Dem Publikum eine fesselnde Geschichte erzählen – das ist das gemeinsame Ziel von Improvisationstheater und Wissenschaftskommunikation. Susanne Hecker verbindet beides in ihren Workshops für Wissenschaftler und Kommunikatoren. So auch beim 10. Forum Wissenschaftskommunikation. Im Rückblick erklärt sie das Prinzip dahinter.
Eine Reise bis zum Himalaja – Improvisationstheater und Wissenschaftskommunikation
Auf der Bühne des Großen Saals der Stadthalle Braunschweig stehen 22 Frauen und Männer. Sie alle halten Tennisbälle in ihren Händen, wiegen deren Gewicht, fühlen ihre Beschaffenheit, werfen sie ihren Mitspielern zu, einige Bälle werden gefangen, andere fliegen quer durch den Saal. Der Raum ist voller Bewegung, Hüpfen, Lachen. Bemerkenswert ist, dass die Bälle nicht real existieren. Sie entspringen der Vorstellungskraft der Teilnehmenden. Ihre Wirkung ist dennoch echt: Die Teilnehmenden können die Kraft und Höhe eines Wurfs abschätzen und entsprechend hoch und weit springen. Eine Teilnehmerin berichtet im Nachhinein, dass sie die Übung am liebsten abgebrochen hätte, weil ihre Abneigung gegen Bälle für sie so stark spürbar geworden ist. Ein anderer, der ebenfalls eine Abneigung gegen Bälle hat, freut sich über die Übung, weil er den imaginären Ball tatsächlich beherrschen kann.
Die Frauen und Männer nehmen an meinem Workshop teil, der Wissenschaftskommunikation und Improvisationstheater miteinander verbindet. Übungen aus dem einen Bereich werden auf die zentralen Elemente des anderen übertragen – in Deutschland ist dieses Konzept noch ziemlich neu.
„Aber warum Improvisationstheater? Als Wissenschaftlerin kommuniziere ich doch belastbares Wissen und abgesicherte Methoden und Erkenntnisse, und keine Stegreif-Geschichten“, äußert eine Teilnehmerin zu Beginn des Workshops ihre Skepsis.
Dialog durch Interaktion mit dem Gegenüber
In der Tat lebt Improvisationstheater von der Vorstellungskraft seiner Darstellerinnen und Darsteller, die anhand weniger Vorgaben in der Lage sind, ihrem Publikum fesselnde Geschichten zu erzählen. Gemeinsam mit der Kommunikation von Wissenschaft ist, dass beim Improtheater der Kontakt mit dem Partner zentral ist. In der Interaktion mit dem Gegenüber entspinnt sich der Dialog, der sich in Worten, Gestik und Mimik entfaltet. Da es vorab weder eine Storyline noch Text gibt, entsteht alles aus den Impulsen, die sich die Spieler gegenseitig, mitunter aber auch vom Publikum, geben lassen. Zweiter wesentlicher Punkt: Die Geschichte kann sich nur dann entwickeln, wenn die Spieler klar und eindeutig kommunizieren und sich auf die Impulse des anderen und die eigenen einlassen. Dazu gehört zunächst, sich selbst und das Gegenüber wahrzunehmen.
Das versuchen die Teilnehmenden des Workshops umzusetzen. Sie stehen sich hoch konzentriert jeweils zu zweit gegenüber. Sie versuchen, die Bewegungen des Partners exakt zeitgleich als Spiegelbild nachzumachen. „Wenn ich mich zu schnell bewege, kann meine Partnerin nicht folgen“, sagt eine Teilnehmerin. „Mir hilft es, wenn sich Bewegungen wiederholen, und wenn wir Blickkontakt haben“, berichtet ein anderer. „Ich habe verstanden, dass ich noch langsamer agieren muss, als ich zunächst dachte“, so die Erkenntnis einer Dritten.
Klarer, offener, sicherer kommunizieren
Die Übungen aus dem Improvisationstheater unterstützen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, klarer, offener und sicherer zu kommunizieren und ihr Publikum dabei wörtlich nicht aus dem Auge zu verlieren. Viele Forscherinnen und Forscher wünschen sich so zu kommunizieren, dass sie die Aufmerksamkeit ihres Publikums haben, und dass so auch ihre Forschung aufgenommen und verstanden wird. Grundvoraussetzung dafür ist die eigene Präsenz, körperlich und geistig.
