Nach fast sieben Jahren auf Twitter ist der Real-Scientists-DE-Account dort stillgelegt worden. Er wird mit einem kleineren Publikum auf der weniger bekannten Plattform Bluesky weitergeführt. Im Gastbeitrag erzählen die Köpfe hinter dem Account, wie ihnen der Wechsel gelungen ist.
So gelang den „Real Scientists DE“ der Wechsel zu Bluesky
Der Hintergrund
Real Scientists DE ist ein sogenannter Rocur (Rotating Curated Account): ein Social-Media-Account, der von Zeit zu Zeit an eine andere Person weitergegeben wird. Das Prinzip ist bekannt durch den Account des US-Präsidenten, auch dieser wird dem jeweiligen Amtsinhaber zur Verfügung gestellt.
2013 hatte die australische Molekularbiologin Upulie Divisekera die Idee, dasselbe auch für Forschende einzuführen: Ein Twitter-Account, der jede Woche an jemand anderen aus der Wissenschaft weitergegeben wird. Das war eine Win-Win-Situation: Das Publikum bekam jede Woche interessante News aus Feld oder Labor und für die jeweiligen Kurator*innen des Accounts war es eine Möglichkeit, ein neues (und meist größeres) Publikum anzusprechen als auf ihren persönlichen Accounts.
Vier Jahre später ging das erste Spin-Off des Accounts an den Start, die deutschsprachige Version Real Scientists DE. Gegründet von Jens Foell, und inzwischen geleitet von Foell, Sophie Elschner und Lena Schwenker, brachte der Account dasselbe Konzept in den deutschsprachigen Raum. Bis Ende 2022 hatte der Account über 22.000 engagierte Follower angesammelt und war nahezu ohne Unterbrechung jede Woche aktiv. Dann kam die befürchtete Übernahme und Neuausrichtung von Twitter.
Unsere Beweggründe
Die Übernahme hatte sowohl für den neuen Plattformbetreiber als auch für die Nutzer*innen Konsequenzen. Nicht nur verlor der neue Besitzer im Anschluss so viel Geld wie niemals jemand zuvor. Viele Nutzer*innen, insbesondere auch aus der Wissenschaft, reagierten mit Rückzug: Nachdem die Feindseligkeit auf der Plattform zunahm, und die neue Leitung auch nicht davor zurück schreckte, Forschenden mit Klagen zu drohen, verließen Tausende Wissenschaftler*innen die Plattform. Auch auf dem Real Scientists Account konnten wir Veränderungen beobachten. Trotz steigender Follower*innenzahlen nahmen Interaktion und Reichweite der Tweets ab. Es machte für uns den Anschein, dass viele zwar ihr Konto nicht löschten, jedoch auch nicht weiter aktiv nutzten. Um ein genaueres Stimmungsbild von unserer Community zu erhalten, haben wir Umfragen zum Nutzungsverhalten unseres Accounts durchgeführt. Die Ergebnisse bestätigten unsere Beobachtung, dass viele Twitter verlassen hatten, selbst wenn es ihre Accounts noch gab. Auch aktuelle Zahlen bestätigen, dass die Nutzung der Plattform seit der Übernahme eingebrochen ist.
Auch wenn wir bei Real Scientists DE unsere Community nicht leichtfertig aufgeben wollten, stellte sich für uns neben dem Einbruch der Reichweite ein ethisches Dilemma. Die Diskussionskultur auf der Plattform schien sich von einem offenen und faktenbasierten Klima hin zu einem Ort für Verschwörungsmythen und Anfeindungen zu entwickeln. Nach der Neuausrichtung fluteten hasserfüllte Nachrichten die Plattform, darunter Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Transphobie. Dies ergab sich vor allen Dingen auch dadurch, dass jegliche Moderation der Inhalte auf der Plattform abgeschafft wurde. Diese Entwicklung widerspricht den zentralen Werten, die wir mit Real Scientists DE vertreten möchten.
Kern des Projekts ist es, allen in der Forschung eine Plattform zu geben, ganz gleich wie sie aussehen, woran sie glauben oder wen sie lieben. Nach einigen Wochen der Abwägung und Beobachtung war für uns die neue Plattform X nicht mehr der richtige Ort für Real Scientists DE. Wir wollten nicht riskieren, dass unsere Kurator*innen durch das neue, rauere Klima womöglich negative Erfahrungen machen könnten. Zudem wollten wir die neue Plattform durch unsere tägliche Aktivität dort nicht weiter unterstützen.
Wir werden daher den hier Account stilllegen, aber bis aufs Weitere nicht löschen. So sollen die wertvollen und interessanten Posts und Diskussionen aus den letzten Jahren möglichst erhalten bleiben.
Und Ihr findet uns ab sofort auf Bluesky unter https://t.co/dJ2a5FpFoj. >— Real Scientists DE (@realsci_DE) November 19, 2023
Der Wechsel – Aber wohin?
