Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) hat Richtlinien für die Wissenschaftskommunikation veröffentlicht. Sie sollen als Instrument dienen, um kommunikatives Fehlverhalten zu sanktionieren. Wie es zu Rügen kommt und welche Wirkung diese entfalten können, erklärt DRPR-Mitglied Alexander Güttler.
„Wissenschaftskommunikation als kritischer Gatekeeper“
Was war der Anlass, neue Richtlinien für die Wissenschaftskommunikation zu erarbeiten?
Spätestens mit der Coronapandemie hat das öffentliche Interesse für wissenschaftliche Vorgänge drastisch zugenommen. Bei uns als Deutschen Rat für Public Relations sind immer mehr Fälle gelandet, die sich mit Fehlverhalten in der Wissenschaftskommunikation und Wissenschafts-PR beschäftigen. Das hat uns dazu veranlasst, neben dem deutschen Kommunikationskodex, der sowieso für alle gilt, noch eine neue Richtlinie für Wissenschaftskommunikation zu erarbeiten.
Können Sie einige dieser Fälle beispielhaft beschreiben?
Wir hatten mehrere Fälle, bei denen Hochschulen Dinge kommuniziert haben, die sich im Nachhinein als nicht wahr herausgestellt haben. Dabei wurde vorschnell PR betrieben. Beispielsweise ging es dabei um die Herkunft des Coronavirus. Öffentlich für mehr Furore gesorgt hat der Fall „Storymachine“ von Kai Diekmann. Dabei ging es um unprofessionelles Kommunikationsverhalten im Umgang mit der Heinsberg-Studie von Hendrik Streeck. Wir haben intern gemerkt, dass beim Thema Covid-19 einiges in einer Art Goldgräberstimmung schief lief. Deshalb wollten wir unsere Regeln noch spezifizieren.
In der Präambel heißt es, sie solle „den deutschen Kommunikationskodex im Themenfeld Wissenschaftskommunikation konkretisieren“. Worin lagen bisher Lücken oder Unklarheiten?
Unklarheiten gibt es überhaupt keine. Der Kommunikationskodex ist ein exzellentes Fundament und funktioniert auch im europäischen Maßstab sehr gut. Wir kooperieren eng mit dem Presse- und dem Werberat. Lücken sahen wir allerdings darin, dass die Wissenschaftskommunikation einige Spezialitäten aufweist. Diese wollten wir stärker zum Ausdruck bringen. Das Ergebnis ist deshalb sehr normativ. Wir glauben, dass Wissenschaftskommunikation, die mit den Ängsten und Hoffnungen der Menschen in essenziellen Lebensfragen arbeitet, sich viel vorsichtiger äußern muss als kommerzielles Marketing. Es besteht eine hohe Pflicht zur Wahrhaftigkeit. Sie muss abgleichen, ob das, was kommuniziert wird, im Kontext wirklich wichtig ist oder womöglich auch zur Verwirrung beiträgt. Wir betrachten die Thematik der Preprints beispielsweise sehr kritisch: Genauso laut, wie man die Studien kommuniziert hat, muss man im Nachhinein auch öffentlich Fehler korrigieren. Vieles in den Richtlinien ist ehrlicherweise gar nicht neu. Wir setzen auf schon bestehenden Dingen auf.
Was unterscheidet Wissenschaftskommunikation von anderen Arten der PR?
Wenn ich beispielsweise neue Erkenntnisse aus Studien zu Krebsmedikamenten an die Öffentlichkeit und nicht an eine Fachcommunity kommuniziere, muss ich sehr sorgfältig überlegen, in welcher Form ich das mache und in welchen Kontext ich das setze. Dabei greifen andere Regeln als bei reiner Markt- oder Kund*innenkommunikation. Deswegen muss sich Wissenschafts-PR auch strengeren Regeln unterwerfen. Dazu gehört auch, manchmal nichts zu kommunizieren. Wir haben in den letzten zwei, drei Coronajahren gesehen, wie enorm überhitzt manche Diskussionen sind und wie viel hilfreicher es gewesen wäre, eine Sache vielleicht erst zu Ende zu prüfen, bevor man über sie spricht.
Die Richtlinien sollen schlechter Wissenschafts-PR vorbeugen oder sie sanktionieren. Was sind Konsequenzen schlechter Kommunikation?
Verängstigte Menschen. Häufig haben Wissenschaftsthemen einen großen Einfluss auf unser Leben. Man trägt eine besondere Verantwortung bei deren Kommunikation. Denn es ist die Angst oder Hoffnung der Menschen, mit denen gespielt wird. Das finde ich persönlich und als Ratsmitglied unseriös.
Was unterscheidet die Richtlinien von den Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR?
