Foto: Petri Heiskanen

Corona-Kommunikation im Blick: Neues aus der Forschung

Wie hat die Pandemie Wissenschaft und Journalismus herausgefordert? Welchen Formen von Unhöflichkeit und Misstrauen waren Virolog*innen auf Social Media ausgesetzt? Und wovon hängt es ab, ob Menschen Desinformation zu Corona Glauben schenken? 

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. In diesem Monat werfen wir einen Blick auf Erkenntnisse zu Wissenschaftsjournalismus, Desinformation und Social-Media-Kommunikation in der Coronapandemie.  

  • Was fanden Forscher*innen und Journalist*innen in der Pandemie besonders herausfordernd? Ein niederländisches Forschungsteam hat dazu Interviews mit Vertreter*innen beider Berufsgruppen geführt. 
  • Welche Formen unhöflicher Kommunikationen finden sich in Antworten auf Tweets von deutschen Virolog*innen? Nicola Peters von der TU Braunschweig hat das anhand von 6000 Posts untersucht. 
  • Hat das Medienvertrauen von Menschen Einfluss darauf, ob sie Desinformationen entlarven können? Das haben Forscher*innen anhand von Artikeln zu Covid-19 in einem Experiment getestet. 
  • In der Rubrik „Mehr Aktuelles aus der Forschung“ geht es unter anderem um Emotionen und um Filme und Fernsehen zur Kommunikation von wissenschaftlichen Themen. 😂😁😭💕🙈

Wie die Pandemie Wissenschaft und Journalismus herausfordert

Die Coronapandemie hat Forscher*innen und Journalist*innen vor schwierige Aufgaben gestellt. Was fanden sie besonders herausfordernd? Und wie beschreiben beide Gruppen ihre eigenen Rollen und Verantwortlichkeiten während der Pandemie? Anouk de Jong, Anne M. Dijkstra, Miles A. J. MacLeod und Menno D. T. de Jong von der University of Twente im niederländischen Enschede haben dazu Interviews mit beiden Berufsgruppen geführt. 

Methode: Die Autor*innen haben von September bis November 2021 über Video-Konferenz-Tools Interviews mit zehn Journalist*innen und elf Forscher*innen in den Niederlanden geführt. Die Autor*innen wählten für ihre Studie Journalist*innen aus, die bereits einige Artikel über Covid-19 geschrieben hatten. Teilweise hatten sie auch Erfahrungen mit anderen Medien wie Radio, Podcast oder Fernseh-Talkshows. Die interviewten Forscher*innen verfügten über mehrjährige Erfahrung in Epidemiologie, Virologie oder verwandten Bereichen und waren in journalistischen Artikeln zitiert worden. 

Die von beiden Gruppen am häufigsten genannten Herausforderungen waren „Komplexität“, „Unsicherheit“ und „gesellschaftliche Auswirkungen der Pandemie“.
In den Gesprächen ging es um die Herausforderungen, denen beide Gruppen in der Pandemie ausgesetzt waren. Die Teilnehmenden wurden nach ihren Erfahrungen mit der Corona-Kommunikation befragt und sollten einschätzen, was ihrer Meinung nach gut und was weniger gut gelaufen ist. Außerdem sollten sie ihre eigene Rolle und die anderer Akteur*innen beschreiben. Die Transkripte wurden mit der Software Atlas.ti kodiert. Die Autor*innen identifizierten wiederkehrende Themen und Herausforderungen. 

Ergebnisse: Die von Forscher*innen und Journalist*innen genannten Herausforderungen überschnitten sich stark, auch wenn sie diese teilweise unterschiedlich erlebten. Die von beiden Gruppen am häufigsten genannten Herausforderungen waren „Komplexität“, „Unsicherheit“ und „gesellschaftliche Auswirkungen der Pandemie“. Weitere waren „Grenzen der Wissenschaft“, „Informationsflut“, „Fehlinformationen“, „Ausgewogenheit“ und „Vertrauen“.

