Die große Mehrheit der Menschen glaubt, dass Wissenschaftler*innen ihren Job gut machen. Was hat es also mit dem Narrativ einer „Vertrauenskrise“ auf sich? Und warum lohnt es sich, Vertrauen in Wissenschaft zu untersuchen? Niels Mede über Ergebnisse und Hintergründe des TISP-Projekts.
„Vertrauen ist ein komplexes Konstrukt“
Zum Thema Vertrauen in die Wissenschaft wird sehr viel geforscht. Was ist das Besondere an TISP?
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Ein Alleinstellungsmerkmal ist die Größe. Wir haben mehr als 70.000 Menschen in 68 Ländern zu ihrem Vertrauen in Wissenschaft befragt und somit einen der größten Datensätze überhaupt erhoben. Es ist auch der erste Befragungsdatensatz dieser Art, der nach der Coronapandemie erhoben wurde, die die Art und Weise, wie Menschen über Wissenschaft denken und sich darüber informieren, teilweise beeinflusst hat. Besonders ist auch, dass wir aus verschiedenen Disziplinen auf das Thema schauen. Viktoria Cologna, Erstautorin unserer gerade erschienenen Studie, ist Umweltpsychologin, ich bin Kommunikationswissenschaftler. In unserem großen Team haben wir auch Mitglieder aus Disziplinen wie der Medizin und den Umweltwissenschaften. Ein Mehrwert der Studie ist auch, dass wir viele Länder des „globalen Südens“ untersucht haben – also Länder, bei denen wir wenig darüber wissen, wie stark die Bevölkerung der Wissenschaft vertraut.
Warum halten Sie es für relevant zu wissen, ob und wie sehr Menschen der Wissenschaft vertrauen?
Vertrauen Menschen der Wissenschaft, sind sie eher bereit, wissenschaftliches Wissen – welches das beste verfügbare ist – bei alltäglichen Entscheidungen oder auch in der Politik zu berücksichtigen. So können wir als Einzelne und als Gesellschaft fundiertere Entscheidungen treffen – zum Beispiel darüber, welche Fortbewegungsmittel besonders nachhaltig oder welche Impfungen zuverlässig sind.
Vertrauen in Wissenschaft sorgt dafür, dass Gesellschaften auch in Krisenzeiten handlungsfähig bleiben und auf evidenzbasiertes Wissen bauen können. Zudem wird die Arbeit von Wissenschaftler*innen in vielen Ländern durch Steuergelder finanziert. Deshalb ist es wünschenswert, dass Menschen darauf vertrauen, dass dieses Geld für einen guten Zweck eingesetzt wird.
TISP
TISP („Trust in Science and Science-Related Populism“) ist ein sogenanntes Many-Labs-Projekt, das von der Umweltpsychologin Dr. Viktoria Cologna und dem Kommunikationswissenschaftler Dr. Niels G. Mede von der Universität Zürich geleitet wird. Weltweit beteiligen sich insgesamt 241 Wissenschaftler*innen und 179 Institutionen an einer Befragungsstudie zu Vertrauen in Wissenschaftler*innen und wissenschaftsbezogenem Populismus. Befragt wurden 71.922 Menschen in 68 Ländern, darunter viele aus dem globalen Süden. Eine erste Veröffentlichung ist in Nature Human Behaviour erschienen. Zudem ist der gesamte Befragungsdatensatz inklusive einer detaillierten Dokumentation in Scientific Data veröffentlicht worden.
Ausgangspunkt für das Projekt war ein Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds, das Viktoria Cologna 2021 erhielt, um an der Harvard University das Vertrauen in die Wissenschaft und den wissenschaftsbezogenen Populismus in einem kulturübergreifenden Rahmen zu untersuchen. Sie tat sich mit Niels Mede zusammen, um den Umfang des Projekts zu erweitern. Gemeinsam mit einem Projektbeirat aus neun Expert*innen lancierten sie einen öffentlichen Aufruf zur Teilnahme, der weltweit auf große Resonanz unter Forschenden stieß.
Ihre Studienergebnisse zeigen, dass das Vertrauen in Indien und Ägypten am höchsten ist. Deutschland, Österreich und die Schweiz liegen im unteren Mittelfeld. Das liest sich wie eine Rangliste. Ist es wirklich am besten, ganz weit oben zu stehen?
Absolutes, vielleicht sogar blindes Vertrauen ist nicht immer wünschenswert. Es ist auch wichtig, dass ein gewisses Maß an Kritik und Skepsis herrscht. Denn Forschende sind auf öffentliche Legitimation angewiesen und haben eine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit.
