Apokalyptische Szenarien oder lösbare Herausforderungen? Was kommt uns eher beim Thema Klimawandel in den Sinn? Forscher*innen an der Universität Hamburg untersuchen, welche Frames in welchen Kontexten genutzt werden. Anne Reif über entfernte Gefahren, steigende Skepsis und den Einfluss von Deutungsmustern auf unser Handeln.
Wie wir uns die Zukunft des Klimas vorstellen
Frau Reif, Sie und Ihre Kolleg*innen untersuchen „Klimazukünfte“. Was bedeutet das?
Ich würde „Klimazukünfte“ als Aussagen über die zukünftige Entwicklung des Weltklimas beschreiben, die auf wissenschaftlichen Modellen beruhen. Unser Projekt ist ins Exzellenzcluster „Climate, Climatic Change, and Society“ (CLICCS) an der Universität Hamburg eingebettet. Die übergeordnete Forschungsfrage lautet: Welche Klimazukünfte sind möglich und plausibel? Dazu forscht ein großer Verbund aus unterschiedlichen naturwissenschaftlichen, aber auch sozial- und geisteswissenschaftlichen Projekten.
In unserem Projekt stellen wir uns insbesondere die Frage zur sozialen Konstruktion von Klimazukünften: Wie nehmen Menschen den Klimawandel wahr und wie kommunizieren sie darüber? Dahinter steht die Idee, dass sich Individuen und soziale Akteur*innen Gedanken machen und sich unterschiedliche Szenarien ausmalen, aufgreifen und interpretieren. Das sind zum Beispiel Annahmen darüber, welche Folgen der Klimawandel hat, wer eigentlich für die Ursachen verantwortlich ist und welche Lösungen es gibt. Dazu gehört aber auch die Frage, wie Menschen auf Grundlage dieser Vorstellungen handeln. Natürlich gibt es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Einstellungen und Handeln. Aber trotzdem nehmen wir an, dass das Handeln von Menschen in Bezug auf die Klimakrise auch damit zusammenhängt, welche Art von Zukunft sie sich vorstellen.
Der Exzellenzcluster CLICCS
Das an der Universität Hamburg angesiedelte Exzellenzcluster „Climate, Climatic Change, and Society“ (CLICCS) erforscht, wie sich das Klima verändert – aber auch, was das auf einer gesellschaftlichen Ebene bedeutet. Das Programm reicht von naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung zur Klimadynamik und klimabezogenen sozialen Dynamik bis hin zur transdisziplinären Erforschung von Mensch-Umwelt-Interaktionen. Im Projekt B1 „Soziale Konstruktion von Klimazukünften“ unter der Leitung von Michael Brüggemann, Simone Rödder und Michael Schnegg untersuchen Forschende, wie unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft des Klimas („Klimazukünfte“) in verschiedenen sozialen Bereichen (Medien, Aktivismus, Wissenschaft und Alltagsdiskurse) imaginiert werden und in welchen Zusammenhängen sie stehen. Bis September 2023 hat Lars Guenther (jetzt LMU München) das Forschungsvorhaben maßgeblich geprägt.
Sie erforschen, wie solche Klimazukünfte in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen – Sie sprechen von „Arenen“ – verhandelt werden. Welche schauen Sie sich an?
Bei der sozialen Konstruktion von Klimazukünften sind zum einen die Medien wichtig, weitere Akteur*innen sind der Aktivismus beziehungsweise soziale Klimabewegungen. Auf der anderen Seite stehen Alltagsdiskurse in lokalen Communities. Dazu haben meine Kolleg*innen ethnografische Fallstudien in unterschiedlichen Ländern durchgeführt, für die hauptsächlich Personen der lokalen Forst- und Landwirtschaft interviewt wurden: für Deutschland im Harz, in Arizona für die USA und im italienischen Südtirol.
Was haben Sie im Vergleich der unterschiedlichen Arenen herausgefunden?
Wir haben gesehen, dass es unterschiedliche Frames, also Deutungsmuster, zu Klimazukünften gibt, die in den Arenen und Communities diskutiert und immer wieder aufgegriffen werden. Unter Framing verstehen wir angelehnt an Robert M. Entman1 den Prozess der Auswahl und des Hervorhebens bestimmter inhaltlicher Aspekte eines Themas hinsichtlich möglicher Probleme, Ursachen, moralischer Bewertung und Lösungen.
Meine Kolleg*innen fanden auch Frames, die sich mit Lösungen beschäftigten. Aber es zeigt sich deutlich, dass der Fokus insgesamt stärker auf das Problem und distanzierte, überspitzte apokalyptische Szenarien gelegt wird als auf mögliche Lösungen.
Welche Wirkungen kann so ein Klimawandel-Framing haben?
Ausgehend von der Medienberichterstattung und den Klimaprotestbewegungen bilden sich entsprechende Bilder in den lokalen Communities beziehungsweise in der breiten Gesellschaft: Wie sehen realistische Klimazukünfte aus und welche Schlüsse kann ich daraus für mein eigenes Handeln ziehen? Dabei vermuten wir, dass beispielsweise der Frame „Distant Threat“ nicht unbedingt den Effekt hat, dass man ins Handeln kommt. Denn darin erscheint das Problem global und weit entfernt, statt auf einen konkreten Alltagskontext und mögliche Lösungen bezogen.
Welche Frames dominieren bei den Protestbewegungen?