Kommunikation ist ein Dialog, bei dem beide Partner auf das reagieren, was der andere durch seinen Körper, seine Stimme oder seine Worte kommuniziert – und das gilt nicht nur für das gesprochene, sondern auch das geschriebene Wort. Spiegelneuronen in unserem Hirn nehmen ganz automatisch und für uns unbewusst das auf, was der oder die andere vermittelt, und erzeugen eine Resonanz. Die Signale des Gegenübers werden blitzschnell von unserem Gehirn dechiffriert. Die Spiegelneuronen beginnen in kürzester Zeit, dieselben Emotionen auf uns zu übertragen. Dabei wird auch geprüft, ob die Signale des Partners authentisch sind oder nicht. Wir haben als Menschen gelernt, was bestimmte Signale bedeuten und reagieren darauf entsprechend. Wenn nun also eine Forscherin mit leiser, monotoner Stimme und vielem Fachvokabular bei ihrem Vortrag auf die Leinwand sieht statt ins Publikum, ist es nicht verwunderlich, wenn das Publikum sich ebenfalls abwendet, mit Desinteresse reagiert oder in den Sitzen zusammensackt und Emails checkt.
Engagiert und offen mit dem Publikum in Kontakt treten
Erfolgversprechender ist es, engagiert und offen mit dem Publikum in Kontakt zu treten, das Vorgetragene mit Emotionen zu verknüpfen, um authentisch zu kommunizieren, ohne dabei die Wissenschaft zu vereinfachen oder zu verflachen. Dazu gehört auch, dass ich weiß, wer mein Publikum ist und auf welches Vorwissen ich zum Beispiel aufbauen kann.
„Die Übungen im Workshop haben mir ins Bewusstsein gerufen: Wenn ich mein Gegenüber erreichen möchte, muss ich erst mal sehen, wo und wer es ist – und es dann dort abholen: Grundlage für Improtheater und gute Wissenschaftskommunikation!“ (Feedback Tabea Turrini)
Auch auf Unvorhergesehenes besser reagieren zu können und Auswege aus Situationen zu finden, die wir so nicht geplant haben, kann durch Improvisationsübungen gestärkt werden. Oft sind gerade Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin geschult, das „Aber“ in der Argumentation des Gegenübers zu finden, Thesen kritisch zu hinterfragen. Das ist für die Forschung unerlässlich, in der Kommunikation allerdings mitunter hinderlich, wenn es darum geht, Dinge anzunehmen und zum Beispiel Sprache oder Argumentation anzupassen.
In der Übung „Ja, genau, und dann“ müssen die Spielerinnen und Spieler üben, auf Sätze des Gegenübers positiv und bejahend zu antworten und gleichzeitig das Gespräch so zu lenken, dass es ihre Interessen widerspiegelt. Die kurze Übung zeigt erstaunliche Resultate: Ausgehend von der Frage „Was essen wir heute zu Abend“ landen manche Teilnehmende bei einer ausgelassenen Party mit Freunden, andere absolvieren einen veganen Kochkurs und ein Gesprächspaar unternimmt schließlich gar eine Reise ins Himalaja-Gebirge. Nicht physisch, sehr wohl aber in der Vorstellung.
Neben dem Spaß an den gemeinsamen Übungen nehmen die Workshopteilnehmenden auch praktische Erfahrungen mit in ihren Alltag:
„Kurze Sätze adressatengerecht formulieren, Storytelling anwenden, klar kommunizieren … alles Grundsätze guter Wissenschaftskommunikation, die ich im Workshop anhand der Übungen aus dem Improtheater nicht nur theoretisch begriffen, sondern spürbar erlebt habe. Ich bin mir sicher, dass sie mir so auch in den entscheidenden Momenten wieder einfallen werden.“ (Feedback Patricia Rahemipour)
Der Ansatz, praktisches Kommunikationstraining in der Wissenschaft mit Übungen aus dem Improvisationstheater zu kombinieren, ist in Deutschland neu. Ansätze in den USA, zum Beispiel an der Academy of Communicating Science, werden aber bereits seit einigen Jahren erfolgreich umgesetzt. Für meine Arbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern habe ich einen Workshop konzipiert, der die amerikanischen Ansätze ebenso berücksichtigt wie die konkrete Arbeitserfahrung in der Wissenschaftskommunikation. Er vereint zwei meiner Leidenschaften: Wissenschaft lebendig zu kommunizieren und meine Vorstellungskraft und Kreativität im Improtheater stets aufs Neue herauszufordern – eine Reise, deren Ziel vielleicht noch hinter dem Himalaja liegt.
Ich freue mich auf Ihre Email unter susanne.hecker@idiv.de für weitere Infos, Feedback oder Interesse an einem Workshop.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.