Wut, Umweltaktivismus und Informationen im Sandwich-Format: Gleich zweimal geht es im Forschungsrückblick um Korrekturen von Falschnachrichten – zum Thema Ernährung und zum Klimawandel. Eine weitere Studie fragt danach, wie sich Europäer*innen mit Wissenschaft beschäftigen.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im April 2023
In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:
- Informationen im Sandwich-Format: Laura M. König von der Universität Bayreuth hat in einem Experiment untersucht, wie sich Falschinformationen zu Ernährungsthemen entlarven lassen.
- Wut als Motor? Ein Forschungsteam hat untersucht, wie Korrekturen von Fehlinformationen zum Klimawandel, Umweltaktivismus und klimawandelbedingter Ärger zusammenhängen.
- Wer setzt sich in Europa wie mit Wissenschaft auseinander? Lucilla Losi von der Universität Aarhus hat eine Typologie erstellt.
- In der Rubrik „Mehr Aktuelles aus der Forschung“ geht es unter anderem um plattformbasiertes Verschwörungsdenken und die Sprachlandschaft von Florenz.
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Von Vitamin C und Spinat: Wie lassen sich Mythen über Ernährung entlarven?
Mythen über Ernährungsthemen können gravierende Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden haben und Menschen dazu verleiten, Geld für unnötige Produkte auszugeben. Falschinformationen zu entlarven, ist aber mitunter gar nicht so einfach. Denn dabei kann es zu einem sogenannten Familiarity-Backfire-Effekt kommen. Das bedeutet, dass sich Menschen später eher an die Falschinformation als an deren Korrektur erinnern. Wie kann das verhindert werden? Laura M. König von der Universität Bayreuth hat in einem Experiment die Effekte eines „Wahrheits-Sandwich-Formats“(„Truth Sandwich“) getestet. Dabei wird ein Text, in dem ein Ernährungs-Mythos widerlegt wird, in zwei andere Textteile eingebettet, die korrekte Informationen enthalten.
Methode: Das „Truth-Sandwich-Format“ wurde ursprünglich von Linguist*innen entwickelt. Grundlage ist die Annahme, dass Informationen, die an erster und letzter Stelle eines Textes präsentiert werden, in der Regel am besten erinnert werden. Laura M. König führte zuerst eine Vorstudie mit 58 Teilnehmer*innen durch, um Gesundheitsmythen zu identifizieren, die in Deutschland besonders viel Zuspruch finden. Die sechs Aussagen mit der höchsten Zustimmung wurden aus der Vorstudie übernommen, darunter „Vitamin C schützt vor Erkältungen“, „Spinat enthält viel Eisen“ und „Kohlenhydrate führen zu Gewichtszunahme“.
An der Hauptstudie nahmen 256 Personen teil, die nach dem Zufallsprinzip einer von vier Gruppen zugewiesen wurden, die entweder einen Text über Vitamin C, Kohlenhydrate, Spinat oder einen Text über gesunde Ernährung zu lesen bekamen. Der letzte Text enthielt keine Falschaussagen und diente als Kontrollbedingung. Alle Teilnehmenden wurden daraufhin gebeten zu beurteilen, inwiefern sie sechs falschen Aussagen zu Ernährungsthemen zustimmen. Die Teilnehmer*innen beantworten auch Fragen zu ihrem subjektiven Gesundheitszustand, zu Vertrauen in Wissenschaft und Forschung sowie zu ihrem Interesse und ihrem Informationsverhalten in Bezug auf Ernährungs- und Gesundheitsthemen – etwa, welche Quellen sie nutzen und wie häufig sie sich informieren.
Ergebnisse: Die Teilnehmer*innen beurteilen ihren Gesundheitszustand im Durchschnitt als gesund. Sie gaben an, eher Vertrauen in Wissenschaft, Forschung und das Gesundheitswesen zu haben und äußerten ein recht starkes Interesse an diesen Themengebieten und an Ernährungsfragen. Die Mehrheit gab an, der Quelle bei der Suche nach Informationen über Gesundheit und Ernährung etwas (39,7 Prozent) oder sehr viel (34,8 Prozent) Aufmerksamkeit zu schenken. Bei den am häufigsten genutzten Medien stand das Internet an erster Stelle, gefolgt von Gesprächen mit Freund*innen und Bekannten, Fernsehen und Zeitungen und Zeitschriften. Das Radio wurde am seltensten genutzt. Eine kleine Anzahl von Teilnehmer*innen liest ab und zu Bücher zu den Themengebieten und informiert sich über Podcasts oder soziale Medien wie Facebook.
