Welche Wirkung erzielen künstlerische Formate der Wissenschaftskommunikation bei den Zuschauer*innen? Im Gastbeitrag teilt das Evaluationsteam des Wissenschaftsvarietés Glitzern & Denken die zentralen Erkenntnisse aus der Evaluation der Shows.
Wenn sich Wissenschaft und Kunst die Bühne teilen
Wissenschaft in einem neuen Licht präsentieren – diesem Ziel verschreiben sich viele Formate der Wissenschaftskommunikation, die ihre Inhalte mit Kunst verbinden. Dass sich solche Projekte großer Beliebtheit in der Community erfreuen, zeigte bereits das Thema des Forum Wissenschaftskommunikation im Jahr 2019, dem Wissenschaftskommunikation.de einen passenden Schwerpunkt widmete. Die Idee hinter dem Konzept leuchtet ein: Durch eine „Verschmelzung“ mit Kunst könne man eine neue Perspektive auf wissenschaftliche Inhalte eröffnen und stereotypen Darstellungen des Wissenschaftssystems und seiner Akteure – in weißen Kitteln und sterilen Laboren – etwas entgegensetzen. Seltener redet man in der Praxis darüber, welche genauen Wirkmechanismen der Formate zu dieser Zielerreichung führen könnten.
Das Wissenschaftsvarieté Glitzern & Denken ist ein gemeinsames Projekt des Museum für Naturkunde Berlin (MfN), dem Ensemble Salon Fähig und Wissenschaft im Dialog* (WiD)1. Die drei Shows Schleimig!, Beinig! und Unsterblich? kombinierten künstlerische Darbietungen mit Inputs, Gesprächen und Anekdoten zu wissenschaftlichen Themen und dem Forschungsalltag. Das Projekt bot die Möglichkeit, das Konzept des künstlerischen Bühnenformats näher zu untersuchen. Wer ist das Publikum? Welchen Eindruck erwecken die Wissenschaftler*innen und Künstler*innen bei ihm? Inwieweit stimmen das Konzept und die Wirkung des Formats überein? Die folgenden zentralen Erkenntnisse unserer Evaluation mögen auch für andere Praktiker*innen von Interesse sein, die Wissenschaftler*innen auf die Bühne bringen.
Welche Rollen erfüllen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen in der Show?
Um zu prüfen, welche Bilder von Wissenschaft und Forschung in der Show vermittelt werden, wurden Zuschauer*innen vor und nach der Show zu jenen Vorstellungen interviewt. Grundsätzlich zeigte sich schon vor der Show ein sehr positives Bild von Forschenden beim Publikum. Allerdings deuteten die Ergebnisse der Evaluation auch stereotype Bilder an: Beim Stichwort „Wissenschaftler*in“ fielen Kommentare wie „leben in ihrer eigenen Welt“ oder „Nerds“. Sie wurden teilweise als schwer verständlich beschrieben.
Zum Teil konnten diese Vorurteile abgebaut werden, doch auch nach dem Wissenschaftsvarieté assoziierten einige Zuschauer*innen mit Wissenschaftler*innen weiterhin mangelhafte Kommunikationsfähigkeiten. Dafür ergab sich ein unerwarteter Nebeneffekt: Die Künstler*innen wurden sehr lobend als Wissenschaftskommunikator*innen umschrieben. Interviewte bezeichneten die moderierende Künstlerin als „Verbindung zum Publikum“ und als die „Verknüpfung von Wissenschaft und Unterhaltung“. Die nähere Untersuchung, wie sich die Auftritte von Wissenschaftler*innen und Künstler*innen unterschieden, ergab verschiedene Erklärungen hierfür.
In den ersten Shows waren die Wissenschaftler*innen aufgrund der Hygienemaßnahmen auf feste Plätze verwiesen, während die Künstler*innen sich auf der Bühne bewegten, unter anderem um das Set umzuräumen. Dass die Wissenschaftler*innen in ihren Sesseln verharrten, anstatt die Bühne in ähnlicher Form einzunehmen, mag zu einer zurückhaltenden, passiveren Wahrnehmung beigetragen haben.
Aus Interviews mit den Mitwirkenden ergab sich, dass die Künstler*innen es als ihre Aufgabe sahen, aus Perspektive der Fachfremden die Inhalte der Wissenschaftler*innen zu übersetzen. Gleichzeitig sahen sie sich als Instanz zwischen dem Publikum und den Wissenschaftler*innen. Indem sie einen „schützenden Raum” schufen, der die Gäste die Bühnensituation (und das Publikum) ausblenden ließ, konnten diese ihr Lampenfieber überwinden. Auch die Wissenschaftler*innen waren ihrem eigenen Selbstverständnis nach eher Wissensquelle und nicht zwangsläufig Vermittler*innen. Der Eindruck des Publikums spiegelte somit das Rollenverständnis der Mitwirkenden wider.
In den Publikums-Interviews wurde auch deutlich, dass Kommunikationsstärke nicht zwangsläufig mit dem Bild des „ungewöhnlichen Nerds“ einhergeht, mit dem in der Show zeitweise gespielt wurde. Denn im Laufe des Projekts zeigte sich, dass die Auslegung, was eine positive Darstellung von Wissenschaftler*innen bedeutet, in interdisziplinären Teams durchaus variiert. Die Darstellung der Wissenschaftler*innen als „normale Menschen wie du und ich“ konkurrierte mit dem Wunsch der Künstler*innen, die Gäste in ihrer Besonderheit und Andersartigkeit zu zelebrieren. Besonderheit ist positiv besetzt, kann aber auch eine Distanz zum Publikum schaffen. Im Kontrast dazu versetzten sich die Künstler*innen in die Rolle des Publikums und wirkten nahbar.