Forscher*innen nannten am häufigsten „Komplexität“ als Herausforderung. Einer sagte: „Die Journalist*innen suchen nach fertigen Antworten, aber die können wir ihnen nicht geben.“ „Komplexität“ wurde auch häufig von Journalist*innen genannt. Es sei beispielsweise schwierig, komplexe wissenschaftliche Themen so aufzubereiten, dass Leser*innen diese verstehen. Für beide Gruppen waren die „gesellschaftlichen Auswirkungen“ die zweithäufigste Herausforderung. Die Journalist*innen waren sich bewusst, dass es einen großen Informationsbedarf gibt, weil die Pandemie das tägliche Leben von Menschen stark beeinflusst. Beide Gruppen erlebten im Zuge der gesellschaftlichen Polarisierung auch eine Zunahme von Drohungen und Hassrede. 

Forscher*innen sorgten sich vor allem, dass ihre Aussagen falsch interpretiert oder bewusst missbraucht werden könnten.
Die dritte große Herausforderung war der Umgang mit „Unsicherheit“. Ein Forscher erwähnte die Schwierigkeit, die Aussagekraft von Modellvorhersagen zu erklären. Ein Journalist beschrieb es als herausfordernd, die Unsicherheit wissenschaftlichen Wissens zu erklären, wenn allgemein ein Bedürfnis nach Gewissheit herrsche. Für Journalist*innen war es auch eine große Herausforderung, in ihrer Berichterstattung verschiedene Perspektiven auf die Pandemie ausgewogen darzustellen. Forscher*innen erwähnten in diesem Zusammenhang mehrfach das Problem der „False Balance“ – das bedeutet, wenn ungleichwertige Betrachtungsweisen einander als gleichwertig gegenübergestellt werden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn eine dieser Meinungen von einem sehr kleinen Teil der wissenschaftlichen Community vertreten werden. 

Forscher*innen wie Journalist*innen fanden es schwierig, mit „Fehlinformationen“ umzugehen, aber sie erlebten diese Herausforderung unterschiedlich. Forscher*innen sorgten sich vor allem, dass ihre Aussagen falsch interpretiert oder bewusst missbraucht werden könnten. Journalist*innen beschrieben die Schwierigkeit, Fehlinformationen von legitimer Kritik zu unterscheiden und zu entscheiden, wie viel Aufmerksamkeit sie welchen Informationen schenken. 

Eine weitere Herausforderung war für beide Gruppe, in der „Informationsflut“ den Überblick zu behalten. Für Journalist*innen war es herausfordernd zu prüfen, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse richtig, relevant und gut belegt waren. Beide Gruppen sprachen die Zunahme von Preprints an. Mehrere Journalist*innen berichteten, sie würden diese normalerweise nicht verwenden. In dieser Situation aber machten sie Ausnahmen und holten den Rat von Forschenden ein, um die Zuverlässigkeit der Preprints zu bewerten. 

„Grenzen der Wissenschaft“ wurden ebenfalls von beiden Gruppen als Herausforderung genannt – beispielsweise, dass es oft lange dauert, bis wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht werden. Für die Journalist*innen war es schwierig, dass Forscher*innen anfangs nur wenig über Covid-19 wussten. „Vertrauen“ als Herausforderung wurde am seltensten genannt. Forscher*innen erwähnten, dass der (unvorsichtige) Umgang mit Modellen zu Misstrauen und einem falschen Gefühl von Sicherheit führen könnte. Journalist*innen überlegten, wie sie das Vertrauen der Öffentlichkeit während der Pandemie gewinnen könnten. Eine ihrer Strategien war, die eigene Arbeitsweise transparent zu machen und Quellen offenzulegen. Wechselwirkungen zwischen den beschriebenen Herausforderungen machte die Kommunikation noch komplexer.  

Uneinig waren sich die Forscher*innen in der Frage, ob sie in gesellschaftlichen Debatten Stellung beziehen sollten.
Journalist*innen wie Forscher*innen waren grundsätzlich mit ihren Berührungspunkten mit der jeweils anderen Gruppe während der Pandemie zufrieden. Mehrere berichteten von kontinuierlicher Zusammenarbeit und positiven Erfahrungen. Journalist*innen äußerten sich dankbar darüber, dass sich Forscher*innen Zeit nahmen. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass einige Forscher*innen sehr erpicht darauf seien, in den Medien präsent zu sein. 