Teilnehmer*innen, die einen Text im „Truth-Sandwich-Format“ erhielten, stimmten der zum jeweiligen Thema passenden Aussage weniger wahrscheinlich zu als Teilnehmer*innen, die einen anderen entlarvenden Text erhielten, oder den Text der Kontrollgruppe. Bei den drei Aussagen, deren Thema nicht durch einen Text im „Truth-Sandwich-Format“ angesprochen wurden, wurden keine Unterschiede zwischen den Gruppen gefunden.
Schlussfolgerungen: Aus den Ergebnissen schließt die Autorin, dass „Wahrheits-Sandwiches“ zur Entlarvung von Fehlinformationen beitragen können – so wie es in der Fachliteratur beschrieben wird1. Das Format könnte also gezielt in der Gesundheits- und Wissenschaftskommunikation sowie im Journalismus genutzt werden, um evidenzbasierte Ernährungspraktiken zur Förderung der Gesundheit in der Bevölkerung zu fördern.
Verglichen wurden die Informationen im „Truth-Sandwich-Format“ mit der Wirkung allgemeiner Informationen über gesunde Ernährung. Aus den Ergebnissen können deshalb keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob das Format effektiver ist als andere Textformate, die Ernährungsmythen widerlegen. Um beispielsweise herauszufinden, wie wichtig die Reihenfolge der einzelnen Textblöcke ist, braucht es weitere Forschung. Auch stellt sich die Frage, welche Auswirkungen bestimmte Faktoren wie das Vertrauen in Wissenschaft haben. Die Befragten zeigten ein eher hohes Vertrauen. Kotz et al. (2022) aber vermuten beispielsweise, dass entlarvende Texte im „Truth-Sandwich-Format“ in Bevölkerungsgruppen mit geringem Vertrauen in die Wissenschaft etwas weniger wirksam sein könnten. Auch das müsste in weiteren Studien untersucht werden.
Einschränkungen: Bei der Interpretation der Ergebnisse muss beachtet werden, dass die untersuchte Stichprobe überwiegend weiblich, jung, gut gebildet und an Ernährung und Gesundheit interessiert war. Diese Gruppe nutzt häufig soziale Medien und ist daher wahrscheinlich Fehlinformationen im Internet ausgesetzt. Es wäre wichtig zu überprüfen, ob die Ergebnisse auch für andere Bevölkerungsgruppen gelten, wie zum Beispiel ältere Menschen, die möglicherweise anfälliger für Fehlinformationen sein könnten. Auch die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Kontexte wie die Gesundheits- oder Umweltkommunikation könnte in weiteren Studien untersucht werden.
König, L. M. (2023). Debunking nutrition myths: An experimental test of the ‘truth sandwich’ text format. British Journal of Health Psycholog y, 00, 1–11. https://doi. org/10.1111/bjhp.12665
Was motiviert zur Korrektur von Falschinformationen?
Was spornt dazu an, Falschinformationen zum Klimawandel auf Social Media zu korrigieren? Isabelle Freiling von der University of Utah und Jörg Matthes von der Universität Wien haben dazu mehr als 500 Menschen befragt. In ihrer Studie haben sie die Beziehungen zwischen politischem Umweltaktivismus, der Korrektur wahrgenommener Fehlinformationen zum Klimawandel und klimawandelbedingter Wut untersucht.
Methode: Die Forscher*innen nahmen an, dass politische Umweltaktivist*innen stärker zu Korrekturverhalten neigen als andere Menschen und dass sich das Korrekturverhalten auch auf die Sender*innen selbst auswirkt. Sie gingen demnach davon aus, dass Menschen, die häufig Falschinformationen zum Klimawandel korrigieren, auch aktivistischer werden und eine stärkere klimawandelbedingte Wut entwickeln. Zwei weitere Thesen lauteten: Je wütender Menschen über den Klimawandel sind, desto stärker wird im Laufe der Zeit ihr Umweltaktivismus, und je wütender sie sind, desto stärker korrigieren sie wahrgenommene Fehlinformationen über den Klimawandel.