Trotz dieser unerwarteten Effekte konnten durch die Shows positive Veränderungen bezüglich des Bilds von Wissenschaftler*innen festgestellt werden. Das zeigte sich besonders deutlich bei der finalen Show, die auf bisherigen Erfahrungen aufbaute und unter weniger strengen Hygieneauflagen stattfand: Hier baten wir das Publikum vor und nach der Show, Eigenschaften von Wissenschaftler*innen auf einer Skala einzuschätzen. Die Mittelwertunterschiede (Abb. 1-3) deuten darauf hin, dass insbesondere soziale Eigenschaften positiv hervortraten.
Was motiviert die Zielgruppen des Wissenschaftsvarietés?
In erster Linie erhoffte sich das Publikum Unterhaltung und einen Wissenszuwachs vom Format, wobei es keinen zielgerichteten Anspruch stellte, was man lernte. Zudem freute man sich darauf, überrascht zu werden und die Welt aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Die nötigen Elemente brachten die Shows den Evaluationsteilnehmenden zufolge mit, auch wenn die Balance und Ausgestaltung nicht jedermanns Geschmack traf. Zum Ende des Projekts wurde aber die Show Unsterblich? von einer großen Mehrheit des Publikums (sehr) positiv bewertet (Abb. 4).
Schwieriger war es, die Zielgruppen näher zu beschreiben. Zu Beginn des Projekts gab es die Annahme, dass das Wissenschatsvarieté neben den typischen Besucher*innen des MfN auch kunstaffine Zielgruppen anspricht, die normalerweise kein Naturkundemuseum besuchen. Abgesehen davon, dass die Pandemie die Freizeitgestaltung einschränkte und somit Abfragen dazu erschwerte, ließen sich Kunst- und Wissenschaftsliebhaber*innen anhand formaler Merkmale wie Bildungsstand oder der Anzahl der jährlichen Museums- und Varietébesuche nicht streng voneinander abgrenzen, sondern zeigten eher starke Überschneidungen. Qualitative Interviews mit einigen Zuschauer*innen ergaben, dass die Motivation, ein Wissenschaftsvarieté zu besuchen, möglicherweise ein relevanter Aspekt zur Abgrenzung unterschiedlicher Zielgruppen ist. Beispielsweise beeinflussten persönliche Berührungspunkte mit Naturwissenschaft, eine Selbstsicherheit im Verstehen von Naturwissenschaft und die erhofften Mehrwerte für die Freizeitgestaltung die Motivation. Diese Mehrwerte hingen wiederum stark von Umständen wie Familienstand, Wohnort und verfügbarer Zeit ab. Motivationsprofile beziehen also verschiedene Ebenen mit ein und könnten künftig hilfreich sein, um Zielgruppen besser zu verstehen und zu adressieren.
Learnings und Empfehlungen
Die Wirkung von Formaten, in denen Kunst auf Wissenschaft trifft, hängt nicht nur von den richtigen Zutaten ab – ein*e Wissenschaftler*in, ein*e Künstler*in, ein spannendes Thema – sondern auch von deren Zusammenwirken: Das Auftreten der Personen auf der Bühne, ihre Anmoderation und ihre Interaktion miteinander. Formale Entscheidungen wie die Zahl der Proben oder Hygiene-Maßnahmen können das Zusammenspiel beeinflussen. Deshalb sollten wir uns stets Gedanken über die Wirkmechanismen unserer Formate machen; nicht nur über das Ziel, sondern auch darüber, wie das Zusammenwirken verschiedener Elemente zum Ziel führen soll. Wichtig ist dabei auch, dass sich Projektteams über diese Wirkannahmen einig sind und im Gespräch bleiben, ob die Umsetzung den Erwartungen entspricht. Gerade in interdisziplinären Teams, in denen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven aufeinandertreffen, sollten Zieldeutungen nicht als selbstverständlich angesehen werden.
Gespräche mit der eigenen Zielgruppe sind bei alldem sehr hilfreich, um die Wahrnehmung zu überprüfen und auf unerwartete Effekte zu stoßen. Darüber hinaus lohnt es sich, in frühen Projektphasen mit den Zielgruppen zu sprechen, sie über formale Merkmale hinaus kennenzulernen, ihre Motivation zu verstehen und zu klären, wie man mit ihnen in Kontakt kommt, um das Format zu bewerben.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
Projektsteckbrief
Projektträger: LOTTO-Stiftung
Projektpartner: Museum für Naturkunde Berlin, Ensemble Salon Fähig, Wissenschaft im Dialog
Budget: 557.000 Euro
Ziele:
- eine neuartige Perspektive auf Wissenschaft und Forschung eröffnen
- ein neues Dialogformat zwischen Kunst, Wissenschaft und Publikum testen
- neue Zielgruppen für Wissenschaftskommunikation erschließen
Zielgruppen: Museumspublikum, Kunst- und Wissenschaftsinteressierte
Weitere Beiträge zum Thema
- „Glitzern und Denken“ im Wissenschaftsvarieté: Interview mit Ines Theileis auf Wissenschaftskommunikation.de
- Interview mit Imke Hedder zu den Learnings aus der Evaluation eines hybriden Formats auf dem Blog von Wissenschaft im Dialog*
- Hedder, Ziegler, Dietermann & Ziegler (2022). Qualitative Befragungen zur Evaluation von Wissenschaftskommunikation am Beispiel des Wissenschaftsvarietés Glitzern & Denken. In: Niemann, van den Bogaert & Ziegler (Hrgs.): Evaluationsmethoden der Wissenschaftskommunikation (Open Access)