Eine Typologie für Präsentationsformen in der Wissenschaftskommunikation, die Publikumskenntnis von Wissenschaftlern und was sie von Citizen Science halten. Darum geht es in unserem Forschungsrückblick.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Oktober 2017
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse aus der „Science of Science Communication“. Sollten Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
Katalogisiert: Präsentationsformen in der Wissenschaftskommunikation
In der Wissenschaftskommunikation gibt es zahlreiche Formate, bei denen der Vortrag eines Wissenschaftlers im Mittelpunkt steht, wie beispielsweise Science Slams oder Weihnachtsvorlesungen. Was bisher aber weitgehend fehlt, sind Vorschläge zur Ordnung und systematischen Beschreibung dieser Präsentationsformen. Philipp Niemann, Christiane Hauser und Philipp Schrögel (Karlsruher Institut für Technologie) haben in der Zeitschrift für Angewandte Linguistik einen ersten Vorschlag unterbreitet.
Methodik: Niemann und seine Mitautoren entwickelten ihre Typologie zum einen unter Rückbeziehung auf bisherige Forschung zu Präsentationsformen in der Wissenschaftskommunikation und zum anderen aus der Analyse konkreter Fallbeispiele aus dem Forschungsprojekt Science in Presentation. Die Forscher möchten so nach eigenen Angaben „eine Verortung der verschiedenen Präsentationsformen der externen Wissenschaftskommunikation auf einer grundsätzlichen Ebene ermöglichen” (S. 109).
Ergebnisse: Die Autoren schlagen vier Kriterien zur Kategorisierung von Präsentationsformen vor:
- Multimodalität
Multimodalität bezeichnet die Mischung verschiedener Kommunikationsmodi, also z. B. gesprochene Sprache, Abbildungen, Videos, Animationen, Farbe. Je mehr verschiedene Modi in einem Format benutzt werden, desto höher ist der Grad an Multimodalität. - Interaktivität
Der Grad an Interaktivität bemisst sich für die Autoren daran, wie sehr es einerseits dem Publikum ermöglicht untereinander zu kommunizieren – etwa durch Diskussionen in Kleingruppen – und andererseits, inwieweit ein Dialog zwischen Zuschauern und Vortragendem im Format angelegt ist. - Performance
Hierunter werden alle performativen Handlungen innerhalb eines Formats zusammengefasst. Darunter verstehen die Autoren unter anderem Mimik und Gestik, Stimmdynamik und Dialekt, Körpereinsatz und Bewegung, aber auch Kostüme, Requisiten und zusätzliche Protagonisten. - Event- und Unterhaltungsorientierung
Dieses Kriterium erweist sich als relativ komplex. Daher wird es von den Autoren in drei konkrete Unterkategorien aufgeschlüsselt:- Ablenkung und Zeitvertreib, wozu unter anderem der Einsatz von Humor oder eine ausgefallene Location zählen.
- Geselligkeit und Gemeinschaft, die etwa der Vortragende durch eine entsprechende Ansprache des Publikums schaffen kann.
- Persönlicher Bezug zum Thema, geschaffen z. B. durch einen Zuschnitt der Präsentation auf das Publikum.
Die Tauglichkeit ihrer Kriterien illustrieren sie anhand von vier Formaten, die exemplarisch für jeweils ein Merkmal stehen sollen:
- Science Vision steht als Fallbeispiel für das Kriterium Multimodalität, da sie dort den Einsatz eine Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationsmodi beobachten.
- Die Sciene-Café-Reihe des Max-Planck-Instituts für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden wird als „Form mit einem hohen Grad an Interaktivität“ (S. 97) gewählt.
- Eine besonders ausgeprägte Performance habe die Weihnachtsvorlesung „Mit Sicherheit elektrisch“ an der Universität Nürnberg-Erlangen gehabt.
- Eine hohe Event- und Unterhaltungsorientierung konstatieren die Autoren bei Science Slams, wobei das Science Slam Deutschlandfinale 2015 als Fallbeispiel genutzt wurde.
Schlussfolgerungen: Laut Niemann et al. sollen die vorgeschlagenen Kriterien „eine Struktur für die weitere Diskussion und systematische Analyse der Formenvielfalt bereitstellen“ (S. 109). Die so entstehende Typologie zeichne sich durch „praktische Anwendbarkeit, deskriptive Stärke und Differenzierungsfähigkeit“ (S. 109) aus. Da die konkrete Operationalisierung der Kriterien flexibel sei, lasse sich die Typologie einfach an die jeweiligen Erfordernisse anpassen.
