Foto: Petri Heiskanen

Abgetaucht im Rabbit Hole? Neues aus der Forschung

Sollten sich Klimawissenschaftler*innen in politische Debatten einmischen? Was verstehen Hochschulkommunikator*innen unter Public Engagement with Science? Und wie polarisierend wirken algorithmische Empfehlungen über YouTube tatsächlich?

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. In diesem Monat geht es um das Rollenverständnis von Klimawissenschaftler*innen und Hochschulkommunikator*innen – sowie die Frage, inwieweit sich YouTube-Empfehlungen auf die politische Meinung auswirken.

Klimawissenschaftler*innen im Zwiespalt

In der Klimakrise ist das Wissen von Expert*innen gefragt. Umstritten aber bleibt, wie sich Klimawissenschaftler*innen in politischen Debatten, Protesten und Entscheidungen einbringen sollten. Wie viel Engagement ist angemessen? Wann kommt es zu Konflikten mit den Idealen einer objektiven, wertfreien Wissenschaft? Lydia Messling, Beraterin für Klimaengagement in Großbritannien, hat zusammen mit Yuyao Lu und Christel W. van Eck von der University of Amsterdam Interviews mit Klimawissenschaftler*innen in den USA und im Vereinigten Königreich zu ihrem eigenen Rollenverständnis sowie ihren Gedanken und Bedenken geführt.

Methode: Die Forscherinnen haben 60 Klimawissenschaftler*innen per E-Mail angeschrieben, 47 nahmen an der Studie teil, darunter 27 aus den USA und 20 aus dem Vereinigten Königreich. 41 von ihnen gaben an, als Naturwissenschaftler*innen in der Klimaforschung (unter anderem an Universitäten und Forschungsinstituten) tätig zu sein, die verbleibenden sechs arbeiteten im Bereich der Klimakommunikation. Die beiden Länder wurden wegen ihrer unterschiedlichen Ausgangslagen ausgewählt: Während die öffentliche Debatte in den USA durch eine starke Polarisierung geprägt ist, wird der Klimawandel im Vereinigten Königreich im Allgemeinen anerkannt. In den Interviews ging es um die Frage, was „Advocacy“ ist und wann sie als akzeptabel angesehen wird. Wichtig dabei waren auch Aspekte wie Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit sowie Rechte und Pflichten als Wissenschaftler*in und Bürger*in.

Vor allem Jüngere äußerten den Wunsch, sich stärker zu engagieren, waren aber besorgt über die möglichen Risiken, insbesondere für ihre Karriere.
Die etwa einstündigen Interviews wurden zwischen April und August 2018 geführt, elf davon per Telefon/Videoanruf und 36 persönlich. Die Interviews wurden transkribiert und mit einer Software kodiert. Die Datenanalyse folgte dem Ansatz der Grounded Theory. Erst wurden die die Transkripte mit Blick auf den Interviewleitfaden offen kodiert und dann verschiedene Standpunkte zum Thema Advocacy herausgearbeitet.

Ergebnisse: Es kristallisierten sich zwei Hauptthemen heraus: die Rolle und Verantwortung von Wissenschaftler*innen in der Gesellschaft und das Thema Integrität der Wissenschaft. Nachfolgend werden einige Beispiele für die vier Hauptargumente aufgeführt.

(1) Voreingenommene Wissenschaft (Thema: Integrität der Wissenschaft)

  • Durch Aktivismus könnte die Objektivität verloren gehen.
  • Der bloße Verdacht auf eine voreingenommene Wissenschaft habe Potenzial, Forschung und Karriere zum Scheitern zu bringen. Dabei spielte der Verlust der Glaubwürdigkeit innerhalb der wissenschaftlichen Fachcommunity die größte Rolle.
  • Andere Wissenschaftler*innen äußerten – womöglich aus taktischen Gründen – den Verdacht voreingenommener Forschung, um andere zu diskreditieren.
  • Beispiele wurden genannt, dass Wissenschaftler*innen von Menschen außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft beschuldigt worden seien, zu übertreiben oder Verschwörungstheorien zu erfinden.
  • Advocacy-Botschaften enthielten häufig normative Formulierungen wie „sollte“. Das könne als Versuch der Einflussnahme gewertet werden.
  • Bedenken wurden geäußert, dass bei der Vereinfachung von Botschaften Nuancen verloren gehen und dies als politische Empfehlung missverstanden werden könnte.
  • Eine andere Sorge war, dass es als politische Einflussnahme verstanden werden könnte, wenn Wissenschaftler*innen sich intensiv darum bemühen, ihre Forschungsergebnisse zu erklären – wenn die selbst davon ausgehen, dass die Ergebnisse offensichtlich darauf hinweisen, dass eine Veränderung der Politik notwendig sei.

