Welches Potenzial für die Wissenschaftskommunikation steckt im klassischen Jahresbericht? Die Kommunikatorin und Wissenschaftskoordinatorin Nicole Landwehrs zeigt am Beispiel eines Jahresvergleichs: sehr viel! In ihrem Gastbeitrag erläutert sie die Qualitäten eines guten Berichts und plädiert für eine entschleunigte Wissenschaftskommunikation.
Ein unterschätztes „Slow Scicomm“ Format: der Jahresbericht
Der Jahresbericht ist ein Kommunikationsformat, das in vielen wissenschaftlichen Einrichtungen verwendet, aber dennoch stiefmütterlich behandelt wird. Es steckt jedoch überraschend viel Potenzial darin. Am Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie (ITMP) in Frankfurt am Main setzen wir den Jahresbericht bewusst als internes und externes Kommunikationsmittel ein. Der Jahresbericht soll viel leisten: die wissenschaftliche Community, Partner*innen aus der Industrie und einen Teil der Zivilgesellschaft gleichermaßen ansprechen.
Bisher wurde er allerdings eher als ein internes Dokument verwaltet und weniger als Kommunikationschance betrachtet. Dabei kann er das Institut mit seinen Schwerpunkten und Methoden darstellen, den Mitarbeiter*innen einen Kommunikationsraum ermöglichen und gleichzeitig alle Standorte einbeziehen.
Der Jahresbericht 2.0
Bei der Konzeption des neuen Jahresberichts sind wir deshalb bewusst aus der starren Corporate Identity ausgebrochen, um Raum zu schaffen für eine neue Struktur. Daraus entstanden ist ein Magazin, das eine eigene, visuelle Handschrift mitbringt. So wurde ein neues Farbkonzept erstellt, das mit unterschiedlichen Farbflächen, Mustern oder Kombinationen arbeitet und den Beiträgen einen gestalterischen Ramen gibt, sie aber nicht zu stark voneinander abgrenzt.
Mit Blick auf die Veränderung der Kommunikationslandschaft durch diverse Gruppen, Wertevorstellungen und gesellschaftliche Pluralitäten verstehen wir Wissenschaftskommunikation nicht mehr ausschließlich als Vermittlung, sondern vielmehr als Orientierung. Für den neuen Jahresbericht bedeutet das konkret, wissenschaftliche Inhalte nicht nur zu übersetzen, sondern Schnittstellen, Parallelen und Kontraste zu zeigen.
Häufig sind Formate wie der Jahresbericht dröge und wenig ansprechend. Das Bildmaterial ist oft von schlechter Qualität und findet im Layout meist zu wenig Beachtung. Wir schlagen den Forschenden dann Bildaternativen vor. Unter anderem stellen Seiten wie Unsplash oder TheNounProject hochwertiges Bildmaterial, mitunter sogar kostenlos, zur Verfügung. Zum Teil haben wir auch eigene, neue Illustrationen erstellt oder Zahlen und Infografiken aus Excel Tabellen in Piktogramme übersetzt. Wir haben zudem Motive von 3D Künstler*innen integriert. Um sparsam mit Ressourcen umzugehen, griffen wir auf kostenfreies Bildmaterial zurück. Leider sind solche freien Nutzungslizenzen nur noch bedingt zu finden, was die gestalterischen Möglichkeiten gerade bei kleineren Projekten zunehmend eingrenzt.
Inhaltlich zeigt der Jahresbericht einen Querschnitt verschiedener Forschungsbereiche am Institut, Zielsetzungen, Forschungsprojekte und wissenschaftliche Methoden. Zudem gibt es neben dem redaktionellen Teil klassische Inhalte, mit Vorwort, Institutsprofil, Zahlen zum Haushalt sowie Publikationen, Patente, Abschlussarbeiten und Lehrtätigkeiten.
Für mehr „Slow Scicomm“
Als klassisches Kommunikationsformat bringt der Jahresbericht eine gewisse Beständigkeit mit. Die zentrale Botschaft ist nicht der schnelle, „snackable Content“, sondern der entschleunigte Gang durch wissenschaftliche Themen. So kann man Publikationsformate wie den Jahresbericht auch als „Slow Scicomm“ verstehen. Denn Jahresberichte bieten keine kurzfristigen Handlungsempfehlungen, sondern sind längerfristig abrufbar. Rückblickend lassen sich so Veränderungen oder neue Entwicklungen wissenschaftlicher Einrichtungen verfolgen. Umso wichtiger ist es durch die nachhaltige und flexible Gestaltung für den Mehrwert des Formats in den wissenschaftlichen Einrichtungen zu sensibilisieren.
Print is alive
Gedruckte Jahresberichte werden, wie es Tilmann Habermas beschreibt, zum Objekt. Dabei geben haptische Objekte eine bestimmte Identität an uns weiter, je nachdem welche Eigenschaften wir beispielsweise wissenschaftlichen Publikationen zuschreiben. So strahlt der Jahresbericht nach außen Qualitäten aus, die ebenfalls der Person zugeschrieben werden, die ihn besitzt.[1] Für die verschiedenen Zielgruppen bedeutet das nicht nur eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Inhalten, sondern gleichzeitig auch eine Identifizierung mit einer bestimmten Personengruppe und den damit verbunden Eigenschaften. In diesem Fall sind es Forschende und Mediziner*innen, sowiedie mit Ihnen verbunden Qualitäten und Fähigkeiten.
Virtuelle Objekte können solche Eigenschaften nicht übertragen. Sie haben allerdings den Vorteil über digitale Kanäle mehr Aufmerksamkeit zu generieren, was mit dem Printformat allein nicht möglich ist. Aus diesem Grund verwenden wir beide Kommunikationmedien, um zukünftig auch jüngere Gruppen und Interessierte innerhalb der zivilen Gesellschaft, sowie Patient*innen und Betroffene zu erreichen.
Positives Feedback zum neuen Format
Bei Informationsveranstaltungen, im Rahmen von offiziellen Anlässen sowie über individuelle Nachrichten von Forscher*innen wurde bislang viel positives Feedback zurückgemeldet. Zum einen von den Autor*innen selbst, die sich über die Beiträge gut repräsentiert fühlen und uns dies direkt mitteilen. Genauso bekommen wir Rückmeldungen zum Gesamtlayout, was als eine positive Entwicklung wahrgenommen wird.
Bei der Planung und Umsetzung des Jahresberichts ist ein aktiver Austausch zentral. Im besten Fall werden gemeinsam strategische Konzepte erstellt. Deshalb möchten wir dafür sensibilisieren und wissenschaftliche Einrichtungen motivieren, Publikationen wie den Jahresbericht nicht als etwas anzusehen, das ausschließlich viele Ressourcen bindet. Jahresberichte sind eine Chance, fundiertes und internes Wissen in hoher Qualität nach außen zugeben und gleichzeitig mehr Zugang nach innen zu schaffen.
Zum Weiterlesen
[1] Habermas, Tilmann: Geliebte Objekte, Symbole und Instrumente der Identitätsbildung, 2. Aufl., Berlin, Deutschland: Suhrkamp, 2012, S. 256-257
Die redaktionelle Verantwortung für diesen Beitrag lag bei Anna Henschel. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.