Die Studie ist Teil einer größeren Erhebung, die 2021 rund um den Bundestagswahlkampf in Deutschland durchgeführt wurde. Die zweiwellige Online-Panelbefragung fand zwischen Ende Juli und Anfang August 2021 sowie zwischen dem 13. und 22. September 2021 statt. Die endgültige Stichprobe betrug etwa 550 Personen. Die Fragen zielten unter anderem auf politischen Aktivismus (unter anderem „Teilnahme an Demonstrationen zu Umweltthemen“) und die Korrektur von wahrgenommenen Fehlinformationen über den Klimawandel („Ich habe andere Menschen darauf hingewiesen, dass diese Aussagen über den Klimawandel falsch sind“). Die durch den Klimawandel bedingte Wut wurde durch folgende Fragen gemessen: „Wenn Sie an den Klimawandel denken, welche Emotionen verbinden Sie mit diesem Thema?“ Außerdem wurden die Teilnehmer*innen gefragt, wie oft sie mit bestimmten Aussagen zum Klimawandel auf sozialen Medien konfrontiert werden. Auch die Nutzung sozialer Medien war ein Thema der Befragung.
Ergebnisse: Es bestätigte sich die These, dass Stärke des politischen Umweltaktivismus voraussagt, wie wahrscheinlich Menschen wahrgenommene Fehlinformationen zum Klimawandel auf Social Media korrigieren. Wer stärker korrigierte, berichtete im Laufe der Zeit auch über eine stärkere klimwandelbedingte Wut und engagierte sich stärker umweltpolitisch. Aber viel Wut führte nicht direkt dazu, dass Menschen mehr korrigierten. Je wütender Menschen in Bezug auf den Klimawandel waren, desto mehr engagierten sie sich jedoch für die Umwelt. Es gab keine Anzeichen dafür, dass politischer Umweltaktivismus die klimawandelbedingte Wut beeinflusst.
Ältere Befragte engagierten sich weniger wahrscheinlich umweltpolitisch. Das Alter stand jedoch in keinem Zusammenhang mit der Korrektur von wahrgenommenen Falschinformationen über den Klimawandel und der Wut über den Klimawandel. Wer häufiger Social-Media-Kanäle nutzte, engagierte sich weniger wahrscheinlich umweltpolitisch und korrigierte weniger wahrscheinlich wahrgenommene Falschinformationen zum Klimawandel. Die Social-Media-Nutzung stand jedoch in keinem Zusammenhang mit der Wut über den Klimawandel.
Je häufiger die Befragten mit den erwähnten Aussagen über dem Klimawandel konfrontiert wurden, desto wahrscheinlicher war es, dass sie sich umweltpolitisch engagierten und als falsch wahrgenommene Aussagen zum Klimawandel korrigierten. Geschlecht, Bildung, politische Einstellungen und Wissen über den Klimawandel standen in keinem Zusammenhang mit politischem Umweltaktivismus, der Korrektur von wahrgenommenen Fehlinformationen über den Klimawandel und Wut über den Klimawandel.
Schlussfolgerungen: Die Daten zeigen, dass es wechselseitige Beziehungen zwischen der Korrektur wahrgenommener Falschinformationen zum Klimawandel und umweltpolitischem Aktivismus gibt. Wer korrigiert, beteiligt sich auch wahrscheinlicher an anderen Aktivitäten im Zusammenhang mit Umwelt, unterzeichnet beispielsweise eher Petitionen, nimmt an Demonstrationen teil oder engagiert sich in Bürgerinitiativen. Wer sich stärker an solchen Aktivitäten beteiligt, korrigiert auch wahrscheinlicher Falschinformationen zum Klimawandel. Ein zugrunde liegender Mechanismus könnte laut der Forscher*innen sein, dass die Beteiligung an solchen Aktionen Menschen prinzipiell in einen aktivierteren Zustand versetzt – wahrscheinlich, weil sie dadurch in ihren eigenen Einstellungen bestärkt werden.
