Das Projekt „Mathe im Advent“ verbindet Storytelling und Mathematik in einem Adventskalender und erreicht damit jährlich rund 100.000 Kinder und Jugendliche. Ein Interview mit Projektleiter Robert Wöstenfeld über vielfältige mathematische Probleme für die Wichtel und die Organsiation von IT, Verwaltung und Kommunikation.
Spiel, Geschichten und Mathematik – Mathe im Advent
Herr Wöstenfeld , „Mathe im Advent“ ist ein Online-Wettbewerb, bei dem einzelne Schülerinnen und Schüler oder auch ganze Klassen gegeneinander antreten. Warum findet er ausgerechnet im Advent statt?
In erster Linie wollen wir für alle Schülerinnen und Schüler ein positives Erlebnis rund um die Mathematik schaffen. Dafür ist ein Adventskalender gut geeignet, denn wir können Weihnachtsstimmung und die Vorfreude auf das nächste Türchen mit Mathematik verbinden. Die Kinder beschäftigen sich vier Wochen lang selbstständig mit Mathe und jedes kann das in seinem eigenen Tempo, zusammen mit der Klasse oder mit der ganzen Familie machen. So gibt es jeden Tag eine neue Aufgabe, aber auch Sonderregelungen. Beispielsweise hat jeder drei Joker und in den ersten drei Tagen, am Wochenende und am 24. sind die Türchen mehrere Tage lang auf, falls es zum Beispiel bei der Oma kein Internet gibt. Im letzten Jahr haben sich rund 100.000 Kinder und Jugendliche angemeldet, mehr als die Hälfte davon waren Mädchen und etwa 7.000 haben alle Aufgaben richtig gelöst.
Was steckt genau hinter den Einzel- und den Klassenspielen?
Die Kinder können sich erst mal auf eigene Faust anmelden und entscheiden, ob sie einfach nur aus Spaß oder auch beim Gewinnspiel mitmachen möchten. Das Gewinnspiel mit seinen spannenden Preisen ist ein zusätzlicher Anreiz, dann auch alle Aufgaben einzureichen. Teilnehmen können alle Kinder und Jugendliche im deutschsprachigen Raum und es gibt zwei Kalender: Einen für die Klassen vier bis sechs und einen für die Klassen sieben bis neun. Unter allen, die 24 Punkte haben, verlosen wir nach Weihnachten die Hauptpreise. Es gibt aber auch Verlosungen für weniger Punkte, denn wir möchten auch das Mitspielen honorieren und verdeutlichen, dass es gut ist, Fehler zu machen, damit man daraus lernen kann. Mit einem „Spaßaccount“ können außerdem Personen jeden Alters zum reinen Vergnügen mitmachen.
Beim Klassenwettbewerb muss erst die Lehrerin oder der Lehrer eine Klasse anlegen. Die Kinder können sich dann einzeln anmelden und sich ihrer Klasse anschließen. Sie geben auch selbstverantwortlich die Lösungen ab. Ihre Ergebnisse zählen dann in die Klassenwertung mit rein und sie können sich mit der Parallelklasse oder auch mit anderen Schulen messen. Um die Siegerklassen zu bestimmen, haben wir uns dieses Jahr eine neue Methode ausgedacht, eine Art Stechen. Was genau da auf sie zukommt, verraten wir aber noch nicht, nur dass sich durch die eingereichten Ergebnisse selbst eine Art Ranking ergeben wird.
Gibt es nicht in der Mathematik immer nur ein richtiges Ergebnis?
Ja und nein. Das Ergebnis ist meistens sehr eindeutig, aber der Weg dahin kann sehr unterschiedlich sein. Es gibt aber auch Aufgaben, deren Ergebnis sich erst im Laufe des Bearbeitens entwickelt. Grundsätzlich machen wir sehr viele Aufgaben, bei denen die Kinder etwas entdecken können und die sich auf ihr Leben beziehen. Sie müssen also nicht den Satz des Pythagoras anwenden, sondern sie sollen beispielsweise Muster entdecken oder schnellste Wege finden. Solche Aufgaben findet man zum Beispiel in Logistikunternehmen.
Wie sieht so eine lebensnahe Matheaufgabe aus? Und unterscheidet sie sich von denen im Schulbuch?
Wir entwickeln in jedem Adventskalender viele kleine Geschichten, die sich um das Leben und Arbeiten im Wichteldorf am Nordpol drehen. Die Wichtel haben alle einen eigenen Charakter. Indem wir sie menschlich gestalten, können sich die Kinder besser mit ihnen identifizieren und die Aufgaben auch auf ihr eigenes Leben beziehen. Die Beispiele kommen meistens nicht aus der Schulmathematik, sondern eher aus der Wirtschaft, Wissenschaft oder Logik. Ein Beispiel aus dem letzten Jahr für Klasse vier bis sechs: Es gibt eine Konferenz der Oberwichtel und jetzt wird nach einer Tischordnung gesucht. Manche Wichtel mögen sich besonders gern, andere können sich nicht leiden. Dieses Problem müssen wir Menschen bei jeder Hochzeit lösen. Im letzten Jahr hatten wir außerdem zum Wissenschaftsjahr Meere und Ozeane auch Rechenbeispiele zur Plastikverschmutzung im Meer, dem Meeresspiegelanstieg oder Schätzfragen dazu, wie viele Tiere im Meer wohnen. Wir honorieren dann auch gerne kreative Lösungswege.
