In der Wissenschaft fehlt es an Vielfalt, sagt Sharleen Pevec. Die Co-Moderatorin des Podcasts „(Re)Searching Diversity” spricht im Interview über die Notwendigkeit, verschiedene Stimmen zu Wort kommen und mitsprechen zu lassen, um eine inklusivere Wissenschaftsgemeinschaft zu schaffen.
„Wir machen die fehlende Vielfalt in der Wissenschaft sichtbar“
Frau Pevec, im Podcast „(Re)searching Diversity“ beschäftigen Sie sich gemeinsam mit Ihren fünf Co-Hostinnen mit Fragen zur Sichtbarkeit von „ethnischer, kultureller und migrationsbezogener Vielfalt“ in den Sozialwissenschaften. Um was geht es Ihnen dabei genau?
Im Podcast haben wir mit migrationsbedingter Vielfalt gestartet. Es ging um Themen wie Zugehörigkeit, „Racialisation“, kulturelle Identität, Diskriminierung, aber auch um Intersektionalität. So sprechen wir mittlerweile mehr Diversitätsdimensionen an, wie zum Beispiel Gender, sexuelle Orientierung oder den sozioökonomischen Hintergrund. Es geht darum, welche Auswirkungen Identität und Herkunft – auch auf die Forschung – haben und welche Erfahrungen unsere Gesprächspartner*innen als Wissenschaftler*innen mit unterschiedlichen Identitäten und Lebensrealitäten machen.
Ganz allgemein diskutieren wir über Themen aus der Psychologie, Bildungs- und Erziehungswissenschaft, aber auch zum Teil Geschichte und Soziologie. Generell gilt: Alle Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen, sehen wir als wichtig an. Denn wer in der Wissenschaft als wissend, weise und kompetent und was als wissenswert wahrgenommen wird, ist noch immer von (unbewusst) vermittelten Diskriminierungen geprägt. Wir wollen zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen und Gleichberechtigung fördern. Dafür müssen wir allerdings zunächst Ungerechtigkeiten erkennen, benennen und abbauen.
Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Podcast?
Uns ist es wichtig, unsere Themen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Oftmals ist der Zugang zur Wissenschaft durch finanzielle Ressourcen oder eine schwere Wissenschaftssprache eingeschränkt. Deshalb versuchen wir ein möglichst barrierefreies Podcast-Format anzubieten.
Auf der anderen Seite möchten wir mit unserem Podcast den Zugang für junge Forschende in das Wissenschaftssystem erleichtern. Das Ziel ist es, die Erfahrungen von etablierten Wissenschaftler*innen auf ihrem Weg abzubilden und eventuelle Parallelen für die Hörer*innen zu ermöglichen. Denn schließlich standen auch die erfahrenen, etablierten Forscher*innen einmal am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere und waren mit Hürden konfrontiert. Unsere Gesprächspartner*innen sind daher Personen aus der Wissenschaft, die sich mit Themen der Diversität auseinandersetzen und wir sprechen mit ihnen über ihre Erfahrungen und Herausforderungen im Wissenschaftssystem, aber auch über mögliche Perspektiven und hilfreiche Ratschläge.
Der Podcastname „(Re)Searching Diversity“ macht die Suche nach mehr Vielfalt in der Wissenschaft deutlich. Warum ist es gerade hier notwendig, Diversität stärker hervorzuheben?
Diversität in der Wissenschaft ist aber auch wichtig, weil sie zu besserer Forschung beitragen kann. Es geht dabei um Inklusion und das Mitspracherecht aller, aber auch um Expertise, die ausgelassen wird, wenn Menschen z.B. in der Wissenschaft Diskriminierungen erfahren oder vom Forschungsprozess ausgeschlossen werden. Wissenschaft ist eben kein neutraler Raum, sondern genauso von struktureller Ungerechtigkeit und Rassismus, Diskriminierung, Sexismus und Homophobie betroffen, wie andere gesellschaftliche Räume auch.
Eine Podcast-Folge beleuchtet die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der Gesprächspartner*innen. Warum haben Sie sich für diese Struktur entschieden?
