Welche Regionen und Themen dominieren in der Forschung zur Klimakommunikation? Wie sehr vertrauen Menschen Large-Language-Modellen bei der Informationssuche für wissenschaftliche Themen? Und wie überzeugen Wissenschaftler*innen eine skeptische Leserschaft?
ChatGPT als Informationsquelle? Neues aus der Forschung
In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. In diesem Monat beschäftigen wir uns mit ChatGPT, Klimakommunikationsforschung und rhetorischen Strategien für Wissenschaftler*innen.
- Wer nutzt ChatGPT zur Informationssuche über Wissenschaft? Und wie zufrieden sind Menschen mit den Ergebnissen? Forscher*innen haben in sieben Ländern eine Umfrage durchgeführt.
- Der Globale Süden ist stärker vom Klimawandel betroffen als der Globale Norden. Spiegelt sich das in Studien zur Klima- und Umweltkommunikation wider? Forscherinnen haben untersucht, wer wo zum Thema forscht.
- Wissenschaftler*innen melden sich öffentlich zu Wort – gerade in Krisenzeiten. Ob sie dabei rhetorisches Geschick an den Tag legen, haben Forscher anhand von Gastartikeln in US-Zeitungen analysiert.
- In der Rubrik „Mehr Aktuelles aus der Forschung“ geht es um zunehmende Digitalisierung der Medienwelt, Myth-Busting und Biotechnologien.
ChatGPT als Informationsquelle über Wissenschaft?
Large-Language-Modelle wie ChatGPT bieten einfachen und schnellen Zugang zu Informationen. Im Gegensatz zu Suchmaschinen, die den Nutzer*innen eine Vielzahl von Quellen zur Auswahl bieten, gibt ChatGPT individuelle Antworten. Inwiefern werden Large-Language-Modelle bereits genutzt, um an Informationen über wissenschaftliche Themen zu gelangen? Ein Forschungsteam um Esther Greussing von der Technischen Universität Braunschweig hat Menschen in sieben Ländern dazu befragt. Die Forscher*innen wollten unter anderem wissen, wie viel die Befragten über generative KI wissen, wie sehr sie ihr vertrauen und wie sie die Qualität der Suchergebnisse einschätzen.
Methode: Die Forscher*innen führten zwischen Juli und August 2023 eine Online-Umfrage in Australien, Dänemark, Deutschland, Israel, Südkorea, Taiwan und den USA durch. Insgesamt nahmen 4320 Personen teil. Die Länderauswahl erfolgte nicht systematisch, sondern beruhte auf beruflichen Netzwerken der Forscher*innen. In jedem der sieben Länder waren die Stichproben repräsentativ für die Gesamtheit der Internetnutzer*innen in Bezug auf Alter, Geschlecht und Bildung. Abgefragt wurden Erfahrungen mit fünf KI-Anwendungen – einschließlich ChatGPT – und mit der Google-Suche. Die Teilnehmenden wurden auch gefragt, ob sie die Anwendungen für die Suche nach wissenschaftlichen Informationen verwenden und ob sie mit den Ergebnissen zufrieden waren. Ihr Wissen über generative KI wurde mithilfe von neun Aussagen abgefragt, die die Teilnehmenden als wahr oder falsch bewerten sollten. Sie konnten auch die Option „Ich weiß nicht“ wählen. Die Fragen bezogen sich teilweise auf die Funktionsweise, teilweise auf die Qualität der von der KI bereitgestellten Informationen. Das Vertrauen in generative KI wurde gemessen, indem die Teilnehmenden angaben, wie sehr sie auf einer Skala von 1 bis 5 bestimmten Aussagen der KI zustimmten.
