Wie vermittelt man Wissenschaft in einer Medienwelt voller zugespitzter Meinungen und Desinformation? Mai Thi Nguyen-Kim spricht im Interview über die Schwierigkeit, mit Fakten durchzudringen, den Einfluss von Populismus und warum Bedrohungen von Wissenschaftler*innen die Freiheit der Demokratie gefährden.
Wissenschaft zu vermitteln, ist wie „bringing a knife to a gunfight“
Frau Nguyen-Kim, wie kann Wissenschaft zu aktuellen Debatten über die großen Herausforderungen unserer Zeit beitragen?
Es ist wichtig, dass Wissenschaft erst einmal überhaupt auf mögliche Probleme aufmerksam macht. Zugleich ist es wichtig, die Menschen nicht ohnmächtig zurückzulassen, sondern Lösungen aufzuzeigen. Doch das ist gar nicht so einfach. Gerade aus der wissenschaftlichen Perspektive gibt es eigentlich nie eine Maßnahme, die alles löst. Das sehen wir sehr gut am Beispiel Klimawandel. Die Menschen hätten aber gerne eine Lösung und nicht zig Teillösungen.
Wissenschaftler*innen und Wissenschaftsjournalist*innen haben also einen systemischen Nachteil, weil ihre Inhalte, wenn sie diese gut vermitteln wollen, eine gewisse Komplexität haben und Differenzierung brauchen. Andere öffentliche Player etwa aus der Politik bekommen mit einfachen und zugespitzten Botschaften viel leichter Aufmerksamkeit. Dabei können diese im Grunde frei Dinge behaupten oder versprechen. Das ist im Vergleich zur an Fakten orientierten Wissenschaftskommunikation nicht nur einfacher, sondern auch medial wirksamer.
Ein Problem auch der heutigen Medien?
Ja, Medien und digitale Plattformen bevorzugen oft zugespitzte Inhalte. Dies wird außerdem angetrieben von werbebasierten Algorithmen. Da haben es wissenschaftliche Inhalte schwerer durchzudringen. Dass es schwer ist, sich mit komplexen Inhalten Gehör zu verschaffen, sehen wir aber auch in Talkshows. Diese bieten überhaupt nicht den Rahmen, um ernsthaft etwas zu erklären. Du hast nur wenige Minuten Zeit und diese sind zerstückelt und verteilt auf unterschiedliche Debattenstränge. Das Beste, was einem da passieren kann, ist, dass die Bildzeitung einen am nächsten Tag nicht auseinandernimmt und man nicht mit Hate-Mails überschüttet wird.
Ich finde, dass es in dieser Gemengelage eine große Herausforderung ist, Wissenschaft zu vermitteln. Das ist ein bisschen wie „bringing a knife to a gunfight“.
Wer öffentlich über Wissenschaft kommuniziert, läuft also systematisch Gefahr nicht durchzudringen oder gar bedroht zu werden?
Einerseits möchten wir, dass Wissenschaft mehr in der öffentlichen Wahrnehmung stattfindet. Gleichzeitig wird Wissenschaft gerade bei relevanten Themen auch sehr schnell verzerrt. Zum Beispiel aufgrund von verschiedenen persönlichen, ideologischen oder politischen Agenden. Weil man natürlich mit Desinformationen alles Mögliche behaupten und im Zweifelsfall damit auch viel Zuspruch gewinnen kann. Diese Verzerrungen können letztlich zu einer Ablehnung gegenüber einzelnen Forschungsbereichen mitsamt deren Forscher*innen führen. Ein Beispiel sind Tierversuche, aber grundsätzlich ist dies für alle Forschungsbereiche so möglich.
Ich glaube, diese Situation hat sich durch unsere aktuelle Medienlandschaft inklusive der Sozialen Medien nochmal verschärft. So gehen Forscher*innen, die sich öffentlich äußern, heute damit das Risiko ein, anschließend bedroht zu werden. Das grenzt die freie Meinungsäußerung zu Themen der Wissenschaft eindeutig ein. Ja, dies bedroht die Freiheit generell – sowohl die zur freien Meinungsäußerung als auch die Freiheit der Wissenschaft.
Das finde ich sehr, sehr beunruhigend. Wie kann es sein, dass es Mut braucht, um über Wissenschaft aufzuklären? Das ist für eine Demokratie ein großes Problem.
Wie gehen Sie selbst mit Bedrohungen um?
Ich habe das große Privileg eines Teams um mich herum, einen riesigen Sender wie das ZDF und einen großen Verlag im Rücken, die mich stützen. Diese ganzen Kommentare muss ich also nicht selbst lesen. Wer auch immer mich bedroht: Es kommt nicht bei mir an. Nur manchmal wird mir etwas zum Unterschreiben hingelegt, wenn es juristisch verfolgt werden muss.
Das ermöglicht es mir, dass ich mich sehr frei fühle in meiner Arbeit. Wissenschaftler*innen haben diese Rückendeckung nicht.