Man kann daraus den Schluss ziehen, dass es kein Nachteil sein muss, im Mittelfeld zu landen. Das gilt aber nur, solange der durchschnittliche Vertrauenswert immer noch im Positiven, also über dem Mittelwert liegt. Das finden wir in Deutschland, aber auch in allen anderen Ländern, die wir untersucht haben. Andersherum gesagt: Nirgendwo finden wir im Durchschnitt der Bevölkerung niedriges Vertrauen. Vertrauen in die Wissenschaft ist also – in unterschiedlichem Maße – überall da.
Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet deshalb, dass die These einer „Vertrauenskrise in die Wissenschaft“ nicht bestätigt wird. Woher kommt diese Narrativ überhaupt?
Das Narrativ von der Vertrauenskrise hält sich nach wie vor, ist aber nur unter bestimmten Kontexten beziehungsweise für einzelne Bevölkerungsgruppen angemessen. Das Narrativ entstand in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor dem Hintergrund mehrerer miteinander verwobener Dynamiken. Zum einen haben populistische wissenschaftsskeptische Bewegungen und Politiker*innen in vielen Ländern Erfolg, insbesondere in westlichen. Man nimmt an, dass sich solche Ressentiments gegenüber der Wissenschaft auch auf die Einstellungen der Wählerschaft und der Sympathisant*innen übertragen.
Ein dritter Punkt ist die sogenannte Replikationskrise, also die wachsende Besorgnis darüber, dass sich Forschungsbefunde oft nicht replizieren lassen. Das wurde vor etwa zehn Jahren erstmals in großem Stil gezeigt und führt zur Annahme, dass nicht replizierbare Forschung nicht vertrauenswürdig ist. All diese Trends und Dynamiken wurden von der Medienberichterstattung und in populärwissenschaftlichen Auseinandersetzungen aufgegriffen und mit Begriffen wie Vertrauenskrise betitelt.
Wie kann man herausfinden, ob Menschen Vertrauen in Wissenschaftler*innen und die Wissenschaft haben?
Vertrauen ist ein komplexes Konstrukt. Viele Menschen sind sich manchmal gar nicht darüber bewusst, wie sehr und weshalb sie jemandem oder etwas vertrauen. Deshalb haben wir nicht allgemein nach dem Vertrauen in Wissenschaft gefragt, wie das in vergleichbaren Befragungen beispielsweise des Pew Research Centers oft der Fall ist. Wir haben stattdessen auf einen vierdimensionalen Ansatz zurückgegriffen und auf Basis von vorheriger Forschung und theoretischen Überlegungen angenommen, dass sich Wissenschaftsvertrauen aus vier Komponenten zusammensetzt: Erstens der wahrgenommenen Kompetenz von Wissenschaftler*innen. Zweitens der wahrgenommenen Integrität – also: wie sehr halten sie sich an Standards und ethische Grundsätze? Die dritte Komponente ist wahrgenommenes Wohlwollen, also inwiefern Wissenschaftler*innen am Wohl der Gesellschaft orientiert sind. Die vierte ist Offenheit gegenüber anderen Ansichten und Feedback aus der Bevölkerung. Zu diesen vier Dimensionen haben wir jeweils drei Fragen gestellt. Zum Beispiel wurde für die Kompetenzdimension gefragt, inwiefern die Teilnehmenden Wissenschaftler*innen für qualifiziert oder nicht qualifiziert halten.
Wie schneiden die Wissenschaftler*innen in den vier Dimensionen ab?
Global gesehen halten 78 Prozent der Befragten Wissenschaftler*innen für qualifiziert. Auch hält eine Mehrheit von 57 Prozent Wissenschaftler*innen für ehrlich und 56 Prozent denken, Wissenschaftler*innen seien um das gesellschaftliche Wohlergehen besorgt. Die Offenheitsdimension schneidet etwas schwächer ab. Nur 42 Prozent der Befragten denken, dass Forschende anderen Ansichten Aufmerksamkeit schenken.
Das heißt, die Wissenschaftskommunikation muss abwägen, welche Schlüsse sie daraus zieht: Ist mehr Offenheit wünschenswert oder nicht?
Genau. Es ist auch eine Aufgabe für uns Forschende, weiter zu überlegen, wie man Vertrauen in Wissenschaft konzeptualisiert und normativ einordnet. Und die Wissenschaftskommunikationspraxis sollte überlegen, inwiefern Offenheit für Dialog in die Praxis umgesetzt werden kann.
Es wird kontrovers diskutiert, inwiefern sich Wissenschaftler*innen gesellschaftlich und politisch einbringen sollten. Ihre Ergebnisse sprechen dafür?
Ja, weltweit wünschen sich 83 der Prozent der Befragten, dass Forschende mit der Öffentlichkeit kommunizieren sollten. Nur eine Minderheit von 23 Prozent heißt es nicht gut, wenn sich Wissenschaftler*innen für bestimmte politische Maßnahmen einsetzen. Das unterstreicht nochmals: Der Wunsch nach Dialog sowie Interaktion zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit und insbesondere Politik ist durchaus da.
