Ob offener Brief, Blogbeitrag oder Social Media – auf vielen Kanälen diskutierten Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen über die Kleine Anfrage der Unionsfraktion zur Neutralität von staatlich geförderten Organisationen. Ein Einblick in die Debatten.
„Äußerst besorgniserregend“ – Reaktionen auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU
Die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur politischen Neutralität von staatlich geförderten Organisationen wurde in den vergangenen Wochen kontrovers diskutiert. Die Unionsfraktion reagierte damit auf Proteste gegen die CDU im Wahlkampf, die laut Drucksache teilweise von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden. Die Fraktion warf unter anderem die Frage auf, inwieweit sich gemeinnützige, mit Steuergeldern geförderte Vereine parteipolitisch engagieren dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu riskieren. Viele Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen kritisierten die Kleine Anfrage auf verschiedenen Kanälen.
Die meiste Aufmerksamkeit erhielt ein offener Brief, den am 4. März rund 1.700 Wissenschaftler*innen unterzeichneten. Mittlerweile (Stand 11. März) unterschrieben rund 2.080 Wissenschaftler*innen diesen offenen Brief. Die Forscher*innen nähmen die Kleine Anfrage „mit großer Besorgnis“ zur Kenntnis: „In Zeiten globaler Verwerfungen und verstärktem Misstrauen gegenüber der Demokratie, in denen die demokratische Zivilgesellschaft so wichtig wie nie ist, erkennen wir einen konfrontativen Unterton in der Kleinen Anfrage und deuten dies als ein alarmierendes Signal.
Es werde suggeriert, dass die genannten zivilgesellschaftlichen Organisationen in unzulässiger Weise Einfluss auf die politische Willensbildung in der Bundesrepublik nähmen, dass ihrer Arbeit ein Makel anhafte oder dass sie eine schädliche Wirkung hätten. Dabei sei das Gegenteil der Fall, sie seien eine ‚tragende Säule demokratischer Willensbildung‘“.
Der Initiator des offenen Briefes und Professor für Soziales Recht an der Hochschule RheinMain, Maximilian Pichl, führt diese Sorge in einem Interview weiter aus: Die Forschung zeige, dass die demokratische Zivilgesellschaft vor dem Hintergrund autoritärer Mechanismen immer zuerst unter Druck gerät.
Eine ausführliche Analyse zur Rechtmäßigkeit der Kleinen Anfrage hat Sophie Schönberger auf der Plattform Verfassungsblog.de veröffentlicht. Die Rechtswissenschaftlerin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hält es für problematisch, dass in der parlamentarischen Anfrage das Narrativ vom „Tiefen Staat“ oder „Deep State“ auftaucht. Ein Narrativ, das häufig in verschwörungsideologischen Kreisen verwendet werde. Aus ihrer Sicht hätte die Bundestagspräsidentin die Anfrage in dieser Form zurückweisen müssen, um die Grundrechte der betroffenen Organisationen zu schützen. Eine Kleine Anfrage sei ein wichtiges Kontrollrecht der Opposition, um die Regierung zu überprüfen. Sie sei aber nicht dazu da, gesellschaftliche Akteure zu kontrollieren. Darauf zielten aber viele Fragen der Kleinen Anfrage ab. Die Anfrage stelle Fragen, die gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung fielen und daher auch nicht Gegenstand einer Kleinen Anfrage sein könnten.
WPK solidarisiert sich mit angegriffenen Vereinen
Mit Bestürzung hat der Vorstand der Wissenschaftspressekonferenz das Vorgehen der Unionsfraktion im Rahmen einer parlamentarischen Kl. Anfrage gegen gemeinnützige Vereine in Deutschland zur Kenntnis genommen.
Stellungnahme:
wpk.org/blog/wissens…— WPK – Die WissenschaftsjournalistInnen (@wpk.bsky.social) 28. Februar 2025 um 12:19
Die Wissenschaftspressekonferenz (wpk) hat die Kleine Anfrage „mit Bestürzung“ zur Kenntnis genommen. Dass sich auch Netzwerk Recherche e.V., Correctiv und die Neuen deutschen Medienmacher*innen unter den zu überprüfenden Organisationen befinden, wertet der Vorstand der wpk als „Einschüchterungsversuch und indirekten Angriff auf die Pressefreiheit“.