Die meisten Forscher*innen sahen ihre Hauptaufgaben während der Pandemie in der gewissenhaften und verantwortungsvollen Bereitstellung von Informationen und der Erklärung komplexer Themen. Auch Journalist*innen sahen darin die Hauptaufgabe der Forscher*innen während der Pandemie. Sie sagten aber auch, dass Forscher*innen die eigene Forschung kritisch bewerten sollten. Uneinig waren sich die Forscher*innen in der Frage, ob sie in gesellschaftlichen Debatten Stellung beziehen sollten. Einige sprachen sich dafür aus, andere dagegen waren sich unsicher. Auch Journalist*innen waren sich in dieser Frage uneinig. Einige sagten, Forscher*innen sollten sich an ihr Fachwissen halten. Andere sagten, sie sollten zu Debatten beitragen. 

Das Hauptanliegen der Journalist*innen war es, präzise und verständliche Informationen zu liefern und diese kritisch zu bewerten. Auch viele Forscher*innen sahen die wichtigste Aufgabe der Journalist*innen im Erklären und Informieren – mehrere erwähnten aber auch deren Aufgabe, Informationen kritisch einzuordnen. 

Schlussfolgerungen: Die Autor*innen der Studie schlussfolgern aus den Ergebnissen, dass Forscher*innen wie Journalist*innen den Herausforderungen der Corona-Kommunikation unter anderem durch eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit begegneten. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass Journalist*innen den Rat von Forschenden zur Bewertung von Preprints einholten. Beide Seiten schätzen die Zusammenarbeit während der Pandemie als positiv ein. Die Autor*innen der Studie sehen in den beschriebenen Tendenzen auch Gefahren: Die enge Zusammenarbeit könnte die Abhängigkeit der Journalist*innen von einer begrenzten Anzahl vertrauenswürdiger Forscher*innen erhöhen. Das wiederum erschwere eine kritische Berichterstattung über Wissenschaft. 

Die Autor*innen unterstreichen aber auch, dass beide Berufsgruppen die Hauptaufgabe von Journalist*innen darin sehen, die Öffentlichkeit unabhängig und kritisch zu informieren. Das deute darauf hin, dass Forscher*innen zunehmend Verständnis für journalistische Werte und Arbeitsweisen hätten. Ein Bewusstsein für die Rolle der eigenen und der anderen Gruppe könne dazu beitragen, Komplikationen in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Medien zu vermeiden und qualitativ hochwertige wissenschaftliche Informationen zu liefern. 

Ein überraschendes Ergebnis ist für die Autor*innen, dass Fehlinformationen zu den am seltensten genannten Herausforderungen gehörten. Beide Gruppen aber seien sich der damit einhergehenden Herausforderungen bewusst. 

Die Studie offenbart Konflikte, was die Rollenfindung der Forschenden angeht. Normalerweise würden sie eine informative Rolle bevorzugen, in der Pandemie aber wichen einige von dieser Linie ab. Dies wirft laut der Autor*innen die Frage auf, wie das ideale Gleichgewicht zwischen Informieren und Beraten aussehen könnte.

Einschränkungen: Die Interviews wurden in den Niederlanden geführt und konzentrierten sich auf die Erfahrungen von Forscher*innen und Journalist*innen mit Printmedien. Um Erkenntnisse aus anderen Ländern oder anderen Medien zu gewinnen, ist weitere Forschung nötig. 

de Jong A., Dijkstra A.M., MacLeod. M.A.J., de Jong, M.D.T. (2024) Science communication under pressure: perspectives of Dutch researchers and journalists on COVID-19 communication challenges. Front. Commun. 9:1449243. doi: 10.3389/fcomm.2024.1449243

Unhöfliche Kommentare und mangelndes Vertrauen: Wissenschaftler*innen als Zielscheibe

Während der Coronapandemie war eine Reihe von Wissenschaftler*innen öffentlich sehr präsent. Einige von ihnen nutzten soziale Medien, um Informationen zu verbreiten oder auch Empfehlungen zu geben. Dadurch konnten sie sich direkt an die Bevölkerung wenden. Gleichzeitig sahen sie sich im Zuge der hohen Sichtbarkeit auch vermehrt verbalen Angriffen ausgesetzt. Nicola Peters von der Technischen Universität Braunschweig hat untersucht, mit welchen Formen von unhöflicher Kommunikation (incivility) deutsche Virolog*innen während der Pandemie auf Twitter/X konfrontiert waren. Sie wollte außerdem herausfinden, ob Zweifel hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit mit dieser Art von Kommunikation zusammenhängen. 