(2) Beispiele für Missbrauch von Autorität (Thema: Integrität der Wissenschaft)

  • Um Autoritätsmissbrauch handele es sich beispielsweise, wenn sich Wissenschaftler*innen als Expert*innen in Bereichen profilieren, die außerhalb ihres Fachgebietes liegen. In der Praxis sei es oft schwierig zu definieren, was Fachwissen bedeutet und in welchen Bereichen sich Wissenschaftler*innen äußern sollten.
  • Autoritätsmissbrauch könne auch auftreten, wenn Wissenschaftler*innen sich als Bürger*innen äußern wollen, aber als Expert*innen wahrgenommen werden.
  • Einige Befragte sprechen auch über Erfahrungen, aus der wissenschaftlichen Community attackiert und beschuldigt worden zu sein, inakzeptable Lobbyarbeit zu leisten.
  • Vor allem Jüngere äußerten den Wunsch, sich stärker zu engagieren, waren aber besorgt über die möglichen Risiken, insbesondere für ihre Karriere. Einige sagten, dass sie sich erst zu einem späteren Zeitpunkt in ihrer beruflichen Laufbahn äußern wollten, wenn sie sich einen wissenschaftlichen Ruf erarbeitet hätten.

(3) Verteidigung der Wissenschaft (Thema: Rolle und Verantwortung von Wissenschaftler*innen)

  • Die Befragten betonten, dass zu den Pflichten verantwortungsbewusster Wissenschaftler*innen gehöre, eine verlässliche Informationsquelle für ein nicht fachkundiges Publikum zu sein und die Wissenschaft vor Missbrauch zu schützen – beispielsweise wenn Politiker*innen mit fehlinterpretierten Erkenntnissen politische Positionen legitimieren wollen.
  • Als Beispiele für eine Verteidigung der Wissenschaft wurden der „March for Science“ genannt, der gerade stattfand, als die Interviews geführt wurden.
  • Es wurde dabei unter anderem auf die wahrgenommene gesellschaftliche Skepsis gegenüber der Rolle von Expert*innen verwiesen – aber auch auf die Politik und den damaligen wie aktuellen US-Präsidenten Donald Trump, der Klimawissenschaften als Schwindel bezeichnet hatte.

(4) Die Pflicht als Expert*in und Bürger*in (Thema: Rolle und Verantwortung von Wissenschaftler*innen)

  • Viele Befragte sahen es als ihre Pflicht an, ihr Wissen zu teilen und die Öffentlichkeit über den Klimawandel zu informieren.
  • Andere begründeten ihre Pflicht, ihre Forschung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, mit der öffentlichen Finanzierung ihrer Arbeit. Für einige bedeutete dies auch, über die Implikationen ihrer Forschung und deren Zusammenhang mit politischen Entscheidungen zu informieren.
  • Einige sahen es als ihre Pflicht an, für Veränderungen einzutreten, vor allem, wenn die Forschung auf negative Entwicklungen hinweise.
  • Andere hingegen sahen ihre Pflicht klar darin zu informieren – ohne dabei Position zu beziehen.
  • Einige sahen es als unethisch an zu schweigen, wenn bestimmte Erkenntnisse vorlägen. Nichts zu sagen könnte auch als Befürwortung der Gegenseite angesehen werden. „Schweigen ist Mittäterschaft“, sagt eine der befragten Personen.

