Wie kann Partizipation in der Wissenschaft sinnvoll ausgestaltet werden? Imke Hedder und Kristin Küter von Wissenschaft im Dialog* reflektieren in ihrem Gastbeitrag Ergebnisse zur Begleitforschung des IdeenLaufs im Wissenschaftsjahr 2022.
Chancen, Bedürfnisse, Heimvorteile – Lehren aus dem IdeenLauf
Partizipative Formate, um Bürger*innen an wissenschaftlichen Prozessen und Ergebnisdiskussionen teilhaben zu lassen, sind ein wichtiger Bestandteil von Forschungspolitik und Wissenschaftskommunikation geworden. Wie aktuell die Diskussion um partizipative Methoden sind, zeigt unter anderem einer der vergangenen Schwerpunkte auf Wisskomm.de. Doch ein produktiver Partizipationsprozess, auch das ist kein Geheimnis, erfordert gute Vorbereitung, Anleitung während des Projekts und Nachbereitung – schließlich steigt mit der Beteiligung der Bürger*innen auch ihr Interesse daran, über weitere Schritte auf dem Laufenden gehalten zu werden. Aktuell stellt sich also weniger die Frage, ob man Bürger*innen generell in Wissenschaft einbeziehen sollte, sondern vielmehr, wie und in welchem Ausmaß diese Beteiligung für alle Seiten sinnvoll ausgestaltet werden kann.
Die Betreuung der Gremien, die Koordination ihrer Arbeit sowie die Begleitforschung des Prozesses lag bei Wissenschaft im Dialog*. Die wichtigsten Erkenntnisse, die wir nach vielen Monaten aus Befragungen, Interviews und Beobachtungen gesammelt haben und zukünftigen Projekten dieser Art mitgeben möchten, wurden in einem Bericht zusammengefasst. Die Ergebnisse fokussieren sich auf das Erlebnis der Gremien im IdeenLauf und tangieren unter anderem die oben beschriebene Aushandlung des Partizipationsgrades: Welche Erwartungen weckt ein solcher Prozess? Und wie können Projektinitiierende verschiedenen Wünschen entgegenkommen? Um Learnings für die Ausgestaltung von Partizipation in der Wissenschaftskommunikation aufzuzeigen, möchten wir einige der Ergebnisse reflektieren.
Auf Partizipationsbedürfnisse eingehen
Bei einem Partizipationsprojekt mit rund 100 Mitgliedern treffen unterschiedliches (Fach-)Wissen und kreative Ideen, aber auch verschiedene Erwartungen, zeitliche Kapazitäten und Bedürfnisse aufeinander. Einige der Beteiligten sind gerne bis ins kleinste Detail vorbereitet, während andere eine weniger detaillierte und intensive Vorbereitung vorziehen. Für die Organisator*innen findet die Kompromiss-Suche bereits auf der Mikroebene statt: Beispielsweise beginnt sie mit der Frage, wie viele Workshops zur Vorbereitung sinnvoll und „zumutbar“ sind und endet damit, passende Zeitfenster für Treffen zu finden. Das IdeenLauf-Konzept begegnete diesem Spagat, indem während der Clusterkonferenz zeitkritische Aufgaben auf verschiedene Gremien unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Stärken verteilt wurden: die zwei wissenschaftlichen Gremien konnten ihre fachliche Expertise beim ersten Clustern der eingereichten Fragen einbringen, das Bürger*innengremium konnte mit der Auswahl der Highlightfragen eines Clusters die Alltagsnähe und allgemeine Verständlichkeit sicherstellen. Auf diese Weise verringerte sich das Ausmaß der Vorbereitung für die Einzelnen und die Gremien wurden zeitgleich auf ihre spezifischen Rollen vorbereitet. Ein weiterer recht pragmatischer Beweggrund für das Vorgehen: Da die Aufgaben der Bürger*innen auf der Vorarbeit der Forschenden aufbauten, konnten sie später anreisen und mussten in den meisten Fällen keinen Urlaubstag nehmen.
Der Bericht zur Begleitforschung stellte unter anderem das komplexe Erwartungsmanagement heraus, die ein Partizipationsprozess wie der IdeenLauf mit sich bringt. Die Empfehlung, offen über die inhaltlichen Ziele und Prioritäten des Projektteams sowie über die Bedürfnisse der Beteiligten zu sprechen, lässt sich mit Rückblick auf die Anpassungen in den Arbeitsgruppen noch erweitern: Neben inhaltlichen Erwartungen lohnt es sich auch, über prozessuale Erwartungen zu sprechen. Wie möchten wir zusammenarbeiten? In welchen Situationen ist uns der partizipative Grundgedanke sehr wichtig – und wann handeln wir pragmatisch?
Heimvorteile für die Wissenschaft berücksichtigen
Der IdeenLauf wurde für seinen experimentellen, innovativen Charakter gelobt und gleichzeitig zum Teil als zu ambitioniert betrachtet. Diese Diskussion betrifft insbesondere die Aufgabenstellung, mit den eingereichten Fragen Impulse für die Forschung(-spolitik) zu liefern: Löst dieser hohe Anspruch Druck aus? Oder braucht es ein klares Versprechen, um zur Teilnahme zu motivieren? Einige Gremienmitglieder zeigten sich neben ihrem Lob skeptisch gegenüber dieser konkreten Zielvorstellung.
