Sind interaktive Formate die Zukunft der Wissensvermittlung? Was funktioniert besser: analog oder digital, Exponat oder Augmented Reality? Für Markus Große-Ophoff, Fachlicher Leiter am DBU Zentrum für Umweltkommunikation, und Tim Florian Horn, Direktor des Zeiss-Großplanetariums Berlin, liegt der Schlüssel zum Erfolg in der richtigen Mischung.
Apps und anfassen – „Die Zukunft der Wissensvermittlung ist crossmedial“
Herr Große-Ophoff, Herr Horn, „Apps oder anfassen?“ ist das Thema Ihres Panels beim 10. Forum Wissenschaftskommunikation am 27. November in Braunschweig. Was ist denn aus Ihrer Sicht nun besser?
Tim Florian Horn: Ich finde die Trennung von analogen und digitalen Vermittlungsmethoden heutzutage sehr schwierig. Egal ob wir eine Ausstellung machen oder ein Onlineangebot – wir müssen Informationen immer gut transportieren. Erst muss eine Geschichte, eine Information da sein und dann kann man sich auf die Suche nach der besten Form dafür machen.
Markus Große-Ophoff: Das unterstütze ich voll und ganz. Das Schöne ist aber, dass wir durch die digitalen Formate mehr Alternativen haben, die wir nutzen können. Es gilt für mich das Prinzip aus der Architektur „Form follows Function“. Zuerst muss ich eine Zielgruppe definieren, dann überlegen, welche Information ich dieser vermitteln kann. Erst daraus folgt die Form. Dabei muss ich mich eigentlich nie zwischen analog oder digital entscheiden, sondern kann beides nutzen. Die Zukunft ist crossmedial.
Nach welchen Kriterien entscheidet man denn dann welches Format das Richtige ist?
Große-Ophoff: Die erste Frage ist: Welche Zielgruppe möchte ich ansprechen und was möchte die eigentlich wissen? Wir gehen viel zu oft von unserem eigenen Mitteilungsbedürfnis aus. Aber eigentlich muss ich mich fragen, was eine Gruppe interessiert und für diese ein Narrativ zu einem Thema entwickeln. Im nächsten Schritt kann ich dann versuchen, noch mehr Inhalte einzubinden, die für mich wichtig sind und die ich gerne vermitteln möchte. Aber ich sollte auch nicht zu viele Informationen hineinpacken und ein Thema damit überfrachten. Was nehme ich vielleicht wieder raus und wo finde ich Anknüpfungspunkte zu diesen Menschen? Da würde ich immer raten, ein schriftliches Konzept zu machen, einen Zeitplan mit den verschiedenen Ebenen der Kommunikation eines Themas.
Horn: Dieser Blick auf die Zielgruppe ist sehr wichtig. Ein typisches Beispiel ist der Schulbesuch im Planetarium. Wenn man da vom Lehrer hingezerrt wurde und als Schülerin oder Schüler nur rezipiert, kann der Besuch zur Lerneinbahnstraße werden. Jede Zielgruppe braucht eigene Vermittlungsformen und Ansprachen. So ist die eigene Lernmotivation der wichtigste Schlüssel. Welche Zielgruppe wird durch welchen Kanal, welches Medium angesprochen? Gibt es für die Schüler die Möglichkeit, sich Wissen selbst zu erarbeiten und Erfahrungen zu machen, ist der Lernerfolg nachhaltiger.
Große-Ophoff: Wir haben auch dazu geforscht und festgestellt, dass es fast immer die Entscheidung der Lehrer ist, ob eine Klasse in eine Ausstellung geht. Die fragen selten die Schüler, ob es sie interessiert, sondern schauen, ob es gut in den Lehrplan passt.
Das heißt, es brauch noch bessere Vermittlungskonzepte, um so ein Publikum trotzdem nachhaltig zu erreichen?
Horn: Wir sind hier gefordert, die Leute zu überraschen; interaktive Vermittlungsformen zu finden, die die Besucher einbeziehen und in die sie auch selbst eingreifen können. Das Planetarium ist traditionell zwar ein Ort, an dem eher konsumiert wurde. Heute gibt es aber sehr viele neue spannende interaktive Formate, die mit unterschiedlichen Medien arbeiten.
Wie kann man denn mit einem Planetarium interagieren?
Horn: Die Software, die wir nutzen, um durchs All zu fliegen, kann man beispielsweise auch im Browser verwenden. Schülerinnen und Schüler können dann in unserem Medienlabor zu unserem Programm „Mit Raketen zu Planeten“ selbst Shows erstellen und sie ihren Klassenkameraden vorführen. Dabei setzen sie sich mit den Inhalten ganz anders auseinander, als wenn sie eine Show nur anschauen. Außerdem besuchen wir mit dem mobilen Planetarium Schulen auch direkt und drehen dort mit den Schülern 360°-Videos. Natürlich müssen Museen oder auch Planetarien die Orte sein, an denen Inhalte kuratiert und wissenschaftlich korrekt präsentiert werden. Aber wir müssen auch über unseren Schatten springen und zum Beispiel den Nutzern die Möglichkeit geben, direkt mit unseren wissenschaftlichen Daten zu arbeiten. So können sie unsere Forschung viel besser verstehen und wir lüften das Geheimnis unserer Arbeit.