Schlussfolgerungen: Die Studie zeigt, dass innerhalb der (klima-)wissenschaftlichen Community unterschiedliche Einschätzungen darüber herrschen, inwieweit Integrität und Glaubwürdigkeit der Wissenschaft gewahrt oder gefährdet werden, wenn man explizit Advocacy-Arbeit leistet. Die Bedenken zur voreingenommenen Wissenschaft und dem Missbrauch von Autorität hätten ihren Ursprung in der Debatte um das Ideal der Wertfreiheit in der Wissenschaft, schreiben die Forscherinnen. Dass es unmöglich sei, eine völlig wertfreie Wissenschaft zu betreiben, sei zwar inzwischen in der Wissenschafts-Community weitestgehend akzeptiert. Es müsse aber eine Diskussion darüber geführt werden, was eine „akzeptables“ Maß an Einfluss von Werturteilen sei – gerade angesichts der aktuellen Bedrohungen durch den Klimawandel. In diesem Zusammenhang werde auch von einer „postnormalen Wissenschaftskommunikation“1 gesprochen, die von den etablierten Normen der Wissenschaft abweiche. Die Grenzen zwischen Gesellschaft und Wissenschaft würden verwischt.

Die Forscherinnen empfehlen, von der starren Grenze zwischen Wissenschaft und Politik, Wissenschaft und Aktivismus oder Wissenschaftler*innen und Bürger*innen abzurücken.
Die Ergebnisse verweisen auf die große Rolle der wissenschaftlichen Community bei der Frage, inwieweit man mit der Öffentlichkeit kommuniziert. So äußert sich die Angst vor negativen Reaktionen teilweise in Selbstzensur. Auf der anderen Seite wird Schweigen auch als unethisch und Befürwortung gegenteiliger Positionen wahrgenommen.

Eine Herausforderung besteht laut der Forscherinnen darin, dass wissenschaftliche Arbeiten zwar einer strengen und systematischen Bewertung durch Peer-Reviews unterzogen werden, Aussagen in der Wissenschaftskommunikation jedoch keiner formalisierten Überprüfung unterliegen. Sie schlagen deshalb vor, Möglichkeiten zu erforschen, wie voreingenommene Behauptungen von Wissenschaftler*innen verhindert werden könnten. Eine weitere Frage sei, wie Wissenschaftler*innen – falls überhaupt möglich – abgrenzen können, wann sie in ihrer Rolle als Expert*innen oder Bürger*innen kommunizieren.

Die Forscherinnen empfehlen, von der starren Grenze zwischen Wissenschaft und Politik, Wissenschaft und Aktivismus oder Wissenschaftler*innen und Bürger*innen abzurücken. Stattdessen schlagen sie vor, eine wertebasierte Perspektive aus der Wissenschaftsphilosophie zu integrieren, um zu definieren, was „akzeptable“ und „inakzeptable“ Einflüsse von Werten in der Kommunikation von Klimawissenschaften seien. Sie ermutigen Wissenschaftler*innen, akademische Einrichtungen und die Gesellschaft, sich an Diskussionen darüber zu beteiligen.

Einschränkungen: Bei der Interpretation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass nur eine begrenzte Anzahl von Klimawissenschaftler*innen aus zwei verschiedenen Ländern befragt wurden. Die Interviews wurden zudem schon 2018 geführt, die Debatte hat sich seitdem weiterentwickelt – so wie womöglich auch die Einschätzungen der Expert*innen bezüglich ihrer eigenen Rolle und ihrer Aufgaben.

Messling, L., Lu, Y., & van Eck, C. W. (2025). Advocacy – defending science or destroying it? Interviews with 47 climate scientists about their fundamental concerns. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625251314164

Wirkt der YouTube-Algorithmus radikalisierend?

Mal wieder im Rabbit Hole versunken und in der eigenen Filter Bubble versackt? Diese Stichworte fallen häufig, wenn es um die Effekte von Social Media geht. Führen die Algorithmen von YouTube und Co. tatsächlich dazu, dass Menschen sich zunehmend in der eigenen Filterblase bewegen und mit immer radikaleren Inhalten konfrontiert werden? Ein Forschungsteam um Naijia Liu von der Harvard University in Cambridge hat in vier Experimenten Polarisierungs-Effekte des Empfehlungssystems von YouTube untersucht.