Ergebnisse: In Australien und Dänemark gaben neun Prozent der Befragten an, ChatGPT regelmäßig zu nutzen, in Deutschland und den USA zehn Prozent, in Israel 16 Prozent und in Südkorea 17 Prozent. Taiwan zeigte mit 26 Prozent den höchsten Anteil an regelmäßigen Nutzer*innen. Insgesamt gaben 67 Prozent der regelmäßigen ChatGPT-Nutzer*innen (neun Prozent der Gesamtstichprobe) an, den Chatbot auch für die Suche nach wissenschaftsbezogenen Informationen zu verwenden. In Taiwan nutzen 84 Prozent der regelmäßigen Nutzer*innen ChatGPT für wissenschaftsbezogene Suchen, 69 Prozent in den USA, 65 Prozent in Südkorea, 64 Prozent in Israel, 54 Prozent in Dänemark und Deutschland und 53 Prozent in Australien.
In allen sieben Ländern fanden diejenigen, die ChatGPT für wissenschaftliche Themen nutzten, die von ihnen gesuchten Informationen und waren damit zufrieden. Allerdings schnitt die Google-Suche bei den Nutzer*innen noch etwas besser ab. Große Unterschiede zeigten sich vor allem in Deutschland und Israel, wo die Befragten deutlich mehr Vertrauen in die Informationssuche mit Google als in die mit ChatGPT hatten.
In allen Ländern zeigten ChatGPT-Nutzer*innen gegenüber Nicht-Nutzer*innen ein signifikant höheres Wissen über die Funktionsweise von generativer KI. Hinsichtlich des Wissens über die Qualität der bereitgestellten Informationen zeigen sich nur in Israel große Unterschiede. Dort wussten Nutzer*innen, die ChatGPT für wissenschaftsbezogene Recherchen nutzen, mehr über die Grenzen der generativen KI als Nichtnutzer*innen. In allen untersuchten Ländern kreuzte ein hoher Anteil der Befragten bei den Wissensfragen „Ich weiß nicht“ als Antwort an.
Auch war in allen Ländern das Vertrauen in generative KI bei ChatGPT-Nutzer*innen, die das Modell für die wissenschaftsbezogene Informationssuche einsetzten, höher als bei Nicht-Nutzer*innen. Bei ChatGPT-Nutzer*innen, die keine wissenschaftsbezogene Suche durchführten, wurde jedoch kein signifikanter Unterschied festgestellt. Auch bei den Fragen zum Thema Vertrauen antworteten viele der Befragten mit „Ich weiß nicht“.
Diskussion: Dass neun Prozent der Befragten ChatGPT bereits als Tool zur wissenschaftlichen Informationssuche einsetzen, könnte laut der Autor*innen auf einen Wandel bei der Suche nach wissenschaftlichem Wissen hinweisen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass vor allem in Taiwan, Südkorea, Israel und den USA ein großes Interesse an der Nutzung von ChatGPT für wissenschaftsbezogene Informationssuche herrscht. Taiwan, Südkorea und Israel seien für ihre Aufgeschlossenheit beim Thema KI bekannt, schreiben die Autor*innen. Gleichzeitig stehe die Wissenschaftskommunikation dort noch am Anfang. Womöglich könnte ChatGPT in diesen Ländern eine Lücke schließen, überlegen die Autor*innen.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass in den meisten Ländern Nutzer*innen generativer KI besser über deren Funktionsweise informiert sind als Nicht-Nutzer*innen. Abgesehen von Israel ist bei den Nutzer*innen das Vertrauen höher. Die Ergebnisse deuten laut der Autor*innen darauf hin, dass es spezifische Teilpopulationen gibt, die aktiv nach KI-gestützten Lösungen für die wissenschaftliche Informationsbeschaffung suchen. Dass so viele Menschen „Ich weiß nicht“ antworteten, weise gleichzeitig darauf hin, dass sich viele Menschen nicht ausreichend informiert fühlen.
Einschränkungen: In der Studie wurden geringe Stichproben in einer Reihe von relativ wohlhabenden Ländern befragt. Die Ergebnisse sind deshalb nicht ohne Weiteres auf die Gesamtbevölkerung der einzelnen Länder oder andere Regionen übertragbar.