Die bestehende Leitlinie zur guten Wissenschafts-PR von Wissenschaft im Dialog* und dem Bundesverband Hochschulkommunikation ist sehr gut. Wir haben deshalb auch Vertreter*innen des Siggener Kreises in den Prozess einbezogen. Das einzige Problem, das wir hatten, ist, dass sie nicht so formuliert sind, dass ein Rat – also ein Selbstkontrollorgan einer Branche – mit ihnen arbeiten kann. Wir haben daher die vorhandenen Leitlinien und Codices nebeneinandergelegt und in einem fast anderthalbjährigen Prozess einen Konsens erarbeitet. Den ersten Entwurf haben wir online gestellt und immer wieder Feedback dazu eingefordert, sodass die Richtlinie erstaunlich trennscharf wurde. Wir wollten auch in diesem partizipativen Prozess die Ecken erhalten. Die Richtlinie ist normativ und damit viel härter, klarer und strittiger formuliert als beispielsweise die Leitlinie. Das brauchen wir, um Mahnungen oder Rügen erteilen zu können.
Der DRPR
Der DRPR ist ein freiwilliges Organ der Selbstkontrolle des PR-Berufsfeldes. Er wird getragen von den drei großen Berufsverbänden DPRG, GPRA und BdKom. Die Richtlinie für Wissenschaftskommunikation entstand in einem einjährigen, partizipativen Prozess. Die Arbeit baut auf den Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR von Wissenschaft im Dialog* und dem Bundesverband Hochschulkommunikation auf. Vertreter*innen des Siggener Kreises waren frühzeitig involviert. Ein Entwurf der Richtlinie konnte im Frühjahr 2022 öffentlich kommentiert werden.
Uns werden Beschwerden geschickt, die wir im Rat prüfen. Das ist ein Expert*innengremium aus 21 Menschen. Sie haben feste Grundsätze und stimmen zu den Fällen ab. Die Mehrheitsmeinung entscheidet, ob wir den Fall niederlegen oder – je nach Schwere des Vorfalls – öffentlich eine Rüge aussprechen. Solche Rügen erhalten in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit und können eine Rolle spielen für den Karriereverlauf. Das entwickelt zunehmend eine echte Wirkmacht.
Welche Expertise fließt durch die Mitglieder in den Rat ein?
Im Rat sitzen beispielsweise Professor*innen, Wissenschaftler*innen und Menschen aus dem Bereich der politischen Kommunikation oder Investor Relations. Mit 21 Menschen sind sehr unterschiedliche Felder vertreten. Getragen wird dieser Rat von den drei großen Branchenverbänden. Wir fällen Meinungsurteile, damit Märkte eine Stabilität haben. Wenn Märkte bestimmte ethische Regeln befolgen und die Selbstkontrolle funktioniert, wird immer Geld investiert.
Worin liegen mögliche Risiken der Richtlinie? Kann deren Glaubwürdigkeit einen Schaden nehmen, wenn Fehlverhalten unsanktioniert bleibt?
Was wir machen, ist eine Sisyphos-Aufgabe. Wir sind nur ein kleiner Teil der Branche und kriegen natürlich längst nicht alles mit. Wir sind auch nicht die Oberstaatsanwaltschaft, sondern ein Selbstkontrollorgan der Branche. Aber wir werden immer mehr wahrgenommen. Wir arbeiten immer mit und in der Community und nehmen das auf, was uns zurückgespiegelt wird.
Um welche Punkte wurde während des Konsultationsprozesses besonders gestritten, welche sind sogar rausgefallen oder hinzugekommen?
Aus meiner Sicht ist im Prozess nichts Relevantes rausgefallen. Die Richtlinien enthalten zentrale Themen wie Transparenz oder Wahrhaftigkeit, vor allem im Kontext von Storytelling. Es gab eine interessante Debatte dazu, ob man schreiben kann, dass Journalist*innen alleine nicht immer ihrer Gatekeeper-Rolle gerecht werden. Als professionelle PR-Leute oder Kommunikator*innen tragen wir eine Mitverantwortung dafür, was wir an Journalist*innen herausgeben. Wir können uns nicht drauf verlassen, dass das noch einmal jemand inhaltlich prüft. Man muss schon vorher den Kontext herstellen und einordnen oder es lieber sein lassen.
Was natürlich nicht neu ist, aber wofür wir im zweiten Teil eine Lanze gebrochen haben, ist die Rolle der Wissenschaftskommunikation selber. Es gibt viele großartige Wissenschaftskommunikator*innen und Wissenschaftler*innen, die blendend in ihren Organisationen verankert sind. Wir können sie nicht auf die Rolle des Erfüllungsgehilfen reduzieren. Sie sollten auch ein gewisses Maß an Einfluss in ihren Institutionen – sei es ein Unternehmen mit eigener Forschungsabteilung, Institut oder Universität – haben, auch einmal „Nein“ sagen zu können. Dann wird etwas auch einmal nicht kommuniziert. Damit tut man der Bevölkerung nur einen Gefallen, wenn die Wissenschaftskommunikation selbst als kritischer Gatekeeper agiert.
*Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.
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