Foto: Louis Moreira

„Was die Leute sehr interessiert, ist die Erfahrung des Forschenden“

Die Idee für seinen Instagram-Account ist in Sibirien am Lagerfeuer entstanden. Inzwischen hat Gino Caspari 140.000 Follower. Im Interview erzählt der Schweizer Archäologe, wie er das Medium nutzt, um Interesse für sein Fach zu wecken.

Mehr als 140.000 Menschen folgen Ihnen inzwischen auf Instagram. Wie sind Sie 2018 auf die Idee gekommen, die Plattform für die Kommunikation von Archäologie zu nutzen?  

Ich leite seit Längerem Expeditionen und als wir eines Abends in Sibirien beim Lagerfeuer zusammensaßen, hat eine Freundin befunden: Eigentlich haben wir doch ein aufregendes Leben. Warum ich denn mit all den Reisen, kleinen und großen Abenteuern eigentlich nicht präsenter in den sozialen Medien sei – das würde bestimmt viele Leute interessieren. 

Gino Caspari ist promovierter Archäologe und arbeitet am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern sowie an der Universität Sydney. Seine Forschungsschwerpunkte sind Mensch-Umwelt-Interaktion, Fernerkundung und Geografische Informationssysteme. Er leitet Expeditionen und Feldforschungsprojekte und kommuniziert seit 2018 als @ginocaspari auf Instagram. Foto: Chris Shane

Damals war ich sozialen Medien gegenüber sehr kritisch eingestellt und habe sie in erster Linie als eine Art Adressbuch genutzt. Ich habe dann gesagt: Wenn ich mich auf so ein Experiment einlasse, dann mache ich es richtig und konzentriere mich auf Wissensvermittlung, habe ein Konzept und poste regelmäßig. Das hat relativ gut funktioniert. Während der Pandemie hat sich die Verlagerung von Aktivitäten in virtuelle Räume nochmals beschleunigt. Instagram ist ein Kanal für die Kommunikation geworden, der den Wegfall von Veranstaltungen wie Abendvorträgen ein wenig aufzufangen vermochte. Plötzlich hatten wir bei Diskussionen über Nischenthemen via Live-Stream mehrere hundert Zuschauer*innen. 

Warum Instagram und kein anderes soziales Medium? 

Ich habe Instagram in erster Linie gewählt, weil es ein visuelles Medium ist und Archäologie als Fach visuell viel zu bieten hat. Ich möchte erreichen, dass die Leute die Captions, also die Beschreibungen, lesen und dort Informationen bekommen. Denn es bringt kommunikativ relativ wenig, wenn sie nur auf ein Bild doppelklicken und dann zum nächsten scrollen. In diesem Sinne funktionieren die Bilder für mich eher als „narrative Hook“, als Einstieg, der neugierig machen soll und auf die Caption weiterleitet. Im Idealfall hat das einen Lerneffekt. Noch besser ist es, wenn die Leute dann zusätzlich außerhalb von Instagram eigene Informationsquellen suchen.

Sie haben kürzlich einen wissenschaftlichen Artikel veröffentlicht, in dem Sie die Erfahrungen mit Ihrem eigenen Account aufbereiten. Was war die Fragestellung? 

Mich hat interessiert: Bringt das eigentlich überhaupt was? War es die Zeit wert, die ich über ein paar Jahre hinweg investiert habe? Auf sozialen Medien kann man das gut messen, weil man eine hervorragende Datengrundlage für die Auswertung hat. Zuerst einmal wollte ich wissen: Schauen sich die Leute das regelmäßig an? Haben sie also die Chance, über einen längeren Zeitraum Neues zu erfahren und zu lernen? Das ist der Fall. Die Statistiken zeigen: Über 80 Prozent der Follower*innen sind meinen Wissenschaftskommunikations-Bemühungen über den Zeitraum von eineinhalb Jahren, den ich betrachtet habe, gefolgt. Es gibt natürlich immer einen gewissen Prozentsatz, der nur ab und zu mal interessiert ist und dann wieder verschwindet. Aber die viele folgen den Posts regelmäßig.

Sie haben auch eine Umfrage unter Follower*innen durchgeführt. Was ist dabei herausgekommen? 

