Das TechnikRadar untersucht, was die Deutschen über Technik denken. Dieses Jahr liegt der Fokus auf dem energieeffizienten Bauen und Wohnen. Die Soziologieprofessorin Cordula Kropp ordnet im Interview die neuen Erkenntnisse ein.
„Das Thema ist derzeit hoch politisiert“
Frau Kropp, das TechnikRadar 2023 widmet sich einem Thema, das die Gesellschaft in diesem Jahr besonders umtreibt: Bauen und Wohnen. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse?
Uns hat vor allem die große Zustimmung überrascht, die das Thema Gebäudesanierung zur Verringerung des Energieverbrauchs erfährt. Das deckt sich mit den Wohnpräferenzen der Deutschen: Der Preis bleibt das wichtigste Kriterium, an zweiter Stelle kommt aber schon die Energieeffizienz, noch vor der Nähe zur Natur, der Ausstattung oder Wohnfläche. Damit zusammenhängend sehen 90 Prozent der Befragten Einsparpotenzial ihres Energieverbrauchs durch Verhaltensänderungen. Da sieht die Mehrheit den Bereich Heizung und Warmwasser, wo man durch sein Verhalten Veränderungen im Verbrauch bewirken kann, gefolgt von Mobilität und erst dann beim Stromverbrauch. Geht es hingegen um die Anschaffung neuer Geräte sieht die Mehrheit der Befragten mit 40,3 Prozent das größte Energieeinsparpotenzial im Bereich des Stromverbrauchs, nicht etwa im Bereich Heizung und Warmwasser. Das sehen viele Expert*innen anders.
Gibt es Unterschiede in den Einstellungen zum Thema energieeffizientes Bauen und Wohnen?
Die Einstellungen sind in der Tat altersabhängig, spielen aber insgesamt eine eher untergeordnete Rolle. Der nur lose Zusammenhang zwischen Handlungsbereitschaft und -umsetzung wird in der Soziologie als „Attitude Behaviour Gap“ bezeichnet, also die Lücke zwischen Einstellung und Verhalten. Wir können feststellen, dass die Bereitschaft zu einer größeren Energieeffizienz zwar durchaus mit den Einstellungen zusammenhängt und beispielsweise in den Kohorten der Erwerbstätigen höher ist als bei Älteren, der Umfang ihrer konkreten Umsetzung jedoch nicht. Da spielt eher die Höhe der wahrgenommenen Kosten eine Rolle, also finanzielle Kosten oder der Verlust von Bequemlichkeit. Während die Einstellungen zum nachhaltigen Bauen und Wohnen eher vom Faktor Alter abhängig sind, ist das Verhalten, in diesem Fall also die Umsetzung von Energiesparmaßnahmen, eher bedingt durch das Einkommen und den Bildungsgrad der Befragten.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus dem diesjährigen Schwerpunktthema für die Kommunikation von Wissenschaft und Technik?
Das Thema ist derzeit hoch politisiert. Wir haben die Befragung im Herbst 2022 durchgeführt. Die Bereitschaft zur Sanierung war hoch. Die meisten wollten jedoch erst einmal in Photovoltaik und andere etablierte Verfahren im Strom- und Wärmebereich investieren. Die Unsicherheiten sind in den letzten Monaten gewachsen – und entsprechend auch der Bedarf für Handlungsorientierung und Planungssicherheit. Eine energetische Sanierung führt man nicht jedes Jahr durch, sondern wenn überhaupt eher alle 20 Jahre. Große Umstellungen wie aktuell im Wärmebereich bedeuten für Haushalte eine immense Herausforderung. Und für diese Umstellungen sind Haushalte erst dann bereit, wenn sie eine Handlungssicherheit haben.
Das Thema nachhaltiges Wohnen und Bauen ist für viele junge Menschen noch eher abstrakt. Wie kann eine erfolgreiche Ansprache dieser Zielgruppe gelingen?