Große-Ophoff: Das ist auch unser Ansatz, wenn wir mit Klassen arbeiten. Wir wollen sie befähigen, sich mit den Daten und Fakten selbst auseinanderzusetzen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Von der Datengrundlage und den technischen Möglichkeiten her haben wir aber die Gelegenheit, das spielerisch anzugehen. Beispielsweise mit unserem Spiel zum Klimaschutz. Hier finden sich die Besucher in der Rolle der Netzregulatoren wieder und müssen entscheiden, welche Kraftwerke sie hoch- und runterfahren, ob sie mehr Windenergie in das Netz einspeisen, oder eher auf Kohle gehen. Mehr Wind bedeutet, dass die Energieerzeugung stärker variiert. Mehr Atomkraft ist kurzfristig günstiger, hat aber eine schlechtere Ökobilanz und hohe Folgekosten. Die Nutzer können dann einzelne Faktoren beeinflussen und direkt sehen, wie sich das auf das ganze Netz auswirkt. Sie entscheiden, ob sie eher die ökologische, stabile oder preisgünstige Variante fahren möchten. Ganz einfach ist das natürlich nicht, denn es müssen valide wissenschaftliche Daten dahinter liegen, damit ein korrektes Ergebnis herauskommt. Und es muss ganz leicht sein. Wenn man an einem Knopf dreht, muss direkt etwas passieren, kommt eine andere Person dazu und mischt sich ein, muss sich das Ergebnis verändern. Nur so kommen die Besucher dazu ins Gespräch.
Horn: Die Welt wird immer komplexer. Wenn A gemacht wird, dann passiert B ist in vielen Bereichen einfach nicht mehr als Erklärung ausreichend. Komplexe Themen müssen auch mit komplexeren Methoden vermittelt werden. Das ist der Unterschied zwischen einem Exponat, das hinter Plexiglas verschlossen steht und einem, das ich anfassen kann und bei dem meine Interaktion auch Auswirkungen hat.
Interaktiv heißt also nicht zwingend digital?
Große-Ophoff: Nein, aber es kann digital und analog zusammen sein. Wir machen beispielsweise Planspiele für Klassen – vor allem für Leistungskurse oder anspruchsvollere Gruppen. Da holen sich die Teilnehmer die Fakten aus der digital-analogen Ausstellung. Das Planspiel selbst läuft aber hauptsächlich analog mit ganz klassischer Moderationstechnik auf Papier mit Filzstiften. Dabei versetzen sich die Mitspieler in bestimmte Rollen hinein: Einer ist der Bürgermeister, der andere von den Stadtwerken, der dritte jemand vom Umweltverband. Um das vorzubereiten, haben wir auch abgespeckt Versionen und Lehrmaterialien auf der Website. Damit können die Lehrkräfte den Besuch der Ausstellung vorbereiten.
Kann man das Planetarium auch analog ergänzen?
Horn: Das Planetarium ist erst mal 100% digital. Per Definition können wir keine Sterne anfassen und sie nur durch die digitale Reise, die Projektion, zeigen. Es gilt dann, Elemente zu finden, die man auf die Erde holen kann. Zum Beispiel werden wir 3-D-gedruckte Oberflächen von Planeten zeigen, damit die Kinder richtig per Hand über die Mondgrate streichen können. Der Meteorit in der Berliner Archenhold-Sternwarte ist auch so ein Stück Weltraum, das man richtig anfassen kann. Und man muss ihn auch anfassen, um zu verstehen, welche kosmischen Einflüsse auf die Erde einwirken, wenn er beim Eintritt in die Atmosphäre schmilzt, dann einschlägt und dabei vielleicht die Dinosaurier auslöscht.
Ist der Effekt von digitalen und analogen Mitmach-Exponaten gleich und gilt das für alle Altersgruppen?
Horn: Wir machen sehr gute Erfahrungen mit allen Altersgruppen. Unterschiede sehen wir eher in der Mediengewöhnung, die aber unabhängig ist von Alter oder sozialer Gruppe. Die Frage ist vor allem, ob die Grundausstellung, also das, was man anfassen kann, schon so reichhaltig ist, dass sie eine ganze Geschichte erzählt. So haben wir viele Sachen bisher gestaltet. Die digitalen Exponate waren eher ein Zusatz. Wenn der Strom ausfällt, hat man trotzdem eine tolle Erfahrung. Aber da müssen wir vielleicht umdenken, weil die Mediengewöhnung mittlerweile bei allen Gruppen ganz anders ist.