„Mehr als 87 Prozent der Befragten sagten, dass sie sich nach Zugriff auf die Instagram-Posts zumindest gelegentlich auf Wikipedia einlesen oder sogar mal ein wissenschaftliches Paper anschauen.“ Gino Caspari
Ich wollte wissen: Schauen sich meine Follower*innen die Archäologiebilder an, lesen vielleicht die Caption und sind dann schon wieder beim nächsten Tanzvideo? Oder kommt eine gewisse Neugierde zustande? Suchen sie dann nach zusätzlichen Informationen? Um das herauszufinden, habe ich eine Umfrage auf der Plattform gestartet, an der mehr als 3000 Personen teilgenommen haben. Mehr als 87 Prozent der Befragten sagten, dass sie sich nach Zugriff auf die Instagram-Posts zumindest gelegentlich auf Wikipedia einlesen oder sogar mal ein wissenschaftliches Paper anschauen. Das hat mich positiv überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass der Prozentsatz so hoch ist. Das zeigt, dass oftmals selbst kleine Kommunikationsanstrengungen von Wissenschaftler*innen die Motivation beim Publikum erhöhen, selbständig in ein Thema einzutauchen.

Welche Inhalte funktionieren Ihrer Erfahrung nach für die Wissenschaftskommunikation auf Instagram besonders gut?

Das hängt sehr vom eigenen Account ab. Was man aber weiß, ist, dass momentan kurzformatige Videoinhalte enorm gepusht werden. Einzelbilder hingegen sind mittlerweile faktisch tot. Das war noch ein bisschen anders, als der Artikel herausgekommen ist. Instagram ist ein dynamisches Umfeld, das sich ständig ein bisschen verändert. Die Hinwendung zum Video ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Plattform Angst hat, Publikum in Richtung TikTok zu verlieren. Leider ist man auch in der Wissenschaftsvermittlung sehr abhängig von solchen strategischen Entscheidungen der Plattform.

 

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Gut funktioniert hat bei mir die Kombination von persönlicher Erfahrung, wissenschaftlichem Arbeiten und Resultaten. Nur Forschungsergebnisse zu kommunizieren, funktioniert vielleicht eine Weile gut, aber es ist, denke ich, langfristig für das Publikum ein bisschen ermüdend. Menschen lernen gerne über Geschichten – und sie folgen gerne anderen. Ein gutes Mittel ist deshalb, über die eigene Person eine Bindung aufzubauen, die dann auch langfristig hält. Der*die Durchschnittsbürger*in ist eher wenig daran interessiert, ob wir eine Typologie von Keramiken verändert haben. So etwas können wir schon ab und zu mal reinbringen, aber was die Leute sehr interessiert, ist die Erfahrung des Forschenden. Man muss das Publikum auf eine Reise mitnehmen. Diese Art der Kommunikation unterscheidet sich radikal von dem, was wir als Wissenschaftler*innen gewohnt sind zu publizieren.

Eine Schweizer Zeitung hat sie mal als „Rockstar unter Archäologen“ bezeichnet. Was hat es für Auswirkungen für Sie, als Person im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen?

Das ist natürlich lustig, aber nicht unbedingt die Schlagzeile, die man sich wünscht. Auf Dauer kann es auch anstrengend sein, diese Aufmerksamkeit zu bekommen und man muss gut mit Kritik umgehen können. Ich kommuniziere deshalb auch strikt keine privaten Details und gebe auch meinen Aufenthaltsort nur gelegentlich bekannt. 

Es ist mir außerdem wichtig, die Breite der Archäologie als Wissenschaft zu betonen und klarzustellen, dass ich nur einen selektiven Ausschnitt zeige. Das versuche ich zu vermitteln, indem ich Einblicke in die Diversität des Faches vermittle. Zumindest in meinem Umfeld gibt es beispielsweise inzwischen mehr Frauen als Männer. Ich versuche auch, über meinen Instagram-Kanal Kolleg*innen aus anderen Gegenden der Welt ein Sprachrohr verschaffen und Live-Streams von Ausgrabungen und Exkursionen zu machen.

Welche Themen sind auf Instagram schwierig zu kommunizieren? 

