Psychologie als Bühnenshow? Von dieser Idee war Leon Windscheid zunächst gar nicht begeistert. Im Interview erzählt der Psychologe, welche Momente er nun auf der Bühne am meisten genießt und wie es dazu kam, mit Comedian Atze Schröder einen Podcast über Wissenschaft und Gefühle zu machen.
„Was will dieser Nerd?“
Herr Windscheid, Sie haben im Jahr 2015 bei der Fernsehsendung „Wer wird Millionär“ die Million gewonnen und sich mit dem Geld unter anderem den Wunsch erfüllt, ein populärwissenschaftliches Buch über Psychologie zu schreiben. Würden Sie rückblickend sagen, dass die Sendung Ihr Einstieg in die Wissenschaftskommunikation war?
Sagen wir mal so, die Sendung war mein unfreiwilliger Einstieg in die Medienwelt. Ich habe an der Sendung nicht teilgenommen, weil ich ins Fernsehen wollte, ich wollte nur das Geld gewinnen. Das Buch habe ich in erster Linie für mich selbst geschrieben. Ich wusste gar nicht, ob sich ein Verlag dafür interessieren würde.
Wie kamen Sie dann von der Veröffentlichung des Buches zu Bühnenshows über Psychologie?
Als die Veröffentlichung anstand, meldete sich ein Künstlermanagement bei mir und fragte, ob ich Lust hätte, mit dem Buch auf Tour zu gehen. Ich war zunächst skeptisch, weil ich damals noch gar nicht wusste, was ein Künstlermanagement überhaupt ist. Erst als mein Verlag mich dazu ermutigte, sagte ich zu. Alle waren so von der Idee überzeugt, Psychologie auf die Bühne zu bringen, dass sie mich mit der Idee angesteckt haben.
Wie lief Ihre erste Show ab?
Ich war wahnsinnig aufgeregt. Die erste Show habe ich noch in einem weißen Kittel und einem selbstgebauten Gehirnscanner aus Alufolie und Skateboardhelm geschmissen. Sie war sofort ausverkauft. Das Interesse für Psychologie war also wirklich da, das war für mich ein Aha-Erlebnis.
Zu der anstehenden „Gute Gefühle“ Tour kommen etwa 100.000 Menschen. Auf Ihrer Homepage beschreiben Sie die Tour als „rasante Expedition in die Welt der Gefühle“. Was erwartet die Besucher*innen?
Mein Ziel ist es, dass die Leute einen guten Abend haben. Ich sage ihnen am Anfang: „Die Show ist eine Achterbahnfahrt. Wir werden lachen, vielleicht auch weinen, es wird unerwartete Höhen und Tiefen geben, wie im Leben.“ Und das ist der Punkt. Auch wenn viel gelacht wird, es ist keine Comedyshow, ich bin kein Comedian. Aber das muss ich auch nicht sein, denn dafür habe ich spannende Erkenntnisse aus der Forschung dabei. Denn noch lieber als die Leute lachen zu hören, mag ich die Momente, in denen man eine Stecknadel fallen hören könnte, weil es in vielen Köpfen gerade „Klick“ macht.
Sie sagten, dass Sie zunächst skeptisch waren eine Bühnenshow über Psychologie zu machen, aber dann Feuer gefangen haben. Was reizt Sie daran so sehr?
Wenn ich auf der Bühne von einer komplizierten Metaanalyse oder von einer Hirnscan-Studie erzähle und am Ende des Abends die Leute klatschend aufstehen und mir später schreiben: „Leon, was du über den Umgang mit Depressionen erzählt hast, das hat bei mir was bewirkt“, dann ist das ein unglaubliches Gefühl. Viele sehen in meiner Show zum ersten Mal ein wissenschaftliches Paper. Besonders jetzt, in einer Zeit, wo so viele Verschwörungstheorien im Umlauf sind, ist es toll, dass ich Menschen für Wissenschaft begeistern kann.
Über Wissenschaft und Gefühle sprechen Sie auch mit Comedian Atze Schröder in ihrem Podcast „Betreutes Fühlen“. Wie kam es zu dieser auf den ersten Blick ungewöhnlichen Zusammenarbeit?
