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Wenn Hochschulen Haltung zeigen müssen

Positionen beziehen, „Klartext“ reden: Die Ansprüche an Hochschulen sind hoch – gerade in Krisenzeiten. Wie begegnen Kommunikationsabteilungen aktuellen Herausforderungen? Um Fragen von Haltung, Vertrauen und Kompetenz ging es bei der Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation.

Sei es der Ukraine-Krieg oder der Nahost-Konflikt: Die Krisen dieser Zeit treffen Hochschulen mit voller Wucht – und stellen Kommunikationsabteilungen vor Herausforderungen. Universitäre Räume werden zu Austragungsorten für Proteste. Die Wissenschaft ist gefordert, Erklärungen zu liefern. Und die Ansprüche an Hochschulen, zu komplexen politischen Fragen Position zu beziehen, scheinen zu steigen. Aufgeheizte Debatten in den sozialen Medien verschärfen die Gefahr von verkürzten Debatten, Missverständnissen und Shitstorms. Mittendrin: Hochschulkommunikator*innen, die durch die Untiefen gesellschaftlicher, politischer und interner Debatten lavieren und versuchen, Lösungen zu finden.

Aufgeheizte Debatten in den sozialen Medien verschärfen die Gefahr von verkürzten Debatten, Missverständnissen und Shitstorms.
Unter der Überschrift „Bewegte Zeiten für Kommunikation – Haltung, Vertrauen, Kompetenz“ diskutierten vom 11. bis zum 13. September Hochschulkommunikator*innen über ihre Erfahrungen mit Krisen, empfehlenswerte Strategien und das eigene Rollenverständnis. In seinem Grußwort zur Eröffnung der Jahrestagung des Bundesverbandes für Hochschulkommunikation an der Georg-August-Universität Göttingen hebt Gian-Andri Casutt* die internationale Bedeutung des Themas hervor. Der Leiter der Kommunikation des Rats der Eidgenössischen Technischen Hochschulen Schweiz und Präsident von EUPRIO, European Association of Communication Professionals in Higher Education, spricht ein Grußwort zur Eröffnung der Tagung. Darin erinnert er daran, dass die Präsidentinnen der University of Pennsylvania und der Harvard University im vergangenen Winter auf massiven öffentlichen Druck hin zurückgetreten sind. Beiden wurde vorgeworfen, im Zuge von pro-palästinensischen Demonstrationen auf dem Gelände der Universitäten zu wenig gegen Antisemitismus getan zu haben.

Brauchen Hochschulen eine klare politische Haltung?

Wichtig sei, als Hochschule permanent den Austausch mit der Öffentlichkeit zu suchen, um eine feste gesellschaftliche Verankerung zu gewährleisten. Dies könne sie auch resilienter gegenüber potenziellen Shitstorms machen. Gian-Andri Casutt
Nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa stehen Hochschulen unter Druck – und unter Beobachtung. „Wir müssen transparent kommunizieren und offen sein“, fordert Casutt. Wichtig sei, als Hochschule permanent den Austausch mit der Öffentlichkeit zu suchen, um eine feste gesellschaftliche Verankerung zu gewährleisten. Dies könne sie auch resilienter gegenüber potenziellen Shitstorms machen. Denn dann verbinde die Öffentlichkeit die Hochschule mit vielen verschiedenen Themen – der aktuelle Aufreger sei nur eines davon.

Dass Hochschulen Austragungsorte gesellschaftlicher Debatten sind, ist nicht neu – und auch durchaus erwünscht. Aber war der Anspruch schon immer da, zu politischen Fragen Stellung zu beziehen? „Wann hat es angefangen, dass Universitäten sich positionieren müssen?“, fragt Katja Bär in ihrer Eröffnungsrede. Die Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation und Chief Communications Officer der Universität Jena stellt die Selbstverständlichkeit in Frage, mit der eindeutige Antworten von Hochschulen erwartet werden. Welche Rolle sie gesellschaftlich spielen, welche Verantwortung sie übernehmen und wann sie sich wie positionieren, unterliegt einem Aushandlungsprozess. Die Hochschulkommunikation gestaltet diesen maßgeblich mit.