Screenshot eines Instagram-Posts von Gino Caspari

Es gibt natürlich ganz viele problematische Themenfelder. Da meine Posts auf Englisch sind, richten sie sich potenziell an ein globales Publikum. Es ist geografisch und gesellschaftlich sehr unterschiedlich, welche Themen triggern und welche zu guten Diskussionen führen. Wenn wir zum Beispiel über Kolonialismus diskutieren, wissen wir schon vorher, aus welcher Ecke dann Kommentare kommen werden. Wenn ich aber über Steppenvölker und Sprache rede, gibt es zum Teil hitzige Diskussionen, die von türkisch- und iranischsprachigen Menschen geführt werden. Geschichte, Sprache und kulturelles Erbe sind sehr eng mit Identitäten verknüpft – und da haben viele Menschen sehr klare, manchmal radikale Meinungen. 

Sie schreiben in dem erwähnten Artikel, dass es auf der Plattform auch fragwürdige Inhalte gibt, die sich – im weitesten Sinne – mit Archäologie beschäftigen. Was meinen Sie damit?

Viele Menschen sind enorm an archäologischen Inhalten interessiert. Leider wird Wissenschaftskommunikation über soziale Medien in unserem Fach immer noch etwas stiefmütterlich behandelt. Das führt dazu, dass die Neugierde des Publikums oft durch andere Inhalte befriedigt wird. Da ist dann Raum für Verschwörungstheorien, Ideen von „Ancient Aliens“ oder „Lost Ancient Technology“ als Erklärung für Megalithbauten. Es gibt abstruse Ideen, die oftmals darauf aufbauen, dass Wissenschaftler*innen die Wahrheit zu verbergen versuchen und es beispielsweise voreiszeitliche Kulturen gab, die technologisch höher entwickelt waren als wir es heute sind. Zum Teil gibt es auf Instagram leider auch illegalen Kunsthandel und Zeugnisse der Zerstörung archäologischer Stätten durch Raubgrabungen.

Ich sehe aber inzwischen mehr Kolleg*innen, die Anstrengungen unternehmen und ihre eigene Forschung auf Instagram öffentlicher machen. Ich glaube, so ensteht langsam ein Netzwerk, bei dem die Leute merken: Dort bekomme ich verlässliche Informationen und kann über die Zeit ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Ich selbst bekomme tonnenweise Anfragen von Menschen, die mir Posts von irgendwelchen Accounts schicken und fragen: „Ich bin nicht ganz sicher, ob das richtig ist. Wie schätzt du das ein?“ Ich nehme diese Fragen zum Teil in meine Posts auf oder antworte den Leuten persönlich. 

Das klingt sehr zeitaufwändig. Wie machen Sie das? 

„Viele junge Leute schreiben mich an und wollen wissen: Wo kann ich Archäologie studieren?“ Gino Caspari
Man muss immer dazu sagen: Für diese Arbeit werde ich nicht bezahlt. Aus ethischen Gründen ist es schwierig, das zu monetarisieren. Von daher ist das ein reiner Dienst am Fach. Aber ich denke, dass ich auch selbst davon profitiere und beispielsweise zu Vorträgen eingeladen werde. Ich hoffe, dass meine Posts im Idealfall Menschen helfen, eine nuanciertere Sicht auf die Archäologie zu bekommen. Aber es ist natürlich zeitaufwändig. Etwa eine Stunde pro Tag muss man schon rechnen. Das kommt dann obendrauf auf die Lehre, Forschung und Expeditionsleitung.

Wie kommt ihr Instagram-Kanal bei jungen Zielgruppen an? 

Viele junge Leute schreiben mich an und wollen wissen: Wo kann ich Archäologie studieren? Wie ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt? Das sind Fragen, von denen man annehmen könnte, dass sie eigentlich von Institutionen beantwortet werden würden. Aber weil Archäologie kein Schulfach ist, kommt man nicht so einfach an diese Informationen. Mein Kanal bietet da einen niedrigschwelliger Einstieg. Jeder kann mir eine Direktnachricht schicken und sehen, ob ich antworte. Kaum jemand wird den Kanal einer Universität anschreiben, um persönliche Anliegen zu besprechen. Dadurch, dass ich als Person, die in dem Feld arbeitet, dahinterstehe, ist die Hürde zur Kontaktaufnahme weniger groß. Über die letzten Jahre hinweg haben mir sicherlich mehr als 20 Leute gesagt: Ich habe angefangen, Archäologie zu studieren – gerade auch wegen deines Kanals. Ich denke: Wenn man Leute mit seiner Begeisterung anstecken kann, war es das wert, so viel Zeit zu investieren.

