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Tierversuche transparent kommunizieren!

Im gesellschaftlichen Diskurs lösen Tierversuche oft hitzige Debatten aus. Dass auf ihren Einsatz in der Forschung bislang nicht verzichtet werden kann, stellt die Wissenschaft vor Herausforderungen. Roman Stilling, wissenschaftlicher Referent der Initiative „Tierversuche verstehen“, gibt im Gastbeitrag Einblicke, wie die Kommunikation über Tierversuche gelingen kann.

Tierversuche haben ein überaus schlechtes Image. Forschende fühlen sich missverstanden und bedroht, die öffentliche Diskussion um das Thema wird von Tierversuchsgegner*innen dominiert. Diese suggerieren der Öffentlichkeit eine völlig nutzlose Forschung zum Ruhm Forschender, legitimiert durch Behörden und Politik. Denkbar schlechte Voraussetzungen für einen sachlichen, faktenbasierten gesellschaftlichen Diskurs. Wie kam es dazu?

Tabu Tierversuche

Ganz wesentlich hat dazu beigetragen, dass die Wissenschaft es versäumt hat, die Notwendigkeit und Bedeutung sowie die Rahmenbedingungen und Grenzen von Tierversuchen zu kommunizieren. Forschende, Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen haben sich weitgehend aus der gesellschaftlichen Debatte herausgehalten und das Thema ignoriert oder sogar aktiv vermieden.

„Obwohl die empathische Reaktion nachvollziehbar ist, schafft sie einen Nährboden für das Narrativ, Forschende würden antiquierte und tierquälerische Forschungsmethoden einsetzen.“
Das führt zu der paradoxen Situation, dass Tierversuche als Bestandteil lebenswissenschaftlicher Forschung unser Leben subtil, aber nachhaltig beeinflussen, aber gleichzeitig als gesellschaftliches Tabu gelten. Das Wort Tierversuche löst unmittelbar eine emotionale, intuitiv ablehnende Haltung aus. Obwohl die empathische Reaktion nachvollziehbar ist, schafft sie einen Nährboden für das Narrativ, Forschende würden antiquierte und tierquälerische Forschungsmethoden einsetzen. Ein Informationsvakuum ist entstanden, das durch fast beliebige Narrative gefüllt wird.

Diese Entwicklung ist nicht neu. Schon Charles Darwin und Rudolf Virchow beteiligten sich an Diskussionen über das Thema, die heute noch immer mit ähnlichen Argumenten geführt werden.

Gesellschaftliche Veränderungen

Nachwuchswissenschaftler*innen und international vernetzte Arbeitsgruppen der Lebenswissenschaften beklagen immer mehr Bürokratie1, lange Genehmigungsverfahren und je nach Standort eine unterschiedliche Auslegung der Gesetze. Dies wird als Nachteil im internationalen Wettbewerb und als Behördenwillkür empfunden. Die Behörden ihrerseits sehen sich zunehmend unter Druck, ihre Entscheidungen „wasserdicht“ zu machen, also nicht einfach rechtssicher, sondern praktisch unangreifbar zu treffen. Das ist jedoch bei einer Rechtslage, die in ihrer Regelungstiefe alle anderen Tiernutzungsverhältnisse übersteigt, sich stetig verschärft und zudem kaum orientierende Rechtsprechung kennt, ein praktisch unerreichbares Ideal.

Die Broschüre „Kompass Tierversuche“ bietet einen Blick hinter die Zahlen und dient als Hilfe bei der Navigation in den Daten zu Tierversuchen.

Unterdessen ist die gesellschaftliche Haltung gegenüber Tieren im Wandel. Seit 2002 hat der Tierschutz Verfassungsrang (Art. 20a GG). Aktuelle Umfragen zeigen, dass sich fast jeder achte Mensch in Deutschland vegetarisch (9 %) oder vegan (3 %) ernährt, Tendenz stark steigend. Tierschutz wird immer wichtiger. Auch Tierrechte finden zunehmend Anklang und die Diskussionen berufen sich auf eine starke akademische Tierethik.

Die Verbindung zwischen Forschung und Tierversuchen wieder herstellen

Wie kann trotz der schwierigen Ausgangslage gute Wissenschaftskommunikation über Tierversuche gelingen? Ein wichtiger Schritt ist, kommunikativ wieder zu verbinden, was in der allgemeinen Wahrnehmung zunehmend entkoppelt wurde: Wir reden entweder über Forschung oder wir diskutieren über Tierversuche und Alternativen dazu. Ein Publikum, das bei einem Vortragsabend etwas über neue Hirnforschung an der örtlichen Uni hört, wird kaum darüber diskutieren, dass diese Forschung mit Mäusen gemacht wurde, selbst wenn das im Vortrag erwähnt wird. Andersherum geht es bei typischen Diskussionsveranstaltungen über Tierversuche nur selten um konkrete Forschung, sondern vor allem um grundsätzliche ethische Aspekte und allgemeine Tierschutzfragen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, muss konkrete Forschung kommuniziert werden – ohne dabei das Thema Tierversuche zu verschweigen.

„Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, muss konkrete Forschung kommuniziert werden – ohne dabei das Thema Tierversuche zu verschweigen.“

Mehr Sichtbarkeit – Tierversuche aus der Tabuzone holen

Aber es geht nicht nur um die Forschung. Es geht auch um die Forschenden selbst, ihre Motivation und die Werte, die sie vertreten: Warum tun sie das, was sie tun? Warum ist ihnen das wichtig? Das schafft Vertrauen und adressiert gleichzeitig die oft unterstellte Empathielosigkeit. Mehr Sichtbarkeit benötigen auch die anderen Protagonist*innen: Tierpflegepersonal, Tierärzt*innen sowie Forschungseinrichtungen, Wissenschaftsorganisationen, Fachgesellschaften, Verbände, Förderorganisationen. Und nicht zuletzt die Bundes- und Landesregierungen, die Rahmenbedingungen schaffen und gewährleisten – und in deren Forschungseinrichtungen auch Tierversuche stattfinden.

Mehr Sichtbarkeit darf nicht als „Werbung“ verstanden werden. Es ist ein Ansatz, um das Tabu zu brechen und um Tierversuche wieder in unserem kollektiven Bewusstsein als essenziellen Baustein der Lebenswissenschaften zu verankern.

Die Initiative „Tierversuche verstehen“

Die großen Wissenschaftsorganisationen mussten lange von diesem Ansatz – raus aus der reaktiven Defensivhaltung durch mehr Sichtbarkeit – überzeugt werden. Zu groß war die Angst vor ablehnenden Reaktionen. Doch in der internationalen Nachbarschaft gab es bereits erfolgreiche Vorbilder, allen voran in Großbritannien. Die gemeinnützige Grassroot-Bewegung „Pro-Test“ war in Deutschland angekommen und es gab diverse lokale Aktivitäten einzelner Institute.

Und so hat sich die Allianz der Wissenschaftsorganisationen 2016 entschlossen, mit der Initiative Tierversuche verstehen (TVV) eine Plattform zu schaffen, die als Sprachrohr der Wissenschaft dienen kann.

Mit der Unterstützung einer Kommunikations- und einer Filmproduktionsagentur geht es dabei vor allem um Fakten und Hintergründe, aber auch darum, das breite Meinungs- und Diskussionsspektrum innerhalb der Wissenschaft für alle Interessierten verständlich abzubilden. Wichtig: Tierversuchsgegner*innen sind nicht die Zielgruppe der Kommunikation. Dennoch gilt es, ihnen entschieden zu widersprechen, wenn sie Desinformation betreiben. Das Projekt repräsentiert vielmehr einen Kulturwandel in der Kommunikation über konfliktreiche und komplexe Themen. Fand Kommunikation über Tierversuche bisher vor allem anlassbezogen als Krisenkommunikation statt, wirbt die Initiative nun darum, proaktiv die Grundlage für einen breiten, sachlichen und faktenbasierten Diskurs zu legen.

„Einzelne Sprecher*innen können unmöglich die gleiche Glaubwürdigkeit ausgewiesener Expert*innen erreichen. “
„Tierversuche verstehen“ als Unterstützung und Partner der Wissenschaft

Aber: Die Initiative ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung für lokale Aktivitäten von Forschenden und ihrer Institutionen. TVV kann und will nicht allein für „die Wissenschaft“ sprechen. Das ist nicht nur ein Problem der Ressourcen, sondern auch der benötigten Detailkompetenz, der Meinungsvielfalt und nicht zuletzt der Authentizität. Einzelne Sprecher*innen können unmöglich die gleiche Glaubwürdigkeit ausgewiesener Expert*innen erreichen. TVV versteht sich als Treffpunkt, aber auch als Wegbereiter, Partner und Empowerment für Akteur*innen der Wissenschaft.

Die „Initiative Transparente Tierversuche“ ist die logische Konsequenz aus diesem Anspruch. Die gemeinsame Erklärung wissenschaftlicher Institutionen für mehr Offenheit und Transparenz setzt – ebenfalls nach britischem Vorbild – auf vielfältige und breit angelegte Aktivitäten der einzelnen Stakeholder*innen. Schon mehr als 100 Institutionen und Organisationen haben sich der Initiative angeschlossen – und es werden stetig mehr.

Kommunikation wirkt

Seit dem Launch der Transparenzinitiative im Juli 2021 hat sich die Zahl der aktiven Akteur*innen in Deutschland deutlich erhöht. Das bundesweit verfügbare Angebot an Informationen, Bildmaterial und Ansprechpartner*innen ist stark gewachsen und hat sich diversifiziert.

Die wohl wichtigste Erkenntnis aus TVV und der Transparenzinitiative ist, dass sich die tiefsitzenden Befürchtungen vor einer möglichen Exposition nicht bewahrheiten. Weder ist es je zu „Shitstorms“ in den sozialen Netzwerken gekommen, die auf proaktive Kommunikation zurückzuführen wären, noch wurden „schlafende Hunde“ geweckt, die nicht schon längst wach waren. Eine wichtige Erfahrung ist also, dass die Öffnung hin zur proaktiven Kommunikation nicht damit korreliert, ob oder wie sehr man in den Fokus der Kampagnen von Tierversuchsgegner*innen gerät. Tatsächlich scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein. Proaktive Kommunikation ist nicht nur eine gute Vorbereitung auf die nächste Krise, sondern kann dazu beitragen, vor einer solchen zu schützen. Der Kulturwandel in der Kommunikation über Tierversuche ist da. Und davon profitieren wir alle.


Weitere Informationen zur Initiative

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.

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