Eine Hochschule, viele Meinungen

Bei der Jahrestagung des Bundesverbands geht es um inhaltliche und strategische, aber auch viele praktische Fragen. Neben Workshops zur Präsenz auf Social-Media-Kanälen, Studierenden- Marketing, Corporate Design oder Wissenschaftskommunikation in ländlichen Räumen, stehen auch immer wieder grundsätzliche Debatten im Fokus.

„Wie können Hochschulen überhaupt eine Haltung vertreten?” Katja Bär
Bei der Fish-Bowl-Diskussion zum Auftakt der Tagung kommen Kommunikator*innen auf die Bühne und diskutieren mit. Für sie sei eine Hochschule zuerst einmal ein Gefäß – ein Ort, an dem Menschen offen diskutieren können, sagt eine Teilnehmerin. Aber wie viel eigene Meinung kann und soll eine Hochschule formulieren? Eine Kollegin aus Berlin verweist auf übertriebene Erwartungen, die Hochschulen bisweilen entgegengebracht werden. Sie sollten Antworten auf Fragen liefern, die derzeit niemand beantworten könne. „Aber wir erlauben uns nicht, keine Stellung zu beziehen.“

Ist es besser, sich herauszuhalten? Nein, argumentiert eine andere Teilnehmerin. Sie sagt, dass Universitäten die Verantwortung hätten, sich einzubringen – gerade bei komplexen Themen wie dem Nahostkonflikt. „Da, wo wir schweigen, entsteht ein Vakuum.“

Eine weitere Teilnehmerin berichtet, dass oft von außen nicht verstanden werde, wie Hochschulen funktionieren. Das zu erklären, sei aktuell eine weitere Aufgabe der Kommunikationsabteilungen. Auch Katja Bär verweist auf die dezentrale Struktur der Hochschulen, in der einzelne Gruppen ein hohes Maß an Autonomie genießen, wenn sie fragt: „Wie können Hochschulen überhaupt eine Haltung vertreten?“ Auch diese Frage ist keine, auf die es eindeutige Antwort gibt. Der Erfahrungsaustausch zeigt: Die Meinungsbildungsprozesse an Hochschulen sind unterschiedlich, themenabhängig – und nicht immer ganz einfach.

Es zeigt sich auch: Von außen werden Hochschulen häufig einheitlicher wahrgenommen, als sie es sind. Das wird deutlich, wenn Professor*innen, Fachbereiche, Studierenden oder externe Institutionen Veranstaltungen in universitärem Kontext anbieten. Insbesondere dann, wenn es Kritik gibt – und Schuldige gesucht werden. Wie viel Verantwortung aber trägt DIE Hochschule für das, was innerhalb, aber auch außerhalb ihrer Räume geschieht? Wo sollte sie Grenzen setzen? Wann sollte sie sich aktiv einmischen?

Umgang mit extremen Positionen

Die Meinungsbildungsprozesse an Hochschulen sind unterschiedlich, themenabhängig – und nicht immer ganz einfach.
Was Hochschulen angesichts der erstarkenden extremen Kräfte in Deutschland tun können und sollen, ist ein Diskussionsthema beim Workshop „Stoppschilder vs. Brandmauern“ von Simon T. Franzmann, Professor am Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen. Die Teilnehmenden berichten von unterschiedlichen Erfahrungen mit der Teilnahme an Demonstrationen. Eine Kommunikatorin berichtet, dass ihre Universität an einer Veranstaltung gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit teilgenommen habe. Statt diese Themen zu betonen, sei vor allem Stimmung gegen die AfD gemacht worden. Ziel der Universität sei aber gewesen, für Werte einzutreten, nicht gegen eine bestimmte Partei. Um solche Situationen zu vermeiden, empfiehlt ein Kollege aus einer anderen Stadt, positive Inhalte wie Weltoffenheit in den Fokus zu rücken, statt „gegen“ etwas zu demonstrieren.

Zum Umgang mit der AfD rät Simon T. Franzmann, nicht im Sinne einer „Brandmauer“ Meinungen auszuschließen. Stattdessen sei es sinnvoller, gezielt „Stoppschilder“ zu setzen, wo Grenzen überschritten werden. „Wer die Spielregeln nicht achtet, mit dem sollte nicht gespielt werden.“ Eine Situation, in der ein klares Stoppschild aufgestellt werden müsse sei die Frage nach einer gemeinsamen Regierungsbildung mit Personen, die die repräsentative Demokratie verachten und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. „Da muss ein klares Stopp stehen“, sagt Franzmann.