Einschränkungen: Die entwickelten Kriterien beziehen sich nur auf Formate, bei denen die vortragenden Wissenschaftler im Mittelpunkt steht. Auf andere Formate, etwa aus dem Wissenschaftsjournalismus, lassen sie sich nicht ohne Weiteres anwenden. Die Flexibilität bei der genauen Ausgestaltung der Kriterien ist Stärke und Schwäche zu gleich, da deshalb eine genaue Dokumentation der Kriterien enorm wichtig ist, um die Vergleichbarkeit zu wahren.
Unbekannt: Was Wissenschaftler von ihrem Publikum wissen
Um effizient zu kommunizieren, muss man sein Publikum kennen. Dies gilt natürlich auch für die Wissenschaftskommunikation. Aber wie gut kennen kommunizierende Forscher eigentlich ihr Publikum? Dieser Frage sind Anna E. Carr, Ann Grand und Miriam Sullivan (University of Western Australia) in der Fachzeitschrift Science Communication nachgegangen.
Methodik: Die Autoren haben 40 Wissenschaftler der University of Western Australia befragt. Es handelte sich ausschließlich um Chemiker, Biologen und Physiker. Zuerst wurden Fragen zu eigenen Kommunikationsaktivitäten gestellt und die eigene Haltung zur Wissenschaftskommunikation abgefragt. In einem zweiten Teil mussten die Probanden zuerst schätzen, wie viel Prozent der Bevölkerung bestimmte Fragen zu wissenschaftlichem Wissen richtig beantwortet hatten. Anschließend sollten sie die Einstellung der Bevölkerung zur Wissenschaft am Beispiel Chemie schätzen. Lag die Abweichung bei unter fünf Prozent, wurde dies als korrekte Schätzung gewertet. Die Fragen entnahmen Carr et al. den Trend Factual Knowledge Questions, eine regelmäßig von der National Science Foundation der USA durchgeführten Umfrage.
Ergebnisse: Die Mehrzahl der befragten Wissenschaftler sah sich in der Verantwortung mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Gleichzeitig fanden sie ihr Forschungsfeld nicht zu schwierig, um es Laien zu vermitteln. Probleme befürchteten sie eher durch Zeitmangel, fehlende Fähigkeiten und eine ungenügende Anerkennung von Kommunikationsaktivitäten. Unsicherheiten bestanden zudem darüber, wie sie ihr Thema präsentieren sollen und wie es von Medien dargestellt wird.
Nur wenige Wissenschaftler schätzen das Wissen der Bevölkerung korrekt ein. Bei neun der 15 Fragen nahmen sie tendenziell eine zu hohe Zahl korrekter Antworten an. Bei den übrigen sechs unterschätzte die Mehrheit den Anteil der Bevölkerung, der richtig lag. Einen Zusammenhang mit den Kommunikationsaktivitäten der Wissenschaftler gab es nicht.
Ebenfalls mehrheitlich falsch lagen die Befragten bei der Haltung der Bevölkerung zu Wissenschaft: Diese war tendenziell positiver als die Wissenschaftler vermuteten.
Schlussfolgerungen: Für Carr und ihre Mitautoren ist somit klar, dass Wissenschaftler wenig über das Wissen und die Haltung der Bevölkerung wissen. Deswegen sollten entsprechende Informationen in Kommunikationstrainings vermittelt werden.
Gleichzeitig sollten sie aber nicht einfach nur entsprechende Umfragen auswendig lernen, da das Wissen je nach Fachgebiet und Zusammensetzung des Publikums stark davon abweichen könne. Stattdessen sollten Wissenschaftler versuchen, sich in das jeweilige konkrete Publikum hineinzuversetzen und es auch direkt nach seinen Interessen fragen.
Einschränkungen: Die Studie hat eine relativ geringe Teilnehmerzahl. Alle Befragten Wissenschaftler stammen aus einer einzigen Universität und nur aus drei Disziplinen. Die Spannbreite ist also relativ klein. Insbesondere wäre es interessant ob auch Wissenschaftler aus Sozial- und Geisteswissenschaft mit ihren Einschätzungen ähnlich daneben liegen würden. Gleichzeitig lagen Umfrageergebnisse aus Australien selbst nicht vor. Deshalb mussten die Autoren zum Vergleich mit den Einschätzungen der befragten Wissenschaftler Daten aus Japan und den USA heranziehen.