Die Frage, wie man Beteiligte in solchen ambitionierten Vorhaben mitnimmt, begegnete uns im Projektverlauf immer wieder. Dazu lernten wir Neues über die nötigen Ausgangsbedingungen, die mit der Einladung an Bürger*innen einhergeht, gemeinsam mit Wissenschaftler*innen einen „Ideenspeicher für die Wissenschaft“ zu gestalten. Auch wenn Partizipationsformate im Bereich der Wissenschaft insbesondere von Impulsen derer profitieren können, die nicht dem akademischen System angehören, boten Erfahrungen in der Wissenschaft für die Mitarbeit im IdeenLauf aus verschiedenen Perspektiven „Heimvorteile“. Hierzu einige Beispiele:
- Unterschiedliche Fachkenntnis: Die Wissenschaftler*innen wurden in die thematische Arbeitsgruppe eingeteilt, die ihrem Fachbereich entsprach. Aufgrund dessen beschäftigten sie sich mit jenen eingereichten Fragen, die fachlich ihre Expertise widerspiegelten – Bürger*innen wählten ihre Arbeitsgruppe nach ihrem persönlich favorisiertem Themenfeld aus und mussten keine gesonderten Fachkenntnisse mitbringen.
- Unterschiedliche Erfahrung mit Aufgabenstellungen: Eine zentrale Aufgabe lag darin, die eingereichten Fragen zu clustern und Überschneidungen im dahinterliegenden Erkenntnisinteresse zu identifizieren. Diese Aufgabe ist im Forschungsalltag nicht unüblich, doch Bürger*innen haben mitunter weniger Übung mit solchen Aufgaben.
- Unterschiedliche professionelle Erfahrung: Wissenschaftler*innen setzen sich in ihrem Arbeitsalltag tendenziell mehr mit Forschungspolitik auseinander als Bürger*innen, die von den Implikationen dieser weniger betroffen sind. Erstere hatten somit eher das Hintergrundwissen, das eine Einschätzung der IdeenLauf-Verwertung erleichtert, während für Bürger*innen das Zielvorhaben abstrakter erscheinen mag.
- Unterschiedliche Einsatzmomente: Wissenschaftler*innen waren im ersten Schritt der Clusterarbeit stärker involviert als Bürger*innen. Das hatte zur Folge, dass sie sich länger mit den Fragen auseinandergesetzt hatten und die Cluster inhaltlich besser kannten. Bürger*innen mussten zur Teilnahme an der Diskussion erst den Arbeitsstand kennenlernen.
- Unterschiedliche technische Ausstattung: Wissenschaftler*innen hatten für die ersten Schritte der Clusterarbeit ihre Laptops dabei, Bürger*innen benötigten keine Laptops für ihre Aufgaben. In der Praxis stellte sich jedoch heraus, dass die Laptops einen direkten Zugriff auf die Übersicht der Cluster und damit eine nützliche Hilfestellung in der Diskussion boten.
Die Auflistung zeigt, dass nicht nur die Expertise der Beteiligten entscheidend für ihre Partizipation ist. Formale, in der Konzeptionsphase eher unscheinbare Aspekte, von der Aufgabenstellung bis zur Ausstattung, erweitern oder beschränken die Partizipationsmöglichkeiten. Je tiefer ein Partizipationsformat in den Forschungsprozess eintaucht, umso schwieriger kann es für Lai*innen werden, sich auf bislang unbekanntem Terrain einzubringen.
Fazit
Der IdeenLauf war in vielerlei Hinsicht ein aufregendes und lohnenswertes Projekt. Er bot inhaltliche Impulse, Raum für spannende Gespräche und lieferte interessante Ergebnisse. Nicht zuletzt wurden auch vonseiten der Gremien unterschiedlichste Mehrwerte hervorgehoben – auch hierzu findet sich mehr im Bericht.
Allgemeingültige Regeln, wie das Maß an Partizipation für ein Projekt bestimmt wird, können wir nicht anbieten. Doch zumindest lassen sich Tipps ableiten: Wenn der Arbeitsumfang der Beteiligten schwer zu beziffern ist, kann die bewusste Ansprache von Erwartungen auf inhaltlicher und prozessualer Ebene helfen, für kurzfristige Anpassungen gewappnet zu sein. Außerdem empfiehlt es sich, ein Partizipationskonzept frühzeitig auf seine inhaltlichen und formalen Ausgansbedingungen beziehungsweise seine möglichen Heimvorteile zu prüfen. So können Prozesse noch inklusiver gestaltet und die Vorbereitung der Beteiligten (und damit auch ihre Partizipation an sich) optimiert werden.
Letztendlich werden Partizipationsprozesse immer mit unerwarteten Momenten, spontanen Veränderungen und unterschiedlichen Bedürfnissen konfrontiert werden. Aber nur, wenn wir unsere eigenen Erfahrungen machen und sie teilen, lernen wir Spielräume und Grenzen besser kennen.
* Wissenschaft im Dialog ist einer der Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.