Methode: Die Forscher*innen haben eine YouTube-ähnliche Online-Videoplattform entwickelt und den Empfehlungsalgorithmus experimentell verändert, um in den ersten drei Studien Filterblasen und in der vierten Rabbit Holes zu simulieren. Beim Filterblasen-Effekt geht das darum, dass auf Social Media vor allem Empfehlungen angezeigt werden, die den bisher konsumierten Inhalten ähneln, was zu potenziell polarisierenden Effekten führen könne. Der Rabbit-Hole-Effekt hingegen geht davon aus, dass nicht nur den eigenen Vorlieben entsprechende Inhalte, sondern auch immer extremere Standpunkte angeboten werden.

Die Studienteilnehmenden sahen sich bis zu fünf Videos an und konnten zwischendurch jeweils aus vier Empfehlungen wählen.
Die Forscher*innen arbeiteten mit den Anbietern MTurk, CloudResearch und YouGov und rekrutierten insgesamt 8.883 Studienteilnehmde aus den USA. Sie begannen mit der ersten Studie im Juni 2021, mit der zweiten und dritten im April 2022 und der vierten im Mai 2024. In den ersten drei Studien wurden die Studienteilnehmenden je nach politischer Positionierung in drei Gruppen eingeteilt (liberal, konservativ, gemäßigt). Liberale und Konservative bekamen ein ihrer Einstellung entsprechendes Ausgangsvideo zum Thema Waffenkontrollen oder Mindestlohn. Während das erste Thema sehr polarisiert und emotional diskutiert wird, erhalte das zweite ebenfalls viel Aufmerksamkeit, ist aber laut der Forscher*innen weniger parteipolitisch besetzt. Die Studienteilnehmenden sahen sich bis zu fünf Videos an und konnten zwischendurch jeweils aus vier Empfehlungen wählen. In der „ausgewogenen“ Variante wurden ihnen zwei Videos vorgeschlagen, die mit ihrer Meinung übereinstimmten und zwei mit gegenteiliger Ausrichtung. Bei der „tendenziösen“ Variante wurden ihnen drei Videos mit derselben ideologischen Ausrichtung wie das zuletzt angesehene vorgeschlagen.

Die Forscher*innen beobachteten, was die Studienteilnehmenden auswählten, wann sie Inhalte übersprangen, wie sie positiv oder negativ mit dem Video interagierten und was sie auf der Merkliste speicherten. Um den Einfluss auf die Einstellungen zu testen, wurden die Studienteilnehmenden etwa eine Woche vor und direkt nach der Nutzung der Videoplattform zu ihrer politischen Einstellung, ihrem Vertrauen in die Medien und der affektiven Polarisierung befragt.

In der vierten Studie testen die Forscher*innen die Rabbit-Hole-Hypothese, indem sie den Teilnehmenden eine feste Abfolge von Videos anboten, die entweder konstant blieben oder immer extremere Meinungen zum Thema Mindestlohn vertraten. Auch hierbei wurden die Teilnehmenden in drei Gruppen geteilt, die Befragungen wurden aber direkt vor und nach dem Betrachten der Videos durchgeführt.

Ergebnisse: Insgesamt stellen die Forscher*innen fest, dass sich Änderungen am Empfehlungsalgorithmus auf die Art der ausgewählten Videos und auf die auf der Plattform verbrachte Zeit auswirken. Sie haben aber nicht die angenommen Auswirkungen auf politische Einstellungen haben.

Bei Konservativen wie Liberalen führte ein tendenziöses Empfehlungssystem dazu, dass sie sich eher für Videos mit derselben inhaltlichen Ausrichtung entschieden.
In den ersten drei Studien fanden sich nur wenige ausschlaggebende Effekte auf die Einstellungen von Konservativen und Liberalen. Nur in der dritten Studie berichteten konservative Befragte, nachdem sie die Videos gesehen hatten, von leicht konservativeren Einstellungen als die Befragten, denen ausgewogene Empfehlungen angezeigt wurden.

Bei Konservativen wie Liberalen führte ein tendenziöses Empfehlungssystem dazu, dass sie sich eher für Videos mit derselben inhaltlichen Ausrichtung entschieden. In allen vier Versuchsgruppen (Liberale und Konservative, denen jeweils ausgewogene und tendenziöse Empfehlungen zugewiesen wurden) sahen die Befragten mehr Videos an, die ihren eigenen ideologischen Standpunkt teilten, als bei einer zufälligen Auswahl zu erwarten gewesen wäre. Befragte mit moderaten politischen Standpunkten wählten bei tendenziösen Empfehlungen eher Videos aus, die dem Startvideo ähnelten. Bei ausgewogenen Empfehlungen verschwand dieser Effekt jedoch.