Laut der Forscher*innen unterstützen die Daten die Ausweitung des Modells der bidirektionalen Nachrichteneffekte („bidirectional model of message effects“) von Pingree (2007) auf eine affektive Ebene. Denn die Korrektur wahrgenommener Fehlinformationen über den Klimawandel stand in positivem Zusammenhang mit klimawandelbedingter Wut. Denn die Korrekturen widersprechen vermutlich den Überzeugungen und Werten des*r Empfänger*in. Daher entspricht das Feedback möglicherweise nicht dem, was der*die Sender*in erhofft hat. Um dem nachzugehen, könnte zukünftige Forschung die Reaktionen der Empfänger*innen auf Korrekturen in den Blick nehmen.
Insgesamt schließen die Forscher*innen aus den Ergebnissen auf einen „gesunden partizipativ-demokratischen Effekt“: Wahrgenommene Falschinformationen werden nicht nur korrigiert, die Korrektur wiederum verstärkt auch das umweltpolitische Engagement. Allerdings merken die Autor*innen auch an, dass Korrekturen auch zu Spaltungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Werten und Überzeugungen führen können.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Aktivismus Menschen nicht per se wütender macht. Stattdessen scheint Aktivismus eine Möglichkeit zu sein, mit Wut umzugehen. Es deutet sich an, dass es nicht die Wütenden sind, die andere korrigieren. Wahrscheinlich wird Korrekturverhalten besser durch andere Aspekte des Aktivismus als durch Wut erklärt, vermuten die Forscher*innen.
Einschränkungen: In nur zwei Erhebungswellen lassen sich die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Faktoren im Zeitverlauf nur begrenzt testen. Deshalb schlagen die Forscher*innen ein Design mit mindestens drei Ergebungsvollen vor. Eine weitere Einschränkung ist, dass sich das Erhebungsdesign auf Selbstauskünfte stützt. Es kann sein, dass sich die Befragten nicht mehr genau daran erinnern, wann genau sie sich umweltpolitisch engagiert oder Falschnachrichten korrigiert haben.
Freiling, I., Matthes, J. (2023). Correcting climate change misinformation on social media: Reciprocal relationships between correcting others, anger, and environmental activism. Computers in Human Behavior, Volume 145, 2023, 107769, https://doi.org/10.1016/j.chb.2023.107769
Wie setzen sich Europäer*innen mit Wissenschaft auseinander?
Ob Museumsbesuche, Teilnahme an Studien oder politischen Aktivitäten zu wissenschaftlichen Themen: Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich mit Wissenschaft auseinanderzusetzen. Lucilla Losi von der Universität Aarhus in Denmark wollte wissen, wie sich Menschen in Europa mit Wissenschaft beschäftigen und mit ihr interagieren. Lassen sich spezifische Muster für bestimmte Gruppen von Menschen ablesen? Die Forscherin hat auf Grundlage von Daten des Eurobarometers eine Typologie entwickelt und soziodemografische Merkmale untersucht.
Methode: Die Autorin führt eine Segmentierungsanalyse durch, sortiert also Befragte in verschiedene Gruppen mit ähnlichen Merkmalen ein. Dafür verwendet sie Daten des Eurobarometers Spezial 516 aus dem Jahr 2021, in dem es um öffentliches Wissen und Einstellungen in Bezug auf Wissenschaft und Technologie ging. Befragt wurden Menschen über 15 Jahren aus 37 Ländern (27 EU-Länder plus 10 weitere). Die endgültige Stichprobe der Autorin umfasste 35.913 Personen. Im Fragebogen sollten die Teilnehmer*innen beantworten, wie häufig sie in zwölf verschiedenen Aktivitäten involviert sind – zum Beispiel, ob sie mit Familie oder Freund*innen über wissenschaftliche und technologische Themen sprechen, Museen für Wissenschaft und Technik besuchen, an Demonstrationen zu wissenschaftlichen Themen teilnehmen oder sich aktiv an wissenschaftlichen Projekten beteiligen.
Die Autorin nutzte das mathematische Verfahren der Hauptkomponentenanalyse (Principal Component Analysis, PCA), um Verknüpfungen zwischen verschiedenen Aktivitäten herauszuarbeiten. Anschließend gruppierte sie die Teilnehmer*innen mittels einer Clusteranalyse nach den verschiedenen Arten ihres Engagements. Die identifizierten Cluster beschreibt sie nach ausgewählten demografischen und einstellungsbezogenen Merkmalen.
