Ein Twitterkonto, auf dem jede Woche andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Einblick in ihre Arbeit geben: Das ist „Real Scientists DE“. Ein Interview mit Jens Foell, Gründer und Moderator des Accounts.
Auf Twitter Forschenden über die Schulter schauen
Herr Foell, wer oder was verbirgt sich hinter „Real Scientists“?
Real Scientists ist ein Twitter-Account, der jede Woche an eine andere Person weitergegeben wird. Es handelt sich also um eine wechselnde Kuratierung oder „Rotation Curation“: Das Twitter-Konto bleibt stets dasselbe, wird aber von verschiedenen Personen bespielt. Bei Real Scientists und auch bei der deutschsprachigen Version, Real Scientists DE, sind das Menschen, die in der Wissenschaft arbeiten oder zumindest einen engen Bezug zu ihr haben. So erhält das Publikum jede Woche Einblicke in die Forschung aus einer neuen, persönlichen Perspektive.
Seit wann gibt es das Projekt?
Der englischsprachige Account wurde 2013 von der australischen Biologin Upulie Divisekera ins Leben gerufen. 2016 habe ich eine Woche lang selbst dort kuratieren dürfen, danach habe ich angefangen, hinter den Kulissen mitzuarbeiten. Im Februar 2017 habe ich dann den deutschsprachigen Ableger gegründet, den ich mittlerweile gemeinsam mit Anne Scheel und Nadine Gabriel moderiere. Hier können ebenfalls Forschende aus aller Welt mitmachen, sie müssen aber auf Deutsch twittern – dazu brauchen sie die Sprache aber nicht perfekt beherrschen. Anne, Nadine und ich rekrutieren die Kuratorinnen und Kuratoren und stellen sie zu Beginn der Woche jeweils kurz auf unserem Blog vor.
Wie wählen Sie die Forschenden aus, die mitmachen dürfen?
Grundsätzlich sind wir für alle Interessierten offen, man kann sich also bei uns bewerben. Meistens sprechen aber wir vom Moderatorenteam Leute an, die wir beispielsweise auf Twitter kennengelernt haben. Neben der Nähe zur Forschung ist uns nämlich noch wichtig, dass die Person bereits eine gewisse Erfahrung mit dem sozialen Netzwerk hat – für Twitter-Neulinge könnte es etwas überwältigend sein, direkt mit einer relativ großen und aktiven Followerschaft zu starten.
Das heißt, nicht alle Kuratorinnen und Kuratoren müssen auch aktive Forschende sein?
Nein, wir wollen die ganze Bandbreite an Tätigkeiten zeigen, die zur Wissenschaft dazugehören. Oft entwickeln sich besonders spannende Diskussionen, wenn es um ungewöhnliche Betätigungsfelder geht, von denen man in der Wissenschaftskommunikation meist nicht viel hört. Einmal hatten wir etwa eine Kuratorin, die als Übersetzerin für wissenschaftliche Texte arbeitet – zu dem Thema hatten unsere Follower viele Fragen. Gleiches gilt für Menschen, die der Forschung den Rücken gekehrt haben und nun der freien Wirtschaft arbeiten. Bei manchen gilt das immer noch als Scheitern, aber diese Ansicht ist nicht gerechtfertigt.
Worüber schreiben die Kuratorinnen und Kuratoren?
Warum sollte es nach Ihrem Geschmack auch um den Arbeitsalltag gehen?
Wir möchten gern die menschliche Seite der Wissenschaft zeigen. Unsere Kuratorinnen und Kuratoren müssen deswegen zum Beispiel immer mit einem Porträtfoto und ihrem echten Namen auftreten – daher kommt auch der Name „Real Scientists“. So wollen wir die Hürden abbauen, mit Forschenden persönlich in Kontakt zu treten und ihnen Fragen zu stellen.
Was wissen Sie über die Follower des Accounts?
Laut Twitters internem Analyse-Tool ist unser Publikum generell stark an Neuigkeiten aus der Wissenschaft interessiert. Unsere eigenen Umfragen zeigen zudem, dass die meisten selbst ein wissenschaftliches Fach studiert haben, aber nicht unbedingt selbst aktive Forschende sind. Uns folgen aber auch einige Menschen, die nichts mit der Forschung zu tun haben, sondern etwa in der Politik aktiv sind.
Ist Twitter Ihrer Meinung nach ein gutes Medium für die Wissenschaftskommunikation?
Ich persönlich mag Twitter als Kommunikationsmittel sehr gerne, man könnte sagen, ich habe hier meine Nische für die Wissenschaftskommunikation gefunden. Aber natürlich ist es nicht für jeden, der sich über Forschung informieren möchte, das geeignete Medium. Manche Leute haben wahrscheinlich mehr davon, Blogbeiträge zu lesen, Dokumentarfilme anzusehen oder Vorträge zu besuchen. Aber „live“ mitlesen zu können, wie Forschende arbeiten, und ihnen dabei Fragen stellen zu können, das gibt es meines Wissens bislang nur auf Twitter. Auf dieser Plattform gibt es insgesamt eine sehr engagierte Community von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die auch untereinander gut vernetzt sind.
Was haben die Kuratorinnen und Kuratoren davon?
Zum einen macht es einfach Spaß: Unsere Teilnehmenden mochten es etwa, dass sie Fragen gestellt bekamen, die sie nicht zu hören bekommen, wenn sie sich mit Kolleginnen und Kollegen aus ihrem eigenen Fach über ihre Forschung unterhalten. Und natürlich ist es für viele eine neue Erfahrung, so eine große Plattform zu haben. Der deutschsprachige Account hat derzeit rund 5800 Follower, die alle generell stark an Wissenschaft interessiert sind. Dadurch steht man plötzlich mit einer großen und neugierigen Community im Austausch und erhält auch selbst neue Perspektiven auf die eigene Arbeit.
Sie arbeiten an der Florida State University und kennen die Wissenschaftskommunikation in den USA und in Deutschland. Welche Unterschiede sehen Sie?
Gab es auch schon kontroverse Themen?
Keine inhaltlichen Kontroversen, aber politische: Wenn es auf dem Account um die Förderung von Frauen in der Wissenschaft geht, kommen regelmäßig Leute an und beginnen Diskussionen wie: „Und wer fördert die Männer?“ oder: „Das Problem ist doch längst behoben!“ Das hat mich ehrlich gesagt überrascht, weil ich es in der wissenschaftlichen Community für Konsens halte, dass es sinnvoll ist, die Arbeit von Frauen und Minderheiten öffentlich sichtbarer zu machen. Aber das ist offenbar ein Thema, das immer noch viele Männer aufregt.
Weitere Information:
Jens Foell berichtet über sein Wisskomm-Projekt „Real Scientists“ im Videointerview.