Foto: Petri Heiskanen

Braucht die Wissenschaft ein weibliches Gesicht? Neues aus der Forschung

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Geschlecht, Sympathie und Vertrauen in Wissenschaftler*innen? Befeuert der Rückzug von wissenschaftlichen Studien Verschwörungserzählungen? Und wie sehr vertrauen Menschen in Japan der Forschung?

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. In diesem Monat dreht sich alles um das Thema Vertrauen.

  • Was bedeutet es für die Wahrnehmung von Wissenschaft, wenn Studien zu politisierten Themen zurückgezogen werden? Forscher*innen haben den X/Twitter-Diskurs zu zwei Beispielen aus der Pandemie untersucht.
  • Wie sympathisch und kompetent werden weiblich gelesene Wissenschaftlerinnen im Vergleich zu männlichen wahrgenommen? Forscher*innen haben das anhand von Instagram-Posts getestet.
  • Unterscheiden sich wissenschaftliches Wissen, Wissenschaftsverständnis und Vertrauen in die Forschung in Japan, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten? Eine Umfrage gibt Aufschluss.
  • In der Rubrik „Mehr Aktuelles aus der Forschung“ geht es um Emotionen und künstliche Intelligenz.

Zensur unliebsamer Wahrheiten? Wie der Rückruf von Studien Verschwörungsdebatten befeuert

Welche Folgen hat es, wenn wissenschaftliche Studien zurückgezogen werden? Gerade in der Coronapandemie führte das teilweise zu hitzigen Debatten. Verschwörungserzählungen wurden angeheizt, indem über Gründe für den Rückruf spekuliert wurde. Andererseits aber kann es als Zeichen für eine funktionierende wissenschaftliche Qualitätsprüfung gesehen werden, wenn mangelhafte wissenschaftliche Arbeiten aus dem Verkehr gezogen werden. Rod Abhari und Emőke-Ágnes Horvát von der Northwestern University in den USA haben Social-Media-Debatten über zwei während der Pandemie zurückgezogene Studien untersucht. Sie wollten herausfinden, wie sich die Politisierung öffentlicher Diskurse in diesen Debatten widerspiegelt und womöglich durch sie verstärkt wird.

Methode: Die Forscher*innen wählten die beiden während der Coronapandemie zurückgezogenen wissenschaftlichen Artikel aus, die auf X/Twitter am häufigsten geteilt wurden. Sie führten eine manuelle Inhaltsanalyse der 1723 englischsprachigen Tweets (Retweets wurden ausgeschlossen) durch, die einen der beiden Artikel verlinkten. In der Studie „Mehra20“ ging es um Schäden durch das Medikament Hydroxychloroquin. Der Artikel war zwei Wochen nach Veröffentlichung aufgrund von falschen Daten zurückgezogen worden. „Rose21“ hatte Schäden nach Coronaimpfungen zum Thema und wurde ebenfalls zwei Wochen nach Veröffentlichung aus ungenannten Gründen zurückgezogen. 1232 der Tweets bezogen sich auf Mehra20 und die restlichen 491 Beiträge auf Rose21.

Kategorien für die Analyse wurden auf Grundlage des Grounded-Theory-Ansatzes entwickelt. Zwei externe Codierer*innen stellten fest, ob ein Beitrag eines oder mehrere der folgenden vier Themen behandelte: „Ergebnisse und Implikationen“, „methodische Fehler“, „Motivation für die Veröffentlichung“ und „Motivation für den Rückzug“.

Ergebnisse: Die im Mai 2020 in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie Mehra20 erhielt in traditionellen wie sozialen Medien viel Aufmerksamkeit. Die Ergebnisse der Studie wiesen darauf hin, dass die Behandlung mit Hydroxychloroquin, das als Medikament gegen Covid-19 getestet wurde, mit einer Zunahme akuter Herz- und Lebererkrankungen verbunden war. Eine Folge war, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veranlasste, die Prüfung des Medikaments auszusetzen.