Ergebnisse: Die Untersuchung der Verknüpfungen zwischen den zwölf verschiedenen Aktivitäten zeigten keine ausgeprägten Muster. Die Analyse der Autorin ergab zwei Hauptkomponenten. In der ersten mischen sich unterschiedliche Arten des persönlichen Engagements mit solchen, die eher auf politische Aspekte oder die Koproduktion von Wissenschaft abzielen. Diese Komponente bezeichnete die Autorin als „allgemeines Engagement“. Die zweite zeichnet sich durch das Engagement in kulturellen Aktivitäten aus: Gespräche mit Freunden oder der Familie, Ansehen von Dokumentarfilmen, das Lesen wissenschaftsbezogener Publikationen oder Museumsbesuche. Information, Diskussion und Unterhaltung steht hierbei im Zentrum. Deshalb bezeichnet die Autorin diese Form der Beteiligung als informatives Engagement. Bei der Clusteranalyse kristallisierten sich vier verschiedene Gruppen heraus.
- Cluster der „Nicht-Engagierten“ („disengaged“): Die größte Gruppe (45 Prozent der Befragten) umfasst Personen, die in allen Formen der Beteiligung unterdurchschnittlich abschneiden. Einige von ihnen unterhalten sich vielleicht sporadisch über wissenschaftliche Themen oder sehen sich einen Dokumentarfilm an, aber jeder andere Kontakt mit Wissenschaft scheint unwahrscheinlich zu sein.
- Cluster der „Aufmerksamen“ („aware“): Die zweite Gruppe (27 Prozent der Befragten) weißt bei aktiveren Fragen (unter-)durchschnittliche Werte auf, bei kulturellen Aktivitäten liegt sie über dem Mittelwert. Diese Gruppe von Befragten repräsentiert diejenigen, die wissenschaftsbezogene Inhalte konsumieren
- Cluster der „Investierenden“ („invested“). Die dritte Gruppe (etwa 18 Prozent der Befragten): engagiert sich überdurchschnittlich stark kulturell und beteiligt sich an politischen und korrelativen Aktivitäten eher durchschnittlich. Sie repräsentiert also Personen, die sich mit wissenschaftsbezogenem Wissen auseinandersetzen und sich in seltenen Fällen an wissenschaftsbezogenen Aktivitäten beteiligen.
- Das Cluster der „Pro-Aktiven“ (proactive), (etwa 10 Prozent der Befragten), ist das kleinste Cluster, aber auch dasjenige mit der höchsten Beteiligung an allen Formen von Aktivitäten. Die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten aber ist allen drei aktiven Clustern in etwa vergleichbar. Aktivitäten der Mitgestaltung von Wissenschaft werden aber auch bei Befragten mit dem höchsten Engagement meist nur gelegentlich ausgeübt.
Die einzelnen Cluster unterscheiden sich wesentlich in ihren demographischen Merkmalen. Die Gruppe der Nicht-Engagierten umfasst Befragte aus mittleren und unteren sozialen Schichten und weist die geringsten wissenschaftlichen Kenntnisse auf. Interessant sei, bemerkt die Autorin, dass sich die am stärksten engagierte Gruppe in ihren demographischen Merkmalen nicht von den anderen abhebt. Der auffälligste Unterschied bestehe zwischen der Gruppe der Nicht-Engagierten und allen anderen. Die Nicht-Engagierten weisen einen hohen Prozentsatz an weiblichen und älteren Befragten auf, die in ländlichen Gebieten oder Kleinstädten wohnhaft und? Arbeiter*innen oder im Ruhestand sind. Im Vergleich zu den anderen sind sie eher religiös, haben ihre Ausbildung früh beendet und nutzen das Internet seltener.
Das proaktive Cluster hingegen weist den höchsten Prozentsatz an männlichen oder nicht-binären Befragten. Sie sind eher jünger, leben in großen Städten leben, sind eher Studenten.
