Bild: “High five - Eine Reise ins Innere des Smartphones” von Martyna Žalalytė

Comics können auch seriös

Comics sind längst viel mehr als „Pow, Zap, Boom!“. Wissenschaftscomics punkten mit Kreativität und Tiefgang. Was einen gelungenen Comic ausmacht, erzählt die Verlags- und Agenturleiterin Alexandra Hamann.

Frau Hamann, Sie leiten eine Agentur, die sich auf Comics in der Wissenschaftskommunikation spezialisiert hat. Es kommt immer wieder vor, dass Comics als Medium etwas belächelt werden. Was ist ihre Stärke?

Alexandra Hamann ist seit 2001 die Leiterin der Agentur mintwissen, die sich auf Wissenschaftskommunikation und Bildungsmedien spezialisiert hat. Seit 2011 liegt ihr Fokus auf Comics, für die sie als Konzepterin und Storyboarderin tätig ist. Ihre Hauptthemen kommen aus den Bereichen der Lebens- und Naturwissenschaften. Bild: Sophia Martineck

Lange Zeit war in Deutschland die Reaktion auf meine Aussage, dass ich Wissenschaftscomics mache, „Ach so, du machst was für Kinder“. Das ändert sich jetzt glücklicherweise.

Comics geben uns die Möglichkeit, die Kommunikation der reinen Fakten aufzulockern. Wir können unsere Leser*innen auf vielfältige Weise ansprechen und zum Beispiel über die Identifikation mit den Protagonist*innen eine emotionale Verbindung zu ihnen aufbauen.

Das ist wichtig für die Kommunikation der meist sehr komplexen Themen.

Warum klappt das so gut mit Comics?

Wir haben eine große Palette an Möglichkeiten, über die wir auf verschiedenen Ebenen kommunizieren können. Vor allem können wir zwei Sprachen verwenden: Bild und Text. Wir können diese auf ganz unterschiedliche Art und Weise miteinander verknüpfen. So schöpfen wir aus beiden Welten und schaffen etwas Bereicherndes.

Und wir beziehen die Leser*innen direkt mit ein. Je nachdem, wie der Comic aufgebaut ist, müssen sie sich die Inhalte aktiv erschließen. Im Comic arbeitet man nicht nur linear, sondern komponiert die komplette Seite. Wie in einer Ausstellung sieht man also erst das große Ganze, bevor man anfängt, die Inhalte genauer zu betrachten. Ein Comic ist immer linear und simultan zugleich.

Warum nicht animierte Filme nutzen?

Der gravierendste Unterschied ist der Zeitfaktor. Ein Film läuft in einer vorgegebenen Geschwindigkeit ab. Möchte man sich eine Info nochmal genauer ansehen, muss man zurückspulen, findet vielleicht nicht die richtige Stelle und so fort.

Menschen nehmen Inhalte verschieden schnell auf. Ich sehe das gerade bei den Patientenaufklärungen. Die Ärzt*innen können ihren Patient*innen die Aufklärungscomics mit nach Hause geben, wo sie diese in aller Ruhe und ohne extra Geräte lesen können.

Die große Transformation, Klima – Kriegen wir die Kurve?
Auszug aus Kapitel 1 „Warum wir uns transformieren müssen“
Hrsg: Alexandra Hamann, Reinhold Leinfelder, Claudia Zea-Schmidt
Zeichnungen: Studio Nippoldt
© Jacoby&Stuart 2013

Wann ist ein Wisskomm-Comic besonders gelungen?

Als Wissenschaftskommunikatorin ist es mir natürlich am wichtigsten, bei all den Tools, die man verwenden kann, die Inhalte nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn ich die dann in ein schlüssiges Narrativ packen und emotional ansprechend erzählen kann, habe ich mein Ziel erreicht.

Mein erster Comic „Die Große Transformation“ war die „Übersetzung“ eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Darin geht es um die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels und wie wir als Gesamtgesellschaft darauf reagieren können. Der Beirat hatte entschieden, das Thema nicht nur an die Politik, sondern auch an die breite Öffentlichkeit heranzutragen. Wir konnten sie davon überzeugen, einen Comic zu machen. Ich habe ihn in einem realistischen, journalistischen Comic-Stil in Schwarz-Weiß gehalten. Wir begleiten die Wissenschaftler*innen bei ihrer Arbeit, während sie die Inhalte kommunizieren.

„In dem Moment, in dem man die Menschen erreicht und die Inhalte spannend vermittelt, ohne dass sie an Komplexität und Wahrheitsgehalt einbüßen, ist die Kommunikation gelungen.“ Alexandra Hamann

Jetzt arbeite ich meist nicht mehr so streng realistisch, sondern versuche, das Medium so kreativ wie möglich zu nutzen. Je nach Zielgruppe und Thematik erwecke ich Gegenstände zum Leben, mische Realität und Abstraktion, ändere Blickwinkel und Perspektiven und springe in Raum und Zeit.

Egal, wie man es macht, ob man realistisch bleibt oder sich traut, fiktionaler zu werden: In dem Moment, in dem man die Menschen erreicht und die Inhalte spannend vermittelt, ohne dass sie an Komplexität und Wahrheitsgehalt einbüßen, ist die Kommunikation gelungen.

Linksherzkatheter-Untersuchung und Röntgenkontrastuntersuchung der Herzkranzgefäße
Patientenaufklärung Charité Universitätsmedizin Berlin
Autorinnen: Prof. Dr. Verena Stangl, Dr. Anna Brand
Konzept und Skript: Alexandra Hamann
Zeichnungen: Sophia Martineck
© CharitèBerlin 2016

Wie finden Sie heraus, ob der Comic auch den Nerv der Zielgruppe getroffen hat?