Greussing, E., Guenther, L., Baram-Tsabari, A., Dabran-Zivan, S., Jonas, E., Klein-Avraham, I., Taddicken, M., Agergaard, T. E., Beets, B., Brossard, D., Chakraborty, A., Fage-Butler, A., Huang, C.-J., Kankaria, S., Lo, Y.-Y., Nielsen, K. H., Riedlinger, M., & Song, H. (2025). The perception and use of generative AI for science-related information search: Insights from a cross-national study. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625241308493
Globale Ungleichheiten: Wer forscht zur Klimakrise?
Der globale Süden ist stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen als der globale Norden – obwohl er zu den menschengemachten Ursachen weniger beiträgt. Inwiefern spiegeln sich Auswirkungen der Klimakrise auf unterschiedliche Teile der Erde in der Forschung im Bereich Umwelt- und Klimakommunikation wider? Wer forscht zum Klimawandel und zu welchen Themen? Sohinee Bera, Amanda Vilchez und Roxana M. Muenster von der Cornell University in den USA haben Artikel untersucht, die zwischen 2020 und 2022 in Fachzeitschriften für Klimakommunikation veröffentlicht wurden.
Methode: Die Autorinnen sammelten Artikel, die in den Jahren 2020, 2021 und 2022 in fünf Fachzeitschriften veröffentlicht wurden: Climatic Change, Environmental Communication, Global Environmental Change, Science Communication und WIREs Climate Change. Sie sichteten dabei mehr als 1.800 Artikel und wählten 505 Artikel aus dem Bereich der Umwelt- und Klimakommunikationsforschung für die Analyse aus. Erfasst wurden Daten wie die Autor*innen und ihre institutionelle Zugehörigkeit.
Ergebnisse: 93 Prozent der Autor*innen der untersuchten Artikel arbeiteten an Institutionen im globalen Norden. Eine Zusammenarbeit von Autor*innen, die mit Institutionen im Globalen Norden als auch im Globalen Süden verbunden sind, waren selten zu finden.
Die meisten Autor*innen in der Stichprobe waren Institutionen in Europa zugehörig (43 Prozent), dicht gefolgt von Nordamerika (40 Prozent). Neun Prozent arbeiteten für Institutionen in Ozeanien und sieben Prozent für solche in Asien. Nur jeweils ein Prozent der Autor*innen waren in Lateinamerika oder Afrika beheimatet. Die USA waren mit 523 Autor*innen (35 Prozent) das am stärksten vertretene Herkunftsland. Es folgten das Vereinigte Königreich mit 217 (15 Prozent), Australien mit 109 (7 Prozent) und Deutschland mit 91 Autor*innen (6 Prozent). Im Gegensatz dazu waren zahlreiche Länder des Globalen Südens nur einmal in der Stichprobe vertreten. Unter den Ländern des Globalen Südens kam China mit 36 Autor*innen (2 Prozent) am häufigsten vor. Unter den Erstautor*innen fanden sich etwas mehr Frauen (53 Prozent) als Männer (42 Prozent). Bei den Co-Autor*innen waren es etwas mehr Männer. Insgesamt waren 78 Prozent der Autor*innen weiß.
Es zeigte sich, dass die nordamerikanischen Befragten ihre Karriere eher in Nordamerika verfolgen. Diese Tendenz zeigte sich auch bei Befragten aus Europa und Ozeanien. Ein anderes Bild bietet sich im Globalen Süden: 67 Prozent der befragten Autor*innen aus Asien sind nach dem Grundstudium nach Nordamerika, Westeuropa oder Australien gegangen. Von den Befragten aus afrikanischen Ländern ist niemand nach dem Grundstudium dortgeblieben.
Mehr als die Hälfte der untersuchten Artikel (57 Prozent) befasste sich mit dem Globalen Norden, aber nur zwölf Prozent mit dem Globalen Süden. Der Rest untersuchte mehrere Regionen oder war nicht ortsspezifisch. 61 Prozent der Autor*innen von Institutionen im Globalen Norden forschen zum Globalen Norden, acht Prozent zum Globalen Süden. 74 Prozent der Autor*innen aus dem Globalen Süden konzentrieren sich auf den Globalen Süden, sie machen aber insgesamt nur sechs Prozent der Stichprobe aus.
