Wie können wir eine wünschenswerte Zukunft gestalten? Ein Gespräch mit der Transformationsforscherin Maja Göpel über die Rolle der Wissenschaft in Zeiten des Wandels, Brücken bauen durch Kommunikation und Ghostwriting-Vorwürfe.
„Ich bin ein Misfit“
Frau Göpel, Ihr Buch „Wir können auch anders“ liest sich wie eine Einführung in komplexe Systeme. Warum ist es wichtig, die Komplexität unserer Welt zu verstehen, um sie verändern zu können?
Aus Sicht der Nachhaltigkeitstransformation stehen drei Blockaden dem systemischen Denken im Weg. Wir sind nicht gut darin, vernetzt zu denken. Häufig wollen wir Probleme lösen, indem wir Symptome bekämpfen. Also versuchen wir eine tolle, neue Technologie oder einen Ersatz für ein knappes Teil zu finden; beispielsweise, wenn wir bei der Verkehrswende nur auf den Elektroantrieb setzen. Wir verlieren aus den Augen, wie dieses eine Produkt oder diese eine Technologie mit anderen Dingen wie sozialen Praktiken oder Geschäftsmodellen zusammenhängt und wundern uns dann über Rebound-Effekte oder Problemverschiebungen. Dazu kommt, dass wir oft erst konsequent handeln, wenn wir die Auswirkungen bereits spüren. Dabei haben wir in der Coronapandemie gesehen, wie wichtig es ist, frühzeitig zu agieren und Trends abzumildern oder umzukehren. Und dann gibt es noch tief verankerte strukturelle Blockaden wie etablierte Denkmuster, Routinen, soziale Praktiken oder Institutionen, die es Einzelnen schwer machen, auszubrechen, um Dinge neu anzugehen. Deshalb ist es wichtig, immer wieder nach der Bestimmung zu fragen: Was ist das Ziel, das wir erreichen wollen? Und entsprechen unsere Strukturen heute dieser Zielerreichung, sind sie fit for purpose?
Warum ist es langfristig sinnvoller, Transformation zu gestalten als lediglich auf Schocks zu reagieren?
Weil es wünschenswert ist, Übergangsprozesse möglichst verlust- und konfliktarm zu gestalten. Das schaffen wir besser, wenn wir früh erkennen, dass Dinge sich verändern werden. Nur so können wir rechtzeitig die Betroffenen involvieren. Partizipationsformate brauchen Zeit. Es geht darum, Menschen tatsächlich aufzuklären und sie an einer Diskussion über eine just transition teilhaben zu lassen, darum unterschiedliche Interessen zusammenzubringen und möglichst breit getragene Lösungen zu finden. Wartet man auf den Schock, reagiert man nur. Dann können wir weder die Menschen noch die Alternativen ausreichend vorbereiten.
Es wirkt dennoch, als gäbe es Beharrungskräfte, eher am business-as-usual festzuhalten als eine wünschenswerte Zukunft zu erdenken. In der Coronapandemie wurden beispielsweise Rufe laut, zur Normalität zurückzukehren. Können wir doch nicht anders?
Deshalb sind transparente und Vertrauen bietende Prozesse für die Übergangsphase, klare Ziele für eine neue Normalität und die Ansage, dass niemand zurückgelassen werden wird, so wichtig. Dabei geht es nicht nur um Innovation, sondern auch um Exnovation: Wie schaffen wir es, dass wir die Besitzstandswahrung früher loslassen und das Neue schneller wachsen kann?
Können Sie das an einem Beispiel klarer machen?
Im Mobilitätsbereich sehen wir sehr deutlich, dass viele Alternativen nicht so schnell auf den Markt kommen, weil grundsätzliche Fragen der Mobilität nicht gestellt werden. Die Idee einer weiter wachsenden Autoflotte bleibt bestehen. Das couragierte Loslassen ist aber ein wichtiger Beitrag, um Ressourcen und Energie auf etwas Neues auszurichten.
