Für die Videospielserie Assassins Creed sind vielfältig besetzte Wissenschaftsteams im Einsatz, um die historischen Settings möglichst akkurat zu gestalten. Der Historiker Maxime Durand begleitet die Serie seit über zehn Jahren. Ein Gespräch über Detailtreue, Designvorgaben und die Potenziale für die Wissenschaftskommunikation.
„Assassins Creed“ – Wie viel Geschichtswissenschaft passt in ein Videospiel?
Herr Durand, wo fangen Sie an, wenn Sie eine neue Episode der Videospielserie Assassins Creed planen – aus wissenschaftlicher Sicht?
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal gibt es im Entwicklungsteam schon eine Idee für ein Spiel und sie fragen irgendwann wissenschaftliche Beratung an, wenn die Arbeit daran voranschreitet. Manchmal kommt der Impuls aus der Chefetage und wir stellen dann einige Ideen zusammen, die wir dem Entwicklungsteam vorstellen. Die meisten der neueren Titel sind schon lange angedacht und wurden nach und nach umgesetzt – „Odyssee“ spielt etwa im antiken Griechenland, „Origins“ im alten Ägypten und jetzt „Valhalla“ im Wikingerzeitalter. In allen Fällen waren Historiker*innen ab einem sehr frühen Stadium der Spielentwicklung involviert, um bei allen Entscheidungsstufen beraten zu können. Ein*e Hauptexpert*in begleitet das Entwicklungsteam dann über die zwei bis vier Jahre Entwicklungszeit hinweg und managt die externe Expertise, die zusätzlich dazu geholt wird.
Warum ist es für Ubisoft bei Assassins Creed so wichtig, mit wissenschaftlichen Expert*innen zusammenzuarbeiten?
Weil man die Elemente eines Spiels – Kleidung, Gegenstände, Architektur, Sprache – nicht einfach erfinden kann. Man muss sich Zeit nehmen und mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten, um die Geschichtsaspekte richtig darzustellen. Sonst könnte man es auch in einer fiktiven Welt ansiedeln. Als ich vor zehn Jahren als Berater für Geschichte anfing, hatte ich einen Projektvertrag, der auf ein paar Monate ausgelegt war. Wir haben aber schnell gemerkt, wie gut es ist, jemanden mit wissenschaftlicher Expertise direkt im Team zu haben und so bin ich geblieben. Bei der Beratungsarbeit geht es außerdem nicht nur um Detailtreue, sondern auch um kulturelle Sensibilität. Wenn man zum Beispiel ein Spiel in der Wikingerzeit ansiedelt, gibt es hier schnell Überschneidungen mit einer Symbolik, die auch im rechten politischen Lager genutzt wird. Über solche Konnotationen wollen wir gut informiert sein, um die richtigen Entscheidungen für das Spiel zu treffen und keine falschen Interpretationen zuzulassen.
Was sind die Knackpunkte bei der Zusammenarbeit zwischen Spieldesigner*innen und wissenschaftlichem Team?
Gibt es Epochen, die leichter zu bearbeiten sind, etwa weil sie besser erforscht sind als andere?
Aus wissenschaftlicher Sicht ist jede Epoche eine Herausforderung, denn entweder gibt es sehr viele Quellen, aus denen man wählen muss oder sehr wenige und damit auch weniger Grundlagen. Außerdem gibt es zu manchen Epochen viele Missverständnisse oder Fantasieerzählungen und mit denen müssen wir umgehen. Manche Teammitglieder und auch Spieler*innen erwarten zunächst, diese Erzählungen auch in den Spielen wiederzufinden. Gerade in der Assassins-Creed-Serie legen wir aber viel Wert darauf, die Geschichte mit Respekt zu behandeln. Das heißt nicht, dass wir Geschichte wahrheitsgetreu darstellen. Das geht technisch nicht und das gibt die Quellenlage ganz im Detail auch selten her. Wir versuchen aber möglichst nah dranzubleiben.
Können Sie da ein Beispiel geben?
Was sagen andere Wissenschaftler*innen zu der Spielereihe?
Wie sieht so ein Konflikt zwischen Designentscheidung und wissenschaftlicher Genauigkeit konkret aus?
Es gibt also auch Analysen der historischen Darstellungen aus dem Spielpublikum?
Ja oder von Journalist*innen, die keine Historiker*innen sind und hier wird die Debatte oft tricky. Sie merken dabei zum Beispiel fehlende historische Präzision bei Details an, mit denen sie sich selbst nicht so richtig gut auskennen. Hier ist es dann eine große Aufgabe, das wieder richtigzustellen. Ich freue mich also, wenn es Historiker*innen sind, die sich mit einer Epoche wirklich gut auskennen, die Kritik an einzelnen Elemente üben und damit zur Klärung beitragen. Und so eine kritische Auseinandersetzung gibt es immer öfter, zum Beispiel in Sessions auf der Gaming-Plattform Twitch. Hier gibt es das Projekt „Playing in the Past“ von der University of Southampton, auf dem vier oder fünf Ägyptolog*innen live „Origins“ spielen und das Spiel kommentieren. Die Universität Oxford hatte ein ähnliches Format zu „Odyssey“ von der Fakultät für Altphilologie. Diese Expert*innen entdecken natürlich viele Gesprächsanlässe in den Spielen und sie finden auch kleine Details, die nur hochspezialisierte Wissenschaftler*innen erkennen würden. Dazu gehören die Farben der Wände, Gemälde oder Vasen. Das freut uns immer sehr.