Ungeliebt: Was Wissenschaftler von Citizen Science halten
Die Forderung Bürger am wissenschaftlichen Forschungsprozess zu beteiligen wird immer lauter und auch immer öfter zur Bedingung von Forschungsförderungen. Yaela N. Golumbic, Daniela Orr, Ayelet Baram-Tsabari und Barak Fishbain (Technion – Israel Institute of Technology) haben eine Studie veröffentlicht, die fragt, wie Wissenschaftler eigentlich zu Citizen Science stehen.
Methodik: Das israelische Forscherteam hat die Wissenschaftler eines großen, von der EU geförderten, Forschungsprojekts untersucht. Gegenstand des Projekts war Forschung zur Luftqualität, in die auch die Bevölkerung eingebunden werden sollte. Golumbic und ihre Kollegen führten Interviews mit den beteiligten Forschern und waren zudem als teilnehmende Beobachter sechs Monate lang an Besprechungen und Teamtreffen beteiligt. Die so ermittelten Einstellungen zur Partizipation der Öffentlichkeit an dem Forschungsprojekt verglichen sie mit dem in der Literatur zu findenden Idealbild von Citizen Science.
Ergebnisse: Gefragt nach den Gründen sich an dem Forschungsprojekt zu beteiligen, standen vor allem die wissenschaftliche Thematik und die finanziellen Mittel im Vordergrund. Die Partizipation der Öffentlichkeit kam nicht vor und es wurde den Wissenschaftler oft erst spät bewusst, dass sie daran selbst mitwirken müssen.
Die Bevölkerung sollte in ihren Augen vor allem Sensoren zur Messung der Luftqualität beherbergen und so zur Forschungs beitragen. Weitergehende und aktivere Beteiligungsmöglichkeiten wurden nicht artikuliert. Stattdessen sahen sie die Einbindung der Öffentlichkeit mehrheitlich als Gelegenheit, ihre Wissenschaft zu vermitteln. Die Laien sollten dieses neu gewonnene Wissen dann – zumindest der Vorstellung der befragten Wissenschaftler zufolge – selbst für politische Aktivitäten nutzen.
Auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit wurde nicht hochgeschätzt. Die befragten Wissenschaftler fühlten sich nicht adäquat darauf vorbereitet und sorgten sich um mögliche negative Folgen, sollte es zu Missverständnissen kommen. Zumal sie skeptisch waren, ob Laien sich überzeugen ließen, wenn die Wissenschaft ihren Ansichten widerspricht. Insgesamt gehöre es ohnehin nicht zu den Aufgaben von Wissenschaftlern mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Es ist wenig überraschend, dass die befragten Forscher auch wenig davon hielten auf die Bevölkerung und ihre Interessen und Meinungen zu hören. „Wissenschaft ist schließlich keine Demokratie“, so einer der beteiligten Wissenschaftler (S. 9).
Schlussfolgerungen: Dass die Wissenschaftler keine Ambitionen im Bereich Citizen Science haben, sondern sich primär wegen Geld und Thema an dem Forschungsprojekt beteiligt haben, sehen Golumbic et al. als paradigmatisch an. Da immer mehr öffentliche Geldgeber die Beteiligung der Öffentlichkeit zur Bedingung machen, werde diese Konstellation weiter zu nehmen.
Hierdurch entstehe eine Kluft zwischen der idealtypischen Beschreibung von Citizen Science und ihren Vorteilen sowohl für Wissenschaftler als auch für die Öffentlichkeit und der tatsächlichen Sicht der Wissenschaftler hierauf. Diese stünden der Einbindung der Bevölkerung nämlich sehr skeptisch gegenüber und wollten stattdessen traditionelle Forschung betreiben, bei der Laien, wenn überhaupt, bloß eine passive Rolle bei der Datenerhebung zukommt. Die Wissenschaft könne höchstens der Vorstellung des Defizit-Modells folgend, der Bevölkerung Wissen vermitteln und sie von der Wichtigkeit der Forschung überzeugen.
Um diese Situation zu ändern, schlagen die Autoren vor, die intrinsische Motivation von Wissenschaftler zu erhöhen. Etwa in dem mehr Fortbildungen zu Citizen Science angeboten werden und dort die Vorteile für Wissenschaftler stärker betont werden. Aber auch bei der Bewilligung von Forschungsanträgen sollte strenger darauf geachtet werden, dass klar dargelegt wird, wie die Öffentlichkeit beteiligt werden soll.
Einschränkungen: Wie Golumbic und Co. selbst anmerken, stützt sich ihre Studie lediglich auf die Daten aus einem einzelnen Forschungsprojekt in dem insgesamt zehn Wissenschaftler befragt wurden. Die Ergebnisse können also nicht ohne Weiteres auf andere Forschungsprojekte in anderen Ländern übertragen werden.