Reddit Vektor erstellt von rawpixel.com - de.freepik.com

Willkommen in der Community: Wissenschaftskommunikation auf Reddit und Twitch

Virale Inhalte, Diskussionen, Ask-Me-Anything-Formate: Reddit und Twitch sind vor allem eins – interaktiv. Johanna Barnbeck blickt in den englischsprachigen Raum und beleuchtet, welche Möglichkeiten die communitygetriebenen Plattformen für die Wissenschaftskommunikation bereithalten.

In der Diskussion um multimediale Wissenschaftskommunikation über soziale Medien werden häufig Twitter oder Instagram genannt. Die beiden communitygetriebenen Plattformen Reddit und Twitch kommen selten vor. Schon davon gehört? Oder sie selbst ausprobiert? International haben bereits verschiedene Wissenschaftler*innen diese Kanäle für sich und ihre Wisskomm-Aktivitäten entdeckt. Ein Blick in den englischsprachigen Raum lohnt sich für Good-Practice-Beispiele als Inspirationsquelle.

Reddit ist vordergründig ein schier unendliches Internetforum zu allen nur erdenklichen ernsthaften oder sinnfreien Themen, das sicher keinen Web-Design-Preis gewinnen würde. Auf Twitch eröffnet sich auf den ersten Blick eine blinkende Welt aus Video-Livestreams für Gamer*innen. Sie schauen sich gegenseitig beim Spielen zu und diskutieren dabei mehr oder weniger spielrelevante Aspekte . Beide Plattformen haben gemein, dass sich dort bereits seit deren Start 2005 beziehungsweise 2011 interessierte und engagierte Personen zu ganz unterschiedlichen Communities formen: Sie treffen sich zu bestimmten Themen, tauschen sich aus, unterstützen und informieren sich gegenseitig. Ein guter Grund, sich auf den Plattformen genauer umzuschauen, wie sie bereits für die Wissenschaftskommunikation genutzt werden und welche Möglichkeiten sie für sie bereithalten.

Reddit bezeichnet sich selbst als die „Titelseite des Internets“1. Tatsächlich entstehen dort häufig virale Inhalte, Themen und Diskussionen, die später über andere Kanäle verbreitet und in den Medien aufgegriffen werden2. Nutzer*innen können sich plattformübergreifend über aktuelle Nachrichten zu einem Thema informieren, sich an Diskussionen beteiligen und gleichzeitig die süßesten Katzenvideos zuerst finden. Dazu folgen sie thematisch organisierten Unterseiten, sogenannten Subreddits. Welche Inhalte als relevant gewertet werden, bestimmt die Community selbst durch Upvotes oder Downvotes.

Beim Sturm des Kapitols in Washington richtete ein*e Nutzer*in sofort einen eigenen Subreddit ein mit der Beschreibung: „Der 6. Januar 2021 wird in Schande fortleben. Dies sind historische Zeiten. Lasst sie uns gemeinsam dokumentieren.“3 Dieser Subreddit beinhaltete nicht nur das Zusammentragen von Informationen durch die Community, sondern eben auch die direkte Einschätzung ihrer Relevanz durch die einzelnen Nutzer*innen.

Relevanz statt Likes – Wie Reddit Communities funktionieren

Reddit ist ein Web-Interface und eine App, welche es den Nutzer*innen ermöglicht, verschiedene thematische Foren (Subreddits) übersichtlich zu verwalten. Der Name setzt sich zusammen aus den Verben „to read“ und „to edit“ – Reddit. Reddit wird also von den Nutzer*innen selbst befüllt und gestaltet. Jeder Subreddit ist eine eigene thematische Community mit eigenen Regeln. Diese Regeln werden zusammen mit einer Beschreibung der Community und den möglichen Inhalten transparent erklärt. Allen Subreddits gemein ist nur die visuelle Darstellung der Posts und die Funktionalitäten, nach denen Beiträge von Nutzer*innen als mehr oder weniger relevant gewertet werden können. Mit einem Klick auf den Pfeil nach oben (Upvote) oder den Pfeil nach unten (Downvote) werden die Beiträge gewichtet. Obenan stehen also nicht unbedingt die neuesten, sondern die von der Community als relevanteste gewerteten Beiträge.
Je relevanter die Beiträge von Nutzer*innen sind, umso mehr steigt ihr persönliches Karma-Konto. Karma-Punkte werden vom Reddit-Algorithmus vergeben und sind ein Indikator dafür, wie aktiv jemand auf der Plattform ist und wie inhaltlich passend die Beiträge der Person für die jeweilige Community sind.

Mit 21 Millionen Follower*innen einer der 20 größten, und durch die regelmäßige Beteiligung von Celebrities wohl auch bekanntesten, Subreddits heißt /r/IAmA4. Dort herrscht das Motto „Ask me Anything“5. Hier können sich Personen mit einem Satz kurz vor- und dann den Fragen der Community stellen. Neben Persönlichkeiten wie Barack Obama und Bill Gates, stand hier auch bereits der Astrophysiker Neil deGrasse Tyson Rede und Antwort6. Er ist aber längst nicht der einzige Wissenschaftler, der sich für eine AMA-Session eingefunden hat. Bis 2019 hostete der Subreddit /r/Science, der mit über 27 Millionen Follower*innen auf Platz 8 der größten Subreddits steht, ein eigenes AMA-Format, bei dem Wissenschaftler*innen aus verschiedensten Disziplinen eingeladen waren sich den Fragen der Community zu stellen.

