brinkmann

Die Wissenschaft liefert Fakten und Erkenntnisse, auf deren Basis viele weitreichende politische Entscheidungen getroffen werden. Es ist schon deshalb ganz allgemein wichtig, unsere Arbeit Entscheiderinnen und Entscheidern sowie auch Laiinnen und Laien verständlich zu erklären. In der Corona-Krise gilt dies noch mehr. Denn um diese zu bewältigen ist es ja existenziell, dass Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen nicht allein nur zur Kenntnis nehmen, sondern aktiv und möglichst aus Überzeugung mitmachen, und dabei zum Teil beträchtliche persönliche Einschränkungen in Kauf nehmen. Deshalb fühle ich mich verpflichtet, ihnen Rede und Antwort zu stehen, beziehungsweise den Journalistinnen und Journalisten, die stellvertretend für sie Fragen stellen. Gute Wissenschaftskommunikation macht nicht allein die Forschungsergebnisse nachvollziehbar. Besonders jetzt ist es wichtig, dass wir auch öffentlich reflektieren, welche Aspekte zurzeit noch mit Unsicherheiten behaftet sind und warum, und was wir noch gar nicht wissen.


Borwin Bandelow, Senior Scientist an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen

Borwin Bandelow ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Diplompsychologe und Psychotherapeut. Er ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie  der Universitätsmedizin Göttingen und ein international anerkannter Experte für Angsterkrankungen. Foto: Borwin Bandelow

In den Zeiten der Virus-Pandemie ist es wichtig, sich von Fakten und nicht von Emotionen leiten zu lassen. Wenn Menschen mit einer neuen und unbeherrschbaren Gefahr konfrontiert werden, haben sie davor zu Beginn eine deutlich überproportionale Angst, verglichen mit der Furcht vor bekannten Gefahren. Das liegt daran, dass wir ein evolutionär sehr altes Angstsystem haben, das nicht gerade gut in Statistik ist – es kann Daten und Zahlen nicht einordnen. Weil es aber in Zeiten der Krise auf Überlebensmodus schaltet, kann es für einige Wochen die vernünftigen, überlegten Anteile unseres Gehirns in den Hintergrund drängen, sodass allgemeine Panik aufkommt und sich unlogische, archaische Mechanismen wie das Hamstern von Lebensmitteln durchsetzen können.

Angst ist kein guter Ratgeber, aber Wissen bekämpft Angst. Um dem Vernunftgehirn bei seiner Arbeit zu helfen, ist es wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Erkenntnisse vor einer breiten Öffentlichkeit kommunizieren. In der letzten Zeit wurden wir alle zu Hobbystatistikerinnen und -statistikern und Amateurvirologinnen und -virologen. Begriffe wie Reproduktionszahl, Inkubationszeit oder Herdenimmunität sind in aller Munde, als Zeichen dafür dass sich eine wissenschaftliche Betrachtung der Krise nach und nach durchsetzt. In einer solchen bedrohlichen Situation ist es wichtig, dass man den Forschenden das Wort erteilt. Auch wenn es so aussieht, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich manchmal widersprechen oder korrigieren müssen, so ist dies nur ein Zeichen dafür, dass wir dazulernen und unsere Strategien immer weiter verbessern. Die letzte Zeit hat gezeigt, dass die die streng akademisch orientierte Strategie zur Bekämpfung der Pandemie sehr erfolgreich war.

„Angst ist kein guter Ratgeber, aber Wissen bekämpft Angst.“ Borwin Bandelow

Albert Einstein hat gesagt, dass man die Dinge möglichst einfach darstellen muss – aber auch nicht zu einfach. Das heißt, dass eine gute Wissenschaftskommunikation in den Zeiten der Krise die Fakten in einer allgemein verständlichen und dennoch seriösen Sprache aufbereitet, aber dabei immer offenlegt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse oft sehr komplex sind und einem ständigen Wandel und Wissenszugewinn unterliegen. Gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler denken in Wahrscheinlichkeiten und gehen nicht davon aus, dass sie die Wahrheit gepachtet haben. 


Jürgen Hoyer, Diplom-Psychologe, approbierter Psychologischer Psychotherapeut und Inhaber der Professur für Behaviorale Psychotherapie an der Technischen Universität Dresden

Jürgen Hoyer ist Diplom-Psychologe, approbierter Psychologischer Psychotherapeut und Inhaber der Professur für Behaviorale Psychotherapie an der Technischen Universität Dresden. Als Leiter zahlreicher randomisiert-kontrollierter und naturalistischer Studien untersucht Professor Hoyer schwerpunktmäßig Wirkmechanismen und neue Settings in der Psychotherapie der Angststörungen und Depression. Foto: Jana Hoyer

Als wissenschaftlich forschender Psychotherapeut („Scientist-Practitioner“) möchte ich Mythen und Desinformationen über psychische Störungen entgegentreten. Sachliche, faktenbasierte Information kann Menschen mit seelischen Belastungen schon ernsthaft helfen. Gleichzeitig möchte ich dafür werben, den Blick auf die psychologischen Ursachen und Folgen unseres Handelns zu richten, denn deren Bedeutung wird vielfach unterschätzt oder gar geleugnet. Andererseits sind psychische Symptome, die in Zeiten einer solchen, noch nie dagewesenen Krise wie der Corona-Pandemie, auftreten, oft gar nicht leicht zu bewerten, und eine fachkundige Person sollte sich nicht scheuen, dann Rede und Antwort zu stehen. Zu guter Letzt: Journalistinnen und Journalisten stellen mitunter Fragen, die von der Forschung so noch gar nicht beantwortet sind; ich finde das meistens anregend und inspirierend.


Hier geht es zum ersten Teil der Reihe.