Große-Ophoff: Aus meiner Sicht funktionierten Exponate völlig unabhängig von der Altersgruppe, wenn sie nur intuitiv genug sind. Wenn man erst fünf Mal klicken muss, sind die Leute schon raus, egal wie alt sie sind. Sie sagen auch nicht: ‘oh, ich habe ein digitales Exponat benutzt’, sie benutzen es einfach. In unserem CO2-Supermarkt können sie beispielsweise Äpfel, Brot und Butter nehmen und diese mit einem Barcodescanner einlesen. Auf einem Bildschirm erscheint dann die CO2-Bilanz dieses Lebensmittels und weitere Informationen dazu. Am Ende können sie ihren Einkauf abschließen und bekommen einen Kassenbon mit ihrem persönlichen CO2-Wert und Tipps, wie sie zum Beispiel mit lokalem Obst ihre Bilanz verbessern können.
Das ist zwar ein digitales Exponat, der Besucher findet sich aber in einer analogen Alltagssituation wieder und hat am Ende einen Aha-Effekt. Der Zugang darf da ruhig spielerisch sein und manch einer wollte vielleicht schon immer mal so einen Scanner ausprobieren.
Das heißt, Exponate müssen unbedingt völlig ohne Erklärung funktionieren?
Horn: Man sagt ja: Schilder liest sowieso niemand und vor allem Jugendliche sind so viele gute Apps gewohnt, dass sie wirklich keine Erklärungen mehr lesen. An der California Academy of Sciences in San Francisco haben wir mal ein Spiel gemacht, bei dem virtuellen Käfern der Weg zum Essen gezeigt werden sollte. Es gab eine Erklärung mit 800 Zeichen, die aber nie jemand gelesen hat. Und tatsächlich haben die Kinder dann immer versucht, die Käfer totzutreten, anstatt sie anzuleiten. Das hat leider nicht so gut funktioniert.
Große-Ophoff: Bei solchen interaktiven Formaten machen wir deshalb immer einen Test. Wenn die Agentur mit dem Exponat fertig ist, laden wir eine Schulklasse ein und lassen sie ohne Erklärung auf das Exponat los. Dann sehen wir, wie sie damit interagieren und ob es irgendwo hakt. In 90 % der Fälle kann man Fehler dann recht leicht abstellen.
Horn: Ein anderes Beispiel ist unser Kuppelsystem. Die Fahrt durch das Weltall kann man auf drei Arten steuern: Die Mouse finden Jugendliche oft nicht so schön, den Joystick kennen sie gar nicht mehr, aber wenn ich denen den Xbox-Controller gebe, gehen sie damit intuitiv richtig um. Sie wissen einfach, dass die eine Seite die Bewegungsrichtung ist, die andere die Ausrichtung des Blickwinkels und mit ein bisschen Herumprobieren fliegen sie in zwei Minuten alleine durch das All. Echte Interaktion ist nur bei Exponaten möglich, bei denen es auch Feedback gibt, also etwas passiert.
Forschen Sie dazu, welche Vermittlungsformen funktionieren und welche nicht?
Große-Ophoff: Wir machen viel Begleitforschung zu unseren Ausstellungen, zum Beispiel über Bachelor- oder Masterarbeiten. Das ist eine sehr preisgünstige Möglichkeit und die meisten Arbeiten findet man in den Bibliotheken der Universität und der Hochschule Osnabrück, manche auch auf unserer Homepage.
Können interaktive Formate so auch den Zugang zu Bildung und zur Hochschulwelt erleichtern?
Große-Ophoff: Wir konnten Nachweisen, dass Besucher vier Wochen nach dem Besuch unserer Ausstellung noch mehr Wissen hatten, als vorher. Wenn es aber darum geht, ob wir auch das Handeln der Personen verändert haben, können wir das nicht nachweisen. Natürlich möchten wir mit unseren Projekten etwas auslösen. Aber da kann man die Ausstellung nicht als Einzelinstrument sehen. Wir müssen die Leute an verschiedenen Stellen und vor allem wiederholt ansprechen. Das geht beispielsweise mit vorbereitenden Unterrichtsmaterialien oder einem begleitenden Vortragsprogramm. Dabei habe ich mehrfach erlebt, dass Schüler sich intensiv mit den Forschern unterhalten haben, auch darüber, was sie am besten studieren sollten, wenn sie sich für ein Thema sehr interessieren. Eine Ausstellung ist dann nur ein Puzzlestein, ein Vortrag ein anderer. Es ist ein dickes Brett, das man bohrt, wenn man Einstellungen verändern möchte. Das kriegt man am besten über eine gestaffelte Ansprache hin und damit wären wir wieder beim Kommunikationskonzept. Man kann die Leute über die Presse auf ein Thema aufmerksam machen, ihnen dann in einer Ausstellung Hintergründe vermitteln und als drittes bei einer Veranstaltung mit ihnen ins Gespräch kommen. Alle diese Kommunikationsformen muss ich von Anfang an zusammen denken. Das Zauberwort heißt dann Vertiefungsebenen.