Artikel aus dem Globalen Norden nannten ihren geografischen Fokus zu 38 Prozent im Titel, zu 37 Prozent in der Zusammenfassung und zu 25 Prozent im Hauptteil. Die meisten Artikel, die sich auf den Globalen Süden konzentrierten, nannten den geografischen Fokus der Studie entweder bereits im Titel (70 Prozent) oder in der Zusammenfassung (23 Prozent). In 20 Artikeln fand sich gar kein Hinweis auf die Region, davon stammten 19 aus dem Globalen Norden.
Thematisch spielte der Klimawandel eine zentrale Rolle – sowohl bei Artikeln aus dem Globalen Norden als auch aus dem Globalen Süden. Bei Artikeln aus dem Globalen Norden kamen häufig methodische und wissenschaftliche Schlüsselwörter wie „Framing“ und „Umweltkommunikation“ hinzu. Im Vergleich dazu konzentrierten sich die südlichen Netzwerke eher auf die Auswirkungen des Klimawandels (Katastrophen, extreme Ereignisse, Verletzlichkeit) sowie lokale Themen.
Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass der globale Norden im Vergleich zum globalen Süden in allen untersuchten Zeitschriften erheblich überrepräsentiert ist. Dass Autor*innen aus dem Norden eher dortbleiben, könnte laut der Autorinnen an größeren Investitionen in die Forschung liegen. Die Dominanz des Globalen Nordens könne aber nicht nur an den größeren Ressourcen liegen, schreiben sie. Ansonsten müsste beispielsweise China aufgrund der hohen Ausgaben für die Forschung etwa halb so präsent sein wie die USA, das sei aber bei weitem nicht der Fall. Großbritannien sei mit einem viel kleineren Budget für Forschung viel präsenter.
Auch die fehlende Vielfalt der Zugehörigkeiten der Autor*innen könne zu einer mangelnden Aufmerksamkeit für den globalen Süden beitragen. Westlich-zentrierte Forschungsergebnisse und Theorien könnten zwar wertvoll sind, seien aber nicht automatisch auch auf andere Regionen übertragbar. Die Netzwerkanalyse der Schlüsselwörter legt nahe, dass die Forschung im Globalen Süden möglicherweise auf zusätzliche, potenziell lokalere Themen wie bestimmte Katastrophen und Verletzlichkeiten in den Blick nimmt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass Artikel aus dem Globalen Norden den jeweiligen geografischen Fokus weniger einordnen. Es scheint also, als gingen die Autor*innen davon aus, dass der Ort dem Publikum bewusst sein sollte, ohne ihn zu nennen. Als Beispiel nennen die Autorinnen eine Studie, in der als Hinweis nur der Name eines US-amerikanischen Fernsehsenders genannt wird – als würden alle Menschen diesen kennen.
Die Autor*innen schlagen vor, überregionale Kooperationen und Finanzierungsmöglichkeiten auszuweiten und auch in anderen Sprachen als Englisch zu veröffentlichen und zu zitieren. Zeitschriften könnten einen Beitrag leisten, indem sie explizit Veröffentlichungen zu unterschiedlichen geografischen Schwerpunkten, Theorien und Forschungsmethoden fördern.
Einschränkungen: Da sich die Analyse ausschließlich auf englischsprachige Zeitschriften konzentrierte, können keine Schlussfolgerungen über den Umfang von Studien in anderen Sprachen gezogen werden. Die angegebenen Schlüsselwörter sind nur eine Annäherung an die Themen, die in der Forschung behandelt werden. Zudem räumen die Autorinnen ein, dass eine dichotome Aufteilung in den „Globalen Norden“ und „Globalen Süden“ die sozioökonomischen und politischen Feinheiten der Länder nicht erfassen kann.