In den sozialen Medien diskutierten Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen über die Kleine Anfrage, aber auch den offenen Brief der Wissenschaftler*innen.
Amrei Bahr, Juniorprofessorin für Philosophie an Universität Stuttgart, findet die Anfrage „äußerst besorgniserregend“. Sie setze die unter Druck, die die Demokratie schützen, dabei müsse das Gegenteil passieren. Daher habe auch sie den offenen Brief unterzeichnet.
Wehrhafte Demokratie braucht Zivilgesellschaft, die sich für sie einsetzt & sie aktiv lebt. Die Kleine Anfrage der Union ist insofern äußerst besorgniserregend: Sie setzt die unter Druck, die die Demokratie schützen. Dabei muss das Gegenteil passieren! Auch ich hab unterzeichnet.⬇️ #LauteWissenschaft
— Amrei Bahr (@amreibahr.bsky.social) 4. März 2025 um 13:12
Volker Hahn hingegen findet es problematisch, dass die Unterzeichner*innen den offenen Brief in ihrer Rolle als Wissenschaftler*innen und nicht als Bürger*innen unterschrieben haben. Der Leiter der Kommunikation beim Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) argumentiert, dies schüre die Gefahr einer Polarisierung des Vertrauens in Wissenschaftler*innen.
Alexandra Lieb, Forscherin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg widerspricht und findet es„befremdlich [,] wissenschaftlich denkenden Menschen das Recht zur Nutzung ihres Denkvermögens und zur gesellschaftlichen Stellungnahme abzusprechen.“
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Weniger an der politischen Positionierung, als an der Berichterstattung über den offenen Brief stört sich Holger von Jouanne-Diedrich. Die Berichterstattung in den Medien suggeriere, dass Wissenschaftler*innen der Kleinen Anfrage der Unionsfraktion größtenteils kritisch gegenüberstehen würden. Er selbst habe den offenen Brief nicht unterzeichnet, weil er das Instrument der Kleinen Anfrage als Ausdruck von funktionierender Demokratie und Instrument der Transparenz ansehe.
Der Professor an der Hochschule Aschaffenburg schreibt weiter, schon der „Anschein, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht“, könne die Demokratie schwächen. Diese Anfrage sei geeignet, diesen Verdacht auszuräumen.
Unter Jouanne-Diedrichs Beitrag sammeln sich über 300 Kommentare. Darunter teilweise Zustimmung, etwa von Günter Schuh, Professor an der RWTH Aachen: „Ich habe den offenen Brief auch nicht unterzeichnet. Eine „kleine Anfrage“ ist die Inkarnation von Demokratie.Komisch ist, wer sich dieser Transparenzmachung nicht stellen will“.
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Martin Cichon, Professor am Karlsruher Institut für Technologie, wertet die Unzufriedenheit auf allen Seiten als Ausdruck des funktionierenden Rechtsstaats: „Die unzufriedene @CDU lässt die Geldflüsse zu #NGOs überprüfen, die NGOs sind deswegen unzufrieden und mögliche Profiteure der möglicherweise zu Unrecht geförderten NGOs beschweren sich ebenfalls. Alles gut.“
Thomas Beschorner hingegen sieht in dem Post von Jouanne-Diedrich ein Missverständnis. Dass das Instrument der Kleinen Anfrage ein Ausdruck funktionierender Demokratie ist, würde von den Wissenschaftler*innen in ihrem offenen Brief nicht bestritten. Den Wissenschaftler*innen ging es in ihrem offenen Brief um den Kontext und die Rhetorik der Anfrage, etwa den „konfrontativen Unterton“. In einem weiteren Post zitiert der Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen „Die Anfrage suggeriert, dass staatlich geförderte Organisationen einer Neutralitätspflicht unterliegen, die sich aus der Neutralitätspflicht des Staates ableitet“. Dies sei verfassungsrechtlich nicht haltbar.
Wann erhält die Unionsfraktion eine Antwort auf die 551 Fragen? Nach einem Bericht der Rheinischen Post befindet sich das federführende Bundesfinanzministerium in der „finalen Phase“ der Bearbeitung.