Als sich prominente Wissenschaftler*innen an der Diskussion beteiligten, rückten die Mängel weiter in den Fokus.
Bevor die Studie zurückgezogen wurde, teilten etwa 48 Prozent der analysierten Tweets unkritisch deren Ergebnisse. 21 Prozent von ihnen konzentrierten sich dabei auf die negativen Auswirkungen der Verwendung von Hydroxychloroquin, während 11 Prozent den Artikel als Beweis einer Verfehlung Donalds Trumps werteten, der sich für das Medikament eingesetzt hatte. 45 Prozent der Tweets hingegen hoben die Mängel des Artikels hervor und kritisierten unter anderem Probleme beim Studiendesign und die mögliche Fälschung von Daten. Als sich prominente Wissenschaftler*innen an der Diskussion beteiligten, rückten die Mängel weiter in den Fokus. Am 29. Mai veröffentlichte der Wissenschaftler Didier Raoult einen offenen Brief an The Lancet, der von rund 100 Mediziner*innen unterzeichnet wurde.  Sechs Tage später wurde Mehra20 zurückgezogen.

Danach wurde der Artikel nur noch in einem Prozent der untersuchten Tweets für glaubwürdig befunden. 57 Prozent der nach der Rücknahme veröffentlichten Tweets konzentrierten sich auf die Fehler im Artikel, 52 Prozent spekulierten über die Hintergedanken derjenigen, die an der Veröffentlichung beteiligt waren. Die Schuld wurde teilweise den Autor*innen des Artikels, The Lancet und den Medien zugeschrieben. Unter anderem hieß es, die Medien hätten die Ergebnisse genutzt, um Trump zu diskreditieren und „die Eliten“ würden für die „räuberische Pharmaindustrie“ lügen, zensieren und verleumden.

Rose21 wurde im Oktober 2021 in Current Problems in Cardiology veröffentlicht, etwa anderthalb Jahre nach dem Rückruf von Mehra20. Auf Grundlage des US-amerikanischen Vaccine Adverse Events Reports System (VAERS), einer Datenbank für selbstberichtete Schäden nach Impfungen, stellten die Autor*innen darin fest, dass Herzmuskelentzündungen bei denjenigen, die eine Covid-19-Impfung erhalten hatten, deutlich höher waren als erwartet. Wie Mehra20 erhielt der Artikel nach der Veröffentlichung viel Aufmerksamkeit, es wurden vor dem Rückruf jedoch nur in einem Prozent der Tweets Fehler thematisiert. Stattdessen wurden vor allem die Auswirkungen des Artikels diskutiert. Etwa 23 Prozent der untersuchten Tweets vor dem Rückruf zitierten Ergebnisse von Rose21, um den Verzicht auf Impfungen, insbesondere bei Kindern, zu rechtfertigen. In 33 Prozent der Beiträge wurde eine Veränderung der Impfpolitik gefordert. Etwa 15 Tage nach Veröffentlichung wurde der Artikel von der Webseite der Zeitschrift „vorübergehend“ entfernt. Dort hieß es, dass so bald wie möglich ein Ersatzartikel erscheinen würde, in dem der Grund für die Entfernung des Artikels angegeben werde – oder der ursprüngliche Artikel werde wieder eingestellt. Nichts von beidem ist jedoch passiert. 21 Prozent der Tweets, die über Gründe für den Rückruf spekulierten, führten diese auf einen Akt der Zensur seitens des Herausgebers zurück, während nur 4 Prozent die Rücknahme für ein legitimes Ergebnis eines Fehlers der Autor*innen hielten. Proteste der Autor*innen trugen dazu bei, die Diskussion um eine Verschwörung der Pharmaindustrie anzuheizen.

Schlussfolgerungen: Bei beiden Artikeln wurde in den Debatten auf X/Twitter darüber spekuliert, dass wissenschaftliche Akteur*innen mit einer Elite aus Regierungsvertreter*innen und Unternehmen zusammenarbeiten würden, um der Öffentlichkeit grundlegende Wahrheiten über die Pandemie vorzuenthalten. Im Fall von Mehra20 änderte sich daran nichts, als der Artikel zurückgezogen wurde. Beispielsweise blieb der Verdacht, dass Trump durch den Artikel als Unterstützer des Medikaments diskreditiert werden sollte, bestehen. Bei Rose21 wurde der Rückruf hingegen als Beweis für politische Einmischung und sogar als Zeichen für dessen Richtigkeit gewertet.