Bera, S., Vilchez, A., Muenster, R.M. (2025) The persistent global disparities in environmental and climate communication scholarship. Front. Commun. 9:1474619. doi: 10.3389/fcomm.2024.1474619
Überzeugend argumentieren? Rhetorik für Wissenschaftler*innen
Ein fundiertes Verständnis von wissenschaftlichen Fragen sei nötig, um in Krisen wie dem Klimawandel oder der Pandemie gute Entscheidungen treffen zu können, schreiben Collin Syfert von der Fitchburg State University und Leah Ceccarelli von der University of Washington. Die beiden Forscher betonen deshalb, dass Wissenschaftler*innen besonders in Krisenzeiten der Öffentlichkeit Wissen und Argumente bereitstellen sollten. Um zu überzeugen, brauche es rhetorisches Geschick. Wie es darum bestellt ist, haben die beiden anhand von Gastartikeln untersucht, die Wissenschaftler*innen während der Coronapandemie für unterschiedliche US-Zeitungen geschrieben haben.
Methode: Die Forscher untersuchen Leitartikel von Gesundheitsexpert*innen in Zeitungen, sogenannte Op-Eds („opinion editorials“ ). Der Fokus lag dabei auf der Frage, ob die untersuchten Gastartikel das Potenzial haben, Menschen zu überzeugen, die nicht ihrer Meinung sind. Im ersten Schritt sammelten die Autor*innen Meinungsartikel von Wissenschaftler*innen in großen Zeitungen, vor allem im Wall Street Journal und der New York Times, einer eher konservativ und einer eher liberal orientieren Zeitung. Da sich die meisten dieser Artikel eher an Publikum zu wenden schien, die den dargelegten Argumentationen bereits zustimmten, sammelten die Forscher außerdem Artikel in lokalen Zeitungen, vor allem in sogenannten „Swing States“, in denen die demokratische und die republikanische Partei nahezu gleich stark sind.
Ergebnisse: Bei der Debatte im Frühjahr 2020 im Cincinnati Enquirer ging es um Covid-19-Schutzmaßnahmen. Der Arzt und Wissenschaftler Jack Rubinstein argumentierte dafür, Menschen – vor allem Kinder – dem Virus auszusetzen, um eine Herdenimmunität zu erreichen. In seiner Argumentation drückte er Respekt und Vertrauen gegenüber den Bewohner*innen von Ohio aus, die vernünftige Politiker*innen wählen würden. Seine eigene wissenschaftliche Expertise hebt Rubinstein nicht hervor, er nutzt auch keine wissenschaftlichen Beweise zur Untermauerung seiner Thesen, sondern unterstreicht den gesunden Menschenverstand seines Publikums und dessen Werte. Beispielsweise unterstreicht er den Wert „harter Arbeit und umsichtiger Vorbereitung“. Damit erreiche er wahrscheinlich auch Menschen, die der Wissenschaft gegenüber misstrauisch seien, schreiben die Forscher.
Innerhalb von zwei Wochen nach der Veröffentlichung erschienen zwei Reaktionen. Der erste Meinungsbeitrag stammte von einer Professorin im Bereich Biowissenschaften. Sie bezog sich auf ihre eigene wissenschaftliche Expertise und die Autorität der Wissenschaft. Sie führte Statistiken an und teilte dabei ihr Publikum implizit in Personen, die ihr zustimmen sowie unwissende und unreife Menschen, die dies nicht tun. Diese Strategie erscheint den Forschern unklug. Die Professorin versuche nicht, Gemeinsamkeiten mit denjenigen zu benennen, die sie überzeugen möchte, sondern grenze sich ab. Ihr Artikel könnte als herablassend und als Angriff auf die Intelligenz des Publikums verstanden werden.
In dieselbe Kerbe schlug eine weitere Antwort auf Rubinsteins Text, verfasst von drei Ärzt*innen. Sie schrieben, dessen Aussagen seien unwahr und gefährlich und verweisen auf die Autorität von Expert*innen und wissenschaftlichen Institutionen. Immerhin aber nehme sich dieser Beitrag Zeit, Positives über die Menschen in Ohio zu schreiben und an deren Gemeinschaftssinn zu appellieren.