Als Hindernisse für wissenschaftliches Engagement nennen die Befragten vor allem Mangel an Zeit, Interesse, Informationen über Aktivitäten und zu geringes wissenschaftliches Wissen. Bei den Nicht-Engagierten scheint mangelndes Interesse das Haupthindernis für ein Engagement zu sein, gefolgt von mangelnden wissenschaftlichen Kenntnissen. Insgesamt geben diejenigen, die sich bereits in gewissem Umfang wissenschaftlich engagieren, vor allem Zeitmangel und fehlende Informationen an. Diejenigen, die sich nicht engagieren, nennen eher persönliche Gründe wie mangelndes Interesse oder unzureichende wissenschaftliche Kenntnisse.
Die Mehrheit der Befragten spricht sich für eine geringe Beteiligung der Öffentlichkeit und eine tragende Rolle von Expert*innen bei Entscheidungsfindungen in Wissenschaft und Technik aus. Allerdings gibt es Nuancen. Die Nicht-Engagierten und die Pro-Aktiven sprechen sich stärker dafür aus, die Entscheidungsfindung auf die Meinung von Bürger*innen zu stützen.
Die proaktiven Befragten stehen der Wissenschaft persönlich nahe, verfügen aber nicht über auffallend bessere wissenschaftliche Kenntnisse als die anderen Gruppen. Umgekehrt scheinen die Aufmerksamen zwar sachkundig zu sein, aber der Wissenschaft eher fern zu stehen.
Schlussfolgerungen: Die Verteilung der Wissenschaftskompetenz über die Cluster ist laut der Autorin bemerkenswert, weil man eigentlich erwarten würde, dass diejenigen, die sich stärker mit Wissenschaft beschäftigen, auch über mehr Wissen verfügen. Diese Annahme müsse eingehender untersucht werden.
Ein interessantes Ergebnis ist auch, dass die Nicht-Engagierten und die Pro-Aktiven bei ihrer Einschätzung zur Rolle der Öffentlichkeit bei Entscheidungsfindungen nah beieinander liegen.
Erwartbar wäre stattdessen gewesen, dass die Pro-Aktiven aufgrund ihrer Nähe zur Wissenschaft die Beteiligung von Expert*innen deutlicher befürworten, während die Nicht-Engagierten aufgrund ihres mangelnden Interesses kein klares Muster erkennen lassen. Laut der Autorin lasse sich darüber spekulieren, ob die Annahme zu kurz greift, dass eine stärkere Beschäftigung mit Wissenschaft mit einer positiveren Einstellung ihr gegenüber verbunden ist. Möglicherweise könne Engagement auch aus einer kritischen Haltung resultieren. Um das zu untersuchen, brauche es weitere Forschung.
Die Untersuchung zeigt auch, dass diejenigen, die am ehesten in den Dialog mit der Wissenschaft treten, die kleinste Gruppe bilden. Der Anteil derjenigen, die sich überhaupt nicht mit Wissenschaft beschäftigen, liegt hingegen bei 45 Prozent der Stichprobe. Hierbei werden auch Zugangsbarrieren deutlich. Diejenigen, die sich am wenigsten mit Wissenschaft beschäftigen, haben meist einen niedrigeren sozialen Status, sind eher weiblich, älter, arbeiten mehr und wohnen in ländlichen Regionen. Dieses Ergebnis gibt Aufschluss darüber, welche Menschen die Wissenschaftskommunikation bisher nicht erreicht. Gleichzeitig zeigt sich auch, dass das engagierteste Cluster ein gemischtes demographisches Bild aufweist.
Einschränkungen: In der Studie wurden zwölf verschiedene Arten der Beschäftigung mit Wissenschaft abgefragt. Möglicherweise gibt es aber auch noch andere Formen des Engagements, die hier nicht betrachtet wurden. Wenn sich Menschen an keiner der genannten Aktivitäten beteiligen, bedeutet das also nicht unbedingt, dass sie sich gar nicht für Wissenschaft interessieren.