Farben, Sprache, Kleidung, Gegenstände – in den Spielen gibt es so viele Details. Wie viele Expert*innen arbeiten an einer Ausgabe von Assassins Creed?
Schwer zu sagen. Wir können uns das einmal an „Valhalla“ anschauen. Es spielt in der Wikingerzeit, vor allem an den Küsten von England und Norwegen aber auch Nordamerikas. Wir hatten einen angestellten Berater dabei, ein promovierter Historiker, der das wissenschaftliche Team geleitet hat und verschiedene externe Berater*innen. Dazu gehörten Expert*innen für die indigene Geschichte Nordamerikas, weil die Wikinger*innen dorthin gesegelt sind. Es gab Fachleute für Runen und Altnorwegisch, damit wir Schrift und Sprache akkurat einsetzen konnten.
Allein dafür hatten wir zwei Leute aus Stavanger und einen aus Colorado. Außerdem gab es eine ganze Reihe anderer Spezialist*innen wie einige Leute in Frankreich und Großbritannien, die auf angelsächsische Wikingerforschung spezialisiert sind. Und das sind nur die Leute, mit denen wir direkt Kontakt hatten. Das jeweilige Leitungsteam eines Spielprojektes geht außerdem zu Beginn immer auf einen Field Trip, um sich historische Orte, Museen und Archive vor Ort anzuschauen und geführte Touren zu machen. In den meisten Fällen lassen wir uns die Orte also zuerst zeigen, die später im Spiel auftauchen. Außer in Ägypten, da war das kaum noch möglich, weil die meisten Stätten nicht mehr existieren.
Zu den neueren Spielen gibt es auch virtuelle Touren durch historische Orte wie die Akropolis. Was ist das Konzept dahinter?
Bei den Touren nutzen wir das bereits programmierte Setting, etwa der Akropolis, und kreieren ein eigenständiges Produkt, das nur lose mit dem Spiel verknüpft ist. Die Figur, mit der man sich durch die Tour bewegt, ist die aus dem Spiel. Wir lassen aber viele Elemente wie Personen oder Waffen aus dem Spiel weg und ergänzen zum Beispiel historische Artefakte wie Statuen oder Vasen, die wir im Spiel nicht unterbringen konnten. So können sich die virtuellen Besucher*innen selbstständig durch den möglichst detailgetreu nachgebauten historischen Ort bewegen. Entweder indem sie einer eingezeichneten Route folgen oder völlig selbstständig.
Diese Touren liegen uns tatsächlich sehr am Herzen und manchmal arbeiten wir dafür mit denselben Historiker*innen und Museen zusammen, mit denen wir auch das Spiel konzipiert haben. Manchmal holen wir noch andere Expert*innen dazu, weil wir hier besonders viel Genauigkeit brauchen. Im Anschluss werden die Touren dann auch gerne in der Museumsarbeit genutzt.
Wie sieht das konkret aus, wenn eine virtuelle historische Tour in der Vermittlungsarbeit eines Museums eingesetzt wird?
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal konzipieren wir Ausstellungen gemeinsam mit dem Museum. Im Canadian Museum of History läuft gerade die Ausstellung „Queens of Egypt“. Dafür haben wir virtuelle Umgebungen erstellt und Museen stellen die historischen Objekte, die dann in der Tour zu sehen sind. Manche Museen zeigen aber auch einfach die Touren vor Ort und man kann sie dort durchlaufen. Das wird auch in Schulen gern genutzt.
Wie werden die historischen Touren in der Bildungsarbeit eingesetzt?
Schon bei den ersten Folgen der Serie Assassins Creed kamen Anfragen von Lehrer*innen, die die Spiele im Unterricht einsetzen wollen. Wir haben darauf reagiert, indem wir die Touren entwickelt haben. Es ist nicht dasselbe, wie ein Videospiel zu spielen. Aber die Touren haben eine andere Kategorie, zum Beispiel was den Jugendschutz angeht und können so besser im Unterricht eingesetzt werden. Hier arbeiten wir auch weiterhin mit Lehrer*innen, Historiker*innen und auch Didaktiker*innen zusammen, um diese Touren noch besser zu gestalten. Die Herausforderung ist hier wieder, sie so anzulegen, dass sie akkurat sind, pädagogisch gut einsetzbar und interessant für Studierende und Schüler*innen.
Wie schätzen Sie insgesamt die Zukunft des Genres der wissenschaftsbasierten Videospiele ein?