Wissenschaftskommunikation steht weiter auf der politischen Agenda. Nun haben auch die Grünen einen Antrag eingebracht. Anna Christmann, promovierte Politikwissenschaftlerin, innovationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und Mitglied im Forschungsausschuss des Bundestages, spricht über Inhalte und Ziele.
Antrag der Grünen: Drei Forderungen für die Wisskomm
Frau Christmann, heute wird im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung erneut über Wissenschaftskommunikation diskutiert. Auch von Ihrer Fraktion liegt ein Antrag vor, worum geht es Ihnen dabei?
Das Thema Wissenschaftskommunikation ist nicht zuletzt durch Corona derzeit relevant wie noch nie. Die ganze Republik folgt dem Drosten-Podcast im NDR und die Rolle von wissenschaftlicher Expertise ist aktuell so klar wie nie zuvor. Deshalb muss jetzt die Frage beantwortet werden, was vonnöten ist, um gute Wissenschaftskommunikation zu gewährleisten. Es gibt gegenwärtig viele Risiken, mit denen sich die Wissenschaftskommunikation konfrontiert sieht. Hier sehen wir ganz klar unsere politische Aufgabe, eine fundierte und starke Wissenschaftskommunikation zu finanzieren. Wir wollen nicht, dass sogenannte „Fake News“ und Verschwörungsmystiken die Debatten dominieren, sondern evidenzbasierte Entscheidungen in der Politik getroffen werden.
Politisch diskutiert wird das Thema ja bereits seit einiger Zeit. Sowohl das BMBF als auch die Koalition haben bereits Vorschläge gemacht. Wie unterscheidet sich Ihr Antrag von diesen?
Uns war es wichtig, vor dem Verfassen des Papiers die Anhörung im Wissenschaftsausschuss vor zwei Wochen abzuwarten, neue Impulse der Sachverständigen aufzunehmen und unsere Forderungen daraufhin zu priorisieren. Der wesentliche Unterschied zwischen den bisherigen Papieren und unserem Antrag ist die klare Priorisierung unserer Forderungen auf drei Punkte, bei denen wir die größten Handlungsbedarfe sehen.
Welche drei Bereiche sind das?
Zuerst einmal fordern wir eine klare Stärkung des Wissenschaftsjournalismus im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten, zweitens wollen wir Geld für Wissenschaftskommunikation innerhalb von Förderprogrammen bereitstellen und drittens ein Forschungsprogramm zur Wissenschaftskommunikation auflegen. Mit diesem sollen Erkenntnisse darüber erlangt werden, an welchen Stellen Wissenschaftskommunikation schon fruchtet und wo Nachbesserungen nötig sind.
Das sind drei neue Punkte, die wir stark machen wollen. Die bisherigen Vorschläge, insbesondere die der Koalitionsfraktionen, sind vor allem ein bunter Strauß des Lobes von bereits Bestehendem. Sie enthalten nur vorsichtige Punkte, was noch nötig sein könnte, aber nur wenige klare Vorschläge. Insbesondere vom Bundesforschungsministerium grenzen wir uns hinsichtlich der Position zum Wissenschaftsjournalismus sehr klar und deutlich ab. Die Aussage von Bundesministerin Karliczek, dass sie Wissenschaftsjournalismus keinesfalls von Bundesseite unterstützen möchte, hat mich sehr überrascht. Das halte ich für eine große Lücke ihres Programms.
Sie selbst sagen ja, dass man den Wissenschaftsjournalismus im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen fördern sollte. Wie kann dies gelingen?
Journalismus ist eine eigene Gewalt im Staat. Deshalb muss eine klare Unabhängigkeit von der Politik gewährleistet werden. Das kann mit Hilfe einer klar strukturierten möglichen Fördereinrichtung geschafft werden. Der Vorschlag der Wissenschaftspressekonferenz – diese schlägt eine Verbrauchsstiftung vor – geht in eine richtige Richtung, muss aber natürlich erst juristisch geprüft werden. Ich bin mir dennoch sicher, dass es möglich ist, Förderstrukturen zu schaffen, bei denen das Geld vom Staat kommt und gleichzeitig eine Unabhängigkeit gewährleistet werden kann. Eine solche Unabhängigkeit ist ja auch in anderen Bereichen, wie der Förderung von Wissenschaft, entscheidend. Wir bekennen uns klar dazu, dass wir in dieser Richtung etwas brauchen. Und damit sind wir eben in der Forderung auch deutlich klarer, als die Anträge der Koalitionsfraktionen und der Liberalen.
Sie fordern außerdem ein eigenes – mit 20 Millionen Euro ausgestattetes – Förderprogramm für Wissenschaftskommunikation durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Was soll dieses bewirken und wer soll gefördert werden?