Losi, L. (2023). Who engages with science, and how? An empirical typology of Europeans’ science engagement. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625231164340
Mehr Aktuelles aus der Forschung
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📚 Mit unterschiedlichen Formen, die Autorität von Wissenschaft in Frage zu stellen, beschäftigen sich Jolan Urkens und Dick Houtman von der KU Leuven. Die beiden haben Online-Kommentare zu einem belgischen Zeitungsartikel über die Coronakrise untersucht, in dem ein bekannter belgischer Virologe zu Wort kommt. Sie zeigen, dass drei Bilder von Wissenschaftler*innen dominieren: Erstens die Darstellung als Prophet*innen, die vorgeben, dass ihr Wissen konkurrierenden Weltbildern überlegen ist; zweitens als Marionetten, die in verborgenen Plänen auftauchen; und drittens als Dummköpfe, denen die intellektuelle Kompetenz fehlt, wissenschaftlich fundierte Ratschläge zu erteilen. Auch wenn die ersten beiden Darstellungen auf den ersten Blick an postmoderne Konzepte erinnerten, seien sie von einem modernen Verständnis geprägt, schreiben die beiden Forscher. Denn damit werde suggeriert, dass eine objektive und neutrale wissenschaftliche Erkenntnis möglich und wünschenswert ist.
📚 Welche Rolle kann das Pronomen „wir“ in der öffentlichen Gesundheitskommunikation spielen? Das hat ein Forschungsteam um Philippa Spoel von der Laurentian University in Kanada anhand der Covid-19-Updates von Bonnie Henry, Gesundheitsbeauftragte der kanadischen Provinz British Columbia, untersucht. Die Fallstudie zeigt, dass der zweideutige Gebrauch von „wir“ die Grenze zwischen dem Wissen und der Verantwortung von „wir“ im Gesundheitswesen und „wir“ als Bürger*innen verwischt. Laut der Autor*innen zeige die Analyse die wichtige, aber ambivalente Rolle, die das Pronomen beim Aufbau sozialer Vertrauensbeziehungen zwischen Bürger*innen, Expert*innen und Institutionen im Kontext der öffentlichen Gesundheit und der Wissenschaftskommunikation spielen kann.
📚 Was begünstigt falsche Annahmen zu bestimmten Themen? Anna Katharina Spälti von der Universität Exeter im Vereinigten Königreich und ihr Forschungsteam fanden heraus, dass unter einer Gruppe von mehr als 5.000 Spanier*innen falsche Vorstellungen über genetisch veränderte Lebensmittel und Gesundheitsrisiken der 5G-Technologie besonders weit verbreitet waren – im Vergleich zu falschen Vorstellungen über Impfungen, Homöopathie und den Klimawandel. Die Parteizugehörigkeit der Befragten wurde nur mit falschen Annahmen über den Klimawandel in Verbindung gebracht. Expert*innenfeindlichkeit und Verschwörungsdenken scheinen hingegen stärker mit falschen Annahmen verbunden zu sein.
📚 Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Städte und Stadtviertel aus? Carla Bagna und Martina Bellinzona von der Universität Siena in Italien haben Veränderungen in der Sprachlandschaft von Florenz untersucht. Dieses Forschungsgebiet befasst sich mit der Darstellung der Sprache im öffentlichen Raum und der Art und Weise, wie die Menschen mit ihr umgehen. Zu diesem Zweck haben die Forscherinnen unter anderem Fotos und Zeitungsartikel gesammelt, Interviews geführt und Online-Diskussionsgruppen organisiert. Sie fanden heraus, dass die erste Phase der Diskurse von Resilienz, Toleranz, Hoffnung, Solidarität und Patriotismus geprägt war, während die zweite und dritte Phase von Desillusionierung, Verzweiflung und Protest gekennzeichnet war.
📚 Wie hängen Risikobewertung und Angst mit den Informationsquellen zusammen, die Menschen nutzen? John Elvis Hagan von der Universität Bielefeld und ein Team von Forschern haben Studierende in Ghana befragt, welche Medien sie nutzten, um sich über Covid-19 zu informieren. Studierende, die soziale Medien nutzten, berichteten über ein höheres Maß an Angst im Vergleich zu anderen. Die Nutzung professioneller Plattformen, wie zum Beispiel Regierungswebseiten, kann möglicherweise dafür sorgen, dass sich weniger Angst aufbaut. Wenn die Risikowahrnehmung hoch war, zeigten Studierende, die professionelle Plattformen nutzten, ein geringeres Ausmaß an Ängsten.