Auch in dem Meinungsartikel einer Medizinerin in der New York Times vom Oktober 2021 fanden die Forscher argumentative Strategien, die Menschen mit anderen Meinungen überzeugen könnten. Die Autorin argumentierte für die Lockerung von Impfvorschriften, wies sich dabei als Ärztin auf einer COVID-19-Station und Forscherin aus und lobte die Entwicklung der Impfstoffe. Auf diese Weise schaffe sie eine gemeinsame Basis mit einem eher links gerichteten und wissenschaftsfreundlichen Publikum, schreiben die Forscher.
Schlussfolgerung: In den beiden überregionalen Beispielen zeigten sich die Wissenschaftler*innen sensibel für das politische Terrain, in dem sie sich bewegten, und Bewusstsein für die Werte des Publikums, schreiben die Forscher. Darin sehen sie vielversprechende Ansätze, um Leser*innen zu überzeugen.
Beim ersten Beispiel in der Lokalzeitung zeige sich, dass es bei einer vermutlich eher wissenschaftsskeptischen Öffentlichkeit sinnvoll sein könnte, wissenschaftliche Argumentationsweisen nicht in den Vordergrund zu stellen. Bei den beiden Erwiderungen auf den Gastbeitrag diagnostizieren die Forscher hingegen einen Mangel an rhetorischem Feingefühl. Einer der beiden Artikel habe immerhin Vertrauen in das Urteilsvermögen des Publikums zum Ausdruck gebracht und damit ein Mindestmaß an „Eunoia“ gezeigt. Dieser „gute Willen“ sei einer von drei Komponenten eines rhetorischen Ethos, auf die Wissenschaftskommunikator*innen sich stützen sollten, um ein wissenschaftsskeptisches Publikum zu überzeugen, schreiben die Forscher. Die anderen beiden seien arête (Tugend) und phronesis (gesunder Menschenverstand)1. Konkret geben sie kommunizierenden Wissenschaftler*innen folgende Empfehlungen: 1) Sensibilität gegenüber den Werten der Personen zeigen, die man überzeugen möchte, 2) Wohlwollen und Vertrauen gegenüber diesem Publikum zeigen und 3) keine Trennung zwischen wissenschaftlichem Wissen und öffentlichem Urteil zu vollziehen.
Die Forscher sind der Ansicht, dass Wissenschaftler*innen sich bei bestimmten Themen öffentlich zu Wort melden sollten, um dazu beizutragen, wissenschaftliches Wissen in wirksame Politik umzusetzen. Sie sprechen dabei von „scientist-citizens“, also Wissenschafts-Bürger*innen, die es als ihre staatsbürgerliche Pflicht ansehen, mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. Dafür seien rhetorisch sensible öffentliche Kommunikationspraktiken wichtig. Rhetorik sei dabei kein Mittel, um das Publikum zu täuschen. Es stelle vielmehr eine Kunst dar, um das Verständnis von Wissenschaft zu verbessern und bewusste Entscheidungsfindung in unsicheren Zeiten zu fördern.
Einschränkungen: Wie die Forscher selbst anmerken, ist „Close Reading“ keine Methode, die verallgemeinerbare Wissensansprüche aufstellen soll. Stattdessen konzentrieren sie sich auf konkrete Fälle, um Beispiele aufzuzeigen.
Syfert, C., & Ceccarelli, L. (2025). COVID scientists as rhetorical citizens: Persuasive op-eds and public debate over science policy. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625241304064
Mehr Aktuelles aus der Forschung
Welche Rolle spielt die zunehmende Digitalisierung der Medienwelt für das Vertrauen in die Wissenschaft? Um diese Frage kreist der aktuelle Schwerpunkt vom Journal of Science Communication (JCOM). Fabian Zimmermann, Christine Petersen und Matthias Kohring von der Universität Mannheim haben festgestellt, dass sich hohes Vertrauen positiv auf die Nutzung etablierter journalistischer und wissenschaftlicher Online-Quellen auswirkt. Menschen mit wenig oder keinem Vertrauen in die Wissenschaft greifen hingegen eher auf Telegram und „alternative“ Online-Medien zurück.
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