460 Millionen öffentliche Quellen werden täglich gescannt. Das Team von BR24 #Faktenfuchs spürt gezielt Desinformation auf und schreibt Faktenchecks. Sophie Rohrmeier verrät, was es mit dem Truth Sandwich auf sich hat und wie sich Lügen eindämmen lassen, bevor sie sich weit verbreiten.
Das Geheimnis guter Faktenchecks
Hatten Sie in den vergangenen Wochen rund um die Bundestagswahl besonders viel zu tun?

Ja, wir hatten besonders viel zu tun. Insgesamt ist es schwierig zu messen, ob während des Wahlkampfs mehr Falschnachrichten kursieren als sonst. Mein Eindruck ist, dass dies nicht unbedingt der Fall war, aber die Falschbehauptungen sich qualitativ verändert haben.
Wir haben mehr KI-generierte Fake-Videos und Fake-Bilder, zum Beispiel mit gefälschten Stimmzetteln, gesehen. Ob das am Wahlkampf lag oder an der leichteren Erstellung und Verbreitung durch KI-Tools, ist schwierig zu beurteilen. Die Mehrarbeit für unser Team kam unter anderem durch die BR-Wahlsendungen, die wir mit Faktenchecks begleitet haben. Es gibt eine hohe Nachfrage vor den Wahlen, dass Äußerungen aus den lebhaften und vielstimmigen Diskussionen nochmal gründlich gecheckt werden.
Wie spüren Sie beim BR24 #Faktenfuchs Falschnachrichten auf?
Wir scannen mit einer Software täglich 460 Millionen öffentliche deutschsprachige Quellen im Internet. Die Suche nach Falschnachrichten basiert auf hinterlegten Schlagwörtern wie „Propaganda” oder „Manipulation”. Zusätzlich betreiben wir ein manuelles Monitoring in den sozialen Medien, auch weil Plattformen wie TikTok den Zugriff solcher Tools noch nicht umfassend zulassen.
Häufig kommen auch Themenvorschläge von unseren Social-Media-Redakteurinnen und – Redakteuren, die die Kommentare zu BR24-Beiträgen lesen. Und wir erhalten Zuschriften von Leserinnen und Lesern sowie Hörerinnen und Hörern mit Hinweisen.
Nach welchen Kriterien entscheiden Sie dann, ob Sie einen Faktencheck durchführen?
Zunächst prüfen wir, ob die Behauptung unabhängig und plausibel überprüfbar ist. Gibt es die Möglichkeit, Belege zu sammeln oder nicht?
Weitere Kriterien sind die Dynamik und die Relevanz. Wie schnell entwickelt sich eine Geschichte? Gibt es schon Reaktionen, eventuell sogar aus der Politik? Wie viele Menschen betrifft das Thema? Wie gravierend könnten die Auswirkungen sein?
Und auch die Verbreitung ist wichtig. Wurde eine Behauptung oder ein Gerücht häufig geteilt und kommentiert? Kommt die Äußerung von einer Person, die eine große Verbreitungsmacht hat? Wenn die Äußerung nur in begrenzten Blasen kursiert, dann holen wir sie da eher nicht raus. Denn wir haben natürlich selbst eine Verbreitungsmacht und wollen das Thema durch unseren Faktencheck nicht größer machen, als es ist. Und zur Realität gehört auch: Wir sind ein kleines Team mit begrenzten Ressourcen, wir müssen auswählen.
Und wenn Sie sich für einen Faktencheck entscheiden, wie läuft der bei Ihnen ab?
Als Journalistinnen und Journalisten haben wir häufig ein Vorwissen, aber wir gehen immer ergebnisoffen an ein Thema heran. Wir überlegen im Team, welche Expertinnen und Experten oder offiziellen Stellen uns weiterhelfen könnten und stellen entsprechende Anfragen. Wir lesen das, was es zu einem Thema an Veröffentlichungen in anderen Medien und in offiziellen Dokumenten oder in wissenschaftlichen Studien gibt.
Oder es sind Themen, bei denen wir spezielle Expertise anwenden müssen. Zum Beispiel eine Bilder-Rückwärtssuche, um Bildmaterial und die damit verbundene Behauptung zu verifizieren oder zu falsifizieren.
Im Anschluss an die Recherche schreiben wir unsere Erkenntnisse in Form eines Artikels auf. Und dann beginnt ein sehr aufwendiger Prozess des Redigierens, bevor wir den Artikel veröffentlichen. In diesem Prozess beziehen wir auch die BR-Fachredaktionen ein.
Wie funktioniert der Faktencheck ganz konkret?
Wir beachten beim Faktencheck das Truth Sandwich. Das heißt, man stellt die Fakten nach vorne, nennt dann kurz die Falschinformation und erklärt dann ausführlich, wie man zu den Fakten kommt. Der Hintergrund ist, dass die Forschung gezeigt hat, dass bei zu häufiger und prominenter Wiederholung der Falschbehauptung eben diese hängen bleibt – statt der Widerlegung. Deshalb versuchen Faktenchecker, die richtigen Informationen so zu präsentieren, dass sich die Leserinnen und Leser an sie erinnern können. Zum Beispiel formulieren wir: „Ja, die RSV-Impfung ist sicher für Babys” statt im Titel die Gerüchte oder die Falschbehauptung zu wiederholen. Vor allem bei Social-Media-Inhalten ist die Umsetzung des Truth Sandwich allerdings sehr herausfordernd.
Was muss beim Faktencheck beachtet werden, damit es möglichst nicht zu einem sogenannten Backfire-Effekt oder zu Reaktanz kommt – also durch Widerspruch die Verbreitung der Falschnachricht oder der Glaube an sie vergrößert wird?
Bei Falschnachrichten haben wir es häufig mit Halbwahrheiten zu tun, also solchen Aussagen, die nicht nur richtig oder nur falsch sind. Wie gehen Sie mit diesen Graubereichen und der Komplexität von wissenschaftlichen Fakten um?
Unsere Texte sind häufig lang und gehen in die Tiefe, da wir versuchen dieser Komplexität gerecht zu werden. Das ist für uns auch deshalb wichtig, weil wir Mitglied im International Fact-Checking Network (IFCN) sind und hohe Standards einhalten müssen. Wir machen die Graubereiche und Lücken transparent. Und wir verlinken alle unsere Quellen.
Generell nehme ich wahr, dass immer mehr Menschen nicht mehr zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden können und dass Fakten abgelehnt werden, wenn sie nicht der eigenen Überzeugung entsprechen. Dagegen kommt man allein mit Faktenchecks nicht an, darüber müssen wir in der Gesellschaft und in Schulen mehr sprechen.
Haben Sie als Faktencheckerin eigentlich ein Gefühl von „permanentem Zu-Spät-Sein“, da sie erst agieren, wenn die Falschnachricht schon in der Welt ist?