Da frage ich mich, warum wir so eine starke Verliererrhetorik pflegen. Wieso ist man unerfolgreich, wenn man nicht bis an das Lebensende das Gleiche macht, immer mehr verdient oder immer höher in veralteten Hierarchieformen angesiedelt ist? Warum dürfen Politiker*innen nicht ihre politischen Vorschläge ändern, wenn eine Zeitenwende eintritt? Wir gehen in unserer Kultur unheimlich hart miteinander um. Das steht einer lernenden Gesellschaft entgegen. Gerade wenn sich jetzt sehr viel sehr schnell ändert, sollten wir froh sein über die Bereitschaft, sich anzupassen, zu verändern, zu transformieren. Auch einmal etwas ganz Neues auszuprobieren. So können wir das schockbasierte Reagieren in gesellschaftliches lebenslanges Lernen normalisieren.
Welches Ausmaß an gesellschaftlichem und politischem Willen muss mobilisiert werden, um einen Wandel anzustoßen?
Welche Rolle spielt die Wissenschaft in gesellschaftlichen Transformationsprozessen?
Für mich ist Wissenschaft eine organisierte Form, auf gesellschaftliche Fragen Antworten zu finden. Dazu muss man auch hören, welche Fragen in der Gesellschaft aufgeworfen sind. In der Wissenschaft braucht es dazu eine Bereitschaft, flexibel zu sein. Deshalb bin ich zur Transformationsforschung gegangen: Sie fängt immer mit einem persistenten Problem an und fragt unterschiedliche Disziplinen nach ihrem Blick darauf. Jede Disziplin stellt dabei unterschiedliche Realitätsausschnitte nach vorne, sodass man in der Summe zu einer neuen, vollständigeren Perspektive gelangt.
Dazu braucht es aber anders aufgebaute Forschungsteams und -designs, ein anderes Publikationswesen – weg von der hohen Schlagzahl – und längere Projekt- und Förderlaufzeiten.
Was bedeutet das für die Forschungspraxis?
Es braucht mehr Zeit, den Willen, sich öfter zu hinterfragen und guten Teamgeist. Ein gutes Beispiel sind Reallabore. Oft hat man gerade Vertrauen und ein Netzwerk aufgebaut und den Prozess institutionalisiert, wenn die Förderung ausläuft. Dann fehlt der Treiber; der gesamte Veränderungsprozess stoppt.
Wie muss eine Wissenschaftskommunikation aussehen, die komplexe, vernetzte Themen erklären will?
Nachhaltigkeit und die Kommunikation dazu sind Querschnittsthemen. Wir müssen dabei diskutieren, wie wir soziale, ökonomische und ökologische Faktoren zusammendenken und stärken können. Für mich hat die Wissenschaftskommunikation dabei drei unterschiedliche Rollen: das beste Wissen als interessensneutrale Instanz verständlich bereitzustellen, eine angepasste Service-Dienstleistung in Veränderungsprozessen anzubieten und aktiv zuzuhören.
Könnten Sie das noch einmal genauer erklären?
Ich verstehe Kommunikation als Dialog – und das geht für mich auch weiter als Transfer. Beim Wissenstransfer geht es darum, wissenschaftliche Erkenntnisse aufzubereiten und zu vermitteln, was man herausgefunden hat. Das kann in Form eines Briefings, Infografiken oder Diskussionsveranstaltungen geschehen. Wissenschaftskommunikation geht meines Erachtens einen Schritt weiter, sie entwickelt ein Gespür für die Fragen, die vorliegen und bei wem.
Zuletzt gilt es, mehr zuzuhören, welche Fragen gerade brennen und auch wo tolle neue Ideen, Erkenntnisse oder auch Designprinzipien erprobt werden, die durch wissenschaftliches Systematisieren und Codieren Verbreitung finden können.
Sie sind Wissenschaftlerin, Autorin, Speakerin, Politikberaterin, Wissenschaftskommunikatorin – in welcher Rolle sehen Sie sich vorwiegend?
