Welche Fähigkeiten brauchen Forschende, um eigenständig Wissenschaftskommunikation zu betreiben? Claudia Frick und Melanie Seltmann bündelten wichtige Kompetenzen in einem „Referenzrahmen“, der künftig Unterstützung bieten soll. Im Gastbeitrag sprechen sie über den Inhalt und ihre Entscheidung, den Text öffentlich zur Diskussion zu stellen.
„Alle Perspektiven sind willkommen und wertvoll“
Soziale Medien ermöglichen Forschenden einen immer leichteren Einstieg in die eigenständige Wissenschaftskommunikation – also jene Wissenschaftskommunikation, die unabhängig von Institutionen oder anderen vermittelnden Instanzen wie dem Wissenschaftsjournalismus stattfindet. Wer die eigene Forschung mit der Öffentlichkeit teilen möchten, kann im Prinzip sofort loslegen. Es bedarf jedoch bestimmter methodischer, technischer und sozialer Kompetenzen, um diesen Austausch nicht nur anzustoßen, sondern aktiv in ihn einzutreten und ihn zu begleiten. Manche sind dabei Naturtalente, andere nicht. In jedem Fall gilt, dass diese Kompetenzen bisher nur selten Teil der wissenschaftlichen Ausbildung sind und noch nicht strukturiert erfasst und dargestellt wurden. Die Idee, diese Lücke zu schließen und diese wertvollen Kompetenzen zu erfassen und darzustellen, kam uns bereits vor etwa zwei Jahren. Gleichzeitig fragten wir uns, wie Forschende eigentlich selbst bewerten könnten, wie gut es um ihre Kompetenzen in diesem Bereich steht und was noch alles möglich wäre. Aus der Vielzahl von Angeboten, die es mittlerweile gibt, um die eigene Wissenschaftskommunikation zu verbessern, möchte man jene auswählen, die einen persönlich weiterbringen – sei es objektbezogen auf eine bestimmte Plattform oder ein konkretes Format oder eher prozessbezogen auf die Entwicklung und Gestaltung der eigenen Wissenschaftskommunikation. Eine gute Selbsteinschätzung, aber auch eine Einordnung der Angebote ist hier wichtig.
Wir machten uns also daran, all diese Kompetenzen in vielen Brainstorming-Sitzungen aus vielen Quellen und eigenen Erfahrungen in einem unendlich langen GoogleDoc zusammenzutragen und bündelten sie in dem ersten Entwurf eines Referenzrahmens für eigenständige digitale Wissenschaftskommunikation[1].
Warum sind da so viele Tabellen?
Wer einen Blick in diesen ersten Entwurf wagt, stellt fest, dass wir ihn in zehn Teilkompetenzen strukturiert haben, die jeweils in einer Tabelle dargestellt werden:
- Impulse geben
- Plattform nutzen
- Einheit produzieren
- Community managen
- Kanal konzipieren
- Rolle leben
- Zielgruppe erreichen
- Ton treffen
- Wissenschaft öffnen
- Selbstschutz betreiben
Die Niveaustufen jeder Teilkompetenz reichen dabei von passiven Kompetenzen über aktive Kompetenzen bis hin zu interaktiven Kompetenzen und bauen meist aufeinander auf. Damit man den Wust an Tabellen besser versteht und nicht ganz so erschlagen wird, haben wir den Referenzrahmen um drei Anwendungsbeispiele ergänzt.
Wenn wir “Community managen” exemplarisch herausgreifen, konzentrieren sich die passiven Kompetenzen darauf, die Dialoge anderer zu verfolgen, eigene Umgangsregeln zu entwickeln und handelnde Personen zu erkennen. Für einen Youtube-Kanal kann das bedeuten, dass man mitverfolgt, was in den Kommentaren diskutiert wird, feststellt, wer sich wie an der Diskussion beteiligt und für sich entscheidet, ob, wie und auf welche Kommentare man reagieren möchte. Bei den aktiven Kompetenzen geht man hingegen selbst voran, nimmt Kontakt mit Agierenden auf und bezieht deren Ideen und Kompetenzen ein. Für das Beispiel mit dem Youtube-Kanal kann das bedeuten, dass man aus wertvollen Kommentaren Inspiration für neue Videos zieht, die Kommentierenden um mehr Material bittet oder gar einen eigenen Community-Space, zum Beispiel in Form eines Discord-Servers eröffnet. Die interaktiven Kompetenzen richten sich dann darauf, mehr an die Community abzugeben, indem diese Gastbeiträge erstellen darf und sich selbst mit managen lässt, also zum Beispiel die Youtube-Kommentare nach gemeinsam definierten Regeln mitmoderieren lässt.