Wir haben zwei Patientenaufklärungen für die Berliner Charité in Forschungsprojekten evaluiert. Wir konnten zeigen, dass die Patient*innengruppe, die den Comic erhalten hatte, die Inhalte besser verstanden und weniger Angst vor dem Eingriff hatte.

Wir wollten auch wissen, ob sich die Menschen Ernst genommen fühlen. Immerhin sind sie meist krank und nicht unbedingt comic-affin. Unsere Zielgruppe war um die 60 Jahre und älter. Diese Sorge konnten wir komplett entkräften.

Was denken Sie, warum hat es so gut geklappt?

Das hat hauptsächlich mit dem Zeichenstil und dem Setting zu tun. Patientenaufklärungen sind normalerweise sachliche A4-Blätter. Sie werden hauptsächlich aus rechtlichen Gründen geschrieben. Man erklärt die Prozedur und die Risiken und Nebenwirkungen und lässt sich alles unterschreiben.

Mit unseren Comics rücken wir den Menschen wieder in den Mittelpunkt. Wir stellen ein Ärzt*innen-Patient*innengespräch nach und zeigen den bevorstehenden Eingriff in der Umgebung, in der sich die Patient*innen später wiederfinden. Sie sind also mit den Räumen und Geräten schon vertraut, wenn sie kommen. Außerdem machen wir Gefühle sichtbar – und das alles so nebenbei, während die harten Fakten kommuniziert werden. Der klare Zeichenstil und die warmen Farben des Comics verstärken die angenehme und vertrauensvolle Atmosphäre.

Wie läuft die Arbeit in einer Agentur für Wissenschaftskommunikation ab?

Ich bin so eine Art Schnittstelle zwischen den Wissenschaftler*innen und den Zeichner*innen. Ich nehme die wissenschaftlichen Inhalte und entwickle ein Konzept für die Geschichte. Dann mache ich mich ans Storyboard. Ich schreibe den Text und die Dialoge, überlege wann und wo meine Geschichte spielt und wer die Protagonist*innen sind. Außerdem mache ich konkrete Bildvorschläge. Zeichnen kann ich leider nicht, aber ich mache Collagen, Strichzeichnungen und Bildbeschreibungen.

Das Storyboard wird dann mit allen Beteiligten besprochen, von den Wissenschaftler*innen abgenommen und dann von den Illustrator*innen gezeichnet. Dann geht es meist wieder in die Korrektur und so weiter, bis alle zufrieden sind. Je nach Projekt und Zielgruppe arbeite ich mit verschiedenen Illustrator*innen zusammen.

Auch die kreative Freiheit hängt vom Projekt ab. Bei den erwähnten Patientenaufklärungen muss die Geschichte nah an der Realität bleiben. Da kann ich zum Beispiel keine Figuren erfinden und Gegenstände sprechen lassen.

Taming Time – A Golden Spike for the Anthropocene
Wissenschaftlicher Input: Prof. Dr. Reinhold Leinfelder
Konzept und Skript: Alexandra Hamann
Zeichnungen: Maki Shimizu
© Hamann, Leinfelder, Shimizu, 2023

Das heißt, bei Ihrer letzten Publikation, der Graphic Novel über das Erdzeitalter Anthropozän, war das dann anders?

In dem Comic ist mein Hauptcharakter die Zeit selbst. Ich erkläre das Konzept der geologischen Zeit aus ihrer Perspektive. Aber wie genau sieht sie aus? Zuerst einmal ist sie sehr flexibel, sie kann sich ausdehnen und zusammenziehen, genauso, wie wir Menschen die Zeit empfinden.

Es gab die Zeit aber schon, bevor es Menschen gab. Deswegen ist sie am Anfang meiner Geschichte schwarz und ändert ihre Farbe erst, nachdem sie von Wissenschaftlern – damals tatsächlich nur Männer- in ein festes Farbraster gesteckt worden ist. An ihrer Farbe erkennen wir dann das Zeitalter, in dem die Geschichte gerade spielt. Als Paul Crutzen ein neues Erdzeitalter, das Anthropozän, ausruft, verliert sie ihre Farbe wieder, da es noch nicht formell eingeführt wurde.

Ich lasse aber auch die Biosphäre und die Technosphäre mit dem Homo sapiens und den Wissenschaftler*innen der Anthropocene Working Group (AWG) sprechen. Es hat sehr viel Spaß gemacht, obwohl das Thema nicht wirklich lustig ist.

Wo holen Sie sich Inspiration für Ihre Arbeit?

Am meisten haben mich die japanischen „Educational Comics“ inspiriert. Da gibt es zum Beispiel Chemiebücher, in denen alles spricht, jedes Reagenzglas, jedes Molekül, einfach alles.

Der Urbane Planet – Wie Städte unsere Zukunft sichern
Hrsg.: WBGU
Konzept und Skript: Alexandra Hamann
Zeichnungen: Aike Arndt
© WBGU 2016

Eines meiner Lieblingsbücher von Bunpei Yorifuji „Wonderful Life with the Elements“ hat mich zu meinem Comic zum Thema Urbanisierung inspiriert, in dem es um die Städte der Zukunft geht. Ich habe damals dem WBGU vorgeschlagen, dass wir die Städte direkt miteinander sprechen lassen und nicht die Wissenschaftler*innen das Wort haben.

In dem Gutachten gibt es zehn Beispielstädte, deren Aussehen und Charakter mit Klischees arbeiten. Mit diesem Ansatz haben wir dann ein Narrativ aus dem Gutachten entwickelt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich merke, dass sich der Wind auch in Deutschland langsam dreht und Comics in der Wissenschaftskommunikation mehr und mehr Anklang finden und mittlerweile viele das Potenzial erkennen. Was die Umsetzung angeht, ist aber noch viel Luft nach oben.