Methode: Mithilfe einer manuellen Inhaltsanalyse wurden 6000 Antworten auf Tweets von sechs deutschen Virolog*innen untersucht. Die Tweets stammen aus vier Zeiträumen zwischen Mai 2020 und März 2021, die mit bestimmten Pandemie-Ereignissen verknüpft waren – zum Beispiel Lockdowns oder Weihnachten. Aus jedem untersuchten Zeitraum wurden unterschiedlich viele Antwort-Tweets untersucht – je nachdem, wie viele Antworten in dieser Phase insgesamt abgesetzt wurden. Die Autorin wählte die Konten von drei Professorinnen und drei Professoren aus dem Fachbereich der Virologie aus, die im Untersuchungszeitraum mehr als 10.000 Follower*innen auf Twitter hatten. 

Sarkastische oder zynische Äußerungen kamen mit Abstand am häufigsten vor. Beschimpfungen und emotionalisierte Sprache waren ebenfalls häufig zu finden.
Sie untersuchte, ob die Tweets unhöfliche Kommunikation enthielten – und wenn ja, in welcher der folgenden Formen: „emotionalisierende Sprache“, „Sarkasmus/zynische Sprache“, „Vulgarität“, „Beleidigungen“, „Gewalt und Drohungen“, „sexistische oder stereotype Bemerkungen“ und „zum Schweigen bringen“. Ein Beispiel für letzteres sind Aussagen, in denen gesagt wird, dass Virolog*innen „die Klappe halten“ sollen. 

Anschließend wurde untersucht, ob Bedenken hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit geäußert wurden. Dabei stützte sich die Autorin auf das Konzept der epistemischen Vertrauenswürdigkeit, bei dem Fachwissen, Integrität und Wohlwollen als entscheidende Faktoren gelten.1

Ergebnisse: 17,3 Prozent der untersuchten Tweets enthielten mindestens eine Form von unhöflicher Kommunikation. In ungefähr derselben Anzahl von Tweets (17,5 Prozent) wurde die Vertrauenswürdigkeit der Virolog*innen angezweifelt. Sarkastische oder zynische Äußerungen kamen mit Abstand am häufigsten vor. Beschimpfungen und emotionalisierte Sprache waren ebenfalls häufig zu finden. Drohungen, Beschimpfungen, Sexismus, die Zuweisung von Stereotypen sowie Vulgarität waren weniger präsent. Manche Tweets enthielten mehrere Formen von Unhöflichkeit. 

Im ersten Untersuchungszeitraum ist die relative Häufigkeit von unhöflichen Tweets geringer als im vierten. Im dritten Zeitraum wurden aber weniger unhöfliche Tweets abgesetzt als im zweiten Zeitraum, die Unhöflichkeit nimmt also nicht durchgängig zu. Ähnlich sehen die Ergebnisse für die Infragestellung von Vertrauenswürdigkeit aus. Unhöflichkeit und Bedenken hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit nahmen also im ersten Jahr der Pandemie tendenziell zu, aber nicht durchgängig.

Dieser uneinheitliche Anstieg ist auch den meisten Formen von Unhöflichkeit zu erkennen. Sarkasmus, Beschimpfungen und Emotionalisierung sind die drei häufigsten Formen über alle vier Zeiträume hinweg, mit einer Ausnahme des vierten, wo „zum Schweigen bringen“ häufiger vorkommt als Emotionalisierung.

In 9,8 Prozent der Tweets kommt ausschließlich unhöfliche Kommunikation vor, während in 10 Prozent ausschließlich an der Vertrauenswürdigkeit gezweifelt wird. In 7,5 Prozent ist beides zu finden. Die Autorin stellt somit einen starken Zusammenhang zwischen Unhöflichkeit und dem Zweifel an der Glaubwürdigkeit fest. Allerdings belegen die Daten keine kausalen Zusammenhänge. 