Man sollte beispielsweise bei der Kommunikation über Energiekosten ansetzen und deutlich transparenter werden. Viele junge Leute wissen oft nicht, welchen Anteil Energiekosten an ihrer Miete haben. Das ist ein Posten, der sich in Zukunft deutlich erhöhen wird. Doch die Verbrauchstransparenz ist noch gering. Hier steht auch die Wissenschaft in der Verantwortung. Es gibt eine Fachdiskussion zu Energiearmut, die noch nicht in weitere Bevölkerungsgruppen kommuniziert wurde. Energiearmut beschreibt das Problem, den Energiebedarf nicht ausreichend decken zu können und mit mehr als zehn Prozent einen sehr großen Anteil des Haushaltseinkommens für die notwendige Energieversorgung ausgeben zu müssen. Der Anteil der davon betroffenen Haushalte ist durch die steigenden Energiepreise in den letzten Jahren stark gewachsen. Es trifft vor allem Personen mit niedrigem Einkommen, Frauen und Bewohner*innen von energetisch ineffizienten Gebäuden. In der Fachdebatte wird problematisiert, dass ein Großteil dieser Bevölkerung noch nicht ausreichend für die steigenden Heizkosten sensibilisiert ist.
Über Wohnen und Bauen hinaus fordert laut dem TechnikRadar ein Großteil der Bevölkerung mehr Mitsprache bei gesellschaftsrelevanten Fragen und umstrittenen Techniken. Gibt es bei dieser Forderung Unterschiede nach Alter, Bildungsgrad oder Einkommen?
Insgesamt stimmen 66,8 Prozent der Befragten zu, dass Bürger*innen stärker über die Zukunft umstrittener Techniken mitentscheiden sollten. Zwar stimmten auch mehr als die Hälfte der unter 34-Jährigen zu, doch im direkten Vergleich fordern überproportional viele Ältere und unterproportional viele Jüngere ein größeres Mitspracherecht. Wenn partizipative Maßnahmen angeboten werden, sei es Dialoge oder Bürgerräte, dann ist das Interesse zur Beteiligung bei den über 65-Jährigen besonders hoch. Das hat erst einmal etwas mit Zeitressourcen zu tun. Ein weiterer wichtiger Faktor für politische Beteiligung ist die Selbstwirksamkeit: Wenn ich glaube, dass ich mich artikulieren und politische Entscheidungen beeinflussen kann, dann bin ich auch eher bereit, mich zu beteiligen. Es gibt zwar viele Jugendliche, die sehr kompetent ihre Anliegen artikulieren können, aber das ist bildungsabhängig und ungleich verteilt. Die Politikferne der jüngeren Generation spiegelt sich auch in dieser Umfrage wider. Deutlich wird auch, dass Personen mit niedrigem Einkommen mehr Mitsprache und Beteiligung fordern. Diese Einkommensgruppen sind in partizipativen Maßnahmen bislang unterrepräsentiert. Sie scheinen die technischen Entwicklungen – auch mit Blick auf die eigene Beschäftigung – mit Sorge zu beobachten.
Unabhängig vom Schwerpunktthema untersucht das TechnikRadar jährlich die wichtigsten Zukunftsthemen der Deutschen. Gab es in diesem Bereich auffällige Veränderungen?
Seit 2018 wird die Sicherung von Arbeitsplätzen durchweg als wichtigste gesellschaftliche Aufgabe genannt. Darüber hinaus bleibt der Klimaschutz zwar auch in diesem Jahr wichtig, rutschte aber von Rang zwei auf Platz vier. Stattdessen wird der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und der Gewährleistung des Datenschutzes im Internet eine höhere Relevanz beigemessen. Nur bei der jüngsten befragten Gruppe liegt die Begrenzung der Klimaerwärmung vorne.
Wie erklären Sie sich, dass das Thema Datenschutz in diesem Jahr sogar den Klimaschutz überholt hat?
Können Sie bereits teilen, welche Aspekte im TechnikRadar 2024 untersucht werden?
Im nächsten TechnikRadar wollen wir einen Fokus auf den Zeitreihenvergleich legen. Dazu gehört auch ein europäischer Vergleich für ausgewählte Bereiche wie Digitalisierung oder Datenschutz. Wir schauen, wie sich die Einstellungen zu diesen Themen seit unserer ersten Befragung 2018 in Deutschland und in unseren Nachbarländern entwickelt haben.
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