Wir müssen anerkennen, dass gute Wissenschaftskommunikation Geld kostet und nichts ist, das man einfach nur so nebenbei macht. Deshalb das klare Bekenntnis dazu, für zusätzliche Arbeit zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, dass es dazu führt, dass Forscherinnen und Forscher, die Lust auf Kommunikation haben, sich Gedanken über neue Kommunikationsformate und -wege machen und diese dann auch beschreiten können. Da gibt es ja beispielsweise im Bereich der sozialen Medien viele unterschiedliche Möglichkeiten. Auch, wenn es darum geht, Zielgruppen zu erreichen, die vielleicht bisher noch nicht so viele Berührungspunkte mit Wissenschaft hatten. Hier sehe ich noch großes Potenzial und eine der großen zukünftigen Aufgaben der Wissenschaftskommunikation. Und gerade weil dies alles andere als einfach ist, sollte Wissenschaftskommunikation eben nicht nur Beiwerk sein.
Auch in der Forderung nach einem Förderprogramm gehen sie noch einen Schritt weiter als die bisherigen Anträge und Strategiepapiere es tun. Weshalb ist dies so wichtig und wie sollte so etwas aussehen?
Für die Ausgestaltung von Forschungsförderungsprogrammen gibt es viele Vorbilder und Erfahrungswerte. Ich denke, dass man hier sehr klassisch ein Programm aufsetzen könnte, bei dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewerben können, die dazu forschen, wie Wissenschaftskommunikation wirkt, wen sie erreicht und welche Formate und Aktivitäten funktionieren, welche nicht. Hier gibt es viele offene Fragen und ebenso viele Leute, die diese Fragen gerne beantworten würden. Doch dafür brauchen sie Förderung.
Weshalb ist es ausgerechnet jetzt Zeit, in diesem Bereich noch mal einzuwirken?
Die gesellschaftliche und mediale Situation ist eine ganz andere als vor 20 Jahren. Wir kriegen heutzutage sekündlich Informationen auf unterschiedlichen Kanälen zugespielt. In dieser Flut an Informationen noch eine Kommunikation über wissenschaftliche Ergebnisse hinzubekommen, die wahrnehmbar und interessant ist, das ist eine ganz neue und große Herausforderung. Deshalb ist es wichtig, sich nun noch stärker damit zu befassen. Auch deshalb, weil im Bereich der sozialen Medien und digitalen Kommunikation sicherlich noch Luft nach oben ist und hier noch viel gelernt und entwickelt werden kann – allgemein, aber eben auch im Bereich der Wissenschaft.
Außerdem sind in den letzten Jahren sehr viele Institutionen und Einrichtungen neu entstanden, wie beispielsweise das Science Media Center. Diese Einrichtungen zu stärken, aber auch zu evaluieren, was gut funktioniert, was nicht, zu schauen, wie man sie dabei unterstützen kann, neue Dinge auszuprobieren, das alles ist ein natürlicher Prozess.
Antje Boetius hat in Ihrer Rolle als Lenkungsausschussvorsitzende von Wissenschaft im Dialog betont, dass man diese bestehenden Einrichtungen auch langfristiger fördern muss. Wie stehen Sie dazu?
Es ist auf jeden Fall wichtig und uns auch ein Anliegen, die bestehenden Einrichtungen zu stärken und langfristiger zu fördern. Die bestehenden Einrichtungen müssen, dort wo sie sich bewährt haben, aus unserer Sicht verstetigt werden. Das Haus der kleinen Forscher ist ein Beispiel dafür, eines, bei dem zum Glück Konsens herrscht. Darüber hinaus geht es aber auch darum, die Wissenschaftskommunikation innerhalb der gesamten Wissenschaft zu stärken.
Erleben Sie denn, dass die Wissenschaft sich äußern will?
Ich erlebe da schon einen Wandel. Es gibt sicherlich eine alte Schule, in der Kommunikationsaktivitäten insbesondere mit der Presse immer noch kritisch beäugt werden. Aus meiner Sicht nimmt diese Ansicht aber ab und ich erlebe immer mehr, dass Wissenschaft auch deshalb gemacht wird, um sie zu diskutieren und weil man sich in gesellschaftliche Debatten einbringen möchte. Dafür ist Corona ein wunderbares Beispiel. Hier sehen wir, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich öffentlich äußern und ihre Ergebnisse zum Diskurs stellen. Dabei sieht man auch die Differenzen zwischen unterschiedlichen Expertinnen und Experten. Aber das halte ich für positiv, denn so wird sichtbar, wie Wissenschaft funktioniert und gute Wissenschaftskommunikation sollte dies verdeutlichen. Alle Wissenschaftsorganisationen haben sich da bereits in den vergangenen Jahren deutlich stärker aufgestellt.
Als das BMBF-Papier herauskam, war einer der Kritikpunkte, dass nicht jede Forscherin und jeder Forscher kommunizieren möchte und kann. Kann man Leute dazu verpflichten?