Simone Rödder und Kolleg*innen haben Dokumente verschiedener Protestbewegungen untersucht und Interviews mit Aktivist*innen geführt. Sie haben herausgefunden, dass dort vor allem der Nutzen von wissenschaftlicher Evidenz in Form des Frames „Evidence First“ in den Vordergrund gestellt wird. Das eigene Anliegen und die eigene Arbeit werden durch die Autorität der Wissenschaft legitimiert. Auch apokalyptische Szenarien werden beschworen – so wie wir das in den Medien gesehen haben. Stärker als in der journalistischen Berichterstattung wird hier jedoch auf das Thema „Intergenerationale Ungleichheit“ hingewiesen, also dass die Folgen des Klimawandels vor allem die nächsten Generationen treffen werden.
Im Rahmen des Projektes im Exzellenzcluster wurden auch Lokaljournalist*innen interviewt. Was haben Sie herausgefunden?
Bei den Interviews mit Journalist*innen hat sich gezeigt, dass es vielen gar nicht so bewusst war, dass ihre Berichterstattung über Protestaktionen so eine zentrale Bedeutung hat. Besonders häufig wird anlässlich von Extremwetter-Ereignissen, bei Veröffentlichungen von IPCC-Berichten und UN-Klimakonferenzen berichtet – aber eben auch über Klimaproteste. Dabei spielt es für die Wahrnehmung des Klimawandels und potenzielles Handeln eine wichtige Rolle, wie diese Proteste medial geframt werden.
Die Herausforderung für den Journalismus ist generell, das riesige, komplexe und globale Problem des Klimawandels irgendwie herunterzubrechen und mit individuellem Alltagsverhalten in Verbindung zu bringen. Denn das macht am Ende einen Unterschied – beispielsweise bei der Wahlentscheidung, über die Menschen großen Einfluss nehmen können.
Trotz der großen journalistischen Aufgabe hätte ich nicht erwartet, dass es im Vergleich zwischen den Ländern Deutschland, USA, Indien und Südafrika keine bedeutenden Unterschiede in der Art und Weise gibt, wie Klimazukünfte adressiert werden. Das zeigt auch noch mal stärker, dass sich der Journalismus auch im globalen Kontext immer noch besonders mit der Frage aufhält, wie schlimm der Klimawandel ist, statt ganz konkrete Lösungen in den Mittelpunkt zu stellen.
Ihr Kollege Hendrik Meyer hat das am Beispiel der Berichterstattung in deutschen Medien über Fridays for Future und die Letzte Generation untersucht. Mit welchem Ergebnis?
Dieses Beispiel zeigt extreme Unterschiede. Während sich in den sozialen Medien bei allen Protestbewegungen eine Polarisierung entlang ideologischer Linien feststellen lässt, wenn es darum geht, ob Protestbewegungen unterstützt oder in Frage gestellt werden, scheint ein disruptiverer Klimaprotest dieses Phänomen zu verstärken. Die Debatten um die Protestform der Letzten Generation führen zu mehr, teilweise gewaltverherrlichenden, Aktionsaufrufen gegen Protestierende und zu verbalen Angriffen ihrer Unterstützer*innen durch rechtskonservative und rechtsextreme Nutzer*innen, Journalist*innen und Politiker*innen auf Twitter/X.
Neben den Medien und Protestbewegungen haben Sie auch Alltagskulturen in den Blick genommen. Wie sehen dort die Vorstellungen von Klimazukünften aus?
Bei den lokalen Communities, die das Team von Michael Schnegg untersucht hat, zeigte sich viel Pessimismus. Insgesamt fanden die Forschenden nur zum Teil Ableitungen des „Harmful Impacts Frames“, der aus der Wissenschaft kommt – und auch ein zaghaftes „Na mal gucken, vielleicht wird es gar nicht so schlimm, wie in den Medien dargestellt.“ Diese Skepsis in Bezug auf die Folgen des Klimawandels könnten insbesondere unter Personen in schon jetzt betroffenen Regionen überraschend erscheinen.
In regelmäßigen Abständen befragen Sie im Team von Michael Brüggemann Menschen in Deutschland zu ihren Einstellungen zum Klimawandel. Welcher Trend ist dabei zu erkennen?
Genau. Wir führen seit 2015 etwa alle zwei Jahre anlässlich der UN-Klimakonferenzen Umfragen mit ungefähr 1000 Personen durch. Es geht dabei um Klimabewusstsein, Einstellungen, aber auch Kommunikationsverhalten und Mediennutzung. Seit 2015 zeigten sich relativ stabile Werte – also hohes Klima-, aber auch Problembewusstsein und eine hohe Zustimmung, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt. In der letzten Erhebungswelle Ende 2023 haben wir erstmals einen starken Einbruch der klimafreundlichen Einstellungen und sogar dem Vertrauen in die Klimawissenschaft gesehen. Gleichzeitig stiegen die Zweifel und die Leugnungstendenzen an.
Zum Beispiel stimmten im Vergleich zu 2021 ungefähr zehn Prozent weniger Menschen zu, dass man klimapolitische Maßnahmen unterstützen sollte. Auch dass Deutschland international eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einnehmen sollte, fanden weniger Menschen. Ich denke, das spiegelt die aktuellen Wahlergebnisse und politischen Tendenzen in Deutschland wider. Unsere Daten liefern aber auch Anhaltspunkte zur Rolle bestimmter Medien – während nämlich klimafreundliche Einstellungen mit einer höheren Nutzung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens einhergeht, so steht eine stärkere Nutzung der Bild-Zeitung und sozialer Medien in der aktuellen Erhebungswelle mit weniger klimafreundlichen Einstellungen in Verbindung. In jedem Fall unterstreichen diese aktuellen Entwicklungen die weitere Relevanz unseres Forschungsbereiches noch einmal mehr.