Meeresbiologe David Shiffman beschreibt, wie bereichernd und an vielen Stellen überraschend der Austausch mit der Reddit-Community für ihn über sein Forschungsthema Haie war7. Er erhielt dadurch Einladungen für Vorträge und Medienanfragen. Eine Fragende wurde durch seine Antwort sogar so inspiriert, dass sie selbst Meeresbiologie als berufliche Laufbahn einschlug.
Hier zeigt sich eine besondere Stärke von Online-Communities: Internetforen wie Reddit ermöglichen es Personen, die sich sonst vielleicht nie getroffen hätten und aus ganz unterschiedlichen Welten kommen, sich auszutauschen. Der persönliche Aufwand ist für alle Seiten vergleichsweise gering.

Durch eine Funktionsänderung gaben die Betreiber*innen von /r/Science das AMA-Format jedoch auf, da es für sie schwieriger wurde die Reichweite aufrecht zu erhalten8. Seit Kurzem gibt es nun den noch vergleichsweise unbekannten Subreddit /r/IAmA_Science und einen dazugehörigen Bot, der dafür sorgt, dass alle wissenschaftlichen AMA-Sessions von /r/IAmA auch in diesem Subreddit landen9.

Aber auch in anderen Subreddits wird sich fleißig zu wissenschaftlichen Themen ausgetauscht10 oder können fachspezifische Fragen an die Community gestellt werden: Es gibt eigene Communities wie /r/AskAnthropology, /r/AskPhysics oder /r/AskAcademia, die es Personen ermöglichen, mit Wissenschaftler*innen aus der jeweiligen Disziplin zu diskutieren. Die Communities zählen ab Hunderttausend Mitglieder aufwärts. Der Subreddit /r/AskScienceDiscussion ist für offene und hypothetische wissenschaftliche Fragestellungen gedacht. Die Fragen selbst sind ganz unterschiedlicher Natur. Im Anthropologie-Subreddit finden sich Fragen wie „Wenn die Menschheitsgeschichte in einem 24-Stunden-Tag zusammengefasst würde, um wie viel Uhr würde die Agrarrevolution starten?“11 oder „Wie unterscheiden Anthroprolog*innen religiöse Praktiken von anderen Ritualen (wie z.B. die olympische Fackel, Flaggen hissen, sportlicher Aberglaube)?“12

Die Antworten sind ebenso vielfältig, wie die Fragen. Der Austausch soll jedoch immer getrieben sein von einem höflichen und ernsthaften Umgang miteinander. „Denke an den Menschen am anderen Ende“ steht dann auch in der Reddiquette, in der die informellen Regeln der Plattform zusammengefasst werden13. Dies gelingt nicht immer allen gleichermaßen, jedoch besser als auf anderen Social-Media-Plattformen. Was auch daran liegt, dass die einzelnen Subreddits von Moderator*innen betreut werden, die die Regeln der Community überwachen und gegebenenfalls korrigierend oder schlichtend eingreifen.

In Subreddits wie r/AskAcademia können Nutzer*innen fachspezifische Fragen an die Community stellen. Foto: Screenshot r/AskAcademia

Auf der Videostreaming-Plattform Twitch sieht dieses Moderator*innenrolle ganz anders aus, denn dort betreiben einzelne Nutzer*innen ihren eigenen Livestream und gestalten somit auch ihr individuelles Programm14. In ihrer Rolle als Moderator*innen interagieren sie mit den Zuschauer*innen direkt über einen Chat. Auch hier ist die Kommunikation positiv und unterstützend. Die meisten Kanäle widmen sich Games und Let’s Play-Formaten, was so viel bedeutet wie das Vorführen und Kommentieren eines Videospiels15. Die Zuschauer*innen feuern die Spieler*innen dabei an, senden ihnen Kommentare, Fragen oder virtuelles Geld – sogenannte Bits – und tauschen sich auch untereinander über die Ereignisse im Stream aus.

Twitch ist mit seinen täglich 15 Millionen aktiven Nutzer*innen die größte Streaming-Plattform der Welt16. Thematisch sind die Kanäle vor allem nach Videospielen wie Fortnite, League of Legends oder Grand Theft Auto sortiert, wobei sich ein*e Kanalbetreiber*in nicht auf ein Spiel festlegen braucht. Eine weitere beliebte Kategorie ist Just Chatting – wo der Name auch Programm ist und Twitcher*innen ganz unterschiedliche Themen an- und mit ihrer Community besprechen. Alternative Kategorien wie Essen und Trinken, Kunst oder Musik zeigen ebenfalls individuell gestaltete Streams mit ganz unterschiedlichen Facetten. In der populären Kategorie ASMR greifen Twitcher*innen das Phänomen der Entspannung durch eine „unabhängige sensorische Meridianreaktion“ auf und zeigen, wie sie flüstern und die entsprechenden Geräusche erzeugen17.