Ich habe immer versucht, Antworten zu finden auf die Fragen, die mich am meisten beschäftigen. So bin ich in die unterschiedlichen Disziplinen gelangt und immer gerne transdisziplinär gearbeitet. Da bin ich sicherlich eine klassische Misfit, so habe ich die Nachhaltigkeitsforscher*innen im neuen Buch genannt. Es macht mir unglaublich Spaß, Muster zu erkennen, zu überlegen, wie ich damit Brücken bauen kann und wie der nächste gemeinsame Schritt aussehen kann. Dieses Hin-und-Her-Streben zwischen Denken dürfen und dann ein Angebot machen und hoffen, dass Menschen dadurch zum Handeln kommen, fasziniert mich.
Wie gelingt es, Brücken zu bauen?
Sie gerieten zuletzt in die Kritik, weil sie die Mitarbeit des Journalisten Marcus Jauer an Ihren Büchern nicht öffentlich gemacht haben. Warum haben Sie sich zu einer Zusammenarbeit entschlossen?
Es hat viel mit lebenslangem Lernen zu tun, dass ich auch in Sachen hineinlaufe, die neu für mich sind, wie eben ein Sachbuch mit einem großen Verlag. Ich hatte um Unterstützung gebeten und mit Marcus Jauer wurde jemand gefunden, der toll zu mir und meiner Arbeit passte. Er wurde auf seinen Wunsch nicht erwähnt, auch wenn ich ihn mehrfach versucht habe, zu überreden. Vertraglich war das sein Recht. Mir haben viele Journalist*innen bestätigt, ebenfalls so zu arbeiten, auch mit Wissenschaftler*innen. Dass es in meinem Fall skandalisiert wurde, hat daher auch zu einem Medienecho geführt, das die ZEIT dafür kritisierte. Umso mehr hat mich die inszenierte Empörung bei einigen Kolleg*innen in der Wissenschaft erstaunt.
Wie viele Autor*innen stehen auf Peer-Reviewed-Publikationen, die darin noch nicht einmal ein Komma gesetzt haben, nur weil sie Lehrstuhlinhaber*innen oder Institutsleiter*innen sind? Das ist eine allgemein bekannte Praxis, die auch unglaublichen Frust bei Nachwuchswissenschaftler*innen auslöst. Das komplett auszublenden, um sich bei einem Sachbuch darüber aufzuregen, obwohl es dort die mitschreibende Person war, die ausdrücklich nicht genannt werden wollte, fand ich beschämend. Ich bin absolut bereit, die Debatte um Transparenz in kollaborativem Schreiben zu führen und warum richtig gute Schreiber*innen für die Öffentlichkeit uns dann vielleicht verloren gehen – aber dann bitte strukturell, und nicht um Einzelne zu diffamieren.
Was konnten Sie von einem Kommunikationsexperten wie Jauer für Ihre Wissenschaftskommunikation lernen?
Marcus Jauer ist Journalist. Bei der Zusammenarbeit hat es mir wahnsinnig gutgetan, dass er jemand ist, der tagein, tagaus öffentlich, persönlich und mit Storytelling schreibt. Wenn ich das nicht gelernt habe, wie soll ich es selbst anwenden? Das hat mich auch irritiert, dass davon ausgegangen wird, dass ich als Wissenschaftskommunikatorin alles allein können soll: Talkshowauftritte, Essays- und Bücher schreiben, Vorträge, Blogs, Interviews und Social Media, aber auch noch Journal-Artikel. Wir sind doch keine eierlegenden Wollmilchsäue. In der Wissenschaftskommunikation braucht es Teams.
Ihr Buch beginnt mit einem Zitat zu Hoffnung in ungewissen Zeiten. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass wir die Transformation schaffen können?
Die Schriftstellerin Rebecca Solnit skizziert darin1 ganz gut den Wirklichkeitsrahmen zwischen Optimismus, für den man sich in Krisenzeiten wie heute schon rechtfertigen muss, und Pessimismus. Es geht darum, Handlungsräume zu beschreiben und loszulaufen. Ob und wie viele Menschen mitkommen, liegt außerhalb unserer Macht. Aber Dankbarkeit für das Leben und Verantwortung für seinen gesunden Erhalt zu übernehmen, auch wenn wir nicht wissen, wie das Morgen wird, ist eine schöne Energie und bereichert das Jetzt.