Schlussfolgerungen: In der untersuchten Stichprobe kommen unhöfliche Kommunikation sowie Bedenken hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit von Wissenschaftler*innen in mehr als jeder sechsten Antwort auf Tweets von Virolog*innen vor. Das bedeutet gleichzeitig, dass in einem Großteil von fast 73 Prozent der Antworten weder Unhöflichkeiten noch eine Infragestellung der epidemischen Glaubwürdigkeit zu finden sind. Der Zusammenhang zwischen beiden untersuchten Kommunikationsinhalten/-formen deute darauf hin, dass Bedenken bezüglich der epistemischen Vertrauenswürdigkeit häufig auf unhöfliche Weise kommuniziert werden.

Dass sarkastische Bemerkungen so häufig vorkommen, spreche für die Notwendigkeit, diese Ausdrucksform eingehender zu untersuchen.
Studien, die an Politiker*innen gerichtete Tweets untersuchten, hätten einen ähnlich hohen Anteil an unhöflichen Kommentaren ermittelt2, schreibt die Autorin. Das sei angesichts der hohen gesellschaftlichen Verantwortung von Politiker*innen bemerkenswert. Die Ergebnisse der Studie könnten also dafür sprechen, dass Wissenschaftler*innen in der Pandemie ebenfalls ein sehr großer Einfluss zugesprochen wurde. 

Darüber, warum einige Formen von unhöflicher Kommunikation häufiger vorkamen als andere, kann im Rahmen dieser Studie nur spekuliert werden. Die auf Twitter/X vorgegebene kurze und prägnante Ausdrucksweise könnte Emotionalisierung und Sarkasmus begünstigen, vermutet die Autorin. Dass sarkastische Bemerkungen so häufig vorkommen, spreche für die Notwendigkeit, diese Ausdrucksform eingehender zu untersuchen – zumal das Thema in der Wissenschaftskommunikationsforschung bisher nur wenig beachtet worden sei. 

Dass der Anteil an unhöflichen Kommentaren und die Infragestellung der Vertrauenswürdigkeit der Virolog*innen im Laufe des Untersuchungszeitraumes anstieg, könne mit der zunehmenden Polarisierung im Zuge von Corona-Maßnahmen und Kontroversen über Impfstoffe zu tun haben, überlegt die Autorin. Dass im dritten Zeitraum weniger unhöfliche Kommunikation zu finden ist als im zweiten (16. Dezember 2020 bis 3. Januar 2021), könnte daran liegen, dass einige polarisierende Debatten über die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage pausierten oder zivilisierter verliefen. Die Einführung des Impfstoffs in Deutschland könnte sich außerdem positiv auf die Stimmung des Diskurses ausgewirkt haben.

Einschränkungen: Für diese Studie wurden die Twitter/X-Antworten von sechs ausgewählten Professor*innen für Virologie untersucht. Die Ergebnisse sind also nicht ohne Weiteres auf andere Stichproben übertragbar. Der Inhalt der ursprünglichen Tweets wurde bei der Analyse nicht berücksichtigt. Dieser könnte aber die Art der Antworten beeinflusst haben. 

Peters, N. (2024) Uncivil communication and epistemic trustworthiness concerns in public online discussions in response to scientists during the Covid-19 pandemic. JCOM 23(06), A03. https://doi.org/10.22323/2.23060203

Medienvertrauen und Desinformation

Von welchen Bedingungen hängt es ab, ob Menschen Desinformationen Glauben schenken? Das haben Jula Lühring von der Universität Wien, Michael Hameleers von der Amsterdam School of Communication Research, Edda Humprecht von der Universität Jena und Judith Möller vom Hans-Bredow-Institut untersucht. Die Forscher*innen führten ein Experiment durch, bei dem Studienteilnehmer*innen mit Covid-bezogenen Desinformationen konfrontiert wurden. Herausfinden wollten die Forscher*innen unter anderem, welchen Einfluss das Medienvertrauen der Teilnehmer*innen darauf hat, ob sie Desinformationen für wahr halten. 

