Die Tiefsee ist das größte Ökosystem der Erde. Trotzdem wissen wir recht wenig über sie. Maike Nicolai und Solvin Zankl geben in ihrem Buch „Tiefseewesen“ Einblicke in diese uns verborgene Welt. Im Interview erklären sie, was sie an den Tieren aus der Tiefsee fasziniert und wie das Buch entstanden ist.
Bildband „Tiefseewesen“ – Blick in einen fragilen Lebensraum
Herr Zankl, Frau Nicolai, sie haben gemeinsam ein Buch über Tiefseewesen veröffentlicht. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Zankl: Letztendlich ist das Buch entstanden, weil die Tiefsee für den Menschen ein Lebensraum ist, den man schwer erkunden kann. Wir können ja kaum ins Meer hineinschauen. Dabei ist es der größte Lebensraum, den es auf der Erde gibt. Wir wollen also mit dem Buch vor allem einen Einblick in die Tierwelt der Tiefsee geben und damit in eine relativ unbekannte, aber sehr vielfältige und eindrucksvolle Welt ermöglichen. Denn nur was man kennt, schützt man auch.
Nicolai: Für mich geht es zudem darum, meine eigene Begeisterung weiterzugeben. Ich habe Solvins Fotos gesehen und sofort gedacht: Was sind denn das für tolle Tiere! Schließlich sehen sie ja nicht nur beeindruckend aus, sondern haben sich auch noch hervorragend an ihren sehr schwierigen Lebensraum angepasst: In der Tiefsee ist es kalt, dunkel, manchmal einsam, und es herrscht hoher Druck. Wenn man ein bisschen tiefer in dieses Thema eintaucht, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dieses Gefühl wollte ich vermitteln.
Den Schwerpunkt des Buchs machen die Aufnahmen der Tiere aus, wie kommt man an solche Aufnahmen?
Zankl: Die meisten der Bilder sind auf Forschungsfahrten entstanden. Ich habe bereits mehrfach Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begleitet, die an der Tiefsee forschen. Während dieser Fahrten werden die Tiere entweder mit ROVs (Remotely Operated Vehicles) – Tauchroboter, die sie in die Tiefsee hinunterlassen – oder in den meisten Fällen mit Fangnetzen an Bord geholt. Bevor die Tiere konserviert werden, gibt es dann für mich die Gelegenheit, sie lebend in einem speziellen Studio im Kühlraum der Forschungsschiffe, oft unter dem Mikroskop, zu fotografieren. Eine weitere Möglichkeit ist, in Regionen zu fahren, in denen Tiefseetiere in flachere Gewässer gelangen – manchmal gewollt und manchmal ungewollt. Dort kann man sie dann tauchend fotografieren.
Das Buch besteht aber nicht nur aus Bildern, sondern auch aus Texten zum Thema, für die Sie verantwortlich sind, Frau Nicolai. Was ist das Ziel der Textelemente?
Nicolai: Mit den Texten wollen wir das Bewusstsein für das Thema und die Lebewesen schärfen. Wir wissen einfach viel zu wenig über die Tiefsee und die vielen verschiedenen Lebensformen dort. Ich finde es sehr wichtig, dass wir mehr über den Lebensraum lernen, um diese eindrucksvollen Tiere zu erhalten und zu schützen. Die Tiere sind mir bei der Recherche richtig ans Herz gewachsen und ich hoffe, dass das in den Texten auch rüberkommt.
Zankl: Ich finde, Maike gelingt es ganz großartig, die Besonderheiten der einzelnen Tiere und Lebensräume hervorzuheben und so die Faszination, die durch die Bilder entsteht, nochmal zu unterstreichen.
Nicolai: Da ich hauptberuflich als Wissenschaftskommunikatorin arbeite, beschäftige ich viel mit Fragen rund um die Vermittlung teils komplexer Inhalte an ein fachfremdes Publikum, den Austausch und das gegenseitige Verständnis verschiedener „Wissensgruppen“. Das hat mich auch bei der Recherche für das Buch und beim Verfassen der Texte geprägt, und ich habe es genossen, etwas freier formulieren zu können, als es zum Beispiel in einer Pressemitteilung möglich ist.
Wen wollen Sie mit dem Buch erreichen?
Zankl: Das Buch knüpft an eine Ausstellung mit 50 Tiefseebildern an. Dort habe ich gelegentlich beobachtet, wie die Besucherinnen und Besucher die Ausstellung erlebt und sich über sie ausgetauscht haben. Das schönste Gefühl für mich war es, wenn ich dann Dinge gehört habe, wie beispielsweise: Oh, ich wusste gar nicht, wie vielfältig und bunt das ist. Es geht also darum, Staunen an Menschen zu vermitteln, die Interesse an der Tiefsee haben oder einfach generell neugierig auf unterschiedliche Lebensräume sind.