Die Art der Empfehlungen schienen die politischen Einstellungen, das Medienvertrauen und die affektive Polarisierung der Gemäßigten jedoch nur minimal zu beeinflussen. Eine einzige Ausnahme zeigte sich auch hier in der dritten Studie. Hier gaben gemäßigte Teilnehmende, die ein konservatives Ausgangsvideo und tendenziöse Empfehlungen bekommen hatten, etwas konservative Meinungen an als solche, die ausgewogene Empfehlungen bekommen hatten. Gemäßigte, die ein konservatives Startvideo gesehen hatten, zeigten etwas konservativere politische Einstellungen als Befragte, die ein liberales Ausgangsvideo gesehen hatten. Bei Befragten, die danach ausgewogene Empfehlungen bekamen, waren diese Effekte nur minimal. Bei der vierten Studie zeigt sich, dass die unterschiedlichen Videoreihen (konstant versus zunehmend radikaler) keine Auswirkungen auf die politischen Einstellungen der verschiedenen Gruppen hatten. Nur bei den Gemäßigten zeigten sich Unterschiede – je nachdem, ob das Startvideo konservativ oder liberal war. Fast 90 Prozent der Teilnehmenden gaben an, durch die Videos etwas Neues gelernt zu haben.

Schlussfolgerungen: Die Annahme, dass der YouTube-Algorithmus radikalisierende Effekte habe, wird nicht bestätigt. Falls extreme Inhalte, die von algorithmischen Empfehlungssystemen angeboten werden, überhaupt einen radikalisierenden Effekt haben, ist dieser laut der Ergebnisse der vier Experimente gering. Die Studien deuten also darauf hin, dass die Auswirkungen solcher Empfehlungssysteme subtiler und komplexer sind, als es der Rabbit-Hole-Effekt erwarten lasse.

Die Forscher*innen schließen trotz der Ergebnisse die Möglichkeit nicht aus, dass YouTube in der amerikanischen Politik eine radikalisierende Kraft sein könnte.
Experimente, bei denen Teilnehmende selbst Videos auswählen können, hätten möglicherweise prinzipiell einen geringeren Effekt auf Meinungsänderungen als solche, bei denen die Videos vorgegebenen sind, schreiben die Forscher*innen. Das liege daran, dass sich die Teilnehmenden im ersten Fall seltener gegensätzlichen Standpunkten aussetzen, die sie überzeugen könnten. Aber auch im vierten Experiment, bei dem eine Reihe von Videos vorgegeben war, zeigen sich nur geringe Effekte auf die politische Meinung.

Die Forscher*innen schließen trotz der Ergebnisse die Möglichkeit nicht aus, dass YouTube in der amerikanischen Politik eine radikalisierende Kraft sein könnte. Denn langfristige Effekte oder Effekte in möglicherweise besonders anfälligen Untergruppen werden in den Experimenten nicht berücksichtigt. Außerdem zeigten die unterschiedlichen algorithmischen Empfehlungssysteme Auswirkungen darauf, wie lange die Studienteilnehmenden auf der Plattform blieben.

Außerdem gaben die meisten der Teilnehmenden an, durch die Videos etwas gelernt zu haben. Das bedeutet, dass der Algorithmus durchaus langfristig Einfluss ausüben könnte – auch wenn sich Effekte auf die Veränderung der politischen Meinung nicht so kurzfristig zeigen.

Einschränkungen: Eine Einschränkung ist, dass die Teilnehmenden nur einmal für relativ kurze Zeit dem Empfehlungs-Algorithmus ausgesetzt wurden. Das schließt nicht aus, dass es über längere Zeit zu Polarisierungseffekten kommen könnte. Außerdem war die Menge an potenziellen Videos in den Experimenten festgelegt, unter realen Bedingungen ist sie aber dynamisch. Die Studien bezogen sich zudem nur auf zwei unterschiedliche Themen, sind also nicht unbedingt auf andere Themen übertragbar. Die Studienteilnehmenden stammten aus den USA, die Ergebnisse gelten deshalb nicht für andere Länder.

