Pressemitteilungen verlieren zu Unrecht an Popularität, findet unser Gastautor Volker Hahn, denn ohne sie gelangen Fachexpertise und Forschungsergebnisse nur selten in die Massenmedien. Ein Plädoyer für einen verantwortungsvollen Umgang.
Warum gute Pressemitteilungen in der Wissenschaftskommunikation immer wichtiger werden
Wenn heute über Wissenschaftskommunikation gesprochen wird, geht es selten um Pressemitteilungen. Einst der Königsweg zur Verbreitung von Forschungsergebnissen, sind sie heute nicht sonderlich angesagt. In den letzten Jahren haben mehrere Hochschulen die Taktung ihrer Pressemitteilungen zurückgefahren1.
Aber mir geht es hier nicht um Masse. Vielmehr geht es darum, welche Zuwendung und Aufmerksamkeit wir Pressemitteilungen schenken. Eine Google-Suche auf wissenschaftskommunikation.de spuckt 159 Treffer für „Pressemitteilung“ aus, für das Suchwort „Podcast“ sind es viermal so viele, für „Instagram“ achtmal und für „Tiktok“ vierzehnmal2 so viele. Eine Suche im Programm des Forums Wissenschaftskommunikation liefert ein ähnliches Bild.
Neue Wisskomm-Kanäle wie Tiktok erhalten derzeit die meiste Aufmerksamkeit. Sie eignen sich für das gewünschte „Public Engagement with Science“. Das Ideal dieses nicht mehr ganz neuen Paradigmas ist der direkte Dialog mit der Bevölkerung. Interessierte Bürgerinnen und Bürger sollen Wissenschaft nicht nur besser verstehen (Public Understanding of Science), sondern die Menschen hinter der Forschung kennenlernen. Das ist eine tolle Sache, ohne Frage. Jedoch vergisst man dabei allzu leicht, dass nur ein kleiner Teil der Menschen auf direktem Weg angesprochen werden kann. Der Wissenschaftskommunikationsforscher Dietram Scheufele schreibt:
„The majority of encounters that members of the nonscientific public have with scientific issues […] do not involve any form of direct public engagement. Instead, most citizens hear about scientific issues from various online and offline media. Their exposure to science and scientists, in other words, is not a direct one, but indirect through mass or online media.“ 3
Pressemitteilungen sind nicht der einzige Weg, auf dem neue Forschungsergebnisse und Fachexpertise in die Massenmedien gelangen. Aber ohne sie geht es selten4. Zusätzlich sind sie oft die Grundlage für Formate, die auf anderen Kanälen ausgespielt werden, zum Beispiel Social-Media-Posts. Aus meiner Sicht sind Pressemitteilungen wichtiger denn je.
Warum? Weil ihr Einfluss zunimmt.
US-Forscherinnen und -Forscher untersuchten 2022 die textlichen Übereinstimmungen zwischen Pressemitteilungen und journalistischen Stücken zum selben Thema. Ihr Befund: Bis zu 65 Prozent der Sätze wiesen hohe Ähnlichkeiten auf.
„A potent indication of how powerful information subsidies can be. […] For science news in particular, we may be in an era of increased power of PR relative to journalism.” 5
Mit information subsidies sind übrigens Pressemitteilungen gemeint. Die Autorinnen und Autoren sprechen von einer hohen permeability of science journalism to public relations. Diese „Durchlässigkeit“ fanden auch andere Studien6. Die Ursache liegt auf der Hand: Medienhäuser stehen wirtschaftlich unter Druck und bewältigen eine zunehmende Informationsflut mit immer weniger Personal (Pew Research, Schäfer 2017). Ist das ein Problem? Natürlich! Und zwar umso mehr, je schlechter die Pressemitteilung ist. Die Wissenschaftsjournalistin Sabine Hossenfelder wetterte jüngst auf X:
„I’ve been doing my weekly Science News for about 4 months now. I have literally read thousands of press releases to that end. The major insight that I have taken away from this is to never, ever, trust a press release. […] the biggest problem is that they lack context. For the most part they overstate what’s new and don’t tell you what previous work has been done, they don’t tell you the bigger context. […] Many of them are so misleadingly written you can’t even blame writers for misunderstanding them.“
I’ve been doing my weekly Science News for about 4 months now. I have literally read thousands of press releases to that end. The major insight that I have taken away from this is to never, ever, trust a press release.