Die Autor*innen empfehlen Verlagen, Gründe für Rückrufen transparent zu benennen, um Spekulationen den Nährboden zu nehmen.
Die Autor*innen schließen daraus, dass auf Grundlage derselben Verschwörungserzählung entgegengesetzte Schlüsse darüber gezogen werden können, dass Studien zurückgezogen werden. Beide Studien wurden von bestimmten Gruppen – Impfstoff- beziehungsweise Hydroxychloroquin-Gegner*innen – geteilt. Beide reagierten jedoch unterschiedlich auf den Rückruf der Artikel. Im Fall von Rose21 etwa schwächte der Rückzug der Studie die Argumente von Impfgegner*innen. Verschwörungserzählungen böten hierbei ein „flexibles rhetorisches Mittel“ um mit solchen kognitiven Widersprüchen umzugehen, schreiben die Autor*innen. In diesem Fall diente der Einfluss von „Big Pharma“ als Erklärung und die Studienergebnisse konnten weiter für wahr gehalten und der Rückruf in Frage gestellt werden. Dadurch aber stünden womöglich nicht nur einzelne Wissenschaftler*innen oder Verlage in der Kritik, sondern das gesamte „politisch korrumpierten“ Wissenschaftssystem.  Falls Forschung ihre Position unterstützt, kann diese als Arbeit von „abtrünnigen Insidern“ verstanden werden, die Wahrheiten verbreiten. Auf diese Weise könne die Politisierung der Wissenschaft Randpositionen und wissenschaftsfeindlichen Interessen zugute kommen, schreiben die Autor*innen.

Bei Mehra20 zeigte sich, das Hydroxychloroquin-Skeptiker*innen den Artikel nach dessen Widerruf praktisch nicht mehr teilten. Das könne unter anderem damit zusammenhängen, dass Hydroxychloroquin-Skeptiker*innen im Gegensatz zu Impfstoffgegner*innen eher ein grundlegendes Vertrauen in die Wissenschaft hätten, schreiben die Autor*innen. Das konnte bedeuten, dass auch ein Widerruf als legitimes Mittel der wissenschaftlichen Selbstkontrolle gewertet wird. In diesem Sinne können Rückrufe von Studien dazu beitragen, die Legitimität des wissenschaftlichen Systems zu gewährleisten. Wenn sie jedoch unglücklich kommuniziert werden, können sie neue Zweifel an ihrer Legitimität wecken.

Deshalb empfehlen die Autor*innen Verlagen, Gründe für Rückrufen transparent zu benennen, um Spekulationen den Nährboden zu nehmen. Zweitens raten die Autor*innen dazu, den ursprünglichen Artikel bei der Rücknahme nicht zu entfernen, da dies ansonsten als Akt der Zensur angesehen werden könnte.

Einschränkungen: Die Autor*innen haben sich auf X/Twitter fokussiert, weil dort mehr als 95 Prozent der Social-Media-Beiträge gepostet wurden, die sich auf zurückgezogene Artikel beziehen und über die Plattform Altmetric zu Verfügung standen. Dadurch ist es aber nicht möglich, zu beurteilen, bestimmte Beobachtungen mit den Besonderheiten der untersuchten Plattform zusammenhängen. Da nur Tweets mit Links analysiert wurden, kann es auch sein, dass weitere für die Debatte relevante Inhalte nicht einbezogen wurden.