Zum Zeitpunkt unseres Wechsels war die neue Plattform Threads noch nicht in Deutschland zugänglich, daher standen vor allem zwei Alternativen für uns zur Auswahl: Das Fediverse (über die Plattform Mastodon) und Bluesky. Beide haben ihre Vor- und Nachteile, sowohl gegenüber Twitter als auch untereinander. Letztlich haben wir auf beiden Plattformen Accounts eingerichtet, aber nur den auf Bluesky bespielt. Mastodon bietet klare Anreize: Durch den höheren Grad an Dezentralisierung ist eine Entwicklung wie bei Twitter nur schwer möglich, es gibt mehr Kontrolle über die Community-Richtlinien und der Schutz persönlicher Daten kann besser gewährleistet werden.
Dennoch hatten wir den Eindruck, dass sich unsere Community eher in Richtung Bluesky bewegt. Die von ehemaligen Twitter Mitarbeitenden gegründete Plattform ist auch vom grundlegenden Feeling näher am alten Twitter. Nach einigen persönlichen Beobachtungen hatten wir das Gefühl, dass Mastodon besser geeignet ist, um kleine, geschlossene Communities aufzubauen. Eher weniger, um ein breiteres Publikum zu erreichen, wie wir es mit unserem Projekt versuchen. Aus diesem Grund ist Real Scientists DE zum Jahreswechsel offiziell zu Bluesky gewechselt.
Ein Nachteil zu der Zeit war, dass die Plattform noch invite-only war: Nutzen konnte die Plattform nur, wer von bestehenden Nutzer*innen mit einem Code eingeladen wurde, und die Zahl dieser Codes war begrenzt. So sollte die neue Plattform unter anderem vor zu vielen Bots oder Spam-Accounts geschützt werden. Für unser Publikum bedeutete das eine unerwünschte Blockade. Zu ihrer Überwindung starteten wir eine Tauschaktion: Wer Codes übrig hatte, konnte uns welche spenden. Wer einen brauchte, sagte uns Bescheid. Die Stärke unserer Community zeigt sich darin, dass wir weit mehr Spenden bekamen als notwendig und auf diese Weise über 100 neue User*innen auf Bluesky gebracht haben. Unser neuer Account stand dabei bereits vor der ersten Kuratorin bei über 1000 Follower*innen und ist in den Wochen seither auf über 2000 angewachsen. Die Posts sind wie gewohnt spannend und informativ, auch wenn sie jetzt nicht mehr „Tweets“ heißen.
Die Zukunft
Für uns, das Team im Hintergrund, war der Wechsel eine ungewollte Umstellung. Bluesky ist für uns immer noch umständlicher zu benutzen, zum Beispiel weil es keine Möglichkeit gibt, jemandem eine direkte Nachricht zu schicken. Aber es ist schön zu sehen, wie sich unsere Community, die in den sieben Jahren seit der Gründung des Accounts zusammengewachsen ist, auch auf einer neuen Plattform wiederfindet.
Um unsere alte Community abzuholen, kündigten wir zu Beginn hin und wieder auch auf unserem alten Twitter Account neue Kurator*innen an. Zudem haben wir an unserem alten Account eine Information gepinnt, die auf unseren Umzug zu Bluesky verweist. Ob wir den Account in Zukunft irgendwann löschen werden, haben wir noch nicht beschlossen. Aktuell haben wir etwas mehr als 10 Prozent unserer ehemaligen Reichweite auf Twitter/X nun auf Bluesky erzielt (Stand Mai 2024). Das Feedback in Form von Likes oder Kommentaren ist, je nach Post, durchaus vergleichbar mit der Interaktion, die wir zuletzt auf Twitter beobachtet haben. Und überhaupt ist Reichweite nicht alles. Die einzelne Interaktion, die einzelne Frage, die zum Kern des eigenen Forschungsprojekts vordringt, oder der Kontakt, der zu einem neuen gemeinsamen Artikel führt (ja, auch das kommt bei uns vor), all das ist mehr wert als zehntausende passive Ohren. Obwohl wir unseren Kurator*innen natürlich im Idealfall beides bieten wollen.
Niemand weiß, was die Zukunft der sozialen Medien bringen wird. Es scheint klar, dass wir uns derzeit in einem Umbruch befinden, was das grundlegende Konzept sozialer Medien angeht. Bluesky ist bei weitem nicht von den Schwächen und Risiken befreit, die uns letztlich Twitter gekostet haben. Das einzige, was wir sicher sagen können, ist: Wir glauben an den Nutzen von Real Scientists DE und an die Kommunikationstalente und die Motivation unserer Kurator*innen und unserer Community. Und solange das so bleibt, werdet ihr den Account online finden; ganz gleich, welche Plattform gerade am Auf- oder Absteigen ist.
Die redaktionelle Verantwortung für diesen Beitrag lag bei Sabrina Schröder. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.