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#WW17: Der Hase und die Fake News

  1. Erfundene Nachrichten sind schneller in die Welt gesetzt, als man sie widerlegen kann. Aber sollten Journalismus und Wissenschaft sie überhaupt ernst nehmen? Das Thema am ersten Tag bei der WissensWerte in Darmstadt.


Vor einigen Jahren hat ein Polizeireporter der Berliner Zeitung den Wikipedia-Eintrag zur Karl-Marx-Allee in Ost-Berlin bearbeitet. Er schrieb, dass die Prachtstraße, die von 1949 bis 1961 Stalinallee hieß, im Berliner Volksmund auch als Stalins Badezimmer bezeichnet worden sei –wegen der gefliesten Fassaden auf beiden Seiten des Boulevards. Drei Jahre später bekannte sich der Journalist zu der Manipulation, die inzwischen aber schon von einigen Websites und Touristenführern übernommen worden war. Der Recherchetrainer Albrecht Ude hat geprüft, ob der Polizeireporter die Manipulation erfunden haben könnte, berichtet aber, dass er auf Google keine Bezeichnung der Straße als Stalins Badezimmer gefunden habe, die älter war als die Erwähnung in der Wikipedia. Die Geschichte kann also stimmen. Wie viele Fehler mag Wikipedia noch enthalten, weil sich die Urheber nicht zu erkennen gaben?, fragt Ude auf der WissensWerte in Darmstadt, der jährlichen Konferenz für Wissenschaftsjournalismus.

Stefan Voß, der bei der Deutschen Presseagentur (dpa) die Abteilung Verifikation leitet, gibt ein aktuelleres Beispiel: Beim Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum in München vor anderthalb Jahren wurden der Polizei über die Nummer 110 insgesamt 71 Mal falsche Tatorte genannt. Das habe nicht nur Ressourcen der Polizei gebunden, sondern auch der Medien, berichtet Voß. Journalisten müssten daher in der Lage sein, schnell und zuverlässig falsche Behauptungen zu entlarven, bevor sie von anderen aufgenommen werden und am Ende vielleicht nicht mehr zurückzuholen sind.

Journalisten empfehlen: Trollen entgegentreten …

Diesen Bedarf wird wohl niemand bestreiten, und die Diskussion wandte sich in Darmstadt einer anderen Frage zu: Was tun, wenn man auf falsche Behauptungen stößt? Eine Möglichkeit ist, solche Nachrichten als „false news“ zu kennzeichnen (im Englischen „Flagging“ genannt), wie es Facebook – nach Hinweisen von kooperierenden Redaktionen – tut. Das Recherchenetzwerk Correctiv, das zu dieser Prüfinitiative gehört, zitiert einen Facebook-Manager mit der Aussage, dass die Reichweite einer falschen Nachricht nach der Kennzeichnung um 80 Prozent sinke. In Darmstadt wird das Flagging aber in Zweifel gezogen. Das „Debunking“, also das Entlarven der Falschmeldung in einem eigenen Beitrag, wird hingegen ausführlich diskutiert. Der Philosoph Daniel Dennett hat Benimmregeln für den intellektuellen Austausch formuliert. Die erste lautet: „Du solltest die These deines Gegners so klar, anschaulich und fair darstellen, dass dein Gegner beim Lesen denkt: ‚Ich wünschte, ich hätte es so ausdrücken können.‘“

Doch bei „Fake News“ gelten andere Regeln. Die Gefahr beim Widersprechen ist nämlich, dass sich die Leser am Ende nur noch an die falsche Behauptung erinnern könnten und nicht mehr an die Widerlegung. Eine neue Metaanalyse aus den USA warnt zudem: Wenn sich Menschen mit den Gründen für eine falsche Behauptung beschäftigen, haben sie später Schwierigkeiten, eine Widerlegung zu akzeptieren. Miriam Stumpfe vom Bayerischen Rundfunk warnt daher davor, sich an falschen Behauptungen abzuarbeiten. Als Beispiel nennt sie den Kinofilm „Vaxxed“, der die alte und längst widerlegte These aufwärmt, dass Impfungen Autismus auslösen könnten. Wer – wie es das Bundesgesundheitsministerium versucht hat – dem Film entgegentritt, sollte nicht die Frage aufwerfen, ob Impfungen etwas mit Autismus zu tun haben könnten. „Damit läuft man in eine Falle“, sagt Stumpfe.
Stattdessen solle man eine andere Geschichte erzählen.

… und Leser nicht ohne Fazit entlassen

Doch was, wenn die Fehler in den Redaktionen entstehen? Könnten schlampige Recherchen und eine arrogante Fehlerkultur gar den „Lügenpresse“-Vorwurf fördern? Martin Schneider, der Vorsitzende des Berufsverbands der Wissenschaftsjournalisten (WPK), zitiert Zahlen aus neueren Umfragen: Im Wissenschaftsbarometer der Initiative „Wissenschaft im Dialog“ waren 18 Prozent der Befragten in Deutschland nicht sicher, ob der Klimawandel durch die Menschen und ihr Handeln verursacht werde. Und 30 Prozent zweifelten daran, dass Kinder zu impfen mehr nützt als schadet. Die Skepsis ist bei den Medien noch größer als bei der Wissenschaft: Nur eine knappe Mehrheit der Befragten hält Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für glaubwürdig. „Die skeptische Minderheit ist erschreckend groß“, kommentiert der Kommunikationswissenschaftler Volker Lilienthal von der Universität Hamburg, „und sie kann noch wachsen.“

Wie es dazu kommt und was sich dagegen tun lässt, bleibt auf der WissensWerte im Dunkeln. Die Diskussion dreht sich bald um die Frage, wie man mit Trollen und Kommentatoren umgeht, die einem auf absurde Weise widersprechen. Max Rauner vom Magazin Zeit Wissen rät aus seiner Erfahrung dazu, sich als Autor in der Kommentarspalte zügig einzuschalten und im freundlichen Ton die Recherche und die Quellen weiter zu erläutern. Das verbessere das Diskussionsklima. Volker Lilienthal ergänzt einige Bedingungen, mit der sich eine vernünftige Medienkritik von der pauschalen „Lügenpresse“-Ablehnung abgrenzen könne: Die Kritik dürfe nicht verallgemeinern und sie sollte auf einen besseren Journalismus abzielen.

Diskutiert wird auch über die Frage, was Journalisten tun sollten, wenn es keinen wissenschaftlichen Konsens gibt. Einfach nur beide Seiten darstellen und dem Leser das Urteil überlassen? Damit machten es sich Journalisten zu einfach, finden die Diskutanten. Man müsse der Sache schon auf den Grund gehen. Doch eine Pressesprecherin im Publikum berichtet auch von ihrer Erfahrung, dass manche Journalisten zu ehrgeizig seien und eine noch offene Fachdebatte selbst zu Ende führen wollten. Manchmal, so ihr Votum, müsse man mit der Wissenschaft Geduld haben.

Alexander Mäder ist Mitglied der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) und hat im Programmbeirat der WissensWerte mitgearbeitet.