— Sabine Hossenfelder (@skdh) February 18, 2023
Starke und unbequeme Worte! Hossenfelder steht mit ihrer Einschätzung nicht allein. Zahlreiche Studien befanden Ähnliches, bemängelten Übertreibungen, Verzerrungen, Spin und Effekthascherei in Pressemitteilungen zu medizinischen Studien7. Auch das Projekt PR-Watch der TU Dortmund fand ein gemischtes Bild bei der Qualität von zwölf untersuchten Pressemitteilungen aus den Bereichen Medizin und Umwelt. In einer geht es zum Beispiel um ein neues Verfahren für saubere Erdgas-Verbrennung. PR-Watch kritisiert Einseitigkeit und fehlende Einordnung: „Mögliche Risiken, etwa durch die im großen Stil eingesetzten Metalloxid-Partikel, spricht der Text nicht an. Die Relevanz des neuen Verfahrens wird weder in Abgrenzung zu bestehenden Technologien noch in seinen Chancen auf dem Energiemarkt eingeordnet. Dass die CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS) gesellschaftlich stark umstritten ist, erwähnt die Pressemitteilung nicht.”
Interessant finde ich auch diesen Artikel des Politikwissenschaftlers Roger Pielke Jr., in dem er die narrative Schlagseite einer Pressemitteilung aus der Klimaforschung bemängelt (unbedingt die Fußnoten mitlesen). Die kritisierte Pressemitteilung suggeriert an prominenter Stelle, dass die Klimaerwärmung die Zahl hitze- und kältebedingter Toter in den USA (netto) ansteigen ließe. Erst später im Text wird erklärt, dass der Temperatureffekt tatsächlich negativ ist und allein demografische Gründe die berechnete Opferzahl steigen lassen. Diese „Klarstellung“ wurde von den berichtenden Medien weitgehend ignoriert.
Der Fall zeigt beispielhaft, wie irreführende Pressemitteilungen in irreführender Berichterstattung münden können. Kommunikationsforscherinnen und -forscher der University of Pennsylvania haben es so formuliert:
„The intermediary press release may serve as a source of distortion in the dissemination of science to the lay public.“ 8
Okay, ich habe hier zugegebenermaßen besonders negative Befunde zusammengetragen. Meine persönliche Einschätzung ist nicht so düster. Sehr oft sind Pressemitteilungen hervorragend geschrieben und sachlich korrekt. Und dann kommt es dennoch zur „distortion“, weil die berichtenden Journalistinnen und Journalisten ihren eigenen Spin obendraufsetzen. Ein Beispiel aus meiner beruflichen Praxis: Vor vier Jahren veröffentlichten wir bei iDiv eine globale Metaanalyse zum sogenannten Insektensterben. Titel unserer Pressemitteilung: „Bislang umfassendste Studie bestätigt Rückgang landlebender Insekten, zeigt aber Erholungen bei Süßwasserinsekten. Weltweit sehr unterschiedliche lokale Trends“ Zugegeben eine etwas längliche Überschrift, die aber den Befund korrekt zusammenfasst. Die nachfolgenden Medien-Schlagzeilen reichten vom alles-halb-so-wilden „De ondergang van de insecten was vals alarm (Der Insekten-Untergang war falscher Alarm)“ bis zum wir-werden-alle-sterbenden „Land Insects’ Apocalypse Could be Catastrophic for Humans, Expert Warns after New Study“.
Ich bin sicher: Abschreiben aus unserer Pressemitteilung hätte bei vielen Berichten zu einer höheren Faktentreue und Qualität geführt. Insofern ist die zunehmende Durchlässigkeit der Berichterstattung für PR-Quellen nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine Chance:
“High quality press releases […] seem to make the quality of associated newspaper stories better, whereas low quality press releases might make them worse.” 9
Eigentlich nicht überraschend, oder?