Wir haben immer wieder kritisch unsere Herangehensweise hinterfragt, reflektiert und wissen, dass auch gänzlich andere Ansätze denkbar wären und sind uns sicher, dass eine Restrukturierung und Rekontextualisierung der vorgestellten Kompetenzen möglich ist. Weil wir nur zu zweit sind und Wissenschaftskommunikation viel mehr Perspektiven zu bieten hat und braucht, haben wir deutlich Abstand davon genommen, unseren ersten Entwurf als Endergebnis aufzufassen oder zu präsentieren. Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation sind Diskurs, deshalb wollten wir auch den Referenzrahmen zum Diskurs stellen und erhoffen uns eine rege Diskussion.
Umso schwieriger gestaltete sich damit aber die Frage, wo wir den Referenzrahmen veröffentlichen und zur öffentlichen Diskussion stellen wollen und können. Wir begaben uns auf die Suche nach Zeitschriften und Plattformen, die ein Open Peer Review anbieten und moderieren. Das gestaltete sich gleich doppelt schwierig, da der Referenzrahmen sehr bewusst auf Deutsch verfasst ist. Auch diese Entscheidung haben wir immer wieder infrage gestellt, aber am Ende betrachten wir deutschsprachige Wissenschaftskommunikation. Vieles lässt sich sicherlich auf Wissenschaftskommunikation in anderen Sprachen und vor allem anderen Regionen übertragen, da wir selbst jedoch bisher nur Wissenschaftskommunikation im DACH-Raum betrieben haben und betreiben, fühlen wir uns auch nur kompetent über diese Region zu sprechen.
Wer redet wo mit?
Nach einigen Überlegungen kamen wir zum Entschluss, den Referenzrahmen als Working Paper in der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften (ZfdG) zu veröffentlichen – wohl wissend, dass wir nicht nur geisteswissenschaftliche Wissenschaftskommunikation betrachten. Da der Forschungsbereich Wissenschaftskommunikation jedoch ein Teilbereich sowohl der Kommunikationswissenschaft als auch der Informationswissenschaft ist, gehört er zweifelsohne in die Geisteswissenschaften. Bei der ZfdG handelt es sich um ein digitales Journal, das Open Access publiziert wird und verschiedene Reviewverfahren anbietet. Sowohl beim Open Peer Review als auch beim Open Public Peer Review wird eine erste Version veröffentlicht, die dann anhand von Reviews überarbeitet wird. Da uns die Stimme der Community wichtig ist – schließlich können die, die Wissenschaftskommunikation betreiben, unterstützen oder begleiten, am besten abschätzen, ob sich ihre Beobachtungen mit dem Beschriebenen decken – haben wir uns für ein Open Public Peer Review entschieden.
Wie geht es weiter?
Die bisherigen Reviews und Kommentare liefern uns bereits einige Ideen, wie der Referenzrahmen für die zweite Version erweitert und verändert werden kann. Auch wenn viele Autor*innen noch mit dieser offenen Art des wissenschaftlichen Feedbacks hadern, ist es für uns ein sehr positives Erlebnis zu sehen, dass die Community sich auf unsere Gedanken einlässt und sie weiterdenkt. Bisher haben sich vor allem von uns direkt angesprochene Personen am Open Public Peer Review beteiligt. Wir hoffen jedoch noch auf viel Beteiligung von Personen auch außerhalb unserer beiden Bubbles, insbesondere auch von Menschen, die aktiv Wissenschaftskommunikation in diversen Disziplinen betreiben oder unterstützen. Alle Perspektiven sind willkommen und wertvoll, von Forschenden über Wissenschaftsjournalismus und Institutionen bis hin zur allgemeinen Öffentlichkeit. Vielleicht entstehen so auch unter den einzelnen Kommentaren eigenständige Diskussionen rund um unterschiedliche Perspektiven. Für die Partizipation am Open Public Peer Review besteht noch bis 18. August die Möglichkeit, direkt auf der Seite der ZfdG.
[1] Frick, C., & Seltmann, M. (2023). Referenzrahmen für eigenständige digitale Wissenschaftskommunikation durch Forschende (1.0). Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften. Working Paper 3. https://doi.org/10.17175/wp_2023b
Die redaktionelle Verantwortung für diesen Gastbeitrag lag bei Sabrina Schröder. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.