N. Liu, X.E. Hu, Y. Savas, M.A. Baum, A.J. Berinsky, A.J.B. Chaney, C. Lucas, R. Mariman, J. de Benedictis-Kessner, A.M. Guess, D. Knox, & B.M. Stewart (2025). Short-term exposure to filter-bubble recommendation systems has limited polarization effects: Naturalistic experiments on YouTube, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 122 (8) e2318127122 https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2318127122

Nur wenig Public Engagement with Science an Hochschulen

Public Engagement with Science (PES) wird von vielen Seiten für gut geheißen und gefordert. Aber wie wird dieses Schlagwort in der Praxis verstanden und mit Leben gefüllt? Kaija Biermann, Lennart Banse und Monika Taddicken von der Technischen Universität Braunschweig haben Interviews mit Personen geführt, die an einer zentralen Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wirken: Hochschulkommunikator*innen. Die Forscher*innen haben untersucht, wie diese PES verstehen, welche Relevanz sie dem Konzept beimessen und wie sie es umsetzen.

Methode: Die Forscher*innen führten zwischen April und Juli 2023 Interviews mit 29 Hochschulkommunikator*innen in Niedersachsen, dem viertgrößten Bundesland Deutschlands. Laut einer aktuellen Zielvereinbarung des Landes mit den Hochschulen, sollen sich letztere um einen stärkeren Dialog mit Akteur*innen außerhalb der Wissenschaft bemühen, schreiben die Forscher*innen. Deshalb sei interessant zu untersuchen, wie mit den Anforderungen umgegangen wird.

Die Befragten unterschieden häufig zwischen eher gemeinwohlorientierter Wissenschaftskommunikation und Organisationskommunikation, wie zum Beispiel dem Studierendenmarketing.
Die Leitungen der zentralen Kommunikationsabteilungen aller Hochschulen wurden kontaktiert und diese schickten wiederum Anfragen an ihre Mitarbeitenden. Hochschulkommunikator*innen von zehn der elf niedersächsischen Universitäten erklärten sich bereit, an der Studie teilzunehmen. Die etwa anderthalbstündigen Interviews wurden größtenteils online und zum Teil am Arbeitsplatz der Befragten durchgeführt. Die für die Studie relevanten Fragen konzentrierten sich auf das Verständnis von Wissenschaftskommunikation, subjektives Verständnis von PES, umgesetzte Formate und wahrgenommene Barrieren. Um ein einheitliches Verständnis zu gewährleisten, erhielten die Teilnehmenden folgende Definition von PES: die „Beteiligung der Öffentlichkeit an wissenschaftlichen Themen oder Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Wissenschaftskommunikation“. Die Interviews wurden automatisch transkribiert, manuell überarbeitet und mithilfe der Software MAXQDA in einem deduktiv-induktiven Ansatz ausgewertet.

Ergebnisse: Die befragten Hochschulkommunikator*innen hatten unterschiedliche Auffassungen vom Begriff Wissenschaftskommunikation. Einige sagten, dass dessen Bedeutung zugenommen hätte und er zu einem „Modewort“ geworden sei. Die meisten Befragten verstanden Wissenschaftskommunikation als einseitige Verbreitung wissenschaftlicher Informationen und Übersetzungsarbeit für ein Nicht-Fachpublikum. Nur wenige fassten darunter einen gegenseitigen Austausch zwischen Gesellschaft und Wissenschaft. Die Befragten unterschieden häufig zwischen eher gemeinwohlorientierter Wissenschaftskommunikation und Organisationskommunikation, wie zum Beispiel dem Studierendenmarketing.