Abhari, R., & Horvát, E.-Á. (2024). “They Only Silence the Truth”: COVID-19 retractions and the politicization of science. Public Understanding of Science0(0). https://doi.org/10.1177/09636625241290142

Warum Wissenschaft ein weibliches Gesicht haben sollte

Wenn Frauen in traditionell männlich dominierten Bereichen arbeiten, werden ihre Leistungen teilweise besonders betont, teilweise haben sie mit einem „Backlash-Effekt“ zu kämpfen, bei dem sie für ihr antistereotypes Verhalten bestraft werden. In einflussreichen Positionen seien Frauen mit dem so genannten Sympathie-Kompetenz-Paradoxon konfrontiert. Sie würden als kompetent, aber unsympathisch wahrgenommen, schreiben Austin Y. Hubner von der University of Louisville und Olivia M. Bullock von der George Washington University. Die beiden Forscher*innen haben das im Bereich der Wissenschaft untersucht und in einem Experiment getestet, wie sympathisch und kompetent weiblich gelesene Wissenschaftlerinnen im Vergleich zu männlichen wahrgenommen werden.

Methode: Über einen Teilnehmendenpool von der Plattform CloudResearch wurden 1000 Personen rekrutiert, die einen Dollar Aufwandsentschädigung für ihre Teilnahme an der Studie bekamen. Die Daten von 958 Personen wurden ausgewertet. Den Teilnehmenden wurde jeweils ein Instagram-Post vorgelegt, in dem sich entweder eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler mit Bild und Text vorstellten.

Die Bildunterschrift enthielt biografische Informationen und eine Beschreibung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Job. (Auszug: „Alles in allem konzentriert sich meine Arbeit als Kernphysiker(in) darauf, ein tiefes Verständnis für die lebenswichtigen Eigenschaften von Atomen zu erlangen und dieses Wissen zu nutzen, um neue Technologien zu entwickeln und unser Verständnis des Universums zu erweitern.“) Hinweise auf das Geschlecht der Person gaben der Name (Sarah/Brian) und das Foto einer männlich beziehungsweise weiblich gelesenen Personen. Alle anderen Informationen waren möglichst gleich.

Wissenschaftlerinnen wurden von den Teilnehmenden als deutlich sympathischer eingestuft als Wissenschaftler.
Die Teilnehmenden beantworteten mehrere Fragen dazu, wie sympathisch sie die Person fanden („Ist der*sie Wissenschaftler*in jemand, die*den Sie gerne kennenlernen würden?“). Die Kompetenz wurde über Fragen gemessen, die die Teilnehmenden auf einer Skala von 1 bis 7 beantworteten (beispielsweise: „Wirkte der*die Wissenschaftler*in auf Sie kompetent?“). Auch das Vertrauen in die Wissenschaft wurde über die Zustimmung zu bestimmten Aussagen gemessen (beispielsweise „Ich vertraue den Wissenschaftler*innen in diesem Land“).

Ergebnisse: Wissenschaftlerinnen wurden von den Teilnehmenden als deutlich sympathischer eingestuft als Wissenschaftler. Die Hypothese der Studienautor*innen, dass sich durch die erhöhte Sympathie auch die Wahrnehmung der Kompetenz erhöhen würde, wurde bestätigt. Es zeigte sich, dass Sympathie und Kompetenz positiv miteinander verknüpft waren. Stieg die Sympathie, stieg auch die Wahrnehmung der Kompetenz. Gleiches galt für das Vertrauen in die Wissenschaft: Das Geschlecht war positiv mit der Sympathie verbunden, diese mit der Kompetenz und diese wiederum mit dem Vertrauen in die Wissenschaft.

Die Autor*innen hatten angenommen, dass Studienteilnehmende Wissenschaftler*innen des eigenen Geschlechts sympathischer finden würden. Das Gegenteil war der Fall: Teilnehmende, die sich als männlich identifizierten, fanden die weiblich gelesene Wissenschaftlerin sympathischer – und andersherum. Für die Wahrnehmung der Kompetenz zeigten sich jedoch keine deutlichen Beziehungen zwischen der Übereinstimmung des eigenen Geschlechts mit dem der*des Wissenschaftler*in.