Methode: Die Autor*innen führten in der Anfangsphase der Pandemie ein Online-Experiment mit einer repräsentativen Stichprobe von 1.117 deutschen Staatsbürger*innen durch. Jede*r Teilnehmer*in wurde mit zwei zufällig ausgewählten Artikeln zu Covid-19 konfrontiert. Diese enthielten entweder korrekte, irreführende oder frei erfundene Informationen. Einer der beiden Artikel behandelte ein politisch aufgeladenes Thema (Geflüchtete), der andere ein neutrales Thema (Läufer*innen). Bei einem Teil der Artikel wurde keine Quelle angegeben, der andere Teil wurde als Social-Media-Post eines Mannes mit einem durchschnittlichen deutschen Namen ausgegeben. Die Studienteilnehmenden sollten sich vorstellen, dass es sich dabei um eine ihnen vertraute Person handelt. 

Über eine Zustimmungsskala („stimme voll und ganz zu“ bis hin zu „stimme überhaupt nicht zu“) zu verschiedenen Aussagen (beispielsweise „Die Nachricht ist ungenau“) wurde die wahrgenommene Glaubwürdigkeit der Artikel gemessen. Auch das Medienvertrauen wurde über Skalen gemessen. Die Teilnehmenden sollten dabei beispielsweise angeben, wie sehr sie Journalist*innen, unterschiedlichen Medien und der Berichterstattung zu bestimmten Themen vertrauen. 

Ergebnisse: Die These der Autor*innen, dass die Nennung einer bekannten Person als Quelle die Glaubwürdigkeit des Artikels erhöhen würde, hat sich nicht bestätigt. Sie fanden keinen deutlich erkennbaren Hinweis darauf, dass die Angabe der Quelle die Wahrnehmung der Vertrauenswürdigkeit verändert. 

Es bestätigte sich die These der Autor*innen, dass Teilnehmende mit größerem Vertrauen in die Medien Desinformationen insgesamt weniger Glauben schenken.
Mit Blick auf die beiden verschiedenen Themen und unterschiedlichen Arten von Desinformationen zeigen sich jedoch leichte Unterschiede. Wenn der Quellenhinweis fehlte, wurden alle Arten von Desinformationen zum Thema Flüchtlinge als glaubwürdiger wahrgenommen. Frei erfundene Desinformationen wurden dabei als am wenigsten glaubwürdig empfunden.

Beim Thema Läufer*innen war es anders: Irreführende Informationen wurden hier als etwas glaubwürdiger empfunden, wenn es einen Quellenhinweis gab. All diese Beobachtungen waren jedoch nicht statistisch signifikant.

Es bestätigte sich die These der Autor*innen, dass Teilnehmende mit größerem Vertrauen in die Medien Desinformationen insgesamt weniger Glauben schenken. Irreführenden Informationen über Flüchtlinge glaubten Menschen mit geringem Vertrauen in die Medien weniger. Bei frei erfundenen Desinformationen war der Effekt noch größer. Beim Thema Läufer*innen waren die Effekte weniger ausgeprägt. Es zeigte sich auch, dass Menschen, die ein stärkeres Vertrauen in Medien haben, korrekten Informationen mehr vertrauen. 

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass das individuelle Medienvertrauen eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit von Informationen spielen. Der Hinweis auf die Quelle veränderte die Einschätzung der Glaubwürdigkeit nur leicht. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass die Teilnehmenden den Informationen nicht nur deshalb mehr Glauben schenkten, weil sie annahmen, eine ihr bekannte Person hätte den Text verfasst. Laut der Autor*innen könnte das dafür sprechen, dass Menschen wachsam sind und Social-Media-Nutzer*innen – beispielsweise Bots – nicht automatisch Vertrauen schenken. 

Subtilere Desinformation könnten somit mitunter schädlicher sein als offensichtlich erfundene Informationen.
Menschen mit geringem Vertrauen in Medien zeigten sich anfälliger für Desinformation – insbesondere dann, wenn sich das Thema auf Geflüchtete bezog. Die Autor*innen vermuten, dass das daran liegen könnte, dass sich Menschen durch die falschen Informationen in ihrem Weltbild bestätigt sehen. Solche Fehlwahrnehmungen seien womöglich sehr hartnäckig und könnten nur schwer korrigiert werden. 