Wir können so gezielt die persönlichen Zugänge in die Wissenschaft erfragen und im Podcast abbilden. Im Teil der Vergangenheit beginnen wir mit der Frage, wie die Gesprächspartner*innen überhaupt zur Forschung gekommen sind. Gerade Studierende oder junge Wissenschaftler*innen fragen sich zu Beginn ihrer Karriere häufig, was auf sie zukommt und ob sie dem gewachsen sind. Dann können solche Erfahrungsberichte sehr hoffnungsvoll sein.
In der Sektion der Zukunft geht es dann darum, den jungen Forschenden Tipps und Hinweise für ihre Neuanfänge in der Wissenschaft mitzugeben. Zudem geht es auch darum, bestehende aktuelle Probleme und Herausforderungen in der Wissenschaft klar zu benennen – gerade was mangelnde Diversität und ein fehlendes Bewusstsein für Ungerechtigkeiten für das universitäre System bedeutet.
Gibt es Themen, die Ihre Gesprächspartner*innen häufig ansprechen?
Der Schwerpunkt ist in jeder Folge sehr individuell. Es lassen sich aber drei thematische Gruppierungen erkennen. Ein großes Thema ist Identität. Es geht zum Beispiel um Gender, aber auch um die ethnische Sozialisation durch die Familie, Gleichaltrige oder in der Schule oder um das Zugehörigkeitsgefühl, wenn man in verschiedenen Ländern aufwächst. Das zweite große Thema würde ich als gesellschaftliche Herausforderungen und strukturelle Hürden bezeichnen. Hier geht es konkret um Diskriminierungen, Rassismus, Chancenungleichheit und daraus entstehende Auswirkungen. Das dritte Thema, das sich bisher erkennen lässt, ist die Aufklärungsarbeit und der Drang nach Veränderung. Hier geht es darum, was sich individuell und institutionell tun muss, um Ungerechtigkeiten abzubauen und die Sichtbarkeit und Teilhabe vieler zu ermöglichen.
Nach welchen Kriterien werden die Gesprächspartner*innen ausgewählt?
Grundsätzlich möchten wir eine große Vielfalt abbilden, sowohl in Bezug auf die Forschungsschwerpunkte, als auch auf die Personen. Das Tolle ist, dass wir bei den meisten Anfragen eine Antwort erhalten und zum Teil selbst unsere eigenen Idole und Vorbilder aus der Wissenschaft sehr bemüht sind, Teil unseres Podcasts zu sein. Der gemeinsame Nenner für alle Gäste ist unter dem Strich die exzellente Forschung und die wichtigen Beiträge zu einer inklusiven, gerechteren und diskriminierungskritischeren Gesellschaft.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von den Hörer*innen?
Häufig bekommen wir von Studierenden das Feedback, dass sie den Podcast als Impulsgeber nutzen, um zum Beispiel relevante Theorien nachzuschlagen oder um neue Perspektiven kennenzulernen, die den eigenen Blick für Ungerechtigkeiten schärfen. Drei der Podcast-Hostinnen, Tuğçe Aral, Jana Vietze und Miriam Schwarzenthal, lassen mittlerweile sogar ihre Studierenden eigene Interviews durchführen. Jana Vietze ist außerdem gerade dabei, eine Begleitstudie zu entwickeln.
Wir bekommen aber auch Feedback von unseren Kolleg*innen und werden zum Beispiel auf Konferenzen auf den Podcast angesprochen. Häufig wird dann hervorgehoben, dass wir aktuelle Diskussionen und die fehlende Vielfalt in der Wissenschaft sichtbar machen. Besonders freut uns das Feedback, wenn Hörer*innen durch eine Podcast-Folge das Gefühl erhalten, nicht allein zu sein und sich gehört fühlen.
Egal, wie viel man sich mit den Themen schon auseinandergesetzt hat, selbst wenn es das eigene Forschungsfeld ist, kann man immer noch etwas dazulernen. Aus jeder Folge gehe ich raus und denke: „Danke für den Impuls; darüber muss ich noch mehr nachdenken; aber auch: danke für das laut sein und sensibilisieren.“
Darüber hinaus haben wir das Gefühl, dass schon jetzt eine Art Podcast-Community entstanden ist. Durch die Episoden werden die Interviewpartner*innen zugänglicher für uns. Wir können mit dem Podcast zur Sichtbarkeit von Diversität beitragen und uns und andere ermutigen, in die Fußstapfen unserer Gäst*innen treten.