Sie haben auch gefragt, in welchen Forschungsfeldern sich die Wissenschaft engagieren sollte. Was wünschen sich die Befragten?
Wir haben die Menschen dazu befragt, welches Maß an Beachtung die Wissenschaft bestimmten Forschungsfeldern beziehungsweise gesellschaftlichen Herausforderungen schenkt – und welches Maß an Beachtung sie diesen schenken sollte. Dabei zeigt sich, dass die drei Forschungsfelder Public Health, Energieversorgung und Armutsbekämpfung tendenziell unterpriorisiert werden. Weltweit gesehen sind Befragte der Auffassung, dass sich Forschende diesen Herausforderungen weniger widmen, als sie es sich wünschen würden. Andersherum glauben die Befragten, dass der Rüstungsforschung zu viel Aufmerksamkeit beigemessen wird.
Was nichts darüber aussagt, in welchen Bereichen tatsächlich viel geforscht wird – aber ein interessanter Befund für die Wissenschaftskommunikation?
Ja, wir haben die Bevölkerungswahrnehmung und Einschätzung untersucht. Hier könnte man hinterfragen, inwiefern Menschen eigentlich wissen, wieviel Kapazitäten der Armutsbekämpfungsforschung, der Gesundheitsforschung oder der Rüstungsforschung gewidmet werden. Diese Wahrnehmung speist sich ja unter anderem aus der Medienberichterstattung, den Nachrichten oder Eindrücken, die Menschen auf sozialen Medien und aus Gesprächen mit Freund*innen und Familien gewinnen.
Sie haben auch den Zusammenhang zwischen Vertrauen in Wissenschaft und „wissenschaftsbezogenem Populismus“ sowie „sozialer Dominanzorientierung“ untersucht. Was bedeuten diese Konzepte – und was haben Sie herausgefunden?
Wissenschaftsbezogener Populismus ist ein Thema, mit dem ich mich in meiner Forschung sehr viel beschäftige. Es geht dabei um die Vorstellung, dass Wissenschaftler*innen einer abgehobenen, angeblich korrupten Elite angehören, die nutzloses, abstraktes Wissen produziert. Auf der anderen Seite stehen die „einfachen Leute mit ihrem gesunden Menschenverstand“. Diese Einstellung haben wir mit acht Fragen gemessen. Dabei haben wir gesehen, dass wissenschaftsbezogener Populismus mit schwachem Vertrauen in Wissenschaft zusammenhängt. Es ist plausibel, dass sich niedriges Wissenschaftsvertrauen zum Teil aus populistischen Haltungen gegenüber Wissenschaft speist und andersherum.
Sie haben sich insgesamt 68 sehr unterschiedliche Länder angeschaut, in denen wiederum sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen leben. Wenn Sie aus den Antworten einen Durchschnitt berechnen: Was können uns diese Ergebnisse überhaupt sagen – und was nicht?
Gerade in der Wissenschaftskommunikation und in der Bildung ist es wichtig, verschiedene Zielgruppen spezifisch zu adressieren und dabei zum Beispiel zu berücksichtigen, was diese über Wissenschaft denken, wie sie sich informieren, wie wissenschaftsnah und -interessiert sie sind. Solche Variablen werden bei global aggregierten Ergebnissen, wie wir sie in der Studie überwiegend präsentiert haben, kaum berücksichtigt. Für die weitere Forschung, aber auch für die Praxis ist es deshalb wichtig, auf der Ebene von einzelnen Ländern und Bevölkerungssegmenten zu schauen: Was sind die spezifischen soziodemographischen Eigenschaften, politischen Haltungen, Wissenschaftseinstellungen und Mediennutzungsroutinen der Befragten?
Dann zeigt sich zum Beispiel, dass in einigen Ländern – wie in Deutschland – niedriges Wissenschaftsvertrauen mit konservativen und rechtsgerichteten politischen Einstellungen zusammenhängt. In anderen Ländern findet sich eher in linksgerichteten Lagern ein niedriges Wissenschaftsvertrauen. Global zeigt sich, dass niedriges Vertrauen mit niedrigerer Bildung und niedrigem Einkommen zusammenhängt. Diese Informationen sollten dann genutzt werden, um Zielgruppen gezielt zu adressieren.
Für länderspezifischen Analysen reicht der Platz in unserem ersten Paper nicht aus. Wir haben aber ein Online-Tool entwickelt, mit dem man auf Länderebene einzelne Analysen selbst durchführen kann. Wir haben auch den ganzen Datensatz veröffentlicht und laden Forschende, Studierende, Journalist*innen und alle anderen Interessierten dazu ein, damit zu arbeiten.