Was bedeutet das nun für die Praxis? Zunächst einmal, dass „unsere“ Verantwortung „gute“ Pressemitteilungen zu schreiben, größer geworden ist. „Gut“ bedeutet, dass zum Beispiel die Kriterien der Leitlinien für gute Wissenschafts-PR erfüllt sind. Oder die des Medien-Doktor-Projekts PR-Watch. Mit „uns“ meine ich sowohl PR-Angestellte wie mich als auch die verantwortlichen Forscherinnen und Forscher. Wir alle sind konkurrierenden Anreizen und Drücken ausgesetzt. Zum einen dem Anreiz, Forschungsergebnisse möglichst klar, korrekt und ausgewogen darzustellen. Zum anderen dem Druck, Aufmerksamkeit zu erzielen und uns selbst oder unsere Arbeitgeber – beispielsweise durch Overselling10 – ins Glanzlicht zu stellen. Sich diese Zielkonflikte ehrlich einzugestehen, ist ein erster, wichtiger Schritt.
„There are pressures on scientists to demonstrate the ‘real-world’ impact of their work, on science communicators to generate media attention and on journalists to produce newsworthy content about science. This ‘pressure cocktail’ can result in misrepresentation of science that could lead to […] public misunderstandings and distrust in science. It is for these reasons that those producing the science, the press releases and the news must work together to communicate truthful and objective science to society.“ 11
In Zeiten schwindenden Vertrauens in das Wissenschaftssystem (vor allem in den USA, in Teilen auch bei uns), erscheint mir das Ziel redlicher und wahrheitsgetreuer Kommunikation wichtiger denn je. Beide, Wissenschaftlerin und Pressestellen-Mitarbeiter sollten kritisch-konstruktiv zusammenarbeiten und sich gegenseitig auf die Finger schauen, um ein Stück weit das aufzufangen, was Journalistinnen und Journalisten immer weniger zu leisten imstande sind. Wie das im Detail gehen kann, muss diskutiert werden. Hier ein paar Anregungen:
Praxis-Denkanstöße für kommunizierende Forscherinnen und Forscher:
- Nutzen Sie Pressemitteilungen für Ihre Wissenschaftskommunikation – in Zusammenarbeit mit ihrer Pressestelle.
- Machen Sie sich mit den Kriterien guter Wissenschafts-PR vertraut.
- Arbeiten Sie kritisch-konstruktiv mit ihrer Pressestelle zusammen. Respektieren Sie PR-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter als Sparringspartner, mit denen Sie die wissenschaftliche und journalistische Qualität der Pressemitteilung verbessern.
- Stehen Sie mit Ihrer Expertise den Journalisten zur Verfügung, um die Chancen einer wahrheitsgetreuen Berichterstattung zu erhöhen.
Praxis-Denkanstöße für PR-Angestellte und ihre Vorgesetzten:
- Investieren Sie in die Qualität ihrer Pressemitteilungen gemäß den Kriterien guter Wissenschafts-PR.
- Setzen Sie entsprechende Anreize in den Zielvorgaben und der Evaluation: Qualität statt Quantität, kein Eintauschen von Aufrichtigkeit gegen Aufmerksamkeit.
- Übernehmen Sie soweit wie möglich die einordnende und korrigierende Funktion einer/eines guten Journalistin/Journalisten, um z. B. Spin und Overselling zu vermeiden. Gleichen Sie zentrale Behauptungen der Pressemitteilung mit denen im peer-reviewed paper ab.
- Investieren Sie in die Befähigung dazu (mittels Recruiting, Weiterbildung und KI-Tools).
Die Pressemitteilung ist nach wie vor ein zentrales Mittel der Wissenschaftskommunikation. Vielleicht ist sie nicht so aufregend wie neue Social-Media-Kanäle oder innovative Wisskomm-Formate. Dennoch ist sie – wie ich zu begründen versucht habe – wichtiger denn je. Wir sollten sie pflegen und weiterentwickeln, so dass sie ihr Bestes für die Gesellschaft geben kann. Schenken wir ihr dafür die notwendige Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe!
Disclaimer: Als Leiter der Pressestelle eines Forschungszentrums greife ich auf meine Praxiserfahrung zurück. Die ist nicht unbedingt repräsentativ. Deshalb habe ich versucht, meine Thesen mit Forschungsevidenz zu untermauern. Aber ich bin auch kein Kommunikationswissenschaftler und überblicke nicht den Forschungsstand. Widerspruch und Diskussionen sind willkommen!
Anmerkung der Redaktion: Üblicherweise verwenden wir den Genderstern. In diesem Gastbeitrag verzichten wir auf Wunsch des Autors darauf.
Die redaktionelle Verantwortung für diesen Beitrag lag bei Sabrina Schröder. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.