In den ersten Jahren auf YouTube hatten Sie diese Rückendeckung nicht. Wie sind sie da mit Kommentaren umgegangen?
Natürlich gab es da auch viele beleidigende Kommentare. Oft waren die Personen dahinter offensichtlich desinformiert und gaben irgendwelche klassischen wissenschaftsleugnenden Ansichten wieder – sei es zum Thema Impfen oder Klimawandel.
Auf solche Beleidigung bin ich gar nicht eingegangen und habe mich nicht provozieren lassen. Ich bin in meiner Argumentation ganz bei der Sache und im Ton respektvoll geblieben. Das erfordert allerdings sehr viel Zen (lacht). Ganz ehrlich, auf die anderen sachlich zuzugehen, ist natürlich eine sehr anstrengende Haltung, gerade aus der Wissenschaft heraus. Die anderen kommen mit ihrer Schlammschlacht und du hältst mit deinem Regelwerk dagegen und versuchst die Contenance zu bewahren.
Aber das hat oft zu erstaunlich respektvollen Antworten geführt. Beispielsweise zu einem „Danke“. Sehr oft auch zu einer Entschuldigung für den vorherigen Ton. Wenn man das geschafft hat, fühlt sich das ganz toll an und man gewinnt wieder ein bisschen den Glauben an die Menschheit zurück – selbst im Internet!
Manche sind natürlich trotzdem rein konfrontativ geblieben und haben weiter gestichelt. Über die Zeit habe ich aber ein sehr gutes Gespür dafür entwickelt, wann es sich nicht mehr lohnt zu diskutieren.
Mit zunehmender Bekanntheit ist das allerdings noch schwieriger geworden. Und seit der Pandemie stecke ich in einer medialen Schwarz-Weiß-Wahrnehmung. Ich bin gebrandet und weiß, dass ich einen gewissen Teil der Menschen mit meinem Gesicht nicht mehr erreichen kann.
Forscher*innen, die sich öffentlich äußern, erreichen oft auch schnell Bekanntheit und werden in mediale Schubladen gesteckt. Also besser bleiben lassen?
Auf persönlicher Ebene kann ich es sehr gut nachvollziehen, dass zum Beispiel während der Pandemie einige gesagt haben: In diese Sendung gehe ich nicht. Doch, wenn du als Forscher*in willst, dass Wissenschaft frei von Ideologie und Parteipolitik ist, kannst du dich nicht komplett raushalten. Ich nenne das den Neutralitätstrugschluss. Wenn diejenigen, die sich damit am besten auskennen, sich zurückhalten, dann haben wir ein großes Problem. Die Frage ist: Möchtest du die Narrative anderen überlassen oder mitreden und teilhaben?
Genügt das als Anreiz, um sich einzubringen?
Natürlich nicht. Deshalb verstehe ich ja, dass sich immer noch etliche Forschende in der Kommunikation eher zurückhalten. Wer sich einbringt, macht dies immer noch vor allem aus Überzeugung, Idealismus und Verantwortungsbewusstsein. Was nach wie vor fehlt, sind solide Strukturen. Das reicht von mangelnden Möglichkeiten sich in der Kommunikation fit zu machen bis zu mangelndem Back-up und Anerkennung.
Ein Beispiel: Wenn ich meinen Job als Wissenschaftsjournalistin gut mache, dann bekomme ich dafür nicht nur Geld, sondern auch Anerkennung; vielleicht einen Preis; ich kann mein Team erweitern; ich verkaufe mehr Bücher und so weiter.
Aber als Forscher*in habe ich von all dem zunächst gar nichts. Alles was zählt für meinen Lebenslauf und meine Karriere ist meine Forschung. Beteiligungen an Bürgerdialogen oder Tagen der offenen Tür zahlen nicht auf meine Karriere ein. Es gibt also keine akademischen Anreize dafür.
Ich denke, Wissenschaftskommunikation sollte keine Pflicht für alle Forschenden sein. Aber es sollte die Möglichkeit geben, sich auch darüber zu profilieren. So könnte Wissenschaftskommunikation beispielsweise bei Stellenausschreibungen eine zunehmende Rolle spielen – etwa für prestigeträchtige Leitungspositionen von Forschungsinstituten wie Max Planck oder Fraunhofer.
Meine große Hoffnung ist dann, dass etwas aus der Forschungskultur zu ihrer Kommunikation beiträgt. So könnte aufbauend auf den in der Akademia etablierten Peer-Review-Verfahren auch in der öffentlichen Kommunikation ein Review-Mechanismus insbesondere für heikle Themen etabliert werden, der die Qualität der Aussagen sichert. Dies stünde den medialen Regeln gegenüber, die letztlich nur die Quote belohnen.
Darf oder muss Wissenschaft aktivistisch sein, um für politische Ziele einzutreten?
