Wie kommt die Wissenschaft eigentlich in die Politik? Ein Weg ist die wissenschaftliche Politikberatung. Wie genau diese funktioniert und ob sie überhaupt Sinn ergibt, erklärt Prof. Dr. Michael Böcher.
Wissenschaftliche Politikberatung – Einführung und Überblick
Warum wissenschaftliche Politikberatung?
Wissenschaftliche Politikberatung ist allgegenwärtig: Viele politische Herausforderungen der Gegenwart sind nur mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse zu lösen: Klimawandel, demografischer Wandel, Migration, Sicherung der Altersversorgung …, die Lösung solcher politischen „Großprobleme“ benötigt wissenschaftsbasierte Fakten, Prognosen und Lösungsalternativen. Wissenschaftliche Politikberatung ist an der Schnittstelle zwischen politischem System und Wissenschaftssystem angesiedelt. Sie dient dazu, wissenschaftliche Erkenntnisse den Akteuren des politischen Prozesses zur Verfügung zu stellen bzw. umgekehrt, die Nachfrage der Politik nach wissenschaftsbasierten Lösungen zu bedienen. Politikberatung soll der Politik einen sachorientierten wissenschaftsbasierten Lösungsbeitrag in Bezug auf konkrete politische Inhalte aufzeigen.1 Wissenschaftliche Politikberatung wird also betrieben, weil Politik zunehmend auf wissenschaftsbasierte Lösungen angewiesen ist. Adressaten wissenschaftlicher Politikberatung sind staatliche Institutionen wie die Regierung, die Parlamente, die Ministerialverwaltung und die Gerichte, aber auch nichtstaatliche Akteure wie Unternehmensverbände, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, politische Parteien und nicht zuletzt Bürgerinnen und Bürger.
Wer sind die wissenschaftlichen Politikberater?
Wissenschaftliche Politikberatung kann stark oder weniger stark formal geregelt sein: so existieren dauerhafte Sachverständigengremien der Bundesregierung wie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („die Wirtschaftsweisen“) oder der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU). Den Deutschen Bundestag und seine Abgeordneten beraten der eigene Wissenschaftliche Dienst und das Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB). Daneben gibt es zahlreiche wissenschaftliche Institutionen, z.B. der Leibniz- oder Helmholtzgemeinschaft, die auch in der Politikberatung aktiv sind. Eine Fülle an privat oder öffentlich finanzierten Think Tanks, wie z. B. das Öko-Institut in Freiburg, ergänzt die Politikberatungslandschaft. Nicht zu vergessen sind Universitäten, die im Rahmen öffentlicher Auftragsforschung in der Politikberatung aktiv sind. Einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zudem politikberatend tätig, wenn sie durch Medienbeiträge, z. B. in Printmedien oder in Talkshows wissenschaftliche Einschätzungen zu politischen Gegenwartsthemen äußern. Eine Sonderform wissenschaftsbasierter Politikberatung stellen die Ressortforschungseinrichtungen dar, die im Geschäftsbereich einzelner Ministerien angesiedelt sind und die Aufgabe haben, „auf Abruf“ wissenschaftsbasierte Lösungen anhand der ganz konkreten Nachfrage der Ministerien zu liefern.2 Das Umweltbundesamt ist ein prominentes Beispiel für eine solche Ressortforschungseinrichtung der Umweltpolitik.
Die Politikberatungslandschaft ist vielfältig – in den letzten Jahren ist hier sogar eine stärkere Ausdifferenzierung zu beobachten, was mit der Vielfalt der politischen Herausforderungen und der Zahl am politischen Prozess beteiligter und zu beratender Akteure zusammenhängt.
Ablauf von Politikberatung
Der idealtypische Ablauf wissenschaftlicher Politikberatung wäre, dass ein politischer Akteur wie ein Ministerium in Bezug auf ein konkretes politisches Problem eine Politikberatungsinstitution beauftragt, entsprechende wissenschaftsbasierte Lösungen zu entwickeln. Diese Vorstellung eines klaren Auftraggeber-/ Auftragnehmer-Verhältnisses verschwimmt aber zunehmend – im politischen Prozess fehlt oft die klare Trennung zwischen Angebot und Nachfrage nach Politikberatung. Häufig sind es Wissenschaftler selbst, die mit ihren Erkenntnissen, unterstützt durch die Medien, an die Öffentlichkeit gehen, und damit erst einen entsprechenden politischen Prozess anstoßen. So war der Beginn der deutschen und internationalen Klimapolitik der 1980er und 1990er Jahre vor allem ein Ergebnis davon, dass Wissenschaft immer mehr Evidenz dafür lieferte, dass es einen
menschengemachten Klimawandel gibt. Gerade neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Verbund mit zum Teil katastrophenhaften Medienberichten sorgten dafür, dass das Klimaproblem auf die politische Agenda kam. Realistischer als ein klassisches Auftragsverhältnis sind also dauerhafte Austauschbeziehungen und gegenseitige Beeinflussung von Politik und Wissenschaft, wobei es natürlich nach wie vor auch noch ganz konkrete Politikberatungsaufträge seitens politischer Akteure gibt.