Während Menschen mit einem hohen Vertrauen in Medien, Desinformationen über Geflüchteten eher misstrauten, war das beim Thema Läufer*innen nicht der Fall. Das könnte laut der Autor*innen daran liegen, dass bei diesem nicht kontroversen Thema Menschen eher bereit sind, subtile Desinformation zu akzeptieren. Das könnte bedeuten, dass subtile Desinformation, die sich nicht auf polarisierende Debatten beziehen, weniger wahrscheinlich Misstrauen erregen. Subtilere Desinformation könnten somit mitunter schädlicher sein als offensichtlich erfundene Informationen. 

Einschränkungen: Die Studienteilnehmer*innen könnten womöglich Schwierigkeiten gehabt haben, sich vorzustellen, dass die Quelle eine vertraute Person ist. Normalerweise sind Artikel mit Quelle versehen. Dass unklar ist, von wem sie stammen, ist also ein künstliches Szenario. 

Lühring, J., Hameleers, M., Humprecht, E., Möller, J. (2024) Trust in a Digital World. The Roles of Media Trust and Ordinary Citizen Cues in Online Disinformation’s Credibility, Medien & Kommunikationswissenschaft (M&K), Jahrgang 72 (2024) Heft 3, 10.5771/1615-634X-2024-3

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Freude, (Ehr-)Furcht, Angst oder Inspiration? In unserem neuen Schwerpunkt geht es um Emotionen in der Wissenschaftskommunikation. Das Thema beschäftigt auch die Forschung. Wissenschaftler*innen um Mari Karhu von der University of Lapland haben untersucht, wie über Facebook während einer australischen Buschfeuer-Krise mobilisiert wurde. Kunsthandwerker*innen aus der ganzen Welt setzten sich für die bedrohten Wildtiere ein. Mit emotionalen Inhalten schärfte die Kampagne das Bewusstsein für die Krise. Kommunikative und technische Probleme führten aber auch zu Chaos, Uneinigkeit und aufgewühlten Emotionen. Die Studie zeigt, wie Zusammenarbeit über soziale Medien funktionieren kann – aber auch, welche Herausforderungen damit verbunden sind.

Ein Team um Marianne Achiam von der Universität Kopenhagen hat mit kunstbasierten Methoden experimentiert, um Formate für die Kommunikation von Nachhaltigkeit zu entwickeln. Dabei verwenden sie den Begriff der Resonanz des Soziologen Hartmut Rosa. Die Autor*innen berichten, wie die Elemente der Resonanz – Zuneigung, Emotion, Transformation und Unkontrollierbarkeit – die Workshops in konstruktiver Weise veränderten. Ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen empfehlen sie Wissenschaftskommunikator*innen, Unvorhersehbares anzunehmen, Veränderungen zuzulassen und Formen von Wissen anzuerkennen, die über das rein Kognitive hinausgehen, und auch Kreativität, Vorstellungskraft, Motivation und Werte berühren.

Filme können das Gefühl vermitteln, tief in eine Geschichte einzutauchen und sich mit den Charakteren zu identifizieren. Welche Rolle können solche Effekte in der Wissenschaftskommunikation spielen? Das hat die Forscherin Emily L. Howell zusammen mit Kolleg*innen in den USA untersucht. Die Studienteilnehmenden sahen jeweils einen wissenschaftlichen Dokumentarfilm und beantworteten Fragen dazu. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Narrative im Film zu mehr Interesse und Wissen führen können, zu einer stärkeren Identifikation mit der Wissenschaft zu einer höheren Wertschätzung der Wissenschaft führen können.

Dass auch Fernsehserien ein effektives Mittel der Wissenschaftskommunikation sein können, zeigt die Studie eines Teams um Donald P. Green von der Columbia University. In einem Experiment haben junge Indonesier*innen entweder die Kurzversion der TV-Dramaserie #CeritaKita („Unsere Geschichte“) und das begleitende Social-Media-Diskussionsprogramm gesehen – oder ein Programm ohne Klima- und Umweltthemen. Nachbefragungen zu verschiedenen Zeitpunkten zeigten, dass diejenigen, die #CeritaKita gesehen hatten, auch noch fünf Monate später deutlich mehr über Umweltthemen wussten. . Auch die Motivation, sich an Debatten über den Klimawandel zu beteiligen und politische Maßnahmen zu unterstützen, war direkt danach höher, nahm aber im Laufe der Zeit wieder ab.