Nicolai: Genau. Es geht darum, die Faszination zu vermitteln. Die wissenschaftlichen Details sollen stimmen, und die Texte sind verständlich und hoffentlich auch ein wenig unterhaltsam.
Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, solche Fotoaufnahmen zu machen?
Zankl: Ich habe 2007 vom Alfred-Wegener-Institut die Möglichkeit erhalten, eine Forschungsfahrt zu begleiten und an Bord der „Polarstern“ Fotos zu machen. Die damalige Fahrtleiterin hat im Prinzip gesagt: Wenn du unterwegs Bilder machen möchtest, brauchst du ein Foto-Mikroskop und eine Kamera. Dann kannst du im Kühlraum dein Labor aufbauen, damit du die Tiere lebend bei ihren gewohnten Wassertemperaturen fotografieren kannst. So ist die Tiefsee zu meinem Lebensthema geworden. Die Herangehensweise hat sich eigentlich nie verändert, aber man lernt natürlich jedes Mal etwas dazu und wird besser.
Und bei Ihnen, Frau Nicolai, woher kommt Ihre Faszination?
Nicolai: Das Interesse am Meer reicht bis in meine Kindheit zurück und ich habe in verschiedenen beruflichen Kontexten immer wieder Berührungspunkte mit Meeresthemen gehabt. Durch meine Tätigkeit in der Pressestelle des Geomar hatte ich dann Gelegenheit, mich mit Meeresforscherinnen und -forschern direkt über ihre Arbeit auszutauschen. Deren Begeisterung hat definitiv abgefärbt …
Gibt es etwas, das Sie überrascht hat, als Sie das Buch geschrieben haben?
Nicolai: Ich hätte nie gedacht, dass es so vielfältige Arten der Anpassung an die Lebensumstände in der Tiefsee gibt und was in der Natur alles möglich ist. Auch die große Bedeutung von Biolumineszenz war mir vorher nicht so bewusst, vor allem auch nicht, zu wie vielen unterschiedlichen Zwecken und in wie vielen unterschiedlichen Facetten die Lebewesen natürlich leuchten – etwa, um Partner oder Beute anzulocken oder um mögliche Feinde abzuschrecken.
Zankl: Für mich war eine der wesentlichen Erkenntnisse, dass der Ozean nicht einheitlich ist. Der so einförmig wirkende Ozean hat Grenzen und große Unterschiede und ist viel vielfältiger und abwechslungsreicher als zumindest ich es mir vorgestellt habe.
Gehen wir davon aus, dass die Leserinnen und Leser des Buchs nur eine Sache mitnehmen können. Was sollte das am besten sein?
Nicolai: Dass unter der Meeresoberfläche viel mehr los ist, als viele denken und auch im Kleinen eine wahnsinnige Vielfalt herrscht.
Zankl: Dass da etwas ist, was sehr ursprünglich ist und derzeit noch relativ unberührt von uns Menschen. Ein Lebensraum, der aber auch sehr fragil ist und der von uns abhängt und zerstört zu werden droht. Die Message ist also: Wir können bestimmen, wie es diesem Lebensraum künftig geht.
Haben Sie ein Lieblingstier im Buch?
Nicolai: Ich mag die Garnelen-Larve sehr gerne, die auf dem Buchtitel ist. Einfach, weil sie so lustig guckt und ein gutes Beispiel dafür ist, wie man bei den Funden auch durchaus mal schmunzeln kann. Aus meiner Zeit am Geomar habe ich außerdem eine große Begeisterung für Flügelschnecken mitgenommen. Das sind Schnecken, die Flügel haben, mit denen sie im Zickzack durch Wasser flattern, weswegen sie im englischen auch Sea Butterflies heißen, Meeresschmetterlinge. Für mich wirken die etwas unbeholfen. Und wenn man sich dann bewusst macht, dass diese wunderschönen Tiere, die wichtig für das Ökosystem sind, in Zukunft vielleicht nicht mehr existieren, dann macht man sich schon Gedanken darum, wie wir mit diesem Lebensraum umgehen wollen.
Zankl: Mein geheimer Favorit sind die Muschelkrebse. Die finde ich super spannend. Auch, weil sich die Wissenschaft bisher wenig mit ihnen beschäftigt, obwohl sie faszinierende Fähigkeiten, wie beispielsweise hypersensible Augen haben.