Ist Politikberatung sinnvoll und erfolgreich? Welche Probleme gibt es?
Die schwierige Frage, ob wissenschaftliche Politikberatung erfolgreich ist, lässt sich nur beantworten, wenn man sich zunächst vor Augen führt, was die Unterschiede zwischen Politik und Wissenschaft sind: In der Politik stehen Auseinandersetzungen um unterschiedliche Interessen an der Tagesordnung. Politik ist durch Machtgewinn und Machterhalt geprägt. Politiker müssen häufig dann Entscheidungen treffen, wenn die Situation dafür günstig ist, z. B. gerade eine Wahl gewonnen wurde, oder die Stimmung in der Bevölkerung gerade passt. Oft können Politiker nicht so lange warten, bis ein Problem in all seinen Facetten wissenschaftlich untersucht ist und entscheiden unter Unsicherheiten. Wissenschaft hingegen ist idealtypisch betrachtet ein fortlaufender Prozess der nie abgeschlossenen Wahrheitssuche, welcher auf kritischen Diskussionen innerhalb der „Scientific Community“ basiert, der naturgegeben bei vielen Themen wissenschaftliche Unsicherheiten und Kontroversen produziert.
Besitzt man die unrealistische Vorstellung, dass Wissenschaft der Politik eindeutige Rezepte anbieten könne, die die Politik eins zu eins umsetzt, dann müsste Politikberatung als wenig erfolgreich angesehen werden. Dieses sogenannte „lineare Politikberatungsmodell“ wird nach wie vor trotz aller Probleme viel diskutiert. Realistischer hingegen ist die Vorstellung, dass die Wissenschaft politischen Akteuren wissenschaftsbasierte Lösungen in Form von Alternativen und Prognosen anbieten kann, über die dann politische Entscheidungen auf der Basis zugrundeliegender politischer Überzeugungen und Interessen getroffen werden. Dabei ist oft entscheidend, welche politischen Akteure und Institutionen die Macht dazu besitzen, eine wissenschaftsbasierte politische Lösung durchzusetzen.3 Ein weiteres Missverständnis hinsichtlich eines vermeintlichen Misserfolgs von Politikberatung beruht darauf, dass durch die oft nicht eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse das „Politische“ in politischen Entscheidungen, also der Kampf um Werte und Interessen in Bezug auf bestimmte Lösungen, nicht wegrationalisiert werden kann. Bei kontroversen Themen wie der aktuellen Debatte um die Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichters „Glyphosat“ wird genau dies deutlich: Hier kann und darf letztendlich nur die Politik entscheiden, ab welcher Höhe von Risiken und Wahrscheinlichkeiten einer gesundheitsschädlichen Wirkungen dieses Stoffes sie diesen eher verbietet oder weiter in Verkehr lässt – die wissenschaftliche Datenlage ist nicht so eindeutig als könne sie eine politische Entscheidung überflüssig machen, auch wenn politische Akteure sich dies häufig wünschen, um unangenehmen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen.
Insgesamt ist – wenn man Vorstellungen einer technokratischen Politik auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse eine Absage erteilt – wissenschaftliche Politikberatung zugleich als notwendig und durchaus erfolgreich anzusehen: Erfolge in der Umwelt- und Klimapolitik seit den 1970er Jahren z. B. wären ohne Politikberatung undenkbar. Es muss nur klar sein, dass Wissenschaft und Politik in einer Gesellschaft unterschiedliche Rollen wahrnehmen, auf unterschiedlichen Prinzipien basieren, und politische Entscheidungen naturgemäß auf der Basis einer Kombination von Werten, Ideologien und Fakten, aber keineswegs nur auf letzteren beruhen. Ein zu großer Einfluss von Wissenschaft wäre dabei auch aus demokratietheoretischer Sicht nicht unbedenklich, da nur politische Entscheidungen demokratisch legitimiert sind und sich Politiker regelmäßig zur Wahl stellen müssen, nicht jedoch die Wissenschaft in gleichem Maße politische Verantwortung trägt.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.