Die Mehrheit gab jedoch an, dass PES-Formate trotz der wachsenden Erwartungen seitens politischer Entscheidungsträger und anderer Interessengruppen nur einen kleinen Teil ihrer Aktivitäten ausmachten.
Die Bedeutung der Wissenschaftskommunikation für die tägliche Arbeit wurde von den Befragten je nach Abteilung und Position unterschiedlich bewertet. Dezentrale Kommunikator*innen, insbesondere innerhalb von Exzellenzclustern, maßen der Wissenschaftskommunikation tendenziell eine höhere Bedeutung bei als zentralisierte Kommunikator*innen. Unter denjenigen, die zur Hochschulleitung gehörten, hatten einige das Gefühl, dass Ziele, die dem Gemeinwohl durch Wissenschaftskommunikation dienen sollen, oft mit übergeordneten Organisationszielen konkurrieren.

Die Befragten hielten PES häufig für wichtig. Die Mehrheit gab jedoch an, dass PES-Formate trotz der wachsenden Erwartungen seitens politischer Entscheidungsträger und anderer Interessengruppen nur einen kleinen Teil ihrer Aktivitäten ausmachten. Beteiligungsformate wie etwa Citizen-Science-Projekte werden nur selten durchgeführt. Häufig betonten die Befragten, dass sie Wissenschaftler*innen in erster Linie in der Verantwortung für die aktive Interaktion mit der Öffentlichkeit sehen.

Viele der Befragten, die PES-Formate anbieten, betonten die Bedeutung von Offline-Veranstaltungen wie Informationstagen und Dialogveranstaltungen. Soziale Medien wurden selten als geeignete Option für PES-Aktivitäten genannt. Vor allem im Online-Kontext wurde die Sorge geäußert, dass die Kommunikation – besonders zu polarisierenden Themen – zu negativen Reaktionen führen und rufschädigend sein könne. Auch die große Konkurrenz an Online-Angeboten und die fehlende Kontrolle der Kommunikation in den sozialen Medien wurden als Hürden genannt. Nach Ansicht vieler Befragter seien soziale Medien eher für das Studierendenmarketing oder die Organisationskommunikation statt für Wissenschaftskommunikation geeignet. Die meisten dachten nicht über neue PES-Ansätze für ihre Social-Media-Kommunikation nach.

Ziele von PES seien die Aufnahme eines Dialogs mit der Gesellschaft, um mehr über Interessen und Wünsche zu erfahren, Transparenz und Akzeptanz zu fördern sowie Wissenstransfer zu ermöglichen. Auf der Organisationsebene wurde auch das Ziel genannt, unter anderem Schüler*innen und Studierende anwerben zu wollen.

Dass Wissenschaftskommunikation primär als unidirektional verstanden wurde, weist darauf hin, dass das Defizitmodell immer noch eine große Rolle in der Hochschulkommunikation spielt.
Als wesentliches Hindernis wurde die Abhängigkeit von Wissenschaftler*innen genannt, die unter anderem eine hohe Arbeitsbelastung hätten und teilweise über unzureichende Kommunikationsfähigkeiten verfügten. Eine weitere Hürde sei die mangelnde Akzeptanz der Öffentlichkeit, die die angebotenen Formate zu wenig nutze. Schwierig sei auch, dass nicht alle Forschungsthemen gleichermaßen zugänglich seien.

Schlussfolgerungen: Es zeigt sich, dass Hochschulkommunikator*innen in Niedersachsen unterschiedliche Vorstellungen von Wissenschaftskommunikation haben, die mit der jeweiligen Position und der organisatorischen Zugehörigkeit zusammenzuhängen scheinen. Dass Wissenschaftskommunikation in den Interviews von eher strategisch ausgerichteter Hochschulkommunikation abgegrenzt wurde, verweist laut der Autor*innen auf eine Doppelrolle von Hochschulkommunikator*innen: Sie fungieren einerseits als Vermittler*innen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zum Wohle der Allgemeinheit, aber verfolgen gleichzeitig Ziele der Organisation. In der Praxis sind diese beide Sphären aber nicht trennscharf voneinander abgegrenzt.

Dass Wissenschaftskommunikation primär als unidirektional verstanden wurde, weist darauf hin, dass das Defizitmodell immer noch eine große Rolle in der Hochschulkommunikation spielt. Interaktive Ansätze scheinen zwar zunehmend befürwortet zu werden, werden aber selten umgesetzt. Es zeigen sich also Diskrepanzen zwischen den wachsenden Forderungen auch seitens der Politik nach verstärkten PES-Aktivitäten und deren Umsetzung in der Praxis. Die Ziele von PES, darunter Wissenstransfer und die Anwerbung und Bindung junger Talente, wurden laut der Autor*innen recht weit gefasst und spiegelten einen Mangel an Klarheit darüber wieder, was damit erreicht werden soll.