Nein, ich denke es ist nicht das Ziel, alle Forscherinnen und Forscher zur Kommunikation zu zwingen. Das ist in der Debatte sehr deutlich geworden. Wir schlagen deshalb ein Budget vor, auf das Forschende sich bewerben können, wenn sie kommunizieren möchten. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist, um eine neue Dynamik in diesem Bereich zu entwickeln. Wer nicht kommunizieren möchte, den kann und sollte man dazu nicht zwingen. Es geht vielmehr darum, diejenigen, die kommunizieren möchten, dazu zu befähigen – und davon gibt es immer mehr.
Der Antrag beinhaltet einige Vorschläge, die durchaus Geld kosten. Gibt es das Geld denn?
Die Beträge, die wir vorschlagen, sind eher klein im Verhältnis zur sonstigen Förderung der Forschung. Das Geld ist für das Ministerium zu stemmen. Der Vorschlag für die Stiftung, der auf dem Tisch liegt, beläuft sich auf zehn Millionen Euro für zehn Jahre. Das sind keine großen Summen. Zumal die Wissenschaftskommunikation in den letzten Jahren eher kläglich finanziert wurde und keine relevanten Aufwüchse hatte.
Sie kritisieren im Antrag insbesondere das BMBF dafür, dass bisher zu wenig umgesetzt wurde. Worauf beziehen Sie Ihre Kritik?
Wir haben bei der Ministerin Karliczek schon öfter erlebt, dass große Dinge angekündigt wurden und in der Umsetzung am Ende nur wenig dabei herumkommt. Im Bereich der Wissenschaftskommunikation finde ich es erstaunlich, dass sie diesen zu einem der zentralen Schwerpunkte ihrer Legislaturperiode gemacht hat, dann aber nur ein relativ überschaubares Konzept herausgekommen ist. In diesem stehen nur wenige konkrete Dinge, abgesehen von einem angestrebten Dialog mit den Chefinnen und Chefs der Wissenschaftseinrichtungen in der sogenannten #factorywisskomm. Der Förderung von Wissenschaftsjournalismus hat sie gleich eine komplette Absage erteilt. Das ist schon eine große Diskrepanz zwischen Ankündigung und Umsetzung.
Was erhoffen Sie sich folglich von ihrem Antrag?
Mir scheint, es ist im Parlament und bei den Koalitionsfraktionen nun angekommen, dass nach der Ankündigung von Ministerin Karliczek nicht viel passiert ist, also Handlungsbedarf besteht. Das freut mich erst einmal und ich finde es gut, dass es hier in vielen Bereichen auch Konsens gibt, bestimmte Dinge anzugehen. Ob es noch diese Legislaturperiode gelingt, dahinter steht für mich ein Fragezeichen. Ich glaube aber, dass es eine gute Chance gibt, dass es in den nächsten Jahren und spätestens in einem neuen Koalitionsvertrag gelingt, einige dieser Forderungen umzusetzen. Wir würden natürlich auch gerne in einer neuen Regierung unseren Beitrag dazu leisten.
Es geht Ihnen ja darum, gute Wissenschaftskommunikation zu betreiben, was ist denn gute Wissenschaftskommunikation?
Richtig gute Wissenschaftskommunikation erreicht verschiedene Zielgruppen. Zu diesen gehören politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, aber eben auch eine breite Öffentlichkeit und damit sowohl das Bildungsbürgertum, als auch Menschen, die sonst eher wenig mit Wissenschaft in Kontakt kommen, vor allem auch junge Menschen. Wissenschaftliche Inhalte für diese Zielgruppen ansprechend aufzubereiten, sodass sie von ihnen auch wahrgenommen werden, sollte wesentliches Ziel guter Wissenschaftskommunikation sein.
Selbst wenn es Wissenschaft gelingt, fachliche Expertise kurzfristig bereitzustellen, muss Politik diese Expertise auch einordnen und aufnehmen können. Eine Regierung tut der Wissenschaftskommunikation einen Bärendienst, wenn sie diese Expertise nicht wenigstens ernsthaft diskutiert. Wir müssen die Debatten darüber, welche Expertise in welche Entscheidungen weshalb einfließt oder auch nicht, von politischer Seite offener und transparenter führen.
Ist die Politik schon bereit, dies auch zu tun?
Mein Eindruck ist, dass es immer mehr Bereitschaft gibt, gerade in Zeiten von Corona. Allerdings sehen wir auch immer noch Beispiele, wo die eigene Position politisch so festgelegt ist, dass es schwer fällt, über andere Sichtweisen nachzudenken und sie zu reflektieren. Das gilt nicht nur für andere Parteien, sondern auch für meine eigene. Eine politische Position zu überdenken, wenn man sie für lange Zeit vertreten hat, ist, auch wenn es neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft gibt, immer eine Herausforderung. Ich denke, da können wir alle uns noch etwas verbessern und dazulernen.