Wir sind im selben Management, und jemand hat gefragt: „Sag mal, wollt ihr nicht mal einen Podcast zusammen machen?“ Ich hatte als Doppellehrerkind schon Angst vor der Enterbung, weil alle Atze Schröder als diese RTL-Figur, den Proll, kennen. Wir trafen uns dennoch und ich war sofort Feuer und Flamme. Der Legende nach – so erzählt es zumindest Atze -, dachte er zunächst „Was will dieser Nerd?“ Doch nach den ersten Folgen war der Keim für eine Podcastzusammenarbeit und private Freundschaft gelegt, die nun seit vier Jahren besteht. Diese Kombination aus zwei Generationen, Männer und Psychologie, Comedian und Wissenschafts-Nerd – das ging auf.
Wie wählen Sie die Themen aus, über die Sie sprechen?
Wir beginnen den Podcast immer mit der Frage: „Wie fühlst du dich heute“? Das klingt zunächst banal, damit möchten wir aber zeigen, dass es selbstverständlich sein sollte, als Mann über Gefühle zu sprechen. Diese Gespräche sind lustig, aber auch ernst und bilden den Einstieg in das eigentliche Thema der Folge. Um die Themen für den Podcast, aber auch für meine anderen Formate zu finden, verbringe ich sehr viel Zeit damit, Sachbücher und wissenschaftliche Studien zu lesen und mit Forschenden zu sprechen. So versuche ich am Puls der Zeit zu bleiben. Das ist nicht immer einfach, aber es gibt mir einen guten Überblick über das, was gerade in der Wissenschaft passiert.
In Ihren Bühnen- und Fernsehformaten sowie in Ihrem Podcast sprechen und interagieren Sie viel mit Menschen. Bücher schreiben ist dagegen eine eher einsame Tätigkeit. Was fasziniert Sie daran?
Wenn ich in meinem Umfeld das Wort „Buch“ in den Mund nehme, dann gibt es einen Aufschrei und die Leute sagen: „Nie wieder!“ Der Schmerz des letzten Buches sitzt noch tief. Bis kurz vor der Abgabe dachte ich: „Ich breche ab, ich schaffe es nicht, ich kann nicht schreiben“. Das ist noch sehr präsent. Und mein Umfeld litt mit. Schreiben ist für mich ein Prozess, in dem Schmerz eine große Rolle spielt. Morgens die weiße Seite vor mir, die mich einerseits motiviert, aber anderseits kenne ich alles von Schreibblockade, über pure Verzweiflung, Selbstzweifel, bis hin zum Selbstwertgefühl im Keller. Und trotzdem ist das Schreiben eine ganz tolle Erfahrung. Es bildet mich in einer Tiefe weiter, wie das im Fernsehen oder beim Podcast nicht möglich ist, weil diese Formate viel weniger Tiefgang und Selbstreflexion zulassen. Ich werde bestimmt wieder schreiben müssen… wollen.
Was möchten Sie mit Ihrer Wissenschaftskommunikation bei den Menschen bewirken?
Ich mache keine Therapie und biete auch keinen Therapieersatz. Aber vielleicht ebne ich manchen Menschen den Weg, sich nicht mehr dafür zu schämen. In ganz vielen Köpfen steckt immer noch dieses Stigma von „Du musst stark sein!“, „Du darfst keinen Fehler haben!“. In Deutschland gibt es auch diese furchtbaren Sätze wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, mit denen unsere Eltern und Großeltern noch aufgewachsen sind. Etwa 28 Prozent der Deutschen erfüllen einmal im Jahr die Kriterien einer psychischen Störung. Da können wir nicht so tun, als sei das ein Randphänomen. Gerade als Mann in einer weiblich geprägten Psychologiewelt möchte ich zeigen, dass das Thema auch etwas für Männer ist.
Außerdem sehe ich es als die Kernaufgabe der Psychologie an zu verstehen. Wobei ich differenziere, denn Verstehen heißt nicht Verständnis. Wenn ich für meinen Podcast mit einer jungen rechten Influencerin spreche, dann nicht, weil ich ihr eine Bühne bieten möchte. Ich versuche, ihre Methodik und ihre Masche aufzudecken und psychologisch einzuordnen, in der Hoffnung, dass die Leute besser gewappnet sind, nicht darauf reinzufallen.