Neben der Chancen, die Instagram bietet: Gibt es auch Nachteile? 

Schwierig ist natürlich, dass die Plattform immer zwischen Wissenschaftler*in und Publikum geschaltet ist. Sie bestimmt eigentlich, wer was zu sehen bekommt. Wer bewusst einen Kanal abonniert hat, kann danach nicht mehr entscheiden, was tatsächlich im Feed angezeigt wird. Was ich poste, sehen dann nicht 140.000 Leute, sondern vielleicht nur zehn Prozent von ihnen. Dadurch geht viel der eigenen Kommunikationsleistung verloren. Je nachdem, wie ein Post läuft, wird er dann nach und nach auch für eine breitere Öffentlichkeit geöffnet. 

Screenshot eines Instagram-Posts von Gino Caspari

Wenn man nur wenige Follower*innen hat, kann man sehr effizient kommunizieren, weil die Posts fast allen angezeigt werden. Wenn der Kanal aber wächst, gehen die sogenannten Engagement-Rates tendenziell runter. Als ich etwa tausend Follower*innen hatte, haben locker zehn, zwanzig Prozent von ihnen mit dem Post interagiert, also Likes verteilt oder Kommentare hinterlassen. Mittlerweile sind das nur noch so drei bis dreieinhalb Prozent. Absolut gesehen sind das natürlich mehr, aber relativ zu der Anzahl der Follower*innen ist es wesentlich weniger. Außerdem gibt es natürlich auch Filtereffekte. 

Welche Filtereffekte wären das genau?

Zum Teil ist es schwierig, Themen zu diskutieren, die politische Aspekte haben, weil Inhalte moderiert werden. Von Instagram gibt es darüber nur wenige Informationen, aber man merkt, dass gewisse Stichworte moderiert werden, weil sie weniger Menschen gezeigt werden. Wenn man zum Beispiel über Klimawandel redet, merkt man, dass die Zahlen einbrechen, weil das gerade in den USA ein extrem schwieriges Thema ist. Wenn man aber zum Beispiel über Gletscherarchäologie redet, kommt man am Klimawandel nicht vorbei. Weil manche Leute ein Problem damit haben, werden die Posts weniger Follower*innen angezeigt. Auch Posts, die in Richtung Sexualität gehen, werden relativ häufig zensiert. Bei archäologischen Objekten können das zum Beispiel Aktdarstellungen sein, bei denen man einen gewissen Einbruch von Zuschauerzahlen bemerkt, nachdem diese als sensible Inhalte gekennzeichnet werden. 

Wie geht es weiter mit der Archäologie-Kommunikation auf Instagram? 

Ich sehe die Entwicklung größtenteils positiv. Ich bekomme mittlerweile viel Unterstützung von Kolleg*innen, die sich jetzt auch herauswagen. Ein Grund, warum ich das Paper geschrieben habe, ist, dass ich meine Erfahrungen teilen wollte. Das Problem ist: Hierarchien in der Archäologie sind relativ steil. Es gibt zum Teil Professor*innen, die sagen: „Wissenschaftskommunikation gerne. Aber nur, wenn ich es mache.“ Deshalb ist es wichtig, dass man Diversität reinbringt und auf verschiedenen Ebenen der archäologischen Karriereleiter kommuniziert. Einige Vertreter*innen älterer Generationen sagen: Das ist keine seriöse, sinnvolle Kommunikation. Es sei alles so kurz und man könne keine Nuancen reinbringen. Nun ja, der*die Allgemeinbürger*in liest nun mal keine wissenschaftlichen Paper. Deshalb ist diese Kommunikationanstrengung wichtig. 

Wir leben in einer Zeit, in der viele Nischenfächer monetäre Probleme haben und als erstes gestrichen werden, weil gesagt wird: Ihr habt ja keine Student*innen. Über eine solche Kommunikationsarbeit kann man zeigen, dass das eigene Fach wichtig ist und dass sich Leute dafür interessieren.