Schlussfolgerungen: Ein zentrales Ergebnis für die Praxis Wissenschaftskommunikation ist, dass Sympathie für die Wahrnehmung von Kompetenz eine große Rolle spielt. Die Bedeutung des Faktors Sympathie wird dadurch unterstrichen, dass durch die Verkettung von Sympathie und gesteigerter Kompetenzwahrnehmung letztendlich auch das Vertrauen in die Wissenschaft erhöht wurde. Die Ergebnisse legen laut der Autor*innen nahe, dass Frauen ein „überzeugendes Gesicht“ für wissenschaftliche Themen seien. Weibliche Expert*innen sollten deshalb in der Kommunikation wissenschaftlicher Einrichtungen berücksichtigt werden.

Dass die Teilnehmenden Wissenschaftler*innen des jeweils anderen Geschlechts sympathischer fanden, stehe im Widerspruch zum „Gender-Affinitäts-Effekt“, demzufolge Personen dazu neigen, ihr eigenes Geschlecht zu bevorzugen (Dolan, 2008). Eine Erklärung könnte laut der Autor*innen sein, dass die vorgestellten Wissenschaftler*innen als erfolgreiche Leistungsträger*innen und damit als Konkurrenz wahrgenommen werden könnten. Möglicherweise spielte auch eine Rolle, dass relativ junge und stereotypen Schönheitsidealen entsprechende Bilder ausgewählt wurden und heterosexuelle Teilnehmende vielleicht das andere Geschlecht favorisierten.

Einschränkungen: Die Studie war experimentell angelegt, fand also nicht in einer für die Teilnehmenden natürlichen Kommunikationsumgebung statt. Das könnte die Ergebnisse beeinflusst haben. Zwar wurde darauf geachtet, die beiden Instagram-Posts so ähnlich wie möglich zu gestalten. Dass der männliche Wissenschaftler einen Bart trug, könnte laut der Autor*innen sowohl negative wie positive Assoziationen hervorgerufen haben. Beide Personen waren außerdem relativ jung. Eine altersmäßige Diversifizierung könnte womöglich zu anderen Ergebnissen führen.

Hubner, A. Y., & Bullock, O. M. (2024). Why Science Should Have a Female Face: Female Experts Increase Liking, Competence, and Trust in Science. Science Communication0(0). https://doi.org/10.1177/10755470241295676

Wer vertraut der Forschung? Japan, USA und Vereinigtes Königreich im Vergleich

Die Forschung zu Vertrauen in der Wissenschaft nimmt häufig westliche Länder in den Blick. Wie aber sieht es beispielsweise in Japan aus? Wie unterscheiden sich wissenschaftliches Wissen, Wissenschaftsverständnis und Vertrauen in die Forschung vom Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten? Das haben Asako Miura von der Osaka University, Mei Yamagata von der Doshisha University, Jin Higashijima von der Chiba University, Toshiya Kobayashi von der Kyusyu University und Masaki Nakamura von der Osaka University auf Grundlage von Online-Umfragen untersucht.

Methode: Für die Studie wurden im Februar und März 2021 Online-Umfragen in Japan, im Vereinigten Königreich und in den USA durchgeführt. Die japanischen Teilnehmenden wurden vom Unternehmen Cross Marketing Inc. rekrutiert und 1280 Antworten in die Analyse einbezogen. Die japanischen Teilnehmenden waren im Durchschnitt jünger als die Gesamtbevölkerung. Die Teilnehmenden im Vereinigten Königreich und in den USA wurden von Prolific, Inc. rekrutiert und waren bezüglich des Geschlechts, des Alters und der ethnischen Zugehörigkeit repräsentativ für die beiden Länder. Daten von 1.129 britischen und 1.127 US-amerikanischen Befragten ausgewertet. Alle drei Länder befanden sich zum Zeitpunkt der Befragung durch die Covidpandemie in einer Krise.