Wie werten Sie solche kreativen Lösungen?
Wenn die Bearbeitungszeit einer Aufgabe vorbei ist, veröffentlichen wir eine ausführliche, altersgerechte Lösung. Wir versuchen dabei so viele Lösungswege wie möglich zu erahnen und beschreiben sie. Trotzdem kriegen wir immer noch welche per Mail zugesandt, mit denen wir gar nicht gerechnet haben. Die Kinder sind wahnsinnig kreativ. Bei vielen Aufgaben muss man einfach anfangen zu denken. Solange das Ergebnis stimmt, vergeben wir einen Punkt. In der Schulmathematik kommt man durch viele Formeln durch wie ein Handwerker. Man wendet sie einfach immer wieder an, ohne darüber nachzudenken. Dazu wollen wir ein Gegengewicht setzen und aufzeigen, dass man Muster erkennen und durch logisches Denken kreative Lösungen finden kann.
Ist das das Lehr- und Lernziel?
Ja, genau. Wir möchten Mathematik in ein positives Licht rücken und zeigen, dass es viel mehr ist als Rechnen. Mathematik kann viel Spaß machen und nützlich sein. Deswegen machen wir gern Beispiele, die man im Leben wirklich anwenden kann. So stellt sich nicht mehr die Frage: Wofür brauche ich das eigentlich? Die Kinder erkennen das selbst und das erhöht ihre intrinsische Motivation für das Fach. Gleichzeitig erwerben die Schülerinnen und Schüler natürlich Problemlösungsfähigkeiten und sie werden in der Klasse oder in der Familie auch angespornt, ihre Lösung zu erklären und dazu zu argumentieren.
Welches Feedback bekommen Sie dazu von Lehrern und auch Schülern?
Lehrerinnen und Lehrer berichten immer wieder, dass sich viele Diskussionen um die Aufgaben entwickeln. In den Pausen werden Lösungsansätze besprochen und so wird der Adventskalender – aus eigenem Antrieb und für eine ziemlich lange Zeit – zum Hauptgegenstand der Klassenkommunikation. Das ist super, weil auch eventuell ausgegrenzte Schülerinnen und Schüler plötzlich einbezogen werden, damit man gegen die Nachbarklasse und auch gegen Klassen aus anderen Bundesländern gewinnen kann. Ganz nebenbei trainieren sie dadurch viele wichtige Fähigkeiten.
Was ich persönlich ein bisschen schade finde, ist, dass wir seit zwei Jahren für das Klassenspiel eine Teilnahmegebühr erheben müssen, um das Spiel finanzieren zu können. Da ist ein Großteil unserer Finanzierung ausgelaufen. In einigen Regionen übernehmen das inzwischen zum Beispiel Stiftungen, trotzdem hatten wir zuerst einen Einbruch von fast 80 Prozent bei Anmeldungen im Klassenwettbewerb. Wir können das zurzeit aber nicht anders lösen, weil das Spiel immer beliebter und die Organisation dementsprechend teuer geworden ist. Wenn sich 100.000 Kinder anmelden, muss alleine die Datenbank für das Spiel viel Rechenkapazität haben, um das verarbeiten zu können.
Was gehört noch zur Logistik von Mathe im Advent?
Neben der IT- und Datenverarbeitung, die ja bei einem Online-Wettbewerb reibungslos laufen muss, haben wir auch einen großen Kommunikationsaufwand. Während der Adventswochen bekommen wir etwa 1.000 Mails am Tag, die 10 bis 15 studentische Hilfskräfte in Schichten beantworten. Außerdem brauchen wir eine Verwaltung, Grafiker, Pressearbeit und auch die Recherche und Aufgabenentwicklung ist sehr zeitaufwendig, um sie in dieser Qualität anbieten zu können. Damit beginnen wir direkt im neuen Jahr gleich wieder von vorn. Wir überarbeiten die Webseite und machen auch statistische Auswertungen für die Bildungsforschung. Außerdem versuchen wir Gelder und hunderte Preise zu akquirieren, und die Preise müssen nach dem Wettbewerb an die Gewinner verschickt werden. Das kann man nicht alles ehrenamtlich betreiben. Ein nächster größerer Schritt wäre, „Mathe im Advent“ auch in anderen Sprachen anzubieten. Da schauen wir gerade, ob die Geschichte mit den Wichteln in anderen Kulturen auch funktioniert.