Naturwissenschaftliche Forschung ist bei Künstlern ein beliebtes Thema und Quelle der Inspiration. Doch was bringt den Naturwissenschaftlern eine Zusammenarbeit? Ein Gespräch mit den Biologen Michael Ohl und Lukas Kirschey vom Museum für Naturkunde Berlin über Kunstprojekte im Forschungsmuseum und neue Perspektiven.
Bitte mehr als skurrile Tiere – Kunst im Forschungsmuseum
Herr Ohl, Herr Kirschey, Sie haben für die Ausstellung „Appealing to the Populous“ mehrere Monate lang mit der Künstlerin Mary Patricia Warming, mp warming, zusammengearbeitet. Wie kommt so eine Kooperation zustande?
Michael Ohl: Es kommt oft vor, dass Künstler beim Museum anfragen. Meist wollen sie eines unserer unzähligen Exponate aus der Sammlung studieren oder zeichnen. Darum kümmert sich dann das Programm Perspektiven auf Natur (PAN) hier am Haus, das eigens dafür eingerichtet wurde und auch selbst Kunstprojekte initiiert. Wir haben einfach ein faszinierendes Haus, das auch einen morbiden Charme hat. Und wir freuen uns, wenn andere Leute das auch spannend finden. Bei mp warming war das ähnlich. Ihre Anfrage landete dann auf meinem Schreibtisch, weil ich hier der Mensch für alles Abwegige bin.
Lukas Kirschey: mp warming wollte zuerst einmal vorbeikommen und sich die Sammlung anschauen, die dann in ihre Kunst einfließen sollte. Darüber hinaus wollte sie sich aber gern konkret und über einen längeren Zeitraum mit Forschungsvorhaben auseinandersetzen.
Ohl: Uns hat die Ästhetik ihrer fast schon wissenschaftlichen, sehr präzisen Zeichnungen gefallen. Vorher hatte sie mit Spiralen gearbeitet, geometrische Formen, Regelmäßigkeiten und Strukturen in der Natur untersucht. Das ist etwas, was uns auch sehr anspricht.
Ist es die inhaltliche Idee oder die Ästhetik der Kunst, die Sie dazu motiviert, ein Kunstprojekt zu unterstützen?
Ohl: Kunst über ein skurriles Tierexponat oder einen Wissenschaftler ist recht leicht zu realisieren. Viel spannender finde ich, wenn es zu einer Interaktion und Interpretation kommt, von der wir dann auch profitieren, weil es unsere Perspektive erweitert. Es hätte auch eine Modern-Dance-Choreografin sein können, die zu Wespen tanzt.
Kirschey: Außerdem ist das ein guter Weg, mehr von unserer Sammlung zu zeigen. Wir haben 30.000.000 Objekte, davon sind nur 1.000–2.000 in der Ausstellung sichtbar. Aber die strukturelle Unterstützung der Ausstellung in der Humboldt Universität hat uns sehr viel Zeit gekostet. Das beginnt beim Besorgen der Vitrinen und geht über den technischen Dialog mit der Universität bis hin zum Schleppen und Ausrichten und so weiter.
Ohl: Das würde ich jederzeit wieder machen, aber das gilt eben nicht für alle Kollegen. Für manche Künstler ist es schwer verständlich, dass wir nicht für jedes Projekt einen größeren Aufwand betreiben wollen oder können. Aber wir wissen bei der regulären Forschungs- und Sammlungsarbeit manchmal schon nicht, wo uns der Kopf steht.
Was macht gerade dieses Projekt so besonders, sodass Sie Ihre Forschungszeit in die Kunst investieren?
Ohl: Neu an mp warmings Konzept war, dass sie sich intensiv mit der Forschung und den Forschern auseinandersetzen wollte. Wir beschäftigen uns zum Beispiel hier mit allem, was sticht – Wespen, Bienen, Ameisen. Eine spezielle Gruppe davon heißt Grabwespen, davon wurden bereits 10.000 Arten entdeckt und es kommen immer neue hinzu. Dabei interessiert mich auch die Systematisierung, also wie diese neuen Arten benannt werden. Dazu habe ich auch 2015 das Buch „Die Kunst der Benennung“ geschrieben. Das hat die Künstlerin interessiert und sie hat das Thema dann zusätzlich in ihren Prints dargestellt.
Kirschey: Ich bin für die Insektensammlung zuständig und habe dort die technische und strategische Leitung. Alleine an Bienen, Wespen und Ameisen haben wir rund 2,5 Millionen Tiere. Sie sind genadelt und stecken nach Arten sortiert in Systemschachteln, die wiederum in Kästen einsortiert sind. Die Künstlerin ist über Monate hinweg jede Woche mindestens ein bis zwei Mal zu uns gekommen, um die Tiere zu zeichnen. Wir haben auch darüber diskutiert, wo und wie einzelne Arten in ihrer Kunst auftauchen könnten.
Welchen Einfluss hat das auf Ihre tägliche Forschungsarbeit am Museum?
Kirschey: Der Prozess hat mir einen völlig neuen, kreativen Blickwinkel auf meine sonst sehr wissenschaftliche und förmliche Tätigkeit gegeben. Normalerweise sehe ich ein Tier und assoziiere es mit einem Sammlungskasten. Da war es interessant, mal eine neue, eher ästhetische Perspektive einzunehmen. Es entstand eine ganz andere Art von Faszination für die Insekten. Und es gibt Überschneidungen in unserer Arbeit, etwa wenn wir uns mit Strukturen und Formen der Tiere auseinandersetzen.
Ohl: Die Künstler „forschen“ dann ja auch an der Sammlung. Wir öffnen uns deshalb für solche Anfragen und wollen ein Ort des interdisziplinären Austausches sein.
Wie verbinden Sie das mit der Öffentlichkeitsarbeit für Ihren Forschungsbereich?
Ohl: Wir unterscheiden uns hier schon von anderen Taxonomen, weil wir unsere Forschung gerne der Öffentlichkeit präsentieren. Da gibt es Highlights wie die Taufe der Monsterwespe, die auch die Presse gerne aufgegriffen hat und die dann auch in den Kunstwerken von mp warming wieder aufgetaucht ist. Das ist ein Weg, Forschung zu kommunizieren.
Haben Sie schon ein neues Kunstprojekt in Aussicht?
Ohl: Spannend wird sicher die Arbeit von Mark Dion, der mit der Abteilung PAN ihm Rahmen unseres großen Kunstprojekts Künstlerische Interventionen zusammenarbeitet. Er beschäftigt sich mit den Werkzeugen des Sammelns: Döschen, Schachteln, Instrumenten.
Kirschey: Heute bestellen wir sterile, funktionale Dosen, die wir nur für unsere Sammelreisen verwenden. Danach werden sie eingelagert. Aber man findet hier im Haus noch sehr viele Gegenstände vergangener Sammelreisen, die eigene Geschichten erzählen können – über die Reisen und über die Sammlung selbst. Zum Beispiel eine Dose für Asthmapulver, die der Sammler umfunktioniert hat.
Ohl: Wir Forscher vergessen gerne, dass wir in eine Kulturgeschichte eingebettet sind. Die wissenschaftlichen Publikationen sind dokumentiert, aber was an Techniken und Ritualen dahinter steckt, geht oft verloren. Wenn wir in die Wüste fahren, um Grabwespen zu sammeln, konzentrieren wir uns im Gegensatz zu den früheren Sammelexpeditionen auf unsere wissenschaftliche Fragestellung. Die ganze Philosophie des Sammelns kann also durch die Kunst weitererzählt werden.