Es zeige sich laut der Autor*innen die Notwendigkeit eines engeren Austauschs zwischen Hochschulkommunikator*innen und Wissenschaftler*innen, auch um Rollen und Zuständigkeiten in Bezug auf PES-Aktivitäten zu definieren.

Es zeige sich, dass Hochschulkommunikator*innen – vor allem hinsichtlich Social Media, einen Kontrollverlust und negative Effekte für die Reputation fürchten. Gezielte Schulungen, zum Beispiel zur Moderation von Online-Diskussionen, könnten hierbei unterstützen. Die Studie lege nahe, dass organisatorische Strukturen geschaffen werden müssten, um PES-Aktivitäten in der Praxis zu integrieren. Schulungen und Workshops könnten laut der Autor*innen dabei helfen, die in den Interviews genannten Hürden abzubauen.

Einschränkungen: Die Studie hat sich auf Hochschulkommunikator*innen in einem deutschen Bundesland beschränkt. Inwieweit diese auf andere (Bundes-)länder übertragbar sind, muss weitere Forschung zeigen.

Biermann, K., Banse, L. and Taddicken, M. (2025). „It’s mostly a one-way street, to be honest“: the subjective relevance of public engagement in the science communication of professional university communicators JCOM 24(01), A03. https://doi.org/10.22323/2.24010203

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Fragen zum Klimawandel? Zu einem ganzheitlichen Verständnis der globalen Herausforderung soll ClimateGPT beitragen. Das Open-Source-KI-Tool wurde von Erasmus.AI in Zusammenarbeit mit dem Club of Rome und anderen Partnern entwickelt. Die Plattform nutzt Large-Language-Modelle, um globale Daten für komplexe Zusammenhänge bereitzustellen. ClimateGPT sei darauf trainiert, interdisziplinäre Forschung zu synthetisieren, schreiben die Macher*innen. Wer das Tool nutzen möchte, kann über die Webseite eine Anfrage stellen.

Inwieweit KI beim wissenschaftlichen Arbeiten zum Einsatz kommen darf, ist umstritten. In einem Kommentar argumentieren Yana Suchikov und Natalia Tsybuliak von der Berdyansk State Pedagogical University in der Ukraine dafür, die Vorteile von generativer künstlicher Intelligenz beim Verfassen von wissenschaftlichen Texten zu nutzen. Bisher ist deren Einsatz stigmatisiert – auch aufgrund traditioneller Vorstellungen von Autor*innenschaft. Die Wissenschaftlerinnen plädieren für einen verantwortungsvollen und transparenten Umgang mit KI, um Effizienz zu steigern und mehr Menschen Zugang zum wissenschaftlichen Publizieren zu ermöglichen.

Klimawandel als Stoff für Comedy? Wie Humor als Kommunikationsmethode funktioniert, reflektieren die Forscher James Riley und Alexander Hall am Beispiel ihres Projekts „Climate Change is NOT Funny!“, das Umweltforscher*innen und professionelle Stand-up-Comedians zusammenbrachte. In Workshops tauschten sie sich aus und entwickelten Comedy-Sets zum Klimawandel. Riley und Hall argumentieren, dass ein solches Format die Reichweite von Klimakommunikation erhöhen kann, berichten aber auch von finanziellen und organisatorischen Hürden.

Einblicke in ein weiteres Umweltkommunikationsprojekt gewährt ein Forschungsteam um Ana Margarida Sardo von der University of the West of England: Ziel von HOMEs war, Mikroplastik in der Luft in Privatwohnungen aufzuspüren. Die Teilnehmenden brachten dafür Geräte bei sich zu Hause an und untersuchten die Proben mit Mikroskopen. Die Forscher*innen reflektieren in ihrem Praxisbericht positive Effekte wie die aktive Beteiligung von Bürger*innen an Forschung, aber auch Hindernisse. So seien immer wieder Kompromisse zwischen den Zielen der Forscher*innen und den Bedürfnissen der Teilnehmenden nötig.