Im November 2021 hat Twitch eine eigene Kategorie für Aquarien, Zoos und Naturschutzparks eingerichtet18, die mit Livestreams aus ihren Gehegen senden und so auch in Zeiten von Corona und Lockdowns im Kontakt mit ihren Besucher*innen bleiben können19. Über die virtuelle Währung Bits können die Zuschauer*innen auch direkt spenden oder teils die Tiere live über Futterautomaten füttern.

Twitch-Monetarisierung – Ein Kosmos für sich

Das Ansehen von Streams, ein Twitch-Account erstellen und einem Kanal zu folgen ist wie bei vielen anderen Social Media Plattformen kostenlos. Einen Kanal finanziell unterstützen, funktioniert über ein Bezahl-Abo. Hierdurch erhalten die Streamer*innen einen Anteil des Abo-Betrags und die Abonnent*innen meist spezielle Emojis (Emotes), Abzeichen oder Zugang zu einem eigenen Chatraum nur für Abonnent*innen. Was und in welchem Umfang entscheiden die Streamer*innen selbst. Um Streamer*innen darüber hinaus zu unterstützen, können sie im Livestream beispielsweise mit sogenannten Bits bedacht und angefeuert werden. Diese virtuelle Währung kann vorab erworben und bei besonderen Aktionen im Chat verwendet werden. Reichweitenstarke Twitch-Streamer*innen verdienen mit ihren Kanälen (neben Produktplatzierungen) also dadurch Geld, dass sie interessante Emotes oder Features anbieten und von den Zuschauer*innen live Bits erhalten. Sie bedanken sich häufig live und namentlich bei den Zuschauer*innen.
In den Verhaltensregeln von Twitch selbst steht: auf ein ausgewogenes Verhältnis von Inhalten und Monetarisierung achten und eine positive Community-Ansprache pflegen. Kürzlich wurde bekannt gegeben, dass das Bezahlmodell angepasst werden soll – zugunsten mehr Werbung und Geld für Amazon statt der Streamer*innen. Die Plattform selbst gehört seit 2014 zu Amazon, welche auch ein Abo für Videospiele anbietet und so Twitch mit dem Videospiel-Abo verknüpft.

International haben bereits verschiedene Wissenschaftler*innen Twitch für sich und ihre Wisskomm-Aktivitäten entdeckt. Mit ihrem Kanal „Freckled Science“ hat es sich die kanadische Doktorandin Amanda seit 2019 zur Aufgabe gemacht, Polymerchemie, Nano- und Ingenieurswissenschaften ihren knapp 15.000 Follower*innen näher zu bringen. Neben ihren wöchentlichen AMA-Formaten streamt sie beispielsweise, wie sie Mikroskopadapter mit ihrem 3D-Drucker herstellt. Ihr selbsternanntes Ziel: ein mit Open-Source-Quellen hergestelltes Labor für Zuhause. Hierbei waren in den vergangenen Monaten jeweils zwischen 800 und 5.000 Twitcher*innen live dabei.

Der Kanal „SciAnts_Streams“ hat nicht nur die Ameise aus dem Namen im Logo, sondern bringt auch in Formaten wie SciAnts Saturday oder Microscopy Monday verschiedene wissenschaftliche Inhalte zu Insekten und kleineren Organismen wie Bärtierchen näher. Wacom Wednesday und SciArt Sunday ergänzen den vollen Streamingplan der beiden Wissenschaftler*innen Bálint und Lita.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von player.twitch.tv zu laden.

Inhalt laden

Sogar täglich streamt der Paläontologe und Wissenschaftskommunikator Danny Anduza via „Paleontologizing“. Seine Sendungen beschäftigen sich mit Community-Fragen rund um Dinosaurier. Er lädt andere Paläontolog*innen zu sich ein, besucht Dinosaurier-Skelette in Museen oder bringt am Fossil Friday die neuesten Entdeckungen und Publikationen im wöchentlichen Nachrichtenüberblick. Er spielt aber auch Dinosaurier-Videospiele, kommentiert, wie diese gemacht sind und klärt, ob sie wissenschaftlich akkurat sind20. Bei allen seinen Streams schalten sich im Schnitt zwischen 1.200 und 1.500 Twitcher*innen zu. Mittlerweile hat er 10.000 Follower*innen.

In Anbetracht der Nischenthemen sind solche Zahlen beeindruckend. Aber erst die Fülle an Fragen aus und Live-Interaktionen mit der Community unterstreichen, wie engagiert und interessiert Nutzer*innen auf den Plattformen Reddit und Twitch sind – und wie lohnenswert es sein kann sich dort mit eigenen Formaten direkt an spezifische, online-affine Zielgruppen zu wenden.

Weitere Subreddits mit Wissenschaftsbezug:

Weitere – teils etwas experimentelle – Twitch-Kanäle mit Wissenschaftsbezug:

Literatur