Philosophen und Linguisten kommen zwar immer wieder in den Medien vor, doch für ihre Forschung interessiert sich kaum jemand. Das müsste man ändern, sagen einige Dutzend Teilnehmer der WissensWerte in Darmstadt. Noch tun sich die Geisteswissenschaften aber schwer mit Positionierungen und hängen an der Komplexität ihrer Themen.
#WW17: Geisteswissenschaften – (k)ein Fall für das Feuilleton?
Wenn man im Deutschen zwei Wörter zusammenfügt, bekommt das eine manchmal einen höheren Stellenwert als das andere. Man sieht das sehr schön beim Wort „Gurkensalat“, in dem der zweite Wortbestandteil „Salat“ bestimmt, worum es sich handelt. Dreht man das Wort um, gewinnt der Bestandteil „Gurke“ die Oberhand: Eine Salatgurke ist bloß eine Gurke und kein Salat. Sprachen unterscheiden sich darin, welcher Bestandteil in Wörtern das Sagen hat, welcher also der Kopf ist. Im Deutschen ist es typischerweise der zweite Teil, aber – wie man beim Wort „nasskalt“ bemerken kann – gilt das nicht durchgehend. Wie ist es um die „Köpfigkeit“ des Deutschen bestellt? Kann man einem Computer die Regeln, die jeder Muttersprachler kennt, beibringen?
In Berlin fand vor einigen Monaten eine internationale Konferenz zu dieser Frage statt. Journalisten nahmen davon wenig Notiz. Zu recht? Auf der Tagung WissensWerte in Darmstadt war das Votum gespalten. Zunächst einmal weiß niemand aus dem Stand, worum es beim Thema Köpfigkeit geht. Hätte man dem Thema eine Chance gegeben und recherchiert, worum es geht? Vermutlich nicht. So sei es oft, klagt die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich von der Technischen Universität Darmstadt. Sie werde nur zu allgemeinen Themen wie dem „Unwort des Jahres“ befragt, weil sie Sprecherin der Jury ist. Sie müsse dann das Wort an eine Tafel schreiben und werde vor ihrem Bücherregal fotografiert. Aber für ihre Forschung interessiere sich niemand, berichtet sie.
Einige der Journalisten und Kommunikatoren verteidigen diese Haltung: Die Geisteswissenschaften gehören ins Feuilleton und sie werden – wie etwa die Bioethik – schon heute gut abgedeckt. Doch eine überraschend große Gruppe von mehreren Dutzend Teilnehmern zeigt ein Herz für Philosophie, Linguistik & Co. Repräsentativ für die Branche ist das sicher nicht; die Teilnehmer wurden vermutlich vom Thema der Session angezogen: „O Geisteswissenschaften, Where Art Thou?“. Aber eindrucksvoll ist die Beteiligung allemal.
„Die reden so komisch“
Woran liegt es dann, dass so wenig über geisteswissenschaftliche Forschung berichtet wird?, wollen die beiden Moderatoren, die Berliner Journalisten Kerstin Hoppenhaus und Kai Kupferschmidt, wissen. Sie konfrontieren Nina Janich mit einem Auszug aus ihrer Homepage. Dort steht: „Das beantragte Projekt soll … diskurslinguistisch auf den Erkenntnissen eines früheren Projekts … zur Versprachlichung von wissenschaftlichem Nichtwissen in journalistischen und wissenschaftsexternen Texten [aufbauen].“ Haben Sprachwissenschaftler und ihre Kollegen nicht gelernt, sich allgemeinverständlich auszudrücken? Janich verteidigt sich: Die Website richte sich vor allem an Kollegen. Doch – unter Applaus – kündigt sie an: „Ich überlege, das zu ändern.“
Janich berichtet aber auch von der Zurückhaltung vieler Kollegen, auf die Medien zuzugehen: „Wenn nach dem Vortrag ein Zuhörer sagt, das es verständlich war, dann hat man gleich Angst, dass es nicht substanziell genug war.“ Außerdem täten sich Geisteswissenschaftler schwer mit Positionierungen. Sie sagen lieber: „Das kommt darauf an.“ Alles andere werde der Komplexität der Materie nicht gerecht. Die Journalisten und Kommunikatoren im Publikum nennen noch weitere Hürden: In vielen Redaktionen würden nur empirische Wissenschaften mit Daten und Statistik ernst genommen. Psychologen und quantitativ arbeitende Soziologen und Sprachwissenschaftler gehören dazu; alle anderen Disziplinen haben in den Augen dieser Journalisten wenig zu bieten. Zudem würden es die Geisteswissenschaftler versäumen, ihre Themen als alltagsnah und gesellschaftlich relevant zu präsentieren: Naturwissenschaftler helfen, den Klimawandel zu stoppen. Doch was tragen die Geisteswissenschaftler bei?
Hier zeigt sich vielleicht ein zentrales Vorurteil, denn die Geisteswissenschaftler könnten antworten: „Auch wir helfen, den Klimawandel zu stoppen.“ Sie untersuchen schließlich, wie Staaten kooperieren und wann Menschen ihr Verhalten ändern. Ihre Erkenntnisse könnten beitragen, die diplomatischen Verwicklungen zu verstehen und Kompromisslinien vorzuzeichnen. Doch diese Antwort wird auch bei der Diskussion in Darmstadt nicht formuliert. Viele können sich offenbar nicht ausmalen, wie leistungsfähig die Geisteswissenschaften sein können.
Alexander Mäder ist Mitglied des Programmbeirats der WissensWerte und des Mitveranstalters WPK. Er hat Philosophie studiert.