Ich finde, dass Aktivismus und Journalismus genauso wie Aktivismus und Wissenschaft nicht zusammengehen. Wissenschaft und Journalismus haben den Anspruch, möglichst objektiv zu berichten. Grundsätzlich verlieren wir also an Vertrauen oder werden unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn wir das vermischen. Meiner Meinung nach muss man sich also entscheiden und im Zweifel den Journalismus oder die Wissenschaft verlassen und sich ausschließlich dem Aktivismus widmen.
Wie passt das zu Ihrem Commitment mit den Scientists for Future?
Ich habe mich damals für das Unterzeichnen der initialen Stellungnahme der S4F entschieden, weil dies für mich vor allem eine Liste von Fakten ist. Fakten, die zum damaligen Zeitpunkt nicht als solche genügend ernstgenommen wurden. Damit habe ich – haben die Scientists for Future – den Fridays for Future ein Backup aus der Wissenschaft gegeben, für alle die kritisieren, diese seien nur Ideolog*innen und Aktivist*innen.
Es ist eben keine Politik und kein Aktivismus, wenn ich sage: Es gibt die Schwerkraft. Und es ist auch keine Ideologie, wenn ich sage: Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren. Für diese und weitere Fakten können wir als Wissenschaftler*innen einstehen. Das ist aus meiner Sicht aber kein Aktivismus.
Aus Ihrem Statement vom Februar mit Sätzen wie „wenn du willst, dass es gut wird, musst du es halt selbst machen“, haben viele mitgenommen: Mai geht in die Politik. Wozu diente das Video?
Die Andeutung, dass ich in die Politik gehe, war erstmal ein Mittel, um Populismus zu betreiben. Denn Populismus war das Thema der nächsten Folge von Maithink X. Ich wollte zeigen, dass wir alle anfällig sind für Populismus und darauf hereinfallen können. Nur weil uns jemand ideologisch entspricht, heißt das noch lange nicht, dass diese Person uns mehr als hohle Phrasen gibt.
Deshalb habe ich das Wording natürlich so gewählt, dass ich genau nicht sage, dass ich in die Politik gehe. Aber es steht so sehr im Raum, dass man es erst einmal nicht anders verstehen konnte, das war so gewollt. Ich wäre darauf auch reingefallen.
Grundsätzlich finde ich, dass man Populismus nicht per se verteufeln muss. Es gibt ihn schon immer und er ist ein bisschen wie das Salz in der Suppe. Doch die Suppe kann schnell versalzen werden. Ich bin auch der Frage nachgegangen, ob aktuell in Deutschland insbesondere der Rechtspopulismus demokratiegefährdend ist oder Populismus per se? Man muss verstehen, dass es derzeit so viel Frust gibt. Und es ist so einfach diesen Frust abzugreifen und populistisch erfolgreich zu sein. Das wollte ich zeigen.
Es war also gewollt, dass (fast) alle auf diesen Scoop hereinfallen?
Dieses Ausmaß haben wir von der Redaktion nicht erwartet. Wir dachten, es wird ein Medienecho geben für einen Tag. Und sobald Anfragen kommen und wir transparent den Hinweis geben, „schauen Sie doch am darauffolgenden Sonntag um 22:25 Uhr MaiThinkX auf ZDF Neo“, dann ist die Katze aus dem Sack. Dann weiß jeder, dass das mit der Sendung zu tun hat und diese findet in einem politisch neutralen öffentlich-rechtlichen Sender statt.
Überrascht hat mich auch, dass so viele Menschen es schlüssig fanden, dass ich in die Politik gehen würde. Einige haben am Ende sogar richtig sauer reagiert, weil ich es nicht vorhabe. Ich habe doch aber gar nicht die Expertise für Politik! Natürlich greife ich politisch relevante Themen auf – zu Corona, Impfen, Homöopathie, grüne Gentechnik oder Klimawandel. Aber das macht mich noch lange nicht zu einer guten Politikerin.
Politische Beratung ja, aber keine Politik?
Genau. Was oft missverstanden wird: Wenn es eine wissenschaftliche Empfehlung gibt, die faktisch und objektiv ist, heißt dies ja nicht, dass sie die einzig richtige ist. Es ist schlicht eine wissenschaftliche Empfehlung.
Dann sollten die Politiker*innen übernehmen. Es ist deren Verantwortung, den wissenschaftlichen Rat einzubeziehen und das Ganze zu sehen und am Ende abwägende und im Zweifel auch andere Entscheidungen zu treffen. Ich wünschte mir, Politiker*innen würden sich öffentlich so abwägend äußern und dazu stehen, dass sie andere Entscheidungen treffen, ala „Wir machen es aber anders, weil wir noch diese und jene Faktoren einbeziehen.“
Das geschieht so gut wie nie. Stattdessen wird lieber versucht, wissenschaftliche Empfehlungen so zu verzerren, dass sie zum Programm passen. Genau das schadet am Ende der Wissenschaft. Liebe Politiker*innen: Nehmt eure Entscheidungen doch auf eure Kappe.