Die Befragten wurden gebeten, ihre politische Einstellung auf einer Skala von 0 (liberal) bis 10 (konservativ) zu bewerten. Sie ordneten sich auf einer Skala von einer eher natur-(1) bis zu einer eher geisteswissenschaftlichen Identität (5) ein. Um das Niveau wissenschaftlicher Grundkenntnisse zu ermitteln, wurden ihnen elf Aussagen präsentiert, die sie mit „richtig“ oder „falsch“ oder „weiß nicht“ beantworteten (Beispiel: „Das Innere der Erde ist sehr heiß“). Auch zu den Grundlagen wissenschaftlicher Forschung wurden sieben Aussagen entwickelt, um die Forschungskompetenz („research literacy“) abzufragen (beispielsweise: „Manche Phänomene haben mehr als eine Ursache“). Die Befragten bewerteten den Grad ihres Vertrauens in Forschungsergebnisse in den Natur- und Geisteswissenschaften auf einer Skala von 0 (ich vertraue ihnen überhaupt nicht) bis 100 (ich vertraue ihnen absolut).

Ergebnisse: Die japanische Stichprobe war im Vergleich zu den anderen beiden Ländern tendenziell jünger und deutlich konservativer. Auch identifizierten sich die japanischen Teilnehmenden häufiger als Geisteswissenschaftler*innen (54,3 Prozent). Die Forschungskompetenz der japanischen Teilnehmenden lag fast auf demselben Niveau wie in den anderen beiden Ländern, die wissenschaftlichen Kenntnisse waren jedoch deutlich geringer. Der durchschnittliche Prozentsatz der richtigen Antworten lag für Japan bei 54,4, im Vereinigten Königreich bei 72,8 und in den USA bei 73,8 Prozent. Das hängt womöglich mit dem Bildungsniveau zusammen, denn in Japan verfügten rund 47 Prozent der Teilnehmenden über einen Uniabschluss, in UK knapp 64 Prozent und in den USA rund 68 Prozent). Laut der Autor*innen könnte das schlechtere Abschneiden Japans auch damit zusammenhängen, dass die Teilnehmenden aus diesem Land deutlich häufiger die Option „weiß nicht“ wählten. Bei Unsicherheiten neigten Japaner*innen eher dazu, diese Option zu wählen, schreiben die Autor*innen.

In allen drei Ländern waren ein höherer Bildungsabschluss und ein größeres wissenschaftliches Wissen mit stärkerem Vertrauen in naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse verknüpft. In Japan war das Vertrauen in die naturwissenschaftliche Forschung größer als in die geisteswissenschaftliche – wobei das Vertrauen in beiden Bereichen niedriger als in den anderen beiden Ländern war. Ein hohes Maß an Forschungskompetenz war in Japan wie in den USA mit größerem Vertrauen in naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse verknüpft – nicht aber im Vereinigten Königreich.

Das Ergebnis spricht dafür, dass es sich lohnen könnte, die Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften auszubauen.
In allen drei Ländern war eine stärkere geisteswissenschaftliche Identität mit einem höheren Maß an Vertrauen in Forschung verbunden. Ein höheres Maß an wissenschaftlichem Wissen führte in den Geisteswissenschaften – anders als bei den Naturwissenschaften – nicht zu größerem Vertrauen in die Forschung.

Schlussfolgerungen: Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sich das Vertrauen in naturwissenschaftliche Forschung mit zunehmendem wissenschaftlichen Wissen erhöht. Dies gilt jedoch nicht für das Vertrauen in geisteswissenschaftliche Forschung. In Japan könnten diese Unterschiede auch mit dem spezifischen wissenschaftlichen System zu tun haben, in dem sehr früh zwischen einem geistes- und naturwissenschaftlichen Weg entschieden werden müsse, schreiben die Autor*innen. Das Ergebnis spricht dafür, dass es sich lohnen könnte, die Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften auszubauen.

Die Studie zeige, dass das Niveau wissenschaftlicher Kenntnisse in Japan im Vergleich zu Umfragen von 2001 und 2009 gesunken sei, schreiben die Autor*innen. Ein deutlicher Unterschied zu den USA und dem Vereinigten Königreich liege darin, dass in Japan politische Einstellungen keinen Einfluss auf das Vertrauen in die Wissenschaft zu haben scheinen. Das gilt laut der Autor*innen auch für andere Bereiche: Während die politische Einstellung in den USA und Europa oft als Parameter zur Erklärung individueller Unterschiede verwendet werde, treffe dies in Japan oft nicht gleichermaßen zu. Die Autor*innen schlagen vor, weitere individuelle Faktoren zu untersuchen, die sich auf das Vertrauen in die Wissenschaft auswirken könnten.

Einschränkungen: Eine Einschränkung der Studie ist, dass bei Online-Umfragen Teilnehmende angesprochen werden, die über ein hohes Maß an digitaler Kompetenz verfügen, was sich auch auf die Wissenschafts- und Technikaffinität auswirken könnte. Eine andere potenzielle Einschränkung ist, dass die Studie während der Coronapandemie durchgeführt wurde, was möglicherweise auch Einfluss auf das Vertrauen in die Wissenschaft haben könnte.

Miura, A., Yamagata, M., Higashijima, J., Kobayashi, T. and Nakamura, M. (2024). ‘Who trusts in scientific research? Cross-national surveys of Japan, the United Kingdom, and the United States’. JCOM 23(08), A03. https://doi.org/10.22323/2.23080203

Mehr Aktuelles aus der Forschung

😂😁😭💕🙈 „Emotionen“ sind Schwerpunktthema bei wissenschaftskommunikation.de – und spielen auch in der Forschung eine Rolle. So gibt ein Team um Richard Milne von der University of Cambridge Einblicke in die Plattform The Hopes and Fears Lab (THFL), die Wissenschaftler*innen und Öffentlichkeit zu Gesprächen über wissenschaftliche Entdeckungen einladen soll. Dabei ging es bisher um Themen wie Genomik und Neurotechnologie und den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Wissenschaft. Ausgehend von ihren Evaluationsergebnissen unterstreichen die Forscher*innen den Wert emotionaler Verbindungen mit der Wissenschaft – sowohl für Forscher*innen, als auch für die Öffentlichkeit.

„Inspirieren“ ist ein hehres Ziel von Wissenschaftskommunikation. Aber wie kann das gelingen? Matthew S. VanDyke von der University of Alabama und Sara K. Yeo von der University of Utah haben in einem Experiment getestet, wie Studienteilnehmende auf Texte, Audio- und Videomaterial über das James Webb Space Telescope (JWST) reagieren. Werden Gefühle der Rührung, Ehrfurcht, Neugier, des Grübelns oder der Inspiration erregt? Die Ergebnisse zeigen, dass Inhalte, die Ergriffenheit und Ehrfurcht auslösen, zu reflektierenden Gedanken – und schließlich zu Gefühlen von Inspiriertheit führen können. 😱😍😯

Der Einsatz von KI im Journalismus birgt Chancen, aber auch Risiken. Beatriz Gutiérrez Caneda und Jorge Vázquez-Herrero von der Universität Santiago de Compostela haben dazu zusammen mit Carl-Gustav Linden von der Universität Bergen Interviews mit zehn Journalist*innen und Wissenschaftler*innen aus Spanien, dem Vereinigten Königreich, Norwegen und den Niederlanden geführt. Diskutiert wurden unter anderem ethische Bedenken in Bezug auf Datenschutz und die Gefährdung von Arbeitsplätzen, aber auch Vorteile wie die Senkung von Kosten, was auch für kleine Redaktionen von Vorteil sein kann.

Wie Informationen über KI die öffentliche Meinung zum Thema beeinflussen – und welche Rolle die Emotionen Wut, Furcht und Hoffnung dabei spielen – hat ein Forschungsteam um Sukyoung Choi von der University of Southern California untersucht. Mehr Informationen führten zu einer stärkeren Befürwortung von künstlicher Intelligenz, vor allem bei denjenigen, die stärkere Gefühle von Wut und weniger Hoffnung gegenüber dem Thema geäußert hatten.

Was Studierende über KI wissen, wollte ein Forschungsteam um Hasan M. H. Mansoor von der King Saud University in Saudi-Arabien herausfinden. Die Forscher*innen haben dazu 1800 Studierende aus vier asiatischen und afrikanischen Ländern befragt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass KI-Kompetenz vor allem von der Nationalität und dem akademischen Grad abhängt. Alter und Geschlecht haben nur einen geringen Einfluss. Teilnehmende aus Malaysia wissen mit Abstand am